Römisches Schlachtfeld bei Kalefeld

Römisches Schlachtfeld bei Kalefeld
Lage der Gemeinde Wiershausen im südlichen Niedersachsen, südlich des Schlachtfeldes gelegen

Das Römische Schlachtfeld bei Kalefeld ist ein archäologischer Fundplatz nahe dem Kalefelder Ortsteil Wiershausen im Landkreis Northeim in Niedersachsen.

Auf einer Fläche von 2,0 × 0,5 km (Stand April 2009) wurden im Erdreich Fundstücke gefunden, die auf ein Gefecht zwischen Römern und Germanen in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. hindeuten. Der Fundort wird von den Ausgräbern als spektakuläre Entdeckung bewertet, der eine außerordentliche wissenschaftliche Bedeutung zugemessen wird.

Inhaltsverzeichnis

Entdeckung

Hobbyarchäologen entdeckten als Sondengänger den Fundbereich auf dem Harzhorn, einem Geländesporn über dem Nettetal, bereits im Jahre 2000 auf der Suche nach einer mittelalterlichen Burg. Erst die Zuordnung eines der Fundstücke als vermutlich römisch veranlasste die Entdecker im Juni 2008, die zuständige Kreisarchäologin in Northeim zu informieren.[1]

Seit dem Spätsommer 2008 vorgenommene archäologische Untersuchungen unweit des Kalefelder Ortsteils Wiershausen deuten darauf hin, dass das Gebiet im frühen 3. Jahrhundert nach Christus Schauplatz einer militärischen Auseinandersetzung war. Die Präsentation der Fundstücke im Dezember 2008 sorgte deutschlandweit für Aufsehen. In Medienberichten war aufgrund der Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur[2] von einem archäologischen Jahrhundertfund und der Römerschlacht bei Kalefeld die Rede.

Lage

Das Fundgebiet liegt etwa einen Kilometer nördlich von Wiershausen auf der östlichen Spitze eines mehrere Kilometer langen Höhenzuges, der in Ost-West-Richtung verläuft. Die Erhebung läuft als natürliche Barriere auf den Harz zu und kann in Nord-Süd-Richtung nur durch einen engen Pass auf der Route einer historischen Handels- und Heerstraße durchquert werden. Diesen Passbereich nutzen heute die Bundesautobahn 7 und die Bundesstraße 248 auf einem 300 m breiten Geländestreifen.

Das Fundgebiet befindet sich nicht im Bereich des Passes, sondern auf einem Höhenzug, wo die Hänge steil nach Norden abfallen und nur an wenigen Stellen passierbar sind. Laut der Arbeitshypothese von Dezember 2008 (siehe unten) wäre der Passbereich für die römischen Truppen versperrt. Entweder hätten sie den Pass über die freigekämpfte Höhe umgangen oder der Pass selbst sei durch den erfolgreichen römischen Infanterieangriff auf die Höhen passierbar geworden. Im Fundgebiet am Hang fanden sich größere Konzentrationen an Waffen, die auf ein sehr heftiges Aufeinandertreffen der Gegner deuten. Zum größten Teil handelt es sich dabei um Pfeile und andere Geschosse, doch auch Speerspitzen und Rüstungsteile, Nägel von Legionärssandalen (caligae) und römische Hufeisen wurden inzwischen gefunden. Im weiteren Umfeld wurden weniger Waffenteile im Boden geortet, was auf schwächeres Kampfgeschehen, Plünderung oder Überlagerung durch Hangabrutsche schließen lässt.

Fundbewertung und Arbeitshypothese

Die verantwortlichen Wissenschaftler gehen davon aus, dass die bislang rund 1800 gefundenen Artefakte römischen Legionären und Hilfstruppen zuzuordnen sind. Zunächst wollten Archäologen nicht völlig ausschließen, dass es sich um eine Auseinandersetzung germanischer Stämme gehandelt habe, ausgerüstet mit Waffen aus römischer Produktion.[3] Durch andere Funde, etwa aus dem Thorsberger Moor in Schleswig-Holstein, weiß man, dass im 3. Jahrhundert zahlreiche innergermanische Konflikte ausgetragen wurden, wobei die Krieger römische Waffen benutzten. Die zahlreichen Präzisionsgeschosse aus Torsionsgeschützen unter den Fundstücken sprechen nach Ansicht der ausgrabenden Wissenschaftler jedoch eindeutig dafür, dass eine größere römische Einheit, wohl mindestens zwei Kohorten (1000 Mann), bestehend aus Infanterie, Bogenschützen, Schwerer Kavallerie und Artillerie, in einen heftigen Kampf mit Germanen verwickelt worden war, denn davon, dass Germanen diese römische Kriegstechnik je eingesetzt hätten, ist bislang nichts bekannt. Auch andere Fundstücke belegen inzwischen eindeutig die Präsenz kaiserlicher Soldaten. Da sie Geschütze und Reisewagen mitführten, kann es sich bei ihnen nicht nur um einen Stoßtrupp gehandelt haben.

