Sittliche Pflicht

Sittliche Pflicht

Unter Sittliche Pflicht versteht man eine juristisch feststellbare Verpflichtung für Leistungen an eine natürliche Person.

Inhaltsverzeichnis

Rechtsgebiete

Schenkungsrecht

In Deutschland ist das Schenkungsrecht gesetzlich geregelt im BGB. Einschlägig hierfür ist § 534 BGB, wonach Schenkungen aus sittlicher Pflicht nicht zurückgefordert werden können. Auch bei einer ungerechtfertigten Bereicherung ist eine Rückforderung, wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht entsprach, nicht möglich, § 814 BGB.

Für ausnahmsweise erlaubte Sittlichkeitsschenkungen bei eigentlich bestehendem Schenkungsverbot aus dem Kindesvermögen durch Eltern siehe § 1641 BGB, für entsprechende Schenkungen durch Vormünder § 1804 BGB. Die letztgenannte Bestimmung gilt über § 1908i Abs. 1 BGB auch für Betreuer Volljähriger.

Schenkungen bei Pflegebedürftigkeit

Häufig werden von Menschen, die pflegebedürftig sind, Schenkungen an die Pflegenden gemacht. Diese werden häufig von Erben und anderen am Vermögen teilhaben wollenden angegriffen. Diese Schenkungen können sämtlich rückgängig gemacht werden, sofern keine besonderen Opfer seitens des Pflegers vorliegen.[1] Der Pflegende verliert dann durch Rückgängigmachung die Schenkung.

Sittliche Pflichten bei ALG II-Bezug- die Bedarfsgemeinschaft

Beim Zusammenleben in einem Haushalt von ALG II-Empfängern wird davon ausgegangen, dass die Haushaltsmitglieder aus sittlicher Pflicht füreinander einstehen. Problematisch wird dies beim Zusammenziehen von Patchworkfamilien. Fallbeispiel: Ein Mann als Alleinverdiener will mit einer Hartz IV beziehenden Frau, die drei Kinder hat, zusammenziehen. Es wird angenommen, dass er aus sittlicher Pflicht für alle aufkommt. Die Bedarfsgemeinschaft kann widerlegt werden, aber eine getrennte Haushaltsführung ist schwer nachzuweisen, zumal die Sozialbehörden häufig unter Berufung auf die Mitwirkungspflichten nach § 66 Abs. 1 SGB I Hausbesuche vornehmen.

Hauptartikel: Bedarfsgemeinschaft

Finanzielle Leistungen für Kinder von deren Eltern

Eltern haben die uneingeschränkte sittliche Pflicht, ihre Kinder zu unterhalten. Die sittliche Pflicht geht soweit, dass zum Unterhalt Verpflichtete unter Umständen trotz eines anstrengenden Vollzeitjobs ihre freien Wochenenden aufgeben müssen, um durch einen Nebenjob der sittlichen Pflicht nachkommen zu können. Dies gilt auch, falls ein Arbeitsvertrag dies verbietet.[2] Somit verlieren Eltern unter Umständen ihre Freizeit.

Nachrangigkeit von Sozialhilfe hinter Schenkungen aus sittlicher Pflicht

Vielfach erhalten Bedürftige Schenkungen aus Ihrem Verwandtenkreis. Hier droht jedoch die juristische Feststellung, aus sittlicher Pflicht zu Leistungen verpflichtet zu sein. In diesem Fall kann die Sozialleistung mit dem Hinweis, die sittliche Pflicht der Verwandten gehe vor, entzogen werden.[3]

Wertung von Darlehen als Schenkung aus sittlicher Pflicht

Häufig erhalten Bedürftige Darlehen von Dritten. Auch hier droht die juristische Feststellung, aus sittlicher Pflicht zu Leistungen verpflichtet zu sein. Auch in diesem Fall kann die Sozialleistung mit dem Hinweis, die sittliche Pflicht der Verwandten gehe vor, verweigert werden.[4] Die tatrichterliche Wertung der Sozialgerichte geht dahin, eine Schenkung aus sittlicher Pflicht trotz anderslautender schriftlicher Dokumente anzunehmen. Die Darlehensgeber können somit die Rückzahlung trotz eindeutiger schriftlicher Verträge verlieren.

Übernahme von Bestattungskosten durch Sozialhilfeträger

Eine lediglich aus sittlicher Pflicht übernommene Bestattung (nicht aufgrund der Bestattungspflicht nach Landesgesetz) begründet keinen Kostenerstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger nach § 74 SGB XII.[5]

Sittliche Pflichten für Schwiegersohn und Schwiegertochter

Die Sittliche Pflicht umfasst auch die Verpflichtung für angeheiratete Verwandte, im Besonderen für die Schwiegertochter und den Schwiegersohn, aufzukommen. Die Ehe führt somit nicht nur zu Unterhaltspflichten für die Eheleute und deren Kinder, sondern auch für die Eltern der Eheleute können sich gravierende finanzielle Verpflichtungen für die angeheiratete Verwandtschaft ergeben.[6]

Sittliche Pflichten für Verlobte

Muss der Verlobte wegen der beabsichtigten und alsbald durchgeführten Eheschließung seine Berufstätigkeit - z. B. infolge vorzeitigen Ortswechsels - aufgeben (oder verliert er eine andere alleinige Unterhaltsquelle), so ist der andere Partner sittlich verpflichtet, eine dadurch eintretende Unterhaltsbedürftigkeit zu beseitigen.[7]

Historische Hintergründe

Die sittliche Pflicht in der Weimarer Verfassung

Die Weimarer Verfassung – Art. 163 WRV – vom 11. August 1919 lautete:

(1) Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert.

Dass jedem Deutschen obliegt, sich durch sittliche Pflicht zum Wohl der Gesamtheit zu betätigen, ist somit seit der Weimarer Verfassung bekannt. Diese sittliche Pflicht war nie unumstritten, gehört jedoch weiter zur etablierten Deutschen Rechtsprechung.

Die sittliche Pflicht in der hessischen Verfassung

Auch in die Verfassung des Landes Hessen ist der Begriff der sittlichen Pflicht eingeflossen und bis heute vorhanden. Im ersten Teil, Kapitel 2 – Grenzen und Sicherung der Menschenrechte –, Art. 28 Abs. 2 HV heißt es:

(2) Jeder hat nach seinen Fähigkeiten ein Recht auf Arbeit und, unbeschadet seiner persönlichen Freiheit, die sittliche Pflicht zur Arbeit.

Kritik an der sittlichen Pflicht

Die Deutschstunde von Siegfrid Lenz

Der Schriftsteller Siegfried Lenz setzt sich in seinem Werk Deutschstunde kritisch mit dem Begriff der Pflicht und seiner Betonung während der Zeit des Nationalsozialismus auseinander.

Hauptartikel : Deutschstunde

Einzelnachweise

  1. BGH, WM 77, 1410; 78, 905.
  2. OLG Dresden 16 Februar 2005, Az. 21 UF 22/05.
  3. BVerwG 4. September 1980, Az. 5 C 55/79; BVerwGE 90, 245.
  4. LSG Bayern, Az. L 11 SO 11/05.
  5. BVerwG NJW 2003, 3146 = ZFSH/SGB 2003, 613 = FEVS 2003, 490 = BtPrax 2004, 238.
  6. LSG Bayern, Az. L 11 SO 11/05.
  7. BFH-Urteil vom 30. Juli 1993, Az. III R 16/92, BStBl. 1994 II S. 31.
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