- Senfgas
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Strukturformel Allgemeines Name Senfgas Andere Namen - Bis(2-chlorethyl)sulfid
- Lost
- Schwefellost
- S-Lost
- Gelbkreuzgas
- Yperit
- Schwefelyperit
- Bis(2-chloroethyl)thioether
Summenformel C4H8Cl2S CAS-Nummer 505-60-2 PubChem 10461 Kurzbeschreibung Eigenschaften Molare Masse 159,07 g·mol−1 Aggregatzustand flüssig
Dichte 1,27 g·cm−3 (20 °C) [3]
Schmelzpunkt Siedepunkt 216,8 °C [3]
Dampfdruck Löslichkeit 0,48 g·l−1 in Wasser (20 °C) [3]
Sicherheitshinweise GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [3] keine Einstufung verfügbar H- und P-Sätze H: siehe oben EUH: siehe oben P: siehe oben [3] EU-Gefahrstoffkennzeichnung [4] Sehr giftig Umwelt-
gefährlich(T+) (N) R- und S-Sätze R: 45-10-22-24-26-50/53 S: 53-45 MAK Für krebserzeugende Stoffe wird generell kein MAK-Wert vergeben. [3]
LD50 Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Senfgas ist ein Trivialname für die Chemikalie Bis(2-chlorethyl)sulfid, einen hautschädigenden chemischen Kampfstoff aus der Gruppe der Loste. Weitere Bezeichnungen sind Lost, Schwefellost, S-Lost, Gelbkreuzgas, Yperit oder Schwefelyperit, im englischen Sprachgebrauch Mustard. Der NATO-Code lautet HD. Der Name „Senfgas“ stammt vom typischen Geruch des nicht hochgereinigten Produktes nach Senf oder Knoblauch.[6]
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Herstellung gelang erstmals im Jahr 1822 durch den belgischen Chemiker César-Mansuète Despretz, der beim Experimentieren mit Ethen und Schwefeldichlorid die Entstehung einer übelriechenden Flüssigkeit beobachtete. Dem Franzosen Alfred Riche gelang 1854 die Herstellung aus Chlor und Diethylsulfid. Im Jahr 1886 wurde die Chemikalie von dem deutschen Chemiker Victor Meyer erstmals vollständig beschrieben. Der Vorschlag zur Verwendung als Giftgas kam von den beiden deutschen Chemikern Fritz Haber am Kaiser-Wilhelm-Institut, im Jahr 1916. Der Name Lost entstand aus den beiden ersten Buchstaben ihrer Nachnamen.[7]
Erster Weltkrieg
Der erste Einsatz von Schwefellost im Ersten Weltkrieg erfolgte am 12. Juli 1917 durch deutsche Truppen; taktisches Ziel war, die deutsche Ausgangslage für den erwarteten britischen Angriff bei Ypern zu verbessern (daher der Name Yperit). Schwefellost wurde wegen der entstellenden Verletzungen, die es verursacht, im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges zu einer der gefürchtetsten Waffen. Allerdings wurden durch Schwefellost weitaus weniger Soldaten getötet als durch Phosgen.
Zweiter Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Bomben munitionierter Schwefellost, soweit bekannt, nur ein einziges Mal eingesetzt. Dies geschah bei der Sprengung einer Brücke und dem Verminen einer Straßensperre durch polnische Truppen in der Nähe von Jasło. Dabei wurden am 8. September 1939 zwei deutsche Soldaten getötet und zwölf verwundet. Man geht aber davon aus, dass dies die Entscheidung eines einzelnen polnischen Offiziers war. Aus diesem Grund unterblieben von Seiten der deutschen Truppen Vergeltungsmaßnahmen.[8]
Am 2. Dezember 1943 bombardierte die deutsche Luftwaffe den Hafen von Bari in Italien. Dabei wurde der unter anderem mit Schwefellost-Granaten beladene US-Frachter John Harvey getroffen und versenkt. Ein Teil der Ladung lief ins Wasser, ein anderer Teil wurde durch die Explosionen und die Brände in der Luft verteilt. Da auf Grund der Geheimhaltung nur wenige Personen in Bari von der Existenz dieser Ladung wussten und diese allesamt umkamen, konnten die Verwundeten zunächst nicht richtig behandelt werden. Genaue Zahlen über die Opfer existieren nicht. Es wird geschätzt, dass über 600 Soldaten und Angehörige der Handelsmarine verätzt wurden, von denen etwa 100 starben. Die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte um die 1000 betragen. Dieser Vorfall hätte beinahe eine weitere Eskalation des Krieges ausgelöst, da die Alliierten zunächst davon ausgingen, dass das Giftgas von den Deutschen abgeworfen worden war. Eine im Hafenbecken gefundene Gasbombe wurde aber noch rechtzeitig als amerikanisches Modell identifiziert, so dass die Alliierten keinen „Gegenschlag“ durchführten.
Während der NS-Zeit wurde S-Lost in Deutschland bis 1942 in Munster[9] sowie in Ammendorf bei Halle von der Firma ORGACID GmbH produziert, kam aber im Zweiten Weltkrieg nicht mehr zum Einsatz. Unter dem ehemaligen Ammendorfer Firmengelände an der heutigen Camillo-Irmscher-Straße liegen acht weitverzweigte grüngeflieste Zisternen, die auf Grund fehlender Baupläne nur schwer zu entgiften waren und nach der Wende hermetisch versiegelt wurden. Dennoch gelangten noch 1990 30 Tonnen Giftstoffe durch das Grundwasser an die Oberfläche.