Einer Arbeitshypothese zufolge ist es wahrscheinlich, dass sich römische Truppen auf dem Rückmarsch aus dem Norden befanden. Der nach Süden führende Pass war offenbar von Feinden versperrt worden, die Legionäre mussten sich ihren Weg unter massivem Waffeneinsatz über den Höhenzug erkämpfen. Zunächst dürfte versucht worden sein, die Anhöhe zu stürmen; nach dem mutmaßlichen Scheitern dieser ersten Attacke verlegten sich die Römer wohl auf den Einsatz von Fernwaffen. Die Fundsituation spräche dabei für einen Erfolg der römischen Einheit dank ihrer überlegenen Militärtechnik. Dass die Römer zugleich relativ viel auf dem Schlachtfeld zurückließen, deutet darauf hin, dass man sich weiterhin bedroht fühlte und trotz des mutmaßlichen Sieges rasch weiterzog.

Wegen des Fundes einer Münze, die den Kaiser Commodus abbildet, sowie aufgrund der Ausrüstungsgegenstände gingen die Wissenschaftler zunächst lediglich davon aus, dass der Kampf nach 180 n. Chr. (Herrschaftsantritt des Commodus) stattgefunden haben muss. Als hypothetische Datierung wurde anfangs allgemein das frühe 3. Jahrhundert erwogen, wobei etwa die Zeit der Germanienfeldzüge der römischen Kaiser Caracalla oder Maximinus Thrax in Frage kam. Neue Fundmünzen aus der Zeit der Kaiser Elagabal (218-222) und Severus Alexander (222-235) erlauben inzwischen eine weitere zeitliche Eingrenzung und deuten nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Regierungszeit des Kaisers Maximinus Thrax (235-238) hin.[4] Der Numismatiker Frank Berger datierte die Schlacht etwas vorsichtiger auf den Zeitraum zwischen 230 und 235 n. Chr.[5] Die jüngste bislang gefundene eindeutig datierbare Münze, ein Silberdenar, stammt aus dem Jahr 228; damit ist der frühestmögliche Zeitpunkt des Gefechts festgelegt.[6] Einige gefundene Speerspitzen hatten zudem noch alte, unverkohlte Holzreste in ihrem Schaft, die mit der C14-Methode auf ein Alter von etwa 1.800 Jahren (+/- 30 Jahre) datiert wurden. Damit ergibt sich in der Kombination des numismatischen und archäologischen Befundes mit den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Untersuchungen ein Zeitfenster von 228 bis etwa 250 n. Chr.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Nachricht der spätantiken Historia Augusta (Max. duo. 12,1), Kaiser Maximinus sei im Jahr 235 von Mainz aus mit seinen Truppen zwischen 300 (trecenta) und 400 (quadringenta) Meilen tief in germanisches Gebiet vorgestoßen, was in der Tat dem nördlichen Niedersachsen entspräche. Dort habe man germanische Verbände in einer "Schlacht im Moor" besiegen können. Da man eine solche Operation aber für unmöglich hielt, wurde diese Angabe der Handschriften in den neuzeitlichen Editionen des Textes stets zu triginta und quadraginta (30 bzw. 40 Meilen) "korrigiert" - angesichts der Funde von Kalefeld möglicherweise ein schwerer Irrtum.[7] 233 hatten Germanen römisches Gebiet verwüstet, 235 kam es dann unter Maximinus zu dem bereits von Severus Alexander vorbereiteten Gegenschlag Roms.[8]

Folgen für die Geschichtswissenschaft

Die Ereignisse bei Kalefeld spielten sich über 200 Jahre nach der Varusschlacht und den Feldzügen des Germanicus (bis 16 n. Chr.) ab. Diese Vorgänge stellten das Ende des römischen Versuchs dar, den gesamten Raum bis zur Elbe fest in das Imperium einzubeziehen. Allerdings dehnten die Römer in der darauffolgenden Zeit ihre Grenzbefestigungen auf germanisches Gebiet aus, um die Verteidigungslinien zu verkürzen, und integrierten damit auch das fruchtbare Dekumatland in ihr direktes Herrschaftsgebiet. Doch römischer Einfluss reichte über die Provinzgrenzen hinaus. Gerade die jüngere Forschung betont das hohe Maß an Interaktion zwischen dem Römischen Reich und der Magna Germania.

