Signographie

Signographie

Signographie (lat. signum „Zeichen“ und -graphie) ist die Lehre vom grafischen Zeichen. Ihr Gegenstand sind Anatomie und Entwicklung grafischer Formen und ihre Verwendung als Sinnträger, als Zeichen (jeglicher Art und jedweden Anwendungsgebietes). Signografie ist die Semiotik des Grafischen, die von den originären Eigengesetzlichkeiten grafischer Formbildung ausgeht und diese auf alle Gebiete anwendet, die mit dem Medium des grafischen Zeichens kommunizieren. Das Fachgebiet wurde im Jahr 2000 von Andreas Stötzner (Leipzig) definiert. Im Sommer 2000 erschien die erste Ausgabe der Schriftenreihe SIGNA, in der zum ersten Mal eine Konzeption dieses Studienfaches unter dem Namen Signografie vorgestellt wurde.[1]

Inhaltsverzeichnis

Begriffsdefinitionen

Zeichen

Mit der Definition des Begriffes Zeichen beschäftigt seit geraumer Zeit die Vertreter der Semiotik (Zeichenlehre, Lehre von den Zeichen). Ein Zeichen kann ein Buchstabe, ein Signet, ein Gegenstand, eine Handbewegung, ein Ton, eine Geste, ein Bild oder sonstetwas sein. In Winfried Nöths aktuellem Handbuch der Semiotik wird – immerhin bereits auf Seite 133 –, zur allgemeinen Definition des Zeichens ausgeführt: »Jedes Objekt, jedes Ereignis oder Verhalten ist (...) ein potentielles Zeichen. Sogar Schweigen, das ja die Abwesenheit von Materialität und Zeichen zu beinhalten scheint, kann als ein Zeichen fungieren (...)«[2]

›grafisch‹

Das griechische γραφειυ (Transliteration graphein) bedeutet soviel wie „ritzen“, „schreiben“, „zeichnen“. Es meint die Erzeugung einer Markierung durch eine Bewegungsspur auf einem Untergrund; etwa mit dem Finger im Sand, mit der Feder auf Papier oder mit einem Griffel auf einer Schiefertafel. Im Gegensatz zu abdruckerzeugenden Techniken (Schablonieren, Drucken), bei denen das Abbild einer bereits vorhandenen Form entspricht, entsteht beim Grafieren das Gebilde ursprünglich erst im Moment der Bewegung des Werkzeuges. Dieser Aspekt ist wesentlich.

grafische Zeichen

Unter der großen Gesamtheit aller visuellen Zeichen nehmen die grafischen Zeichen insofern eine Sonderrolle ein, als bei ihnen die Spezifik der Zeichen(träger) – das Grafische –, mehr als bei sonstigen visuellen Zeichen mit der tatsächlichen Verwendung als Informationsträger zusammenfällt. Einfache grafische Gebilde werden ungleich häufiger als Kommunikationsmedium eingesetzt als etwa gemalte oder fotografierte Bilder (natürlich gibt es Zwischenstufen und nahtlose Übergänge).

Der Impuls etwas zu zeigen fällt klassischerweise mit der Handlung etwas zu zeichnen (schreiben) zusammen. Grafische Zeichen sind visuell wahrnehmbare Markierungen, die aus tendenziell einfachen, oft einfachsten grafischen Gebilden bestehen und die in irgendeinem Zusammenhang der Speicherung und Übermittlung von Informationen dienen.

Zusammenfassend: grafische Zeichen sind eine (diffus umgrenzte) Teilmenge aller visuellen Zeichen, diese sind wiederum eine Teilmenge aller Zeichen überhaupt, sofern man sich auf eine sinnvolle Definition dessen verständigen kann.

