Schwingen

Schwingen
Schweizer Schwinger auf einer Abbildung von 1858

Schwingen ist eine in der Schweiz beliebte Variante des Ringens, die auf Sägemehl ausgeübt wird.

Das Schwingen gilt, noch vor dem Hornussen und dem Steinstossen, als vor allem in der Deutschschweiz verbreiteter Schweizer Nationalsport.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ostermontagsschwingfest auf der Grossen Schanze in Bern um 1775

Die Wurzeln des Schwingsports in der Schweiz sind nicht eindeutig zu bestimmen. Eine erste Darstellung aus dem 13. Jahrhundert (in der Kathedrale von Lausanne) zeigt bereits die typische Art, Griff zu fassen. In der Zentralschweiz und im Mittelland, vorab im (Vor-)Alpenraum, gehörte der Hosenlupf zum festen Bestandteil der Festkultur. An zahlreichen Alp- und Wirtshausfesten wurde um ein Stück Hosentuch, ein Schaf oder um andere Naturalien geschwungen, wobei der Ruhm des Sieges weit mehr zählte als der materielle Wert des Preises.

Eine Neubelebung des Schwingens brachte das erste Alphirtenfest zu Unspunnen 1805, zu einer Zeit, als die Schweiz unter französischer Fremdherrschaft litt. Der Anlass zu diesem Fest war ausdrücklich die Hebung des schweizerischen Nationalbewusstseins.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben denkwürdige Schwingfeste und eine rege Aktivität geschulter Turnpädagogen das Schwingen auch in die grossen Städte gebracht. So wurde aus dem ursprünglichen Kampf der Hirten und Bauern ein Nationalsport, der alle Schichten umfasst. Die Verbände, allen voran der Eidgenössische Schwingerverband (gegründet 1895), organisierte den Sport, indem regionale Eigenarten integriert, mit Lehrbüchern und Trainingsstunden das Niveau gehoben und zeitgemässe Wettkampfregeln geschaffen wurden.

Trotz dieser Ausweitung auf die städtischen Gebiete ist das Schwingen aber heute noch in den der Tradition verpflichteten ländlichen Gegenden des Deutschschweizer Voralpengebiets am populärsten.

Wettkampfverlauf

Turner- und Sennenschwinger im Kampf
Abwischen des Sägemehls nach dem Kampf

Der Kampf wird auf einer kreisförmigen, 7 bis 14 Meter durchmessenden, mit 23 Kubikmetern Sägemehl gepolsterten Fläche ausgetragen. Die zwei Gegner tragen über ihren Kleidern eine kurze, aus Jute gearbeitete Hose. Die beiden Kontrahenten geben sich zuerst die Hand und greifen sich dann an die sogenannte Schwingerhose und versuchen den Gegner durch das Anbringen von "Schwüngen" auf den Rücken zu zwingen. Das Schwingen kennt verschiedene Hauptschwünge, die Namen wie „Kurz“, „Übersprung“, „Brienzer“, „Hüfter“, „Buur“ oder „Wyberhaagge“ tragen. Der Sieg ist gültig, falls der überlegene Schwinger den Unterlegenen mit mindestens einer Hand an der Schwinghose festhält und der Unterlegene den Boden mit beiden Schulterblättern oder mindestens zwei Dritteln des Rückens berührt. Nach dem Ende des Kampfes wischt traditionsgemäss der Sieger dem Verlierer die Sägemehlspäne vom Rücken. Geht eine Runde unentschieden aus, so ist der Kampf „gestellt“.

Der Kampf wird von drei Kampfrichtern beurteilt, von denen jeweils einer zusammen mit den Schwingern im Sägemehlring steht. Die Kampfrichter bewerten den Gang und erteilen für einen „Plattwurf“ das Maximum von 10 Punkten. Bei einem „gestellten Gang“ erhält der aktivere Schwinger die höhere Punktezahl.

An einem Schwingfest bestreiten die Schwinger sechs (am Eidgenössischen sogar acht) Gänge. Die zwei punkthöchsten Schwinger nach fünf Gängen (oder nach sieben am Eidgenössischen) erreichen den Schlussgang. Die Zuweisung (es wird nicht ausgelost oder nach Cupsystem vorgegangen) der Gegner in den einzelnen Gängen durch das Einteilungsgericht erfolgt nach schwer durchschaubaren Regeln, nicht selten wird der Verdacht laut, es sei geschoben worden.

Es existieren keine Gewichtsklassen.