Nach 1945
Nach den beiden Weltkriegen wurde ein Großteil der verbliebenen deutschen Restbestände an Schwefellost in der Ostsee versenkt. Da das Lost aber allmählich aus den mittlerweile undichten Fässern austritt, finden sich an Stränden der Ostsee immer wieder kleine Lost-Klumpen, die Bernstein ähnlich sehen, aber ziemlich weich sind. Bei Hautkontakt können sich Verätzungen bilden. Der nicht versenkte Teil wird seit einigen Jahren durch die Gesellschaft des Bundes für Kampfmittelbeseitigung (GEKA) in einer Delaborierungs- und Verbrennungsanlage in Munster entsorgt.
Einsätze in weiteren Konflikten
Lost wurde in folgenden Konflikten eingesetzt:[10]
- England während einer Intervention im Russischen Bürgerkrieg im Jahre 1919
- Spanien gegen Marokko in den Jahren 1923 bis 1926
- Italien gegen Libyen im Jahre 1930
- Sowjetunion in Xinjiang, einer Provinz der Republik China, im Jahre 1930
- Italien gegen Äthiopien in den Jahren 1935 bis 1940
- Polen gegen Deutschland im Jahr 1939 [8]
- Japan gegen die Republik China in den Jahren 1937 bis 1945
- Ägypten gegen Nordjemen in den Jahren 1963 bis 1967
- Irak gegen Iran in den Jahren 1983 bis 1988
- Irak gegen Kurden bei dem Giftgasangriff auf Halabdscha im Jahre 1988
Herstellung von S-Lost
Ursprüngliches Verfahren
S-Lost entsteht durch die elektrophile Addition von Schwefeldichlorid an Ethen. (Das S2Cl2 wird zu SCl2 und Schwefel).
Bei der großtechnischen Herstellung benutzte man größtenteils gusseiserne, mit Blei ausgekleidete Behälter mit eingebautem Rührwerk. Man füllte sie mit S2Cl2 und blies durch ein Rohr am Boden unter Rührung Ethen ein. Nach Beendigung der Reaktion ließ man das Dichlordiethylsulfid durch ein Absetzbecken laufen, um den entstandenen Schwefel zu entfernen. Eine weitere Konzentrierung fand nicht statt.
Modernes Verfahren
Durch die Umsetzung von Natriumhydrogensulfid mit Ethylenoxid wird als Zwischenprodukt ein Dihydroxythioether erhalten. Dieser wird dann mit Thionylchlorid (SOCl2) in einem weiterem Reaktionsschritt zu Lost chloriert.
Toxizität
siehe: Toxizität und Wirkung von Losten
Schutzmaßnahmen
Wegen der hohen Hautgängigkeit und des verzögerten Wirkungseintritts kommt dem Schutz der Körperoberfläche besondere Bedeutung zu. Die Aufnahme durch die Haut erfolgt leicht und ohne auffällige Anzeichen wie Nässe- oder Kältegefühl. Das Opfer bemerkt in der Regel die Vergiftung nicht.
Die Fähigkeit, normale Textilien zu durchdringen, macht diese Stoffe besonders gefährlich. Die gängigen Schutzmittel – Maske und Schutzanzug – bieten jedoch über einen Zeitraum von derzeit mindestens 6 Stunden, zukünftig 24 Stunden, sicheren Schutz vor der Einwirkung.
Für die Dekontamination können unter anderem Oxidationsmittel (z. B. Chlorkalk oder Calciumhypochlorit), alkalische Lösungen und nichtwässrige Medien, z. B. Aminoalkoholate, verwendet werden, da Lost zum einen empfindlich gegenüber Oxidationsmitteln ist und zum anderen die Hydrolyse einmal gelösten Losts sehr schnell verläuft.
Literatur
- K. Kehe, L. Szinicz: Medical aspects of sulphur mustard poisoning, Toxicology, 214(3), 198–209, 2005, PMID 16084004.
- Henning Sietz: Es riecht nach Senf! Auf Einladung der Sowjets erprobten deutsche Militärs zwischen 1926 und 1933 an der Wolga chemische Kampfstoffe. In: Die Zeit Nr. 26/2006.
Einzelnachweise
- ↑ MSDS bei Castleview
- ↑ wissenschaft-online: Eintrag zum Bis(2-chlorethyl)sulfid im Lexikon der Biologie/Chemie
- ↑ a b c d e f g h Eintrag zu Bis(2-chlorethyl)sulfid in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 7. November 2007 (JavaScript erforderlich)
- ↑ Günter Hommel: Handbuch der gefährlichen Güter. Transport – Gefahrenklassen, Merkblatt 2298, 2002, Springer-Verlag, ISBN 3-540-20348-6
- ↑ a b Senfgas bei ChemIDplus
- ↑ Fact-Sheet (LABOR SPIEZ) (PDF; 244 kB)
- ↑ Markus Schnedlitz: Chemische Kampfstoffe: Geschichte, Eigenschaften, Wirkung. GRIN Verlag, 2008, ISBN 978-3-640-23360-1, S. 30.
- ↑ a b Günther W. Gellermann: Der Krieg, der nicht stattfand. Bernard&Graefe Verlag, Koblenz 1986, ISBN 3-7637-5804-6
- ↑ geschichtsspuren.de
- ↑ fas.org
Weblinks
- Datenblatt zu HN-1 (PDF-Datei)
- Mustard: An Ambiguous Term (englisch; PDF)
- Senfgas in Medicine-Worldwide (Archiv)
- Abbauprodukte für die Wirkungspfade Boden-Mensch und Boden-Gewässer (PDF)
- Bundesamt für Zivilschutz: Zivilschutz-Forschung – Das Verhalten von Umweltchemikalien in Boden und Grundwasser (PDF; 9,36 MB)
- Beschreibung der deutschen Produktionsanlagen in Munster
Kategorien:- Umweltgefährlicher Stoff
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