Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug

Schlachthof 5 oder der Kinderkreuzzug

Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug ist ein 1969 erschienener Roman des US-Bestellerautors Kurt Vonnegut (1922-2007) und gilt als sein populärstes Werk. Der Roman kombiniert Science-Fiction-Elemente mit einer Analyse der conditio humana aus der ungewöhnlichen Perspektive einer Zeitreise basierend auf den Luftangriffen auf Dresden im Zweiten Weltkrieg.

Als das Buch erschien, waren Vonneguts vorherige fünf Bücher zwar schon vielgelesen, aber von der Kritik weitestgehend ignoriert worden. In den USA war nur wenig über das Ausmaß der Bombardierung Dresdens bekannt, und so blieb das Buch zunächst eher unbeachtet, obwohl behauptet wurde, die Bombardierung habe den Tod doppelt so vieler Zivilisten wie die Bombardierung von Hiroshima verursacht. Das Buch erzeugte zwar in der Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein für die Bombardierung Dresdens, führte aber auch dazu, dass die Alliierten sich bemühten, das Bombardement zu rechtfertigen.

Eine Verfilmung des Buches war der Film Schlachthof 5 (George Roy Hill, 1972).

1996 wurde der Stoff von dem Komponisten Hans-Jürgen von Bose zu der Oper Schlachthof 5 weiterverarbeitet, die 1996 in München als Auftrag der Staatsoper uraufgeführt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Der desorientierte und kranke amerikanische Soldat Billy Pilgrim wird als Kriegsgefangener in einem provisorischen Gefängnis im Keller eines stillgelegten Schlachthofes in Dresden festgehalten. Für Billy gerät aus unerklärlichen Gründen »die Zeit aus den Fugen«, und nach dem Zufallsprinzip besucht er unterschiedliche Abschnitte seines Lebens – so auch seinen Tod. Er begegnet Außerirdischen vom Planeten Tralfamadore, die ihn kidnappen und zusammen mit einer irdischen Frau in einem tralfamadorischen Zoo ausstellen. Die Tralfamadorianer sehen in vier Dimensionen, deren vierte die Zeit ist. Sie haben jeden Augenblick ihres Lebens bereits gesehen; vermögen nichts zu entscheiden, ihr Schicksal nicht zu ändern, können aber die Zeit in jedem möglichen Moment ihres Lebens zubringen, den sie wünschen.

Während des Romans springt Billy in der Zeit hin und her, er erlebt verschiedene Ereignisse seines Lebens noch einmal. Dies gibt ihm ein stetes Gefühl von Lampenfieber, da er nie weiß, welcher Teil seines Lebens als nächster folgt: er verbringt eine Zeit auf Tralfamadore; im Dresden des 2. Weltkrieges watet er vor seiner Festnahme wie betäubt durch tiefen Schnee; er lebt verheiratet nach dem Krieg in Amerika – bis zu seiner Ermordung auf der Erde viele Jahre später. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung hat Billy sich den tralfamadorischen Fatalismus zu eigen gemacht, der ihm seinen persönlichen Frieden verleiht; er hatte diese Philosophie unter Millionen Menschen verbreitet, was ihn zur berühmtesten Person der Erde machte.

Billys Fatalismus scheint in der Wirklichkeit (zumindest in Billys Wirklichkeit) in dem bekannten Gelassenheitsgebet begründet; das eingerahmt in seinem Büro hing, »zu den Dingen, die Billy Pilgrim nicht ändern konnte, gehörten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«. Ein Tralfamadorianer begründet diesen Fatalismus mit seiner Erfahrung: »Ich habe einunddreißig bewohnte Planeten im Weltall besucht und die Berichte über weitere hundert studiert. Nur auf der Erde wird von freiem Willen geredet.«

Das Buch geht einer Reihe von Ereignissen in Billys Leben nach, einschließlich des Todes seiner Frau, seiner Festnahme durch die Nazis im 2. Weltkrieg sowie der Bombardierung Dresdens, die den Bezugsrahmen des Buches bildet.

Literarische Technik

Der Roman setzt bestimmte Wendungen wiederholt ein. So dient etwa die Wendung »so geht das« („so it goes“), wenn Tod und Sterben erwähnt werden (seien es Menschen, Tiere oder die Luftblasen im Champagner), der Bagatellisierung der Sterblichkeit, macht sie zur Routine, zum makabren Schauspiel, oder er zitiert »Rosen und Senfgas«, um den ekelhaften Verwesungsgeruch eines Leichnams oder eine Alkoholfahne zu beschreiben.