Signografie

Die Lehre vom grafischen Zeichen. Untersuchungsgegenstand sind Zeichen und Zeichensysteme aller Art, von historischen und rezenten Schriften über Hausmarken, Firmensignets, Landkarten- oder Gerätezeichen bis zu elektrotechnischen oder musikalischen Notationssystemen. Die Signografie identifiziert und beschreibt Zeichen, den Zusammenhang zwischen Gestalt und Gebrauch des Zeichens; sie vermag die Anatomie und Metamorphose von Zeichen modellhaft und konkret zu erörtern. Dies ist notwendig, um Wandlungsprozesse von Zeichen zu verstehen.

Begründung für ein eigenes Fachgebiet

Die Ursprünglichkeit des Grafischen an sich und die daraus resultierende Eigengesetzlichkeit grafischer Gebilde sind der eigentliche Grund, unter dem Begriff Signografie ebendieses zu erforschen, was bisher so noch von keiner anderen Disziplin geleistet wird. Zwar gibt es etliche Fächer, die sich mit Grafischem befassen, aber eben noch keines, welches das Grafische an sich untersucht.

Die Vergleichbarkeit der grafischen Ausdrucksmittel aller Gebiete offenbart einen gemeinsamen Wesenskern, der Gegenstand signografischer Untersuchung ist.

Die Bezeichnung ›Signografie‹

Die Bezeichnung Signografie wurde von Andreas Stötzner nach reiflicher Überlegung und Beratung mit sprachkundigen Kollegen gewählt. Dabei stand er vor dem Problem, dass ein Terminus, der auf das eigentlich Grafische abzielt, zu einer Bezeichnung wie Grafik, Grafemik, Grammatik oder Grafologie führen müsste – welche alle schon vergeben sind. Auch Grammatologie ist in der Semiotik schon benutzt worden,[3] Semiografie wurde in Hinblick auf Semiotik/Semiologie ebenfalls verworfen.

Da Grammatografie nicht opportun erschien, fiel die Wahl auf Signografie, eine græcolateinische Chimäre schließlich in Kauf nehmend. Gerechtfertigt wird diese Wahl durch den Umstand, dass es hier nicht nur um grafische Zeichen im engsten Sinne geht, sondern auch um solche Zeichen der visuellen Kommunikation, die ihre Gestalt nicht ausschließlich rein grafischen Prozessen im physischen Sinne verdanken (unsere Buchstaben etwa sind Ergebnis einer Reihe unterschiedlicher Reproduktionsprozesse).

Zweck

Der Sinn signografischer Forschung ist, fundierte Erkenntnisse über Entstehung und Entwicklung sowie den Gebrauch von Zeichen zu gewinnen. Es geht um die Kenntnis von Zeichenvorkommen, Verständnis des Zeichenhaften, der Zeichen und ihrer Darstellung. Missverständnisse in Kommunikationsprozessen werden dadurch unwahrscheinlicher. Kommunikation wird effektiver, wenn man genau weiß, wann wo welche Zeichen einzusetzen sind und wie sie auszusehen haben – oder wie sie aussehen können.

Durch die rasante Zunahme des Informationsaustausches besteht heute eine gesteigerte Notwendigkeit, sich mit noch unbekannten Zeichenkulturen vertraut zu machen. Durch die Vernetzung der Welt wirken die Zeichengebräuche der Regionen in noch nie dagewesener Weise aufeinander ein.

Wer an diesen Prozessen gewinnbringend teilnehmen will, braucht fundierte Kenntnisse über den Umgang mit Zeichen.

Einordnung des Faches

Signografie sollte als eine Kulturwissenschaft aufgefasst werden, ähnlich der Sprachwissenschaft, Semiotik oder Musikwissenschaft. Signografie kann man als eine Semiotik des Grafischen verstehen oder auch als Grundlagendisziplin der visuellen Kommunikation.

