Somalischer Bürgerkrieg

Somalischer Bürgerkrieg
Somalischer Bürgerkrieg
Bewaffnete auf einem Technical in Mogadischu, 1992 oder 1993
Bewaffnete auf einem Technical in Mogadischu, 1992 oder 1993
Datum 1988 – heute
Ort Somalia
Ausgang andauernd

Als Somalischer Bürgerkrieg werden die anhaltenden militärischen Konflikte zwischen Kriegsherren, Clans und diversen Gruppierungen und Milizen – mit verschiedenen Eingriffen von umliegenden Ländern und der übrigen internationalen Gemeinschaft – in Somalia bezeichnet.

Er begann mit dem bewaffneten Widerstand diverser Akteure gegen die Herrschaft des Diktators Siad Barre und erreichte seinen Höhepunkt nach dem Sturz Barres 1991. Seither existiert in Somalia keine funktionierende Zentralregierung mehr, und die politische Entwicklung verlief in verschiedenen Landesteilen unterschiedlich: Im Norden des Landes haben sich die relativ stabilen Gebiete Somaliland und Puntland gebildet, die faktisch autonom sind. Die Hauptstadt Mogadischu war und ist hingegen heftig umkämpft. Auch Südwestsomalia und Jubaland waren Schauplatz von Kampfhandlungen. 2000 wurde eine international anerkannte Übergangsregierung gebildet, der es jedoch bisher nicht gelang, in Somalia allgemeine Akzeptanz zu finden und Frieden zu schaffen.

2006 erlangte die Union islamischer Gerichte die Kontrolle über weite Teile Süd- und Zentralsomalias und etablierte insbesondere in Mogadischu erstmals seit Kriegsbeginn eine gewisse Stabilität, bis sie Ende 2006 durch eine Militärintervention des Nachbarlandes Äthiopien verdrängt wurde. In der Folge fanden vor allem in Mogadischu schwere Kämpfe zwischen den Truppen Äthiopiens und der Übergangsregierung einerseits und Islamisten und weiteren Gegnern aus verschiedenen Lagern andererseits statt. Anfang 2009 wurden die äthiopischen Truppen abgezogen und der gemäßigte Islamist Sharif Sheikh Ahmed wurde neuer Präsident der Übergangsregierung. Seine Regierung wird jedoch weiterhin von radikaleren Islamisten bekämpft, die unterdessen weite Teile von Süd- und Zentralsomalia kontrollieren. In anderen Teilen herrschen lokale Clans und Milizen, zwischen denen es gelegentlich zu Konflikten kommt.

Inhaltsverzeichnis

Konfliktlinien

Karte von Somalia

Im somalischen Bürgerkrieg spielen verschiedene Konfliktlinien und Interessen eine Rolle, was die Situation unübersichtlich wirken lässt. Hierzu gehören die Konflikte um knappes Wasser und Land, Konflikte zwischen der Minderheit sesshafter Ackerbauern und der nomadisch lebenden Mehrheit, Konflikte im Rahmen des Clansystems der Somali und nicht zuletzt der persönliche Machthunger von Clanführern, Kriegsherren (Warlords) sowie Geschäftsleuten mit ihren Privatmilizen. Diese Konflikte überschneiden sich vielfach.

Hinzu kommen Eingriffe umliegender Länder, die nur bedingt an einer Stabilisierung der Lage in Somalia interessiert sind, und der übrigen internationalen Gemeinschaft.

Clansystem

Die Gesellschaft der Somali ist in Clans gegliedert, die weiter in Unterclans und weitere Abzweigungen aus diesen gegliedert sind. Diese Clans kennen traditionell keine zentralisierte politische Macht. Von den fünf großen Clanfamilien sind vier (die Darod, Hawiye, Dir und Isaaq) größtenteils Nomaden, während die Rahanweyn (Digil-Mirifle) in Südsomalia mehrheitlich als sesshafte Bauern und Viehzüchter leben. Die nomadischen Clans betrachten sich als überlegen gegenüber den sesshaft-bäuerlichen Clans wie auch gegenüber verschiedenen ethnischen Minderheiten in Südsomalia wie den „somalischen Bantu“.

Zwischen den Clans kam es seit je immer wieder zu Konflikten um knappes Wasser und Land und zu Blutfehden aufgrund von Verbrechen. Die Clans interagierten dabei in häufig wechselnden Allianzen. Gemäß Gewohnheitsrecht wurden solche Auseinandersetzungen durch Verhandlungen zwischen den Clan-Ältesten und durch Kompensationszahlungen beigelegt.

Im Bürgerkrieg bilden meist Clans die Machtbasis für Kriegsparteien. Manche Beobachter erklären den Bürgerkrieg hauptsächlich mit dem Konfliktpotenzial, das grundsätzlich und seit je im Clansystem liege. Der Staatszerfall sei wesentlich darauf zurückzuführen, dass die Gesellschaft der Somali traditionell keinen Zentralstaat kennt. Somalia sei im Grunde in seinen vorkolonialen Zustand zurückgekehrt, mit dem Unterschied, dass heute mit modernen, tödlicheren Waffen gekämpft wird.[1] Andere betonen hingegen, dass das Clansystem in der Kolonialzeit und während der Diktatur Siad Barres Veränderungen durchlaufen habe, die sein Gewaltpotential erhöht hätten. Insbesondere sei es zu einer stärkeren Polarisierung aufgrund von ethnischer (Somali/Nicht-Somali) und Klassen-Zugehörigkeit gekommen. Treibende Kraft hinter dem Bürgerkrieg seien nicht Clan-Konflikte, sondern politische und wirtschaftliche Interessen.[2]

Landbesitz

Unter der Herrschaft Siad Barres eigneten sich vor allem Angehörige von dessen Darod-Clan Land im relativ fruchtbaren Süden Somalias – an den Flüssen Jubba und Shabelle und im Gebiet zwischen diesen Flüssen – an. Im Bürgerkrieg eroberte der United Somali Congress (USC) des Hawiye-Clans, der Barre gestürzt und vertrieben hatte, einen Teil dieser Gebiete. Der Bürgerkrieg ist somit auch ein Kampf um Landbesitz zwischen den mächtigsten Clans, der Hawiye und Darod. Die Bewohner des umkämpften Landes – der Clan der Rahanweyn sowie in den Flusstälern ethnische Minderheiten wie die „Bantu“ und Gabaweyn – gerieten dabei zwischen die Fronten. Die Rahanweyn konnten ab 1995 mit Unterstützung Äthiopiens ihre Position verbessern und die Rahanweyn Resistance Army gründen.[3] Im Shabeelle-Tal blieb hingegen ein Großteil des Landes vom Hawiye-Clan besetzt, während im Jubba-Tal Darod-Milizen die Hawiye wiederum zurückdrängen konnten. Die bäuerliche Bevölkerung in den Flusstälern wird zum Teil genötigt, unter Bedingungen zwischen Teilpacht und Zwangsarbeit auf dem ehemals ihrigen Land zu arbeiten.[4][5][6]

Bedingung für einen Friedensschluss für Somalia würde auch eine Einigung über Landrechte zwischen Darod, Hawiye und den ursprünglichen Bewohnern des von ihnen umkämpften Landes sein. Insbesondere die Hawiye stehen dem skeptisch gegenüber, da sie fürchten, im Bürgerkrieg besetztes Land abtreten zu müssen.[6]

Islamismus

Islamistischewahhabitische und andere – Strömungen, teils mit Unterstützung aus Saudi-Arabien, Sudan, Iran und anderen Ländern, gewannen seit den 1980er Jahren an Bedeutung.[7] Die radikale Gruppierung al-Ittihad al-Islami, die vom Ausland aus finanziert wurde und Kontakte zu al-Qaida hatte, versuchte sich in den 1990er Jahren zu etablieren, konnte sich jedoch nicht gegen die verschiedenen Clan-Kriegsparteien durchsetzen und wurde 1996 durch eine Intervention der äthiopischen Armee weitgehend zerschlagen.[4]

Die Union islamischer Gerichte war eine lose Koalition von Schari'a-Gerichtshöfen, die insbesondere mit dem in Mogadischu mächtigen Clan der Habar-Gedir-Hawiye verbunden war und ein breites Spektrum von gemäßigten Geistlichen bis zu Mitgliedern der früheren al-Ittihad umfasste. 2006 setzte sie sich gegen verschiedene Kriegsherren durch, übernahm die Kontrolle über die Hauptstadt und weitere Landesteile und verbesserte die Sicherheitslage dort massiv. Da sie die Übergangsregierung bekämpfte und Teile