Somalis

Somalis
Somali-Kinder
Karte der weltweiten Somali-Diaspora, 2006

Die Somali (Eigenbezeichnung Soomaali; mit eingedeutschtem Plural auch Somalis, Somalen oder unpräzise Somalier) sind eine Ethnie am Horn von Afrika, der Schätzungen zufolge mindestens 12 Millionen[1] Menschen angehören.

Sie stellen die große Mehrheit der Bevölkerung in Somalia, das bis zu seinem politischen Zerfall im somalischen Bürgerkrieg als Nationalstaat der Somali galt, und leben daneben auch in angrenzenden Gebieten Kenias (Nordostregion), Äthiopiens (Region Somali bzw. Ogaden) und Dschibutis. Außerhalb dieses angestammten Gebietes leben zahlreiche Somali als Auswanderer und Flüchtlinge in den Staaten der Arabischen Halbinsel, in Europa, Nordamerika und anderen Teilen der Welt.

Die Gesellschaft der Somali ist in Clans gegliedert, denen jeder Somali über seine väterliche Abstammungslinie angehört. Die Mehrheit der Somali lebt traditionell von nomadischer Viehzucht. Gemeinsame Merkmale sind der sunnitische Islam und die Sprache Somali, die zum kuschitischen Sprachzweig innerhalb der afroasiatischen Sprachfamilie gehört.

Inhaltsverzeichnis

Bezeichnung

Die Eigenbezeichnung lautet im Plural Soomaali, im Singular Somal. Zur Etymologie gibt es verschiedene Theorien. Einer Annahme zufolge stammt es von soo maal – „geh und melke“ – als Einladung an Gäste zum Milchtrinken. Andere führen es auf ein kuschitisches Wort für „dunkel“ oder „schwarz“ zurück, was sich auf ihre Hautfarbe beziehen würde. Die Clans der Dir, Isaaq, Darod und Hawiye als „echte Somali“ führen sich auf einen gemeinsamen Stammvater Samaale zurück, der ebenfalls namensgebend gewesen sein könnte.

Lebensweise, Gesellschaft und Kultur

Ein Somali mit seiner Ziegenherde nahe Beledweyne (Belet Uen), Dezember 1993

Die meisten Somali sind traditionell Hirtennomaden, die mit ihren Tieren – hauptsächlich Kamelen, je nach Terrain und Region aber auch Schafen und Ziegen oder Rindern – durch die Tiefebenen am Horn von Afrika ziehen, auf der Suche nach Weidegründen und Wasserstellen für ihre Tiere. In Südwestsomalia leben die dortigen Somali-Clans der Digil-Mirifle auch als agropastoralistische Bauern. In der heutigen Zeit leben viele Somali sesshaft in Städten und Dörfern, ein großer Teil lebt jedoch nach wie vor als Nomaden oder Halbnomaden.

Die Somali sind zum größten Teil Muslime, Sunniten der schafiitischen Rechtsschule. Sie waren unter den ersten Völkern in Afrika, welche den Islam annahmen. Bereits gegen Ende des 1. Jahrtausends waren Teile von ihnen konvertiert, hauptsächlich in den Handelsstädten an der Küste wie Zeila, Mogadischu, Berbera und den umliegenden Gebieten.

Somali-Frauen tragen oft eine Art Baumwollsari (Guntiino) und darüber ein Tuch (Garbasaar), welches ihr Haar bedeckt; ihr Gesicht ist in der Regel unverhüllt. Die Beschneidung von Mädchen ist üblich, meist in der besonders invasiven Form der Infibulation.

Die Somali messen der Poesie große Bedeutung zu. Die größten historischen Figuren der somalischen Geschichte waren Dichter, wie z. B. Muhammad ibn ʿAbd Allāh Hassān (Mohammed Abdullah Hassan), der Ende des 19. Jahrhunderts gegen die beginnende Fremdherrschaft von Äthiopiern, Briten und Italienern kämpfte. Gedichte wurden mündlich überliefert, da die Sprache der Somali erst 1972 mit dem lateinischen Alphabet offiziell verschriftet wurde und Lese- und Schreibkenntnisse traditionell wenig verbreitet waren (siehe auch: Bildung in Somalia).

Clansystem

Karte des von Somali bewohnten Gebietes mit den verschiedenen Clans

Hauptartikel: Clansystem der Somali

Die somalische Gesellschaft beruht auf Stämmen oder Clans, denen jeder Somali über seine väterliche Abstammungslinie angehört. Die größten Einheiten sind die großen Clanfamilien (qaabiil) der Dir, Isaaq, Darod, Hawiye und Rahanweyn/Reewin oder Digil-Mirifle. Diese Clanfamilien sind weiter in Unterclans, Unter-Unterclans etc.untergliedert, bis hin zu den kleinsten Einheiten (reer), die das für Verbrechen fällige Blutgeld (diya) gemeinsam bezahlen bzw. erhalten.