Durch die oben gegebene Definition des Gegenstandes ergibt sich eine Bündelung einer ganzen Reihe von Fächern durch die signografische Perspektive. Einige davon seien hier genannt: Semiotik, Sprachwissenschaft, Schriftgeschichte, Typografie, Paläografie, Epigrafie; Ornamentik, Heraldik, Siegelkunde, Monografik, Signetik. Ferner spielen Aspekte von Archäologie, Geometrie und Grafikdesign eine Rolle. Die Berührungspunkte der genannten Disziplinen sind zwar wohlbekannt, werden aber von den traditionell vereinzelten Fächern nicht hinreichend thematisiert.

Wenn wir Signografie als Wissenschaft bezeichnen wollen, darf dabei nicht vergessen werden, dass es sich beim eigentlichen Untersuchungsgegenstand um Äußerungen mit zum Teil dezidiert künstlerischem Charakter handelt. Kunst und Wissenschaft gehören in der Signografie untrennbar zusammen.

Forschungsgegenstand

Signografische Erörterung kann sich sowohl einem Zeichen als festgelegtem, frequent auftretenden Typus, als auch einem einzelnen Zeichenvorkommen widmen. Die beiden wichtigsten Aspekte sind in der Regel: a) wie sieht das Zeichen aus (was ist zu sehen?) und b) was wird durch das Zeichen mitgeteilt (was ist gemeint?) – Zeichengestalt und Zeichengebrauch. Denn: ein und dieselbe grafische Form kann unter Umständen verschiedene Bedeutungen tragen, aber ein Zeichen kann mitunter auch ganz unterschiedliche grafische Formen annehmen – bei gleich bleibender Bedeutung.

Des Weiteren ist die Thematik[4] ein wichtiges signografisches Forschungsfeld: welche Zeichen werden überhaupt wo verwendet? Ist es möglich, schlüssige Gesamtverzeichnisse meteorologischer oder kartografischer Zeichen anzulegen? Welche Zeichen werden in der Kristallographie verwendet? Für praktische Zwecke der Publizistik sind solche Fragen oft von großer Bedeutung.

Ferner gehört die Praktik zum Forschungsumfang, hier geht es um die unterschiedlichen Techniken zur Zeichendarstellung und ihre Wechselwirkungen mit Form und Anwendung.

Praktischer Nutzen

  • Enzyklopädische Sammlung von Informationen über die Zeichen der Welt, Bereitstellung dieses Wissens durch geeignete Publikationsarten (Aufsätze, Übersichten, Lexika, Datenbanken),
  • Bereitstellung methodischen Grundlagenwissens für zeichenanwendende oder zeichenbeschreibende Disziplinen (zum Beispiel Typografie, Epigrafie, Archäologie, Kommunikationsdesign),
  • Erarbeitung wirksamer Methoden und Strategien zur Entwicklung neuer Zeichensysteme,
  • Erarbeitung von Kriterien zur Beurteilung von Zeichenentwürfen (beispielsweise für Firmenzeichen),
  • Grundlagenforschung für die Gebiete Kodierung/Datenübertragung und Fontproduktion.

Gesellschaftlicher Nutzen

Ganz allgemein: ein breiteres und tieferes Verständnis für die Zeichen der Welt – und damit für das, was Menschen mittels der Zeichen ausdrücken wollen. Die Parallele zum Erlernen von Sprachen liegt auf der Hand. Selbst in unserer, eindeutig alphabetisch geprägten Kultur gibt es eine Fülle außeralphabetischer Zeichenkonventionen. Gerade heute entwickeln sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen neue Zeichengebräuche, bestehende Zeichen erfahren oft eine Umwidmung.

Piktogramme und Ideogramme haben in den letzten Jahren massiv an Bedeutung in der visuellen Kommunikation – über die klassischen Anwendungsfelder hinaus –, gewonnen. Für Bereiche wie öffentliche Orientierung oder Touristik spielen grafische Zeichen in ihrer Gesamtheit eine eminente Rolle.

Auch für spezielle gesellschaftliche Gruppen, wie beispielsweise Hörgeschädigte, ist die – erst in jüngerer Zeit erfolgte –, Schaffung spezieller Zeichensysteme von nicht zu überschätzender Bedeutung.