Notengebung

  • 10.00 Sieg und Plattwurf
  • 9.75 Sieg mit Überdrücken
  • 9.00 Gestellt (unentschieden) bei attraktivem Kampf
  • 8.75 Gestellt (unentschieden) bei unattraktivem Kampf
  • 8.75 Verloren aber stark gekämpft und viel riskiert
  • 8.50 Verloren ohne guten Angriff oder Chance

Der Kampfrichter kann einen Notenabzug geben bei

  • Zeit verzögern beim Grifffassen
  • Einschaltungen von Kunstpausen
  • dauernd Kopfeinstellen
  • Anwendung roher und gefährlicher Griffe
  • offensichtlicher Passivität oder Verharren über längere Zeit in einer aussichtslosen Stellung

Zuerst wird eine Ermahnung gesprochen.

  • Bleibt die erste Ermahnung ohne Wirkung, wird eine Verwarnung und ein Notenabzug angedroht.
  • Bleibt auch diese Verwarnung wirkungslos, so muss der Notenabzug vorgenommen werden.

Traditionen

Das Schwingen ist traditionell ein Männersport. Die Schwingerkönige sind weiten Bevölkerungskreisen namentlich bekannt und haben den Status von Sportprominenten. Frauen schwingen erst seit wenigen Jahren (Gründung des Frauenschwingverbands 1992) und werden von den traditionsbewussten Schwingerfreunden mit Argwohn betrachtet; die Akzeptanz des Wyberschwingets nimmt jedoch zu.

Schwinger sind Amateure und die Schwinger der vorderen Ränge sind überdurchschnittlich häufig in Berufen tätig, die eine gewisse Körperkraft verlangen, solches sind Käser, Metzger oder Schreiner. Die Nennung des Namens erfolgt nach älterem Brauch so, dass der Familienname dem Vornamen vorangestellt wird, also „Grab Martin“ oder „Abderhalden Jörg“.

Die Schwinger sind einheitlich gekleidet.

  • Die Sennenschwinger (traditionellerweise Mitglieder eines reinen Schwingervereins) tragen eine dunkle Hose und ein farbiges Hemd, zumeist ein hellblaues kragenloses Sennenhemd, während
  • die Turnerschwinger (traditionellerweise Mitglieder eines Turnvereins, der auch andere Sportarten ausführt) lange weisse Turnhosen und ein weisses Leibchen tragen.

Offene Werbung und Sponsoring ist am Sportanlass selbst nicht üblich. Erfolgreiche Schwinger erhalten keine Preisgelder, sondern Naturalpreise vom „Gabentisch“, traditionellerweise Kuhglocken (Treicheln) und Bauernmöbel, der Hauptpreis ist oft ein Muni. Bei grossen Anlässen übersteigt die Zahl der Preise im Gabentempel oft die Zahl der Teilnehmer (ESAF Aarau 2007: 300 Preise bei 280 Teilnehmern wobei selbst die Letztrangierten noch Preise im Wert von 500-2000 CHF erhielten[1]). Versteckte Werbung erfolgt über die Nennung der Preisspender. Der Verzicht auf Preisgelder wird, insbesondere bei den Lebendpreisen (meist Grossvieh), durch den Weiterverkauf der Preise umgangen. Spitzenschwinger verdienen so bis zu 40'000.- CHF pro Jahr, mit Werbeeinnahmen und Sponsoring kann mit einem Einkommen von bis zu 100'000.- CHF/Jahr gerechnet werden.[2] Werbung mit Spitzenschwingern und das Sponsoring derselben findet statt, gefährdet aber noch nicht den Amateurcharakter der Sportart.

Die besten Schwinger eines Schwingfestes erhalten einen „Kranz“ (Kranzschwinger). Die Gewinner eines Kranzes am Eidg. Schwingfest werden als „Eidgenossen“ bezeichnet. Die Gewinner des Eidg. Schwingfests tragen den Titel des „Schwingerkönigs“, sie behalten diesen Titel auch, nachdem ein neuer Schwingerkönig gekürt wurde. (Die Bezeichnung „ehemaliger Schwingerkönig“ ist nicht üblich.)

Verschiedene Schwingfeste

Die Schwinganlässe - regionale und kantonale Schwingfeste - werden vom Frühsommer bis in den Herbst im Freien abgehalten. Das wichtigste Schwingfest ist das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest, das nur alle drei Jahre stattfindet - vom 24. bis zum 26. August 2007 in Aarau und vom 20. bis zum 22. August 2010 in Frauenfeld. Der Sieger dieses Turniers wird zum Schwingerkönig ausgerufen. Der Siegespreis ist traditionsgemäss ein Muni (Stier).