Vonnegut entwickelte zwei bahnbrechende literarische Techniken: den Gebrauch des Refrains (chorus) und der koordinierenden Analogie (plant-connect). Erstere griff später der Autor Chuck Palahniuk in seinen minimalistischen Novellen auf. Vonnegut verwendete den »so-geht-das«-Refrain als lapidare Übergangswendung zu einem anderen Thema, als Anzeige oder kleine Abwechslung.

Die koordinierenden Analogien lassen sich am besten anhand eines Beispiels erklären. Vonnegut benutzt den Ausdruck »leuchtendes Ziffernblatt« (»radium dial«) einerseits in einem bildlichen Sinne, um das Gesicht eines Russen im Gefangenenlager zu beschreiben, andererseits (sehr konkret) für die Beschreibung der Uhr seines Vaters, die ihn in der Dunkelheit einer Höhle ("Carlsbad Caverns") beschützt. Dies betont die Verbindung zwischen beiden Personen. Das Gesicht des Russen erinnerte ihn daran, dass die Lagerinsassen Menschen waren, und daher ist der Moment der Erinnerung (oder des Wiedererkennens) für ihn voller Hoffnung, da er Vaters Uhr als eine Bastion der Sicherheit und Vertrautheit an einem fremden Ort empfand.

Eine weitere literarische Technik Vonneguts ist die Metafiction. Das erste Kapitel des Buches handelt nicht von Billy Pilgrim, sondern beschreibt einleitend, wie Vonnegut dazu kam, Schlachthof 5 zu schreiben. Vonnegut entschuldigt sich dafür, dass der Roman »so kurz, wirr und schrill« sei, was er damit erklärt, dass sich »über ein Blutbad nichts Gescheites sagen lässt«. Der erste Satz des 1. Kapitels behauptet, »alles das hat sich mehr oder weniger zugetragen« und inmitten von Billy Pilgrims Kriegserfahrungen erscheint Vonnegut selbst kurz, gefolgt von der Anmerkung des Erzählers: »Dies war ich. Dies war meine Person. Dies war der Autor dieses Buches«.

Zur Erklärung der Zeitreise

Dem Motiv der Zeitreise Billy Pilgrims liegt zum einen John Bunyans Pilgrims Progress zugrunde. Andererseits verleiht die Odyssee durch die Zeit der Handlung einen phantastischen Effekt. Eine Erklärung suchte man darin, dass der Schilderung der Erlebnisses Billy Pilgrims eine posttraumatische Belastungsstörung (Schockzustand während des Schreibens) zugrunde liege. Nach intensiven Stresssituationen vermag der außergewöhnliche Druck die psychischen Funktionen zu überlasten und Halluzinationen und phantastische Rückerinnerungen auszulösen.

Kontroverse

Wegen seiner realistischen und wiederholten Beschreibung fluchender amerikanischer Soldaten und bestimmter deutlicher sexueller Inhalte gehörte »Schlachthof 5« zu den meist verbotenen Werken der US-amerikanischen Literatur und wurde häufig aus Schulen, Bibliotheken und Lehrplänen verbannt. Vonneguts Bücher wurden vom Obersten Gericht der Vereinigten Staaten überprüft, wo seine Werke Gegenstand in Sachen Island Trees School District v. Pico 457 US 853 (1982) waren.

Vor allem fand zum Erscheinungszeitpunkt eine Szene, in der die Kreuzigung Christi dargestellt wird, viel Kritik von amerikanischen Kirchenverbänden.

Der Reportageaspekt

Vonnegut verglich das bombardierte Dresden mit der Mondoberfläche. Die Opferstatistiken bezog er aus dem Buch Die Zerstörung Dresdens des als Geschichtsrevisionisten umstrittenen Publizisten David Irving. Die dortigen Angaben wurden seitdem, auch von Irving selber, nach unten korrigiert.

Verfilmung

1972 wurde der Roman durch den Regisseur George Roy Hill verfilmt. Der Film erhielt im selben Jahr den Großen Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes.

Dramatisierungen

  • Oper von Hans-Jürgen von Bose; UA: Juli 1996 an der Bayerischen Staatsoper, München
  • Bühnenfassung von Nicolas Stemann; UA: 10. Juni 2005 im Schauspielhaus Hannover

Literatur

  • Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug. Übersetzt von Kurt Wagenseil. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch, 1972, ISBN 3-499-11524-7.

Musik

Die norwegische Rockband Madrugada wurde zum Teil von Vonnegut beeinflusst: Auf dem 2002 erschienenen Album »Grit« befindet sich der Song »come back Billy Pilgrim«; auch die 2005 veröffentlichte Live-CD trägt den Namen »Live at Tralfamadore«, was dementsprechend Platz für Interpretationen lässt.

Weblinks


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