Alle Clanfamilien sollen letztlich von einem gemeinsamen Stammvater Hill abstammen, der Nachfahre von Abu Talib, einem Onkel Mohammeds, gewesen sein soll. Hills Nachkomme Samaale gilt als Stammvater der Clans der Dir, Isaaq, Darod und Hawiye, während von Sab, einem anderen Nachkommen, die Rahanweyn/Reewin oder Digil-Mirifle abstammen sollen (die genauen Verwandtschaftsverhältnisse werden je nach Clan und Publikation unterschiedlich angegeben):

  • Hill
    • Samaale
      • Dir
      • Isaaq
      • Darod
      • Hawiye
    • Sab.

Hierbei gelten die Samaal-Clans als „echte Somali“ (englisch Somali proper). Demgegenüber werden die Rahanweyn vielfach als „unechte Somali“ angesehen, da sie mehrheitlich nicht als Nomaden leben und wegen Vermischung mit Schwarzafrikanern und Galla (Oromo) genealogisch unrein (lineally impure) sein sollen. Sie gelten, ebenso wie diverse Minderheitengruppen innerhalb des von Somali bewohnten Gebietes, manchen Angehörigen der Samaal-Clans als nicht gleichberechtigt und unterliegen traditionell einer gesellschaftlichen Benachteiligung.

Herkunft

Der Ursprung der Somali ist umstritten. Die Somali selbst führen sich auf Einwanderer von der Arabischen Halbinsel zurück, über die alle Somali letztlich patrilinear von arabischen Stämmen abstammen sollen. Von schwarzafrikanischen Völkern betrachten sie sich klar als unterschiedlich. Die traditionelle Geschichtsschreibung, insbesondere Ioan M. Lewis als Autor zahlreicher Standardwerke zu Somalia und den Somali, schloss sich dieser Sichtweise größtenteils an.

Die Sprachwissenschaft hingegen sieht die Ursprünge der Somali eher im südlichen äthiopischen Hochland und meint, dass sie von dort aus zusammen mit anderen sprachlich verwandten Gruppen in die Tiefebenen eingewandert sind (z. B. Turton 1975, Heine 1978) und sich später vor allem in den Küstenstädten mit arabischen und persischen Einwanderern vermischten. Ethnolinguistische Hinweise deuten darauf hin, dass es sich bei den Rahanweyn (Reewin) um die früheste Gruppe der Somali handelt, aus der später ein Teil weiter nach Norden wanderte[2].

Der Begriff Somali erscheint erstmals schriftlich in einer Hymne aus dem 15. Jahrhundert, die die Siege des äthiopischen Kaisers Isaak (Yeshaq) über seine muslimischen Gegner dokumentiert. Bereits im 14. Jahrhundert erwähnt der Geograph Ibn Said einen Clan der Somali, indem er Merka als „Hauptstadt des Landes der Hawiye“ mit mehr als 50 Dörfern nennt (was vom heutigen, weiter nördlich gelegenen Gebiet der Hawiye abweicht).[2]

Einer anthropometrischen Untersuchung zufolge sind die Somali von Schwarzafrikanern weit entfernt.[3]

Genetische Analysen weisen auf eine teilweise arabische/eurasische Abstammung hin, ihre Ergebnisse sind jedoch uneinheitlich bezüglich des Anteils dieser Abstammung und dem Grad der Verwandtschaft mit anderen Bewohnern Afrikas. So stehen männliche Somali gemäß einer Studie den – benachbarten und ebenfalls kuschitischsprachigen – Oromo am nächsten und weisen außerdem 15 % eurasische und 5 % subsahara-afrikanische Y-Chromosomen auf.[4] Verschiedene Untersuchungen der mtDNA ergaben, dass die Somali innerhalb der afrikanischen Bevölkerung am nächsten zur eurasischen stehen oder aber in der Mitte zwischen der afrikanischen und eurasischen Bevölkerung positioniert sind. Weitere Untersuchungen an überigen Chromosomen kamen zum Schluss, dass der Genpool in Somalia und Äthiopien zu 60 % afrikanisch und zu 40 % eurasisch sei.[5]

Politische Situation

Historisch war das von Somali bewohnte Gebiet nie politisch geeint, sondern stand bis zur Kolonialzeit unter der Herrschaft lokaler Clans und verschiedener Sultanate. Ab dem 19. Jahrhundert erfuhr die Region ihre bis heute nachwirkende koloniale Aufteilung, durch die die Somali gegenwärtig auf die Staaten Somalia, Kenia, Äthiopien und Dschibuti verteilt sind.

Es gab innerhalb der Somali-Bevölkerung Bestrebungen, diesen Teilungszustand aufzuheben und sämtliche Somali in einem Staat Groß-Somalia zu einen. Somalia, das 1960 seine Unabhängigkeit erlangte, betrachtete sich als Nationalstaat für die Somali und versuchte mit friedlichen und militärischen Mitteln, die außerhalb seines Staatsgebietes gelegenen Somali-Gebiete anzugliedern. Somali in Nordostkenia und Ostäthiopien versuchten erfolglos, den Anschluss dieser Gebiete an Somalia durchzusetzen. Heute sind viele Somali in diesen Gebieten infolge von Dürre und politischen Konflikten (die in der Somali-Region Äthiopiens bis heute andauern) auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. In Dschibuti setzten die Issa-Somali 1977 die Unabhängigkeit von Frankreich durch, nicht aber den Anschluss an Somalia. In der Politik Dschibutis dominieren sie bis heute gegenüber der Afar-Minderheit.