Einen speziellen Status unter den Schwingfesten haben überdies das Unspunnen-Schwinget (bei der Ruine Unspunnen, nahe Interlaken), das Schwingen an der Schweizerischen Landesausstellung und das Kilchberg-Schwinget (in Kilchberg bei Zürich). Die beiden ersten Anlässe werden in unregelmässiger Folge und das dritte alle sechs Jahre ausgetragen. Alle drei gelten ihrer Wichtigkeit wegen als „Feste mit Eidgenössischem Charakter“.

Die diversen Bergschwingfeste, etwa das Brünigschwinget, das Schwarzsee-Bärgschwinget, auf der Rigi, der Schwägalp oder auf dem Stoos sind beliebte Volksfeste mit Tausenden von Zuschauern, die dem eigentlichen Schwingen einen folkloristischen Rahmen mit Ländlermusik, Jodelchören, Alphornbläsern, Fahnenschwingern oder Geisslenchlöpfer geben.

Spitzenschwinger

Die besten Schwinger werden als Spitzenschwinger (als „die Bösen“) bezeichnet. Der Gewinner des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests führt den Titel eines Schwingerkönigs. Der Rekord liegt bei drei Titelgewinnen und wird von drei Schwingern simultan gehalten, die Berner Hans Stucki (1900, 1902, 1905) und Rudolf Hunsperger (1966, 1969, 1974) sowie der Nordostschweizer Jörg Abderhalden (1998, 2004, 2007). Abderhalden stand ausserdem vier Mal in Folge im Schlussgang des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests. Willy Lardon gewann das Eidgenössische ebenfalls dreimal (1937, 1943, 1945), erhielt dabei den Titel des Schwingerkönigs nur zweimal zugesprochen (1937, 1943). Im Jahre 1945 wurde er nach gestelltem Schlussgang gegen Peter Vogt „Erstgekrönter“. Peter Vogt gewann das Eidgenössische ebenfalls dreimal (1945, 1948, 1950), erhielt dabei den Titel des Schwingerkönigs aber nur einmal zugesprochen (1948)[3]. Im Jahre 1945 (zusammen mit Lardon) und 1950 nach gestelltem Schlussgang gegen Walter Flaach wurde er „Erstgekrönter“. Daneben wurde Karl Meli zweimal Schwingerkönig (1961, 1964). Meli hat auch als einziger den Kilchberger Schwinget zweimal gewonnen (1967, 1973) und er gewann insgesamt mehr Schwingfeste als jeder andere.

Jörg Abderhalden war der stärkste Schwinger des letzten Jahrzehnts. Er ist im Oktober 2010 vom aktiven Schwingsport zurückgetreten. Martin Grab gilt als einer der härtesten Widersacher von Abderhalden. Er konnte Abderhalden 2006 am prestigeträchtigen Unspunnenfest im Schlussgang (Finale) besiegen. Ein weiterer starker Rivale ist Abderhaldens Nordostschweizer Verbandskollege „Nöldi“ Forrer welcher am Eidgenössischen in Nyon 2001 im Schlussgang gegen ihn stellte (unentschieden) und dank Punktevorsprung Schwingerkönig wurde. Einer der besten Schwinger ist Christian Stucki, der den prestigeträchtigen Kilchberger Schwinget in 2008 gewann.

Am Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2010 in Frauenfeld stellte der Stucki gegen Aberhalden in Anschwingen im Duell des amtierenden Schwingerkönigs gegen den Kilchbergsieger. Der erst 20-jährige Kilian Wenger gewann das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2010 in Frauenfeld mit acht Siegen. Wenger bezwang dabei Jörg Abderhalden in fünften Gang und Martin Grab im Schlussgang.

Siehe auch

Literatur

  • Urs Huwyler: Könige, Eidgenossen und andere Böse: Schwingen - ein Volkssport wird trendig. AT Verlag 2010, ISBN 978-3038005506.

Film

Im humorvollen Dokumentarfilm Hoselupf - oder wie man ein Böser wird (Regie This Lüscher, 2011) wird der Stadtzürcher Komiker Beat Schlatter langsam mit der Welt des Schwingens vertraut. [4]

Weblinks

 Commons: Schwingen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Zeitungsartikel vom 28. August 2007 im Internetarchiv (direkt nicht mehr abrufbar)
  2. Südostschweiz 22. August 2010
  3. Schwingerkoenige seit 1895 abgerufen am 19. März 2011
  4. Hoselupf - oder wie man ein Böser wird, Webpage

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