Studium

Als Hochschulfach ist Signografie noch nicht etabliert. Es liegt aber im Ermessen der Lehrenden, signografische Themen im grafischen Unterricht einzubringen. Im Fach Typografie (von Andreas Stötzner an der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle unterrichtet) könnten signografische Aspekte jederzeit an geeigneter Stelle in den Unterricht einfließen. Bei Interesse an signografischer Forschung kann sich jeder problemlos mit Andreas Stötzner in Verbindung setzen (Kontaktformular auf der genannten Website).

Die Webseite signographie.de dient dem allgemeinen Austausch über signografische Fragen.[5] Die Schriftenreihe SIGNA[6] bietet die Möglichkeit, signografische Studien einer interessierten Öffentlichkeit vorzulegen. Diese Veröffentlichungen dienen nicht zuletzt auch der Förderung des ›signografischen Gedankens‹ und seiner breiteren Verankerung im Bildungswesen.

Konkrete Aufgaben signografischer Arbeit

  1. Ausbau der Grundlagen des Faches und der signografischen Terminologie. Als Anfang hierzu war die erste Nummer der Signa gedacht. Stötzner selbst befasst sich seit längerem unter anderem mit den Grundlagen der Grafemik, also mit den grafischen Grundformen.[7]
  2. Sammlung von Zeichen jeglicher Art, um den Untersuchungsgegenstand erfassen zu können. Das Sammeln und das damit notwendig einhergehende Beschreiben und Ordnen sind eine fundamentale Voraussetzung. Oft erschließen sich erst bei dieser Tätigkeit, herausgefordert durch Vergleichen, wichtige Fragestellungen nach Form oder Inhalt von Zeichen.
  3. Methodik und Terminologie zur Definition von Zeichen sind zu entwickeln.
  4. Die Erkenntnisse zu einzelnen Zeichen oder Zeichengruppen sind in geeigneter Form (wahrscheinlich Datenbanken) zu publizieren.
  5. Da eine ganze Reihe von Fächern mit Signografie zusammenhängen, sind diese Verbindungen darzulegen und die betreffenden Fächer einander näherzubringen, indem Terminologie, Aufgabenstellungen und Methoden einander gegenübergestellt und aufeinander bezogen werden.
  6. Damit Zeichen weltweit im gegenseitigen Verkehr übertragen werden können, müssen sie innerhalb der verwendeten Technik (dem Computer) kodiert sein. Seit durch Unicode quasi alle bestehenden (Schrift-)Zeichenstandards zu einem einzigen Standard zusammengefügt werden, ist die Frage nach einer Totalerschließung ›aller lebenden und toten Zeichen‹ dieser Welt virulent geworden.

Das bisherige Fehlen signografischer Grundlagenforschung trifft dabei offen zutage. Durch den universalen signografischen Ansatz wird es möglich, die Gesamtheit der Zeichen durch ein größeres Glas als die ›Schriftbrille‹ zu betrachten und zu verstehen.

Anmerkungen

  1. Signa Nr. 1, 2000. Grimma, Edition Wæchterpappel, 2000.
  2. Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. 2. Auflage, Stuttgart/Weimar, Metzler, 2000; S. 133.
  3. Jacques Derrida: De la grammatologie. Paris, Minuit, 1967. (zitiert nach Nöth, S. 557)
  4. Siehe hierzu eine aktuelle Aufstellung signografischer Thematik in dem Dokument Themen der Signografie (PDF)
  5. Die Webseite signographie.de wird von Ingo Preuß (Ladenburg) und Andreas Stötzner (Leipzig) auf unabhängiger Basis betrieben. Dahinter steht keine Firma oder Institution.
  6. Signa erscheint ein- bis zweimal jährlich im Verlag Edition Wæchterpappel der Denkmalschmiede Höfgen gGmbH www.hoefgen.de
  7. Eine Veröffentlichung hierzu in Signa ist geplant.

Weblinks


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