In Somalia selbst gibt es seit dem Sturz der Diktatur Siad Barres 1991 keine funktionierende Regierung mehr, sodass die Somali auf verschiedene Landesteile unter Kontrolle unterschiedlicher Clans und Kriegsparteien verteilt sind. Während vor allem Somaliland und Puntland im Norden Somalias relativ stabil sind und de facto unabhängige regionale Regierungen aufgebaut haben, dauern Kämpfe in Süd- und Zentralsomalia weiterhin an. Diese politische Fragmentierung Somalias hat dazu geführt, dass großsomalische Bestrebungen seit den 1990er Jahren an Bedeutung verloren haben.

Diaspora

Die Auswanderung von Somali in Gebiete außerhalb des Horns von Afrika hat eine lange Geschichte und führte Somali im Rahmen von Handelstätigkeiten, zur Ausbildung oder zwecks Arbeitssuche zunächst vor allem in die Staaten der Arabischen Halbinsel. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es somalische Emigranten in Großbritannien, die in der Royal Navy und in der Handelsmarine beschäftigt waren. Ihre Zahl nahm während des Zweiten Weltkrieges und in den 1950er Jahren weiter zu. Andere gelangten bis nach Nordamerika. Der wachsende Wohlstand der arabischen Staaten durch Erdölexporte zog weitere Somali in diese Länder, die bis in die 1980er Jahre die größte Somali-Bevölkerung außerhalb des Horns von Afrika aufwiesen.

Die Auswanderung stieg deutlich an, als in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Somali aus politischen und wirtschaftlichen Gründen Somalia unter Siad Barre verließen. Ihren Höhepunkt erreichte sie Ende der 1980er und während der 1990er Jahre, als viele Somali vor dem Bürgerkrieg in Somalia flohen und Asyl in Europa und Nordamerika suchten.

Heute leben Somali als Auswanderer und Flüchtlinge in arabischen Staaten, in Europa, Nordamerika und Australien wie auch in anderen Teilen Afrikas (insbesondere Südafrika[6]). Ihre Zahl ist schwer festzustellen, wird aber allgemein auf über eine Million geschätzt. Sie haben durch ihre Geldüberweisungen großen Einfluss auf die Wirtschaft Somalias, aber auch auf die Politik.[7]

Siehe auch

Literatur

Weiterführende Literatur:

  • Ioan Myrddin Lewis, Blood and Bone: The Call of Kinship in Somali Society. Lawrenceville, NJ: Red Sea Press, 1994 (zum Clansystem).
  • Bogumil Witalis Andrzejewski and Ioan Myrddin Lewis, Somali Poetry. An Introduction. Oxford: Clarendon Press, 1964 (zur Poesie).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Andere Schätzungen reichen bis 20 oder 25 Millionen. Bevölkerungsangaben für Somalia sind aufgrund der Lage im Land allgemein unsicher und schwanken für 2008 zwischen 9,5 und 12,5 Mio. Für die Somali-Region Äthiopiens geben offizielle Angaben für 2004 4,3 Mio. an, die Ogaden National Liberation Front hingegen bis zu 8 Mio. Auch die Zahlen für somalische Immigranten in anderen Ländern sind oft ungenau, da bei Zensuserhebungen Somali nur teilweise als eigene Gruppe registriert werden und diese Bezeichnung dabei unterschiedlich definiert wird: Teils sind damit alle aus Somalia stammenden oder dort geborenen Personen gemeint, teils werden darunter ethnische Somali im eigentlichen Sinn verstanden. Schließlich werden unangemeldet/illegal anwesende Somali von solchen Zählungen nicht erfasst.
  2. a b Abdi Kusow: The Somali Origin: Myth or Reality, in: Ali Jimale Ahmed (Hrsg.): The Invention of Somalia, Red Sea Press 1995, ISBN 0932415997
  3. Clines and Clusters Versus “Race:” A Test in Ancient Egypt and the Case of a Death on the Nile, in: Yearbook of Physical Anthropology, 1993
  4. European Journal of Human Genetics (2005): High frequencies of Y chromosome lineages characterized by E3b1, DYS19-11, DYS392-12 in Somali males
  5. European Journal of Human Genetics (1999): Analysis of mtDNA HVRII in several human populations using an immobilised SSO probe hybridisation assay
  6. IRIN News: South Africa: Fleeing war, Somalis are targets of violence in adopted home
  7. Mark Bradbury: Becoming Somaliland, 2008, ISBN 978-1847013101 (S. 174f.)

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