Dass enge Kontakte zwischen dem Inneren Germaniens und dem Imperium Romanum bestanden, ist also im Grunde nichts Neues. Die eindeutige Feststellung einer so späten römischen Militäraktivität so weit östlich des Rheins (auf dem Gebiet der Magna Germania) hätte dennoch eine bedeutende Wirkung auf die bisherige Darstellung der römischen Geschichte auf heutigem deutschem Boden,[9][10] nicht zuletzt in Hinblick auf die Bewertung literarischer Quellen zu diesem Zeitraum.

Römische Quellen - namentlich Cassius Dio, Herodian und die besagte Historia Augusta - berichten von größeren Feldzügen östlich des Rheins und nördlich der Donau im 3. Jahrhundert, insbesondere für die Regierungszeit der Kaiser Caracalla (im Jahr 213) und Maximinus Thrax (im Jahr 235). Dies ist unter Althistorikern seit langem bekannt. Für diese literarische Überlieferungen fehlte bis 2008 aber ein archäologischer Beleg in der Magna Germania. Vor allem war sich die althistorische Forschung über den tatsächlichen Radius dieser Militäroperationen im unklaren und nahm in aller Regel nur sehr begrenzte militärische Unternehmungen in relativer Nähe zum Limes an. Die wenigen anderslautenden Hinweise in literarischen Quellen galten, wie gesagt, als unglaubwürdige Übertreibung. Hierin läge die hauptsächliche historische Bedeutung des Fundortes bei Kalefeld: Wenn sich die vorläufige Interpretation der Funde bestätigen sollte, war das Innere Germaniens tatsächlich noch im dritten Jahrhundert Ziel weiträumiger römischer Militäroperationen. Literarischen Quellen zufolge dienten diese wohl vor allem der Vorfeldsicherung der römischen Reichsgrenze an Rhein und Donau sowie (im Rahmen von Vergeltungsfeldzügen) dem Schutz des Dekumatlandes (das allerdings nach 260 dennoch geräumt wurde).

Filmdokumentationen

  • Rätsel Römerschlacht, Fernsehdokumentation des NDR Fernsehen von 2008 [11]
  • Die Schlacht am Harzhorn - Roms letzter Feldzug nach Germanien (Dokumentation, 2010) [12]
  • Roms Rache, Dokumentation in der Reihe ZDF-History (Ausstrahlung 6. November 2011)

Literatur

  • Michael Geschwinde u.a.: Roms vergessener Feldzug. In: 2000 Jahre Varusschlacht. Konflikt. Herausgegeben von Museum und Park Kalkriese. Theiss, Stuttgart 2009, S. 228ff.
  • Ulrike Biehounek: Die Revanche der Römer. In: Bild der Wissenschaft. Heft 6/2010, S. 84-89.
  • Ralf-Peter Märtin: Die Rache der Römer. In: National Geographic, Juni 2010, S. 66-93 online.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. HNA online
  2. Pressemitteilung vom 15. Dezember 2008
  3. Vorsichtige Zweifel äußerte zunächst etwa der Althistoriker Ralf Urban von der Universität Erlangen-Nürnberg: Interview; Artikel in: Der Spiegel online
  4. Artikel im Tagesspiegel
  5. HNA-Artikel
  6. Ralf-Peter Märtin, Die Rache der Römer, in: National Geographic 6/2010, S. 66ff.
  7. Vgl. zu der fraglichen Textstelle auch K.-P. Johne, Die Römer an der Elbe, Berlin 2006, S. 262f., der aber noch von einem Kopierfehler ausgeht und einen bescheidenen Umfang des Feldzugs annimmt.
  8. ddp-Artikel
  9. Videobeitrag in: Tagesschau vom 14. Dezember 2008
  10. Schlachtfeld entdeckt in: Die Welt, 15. Dezember 2008
  11. Rätsel Römerschlacht
  12. www.cinefacts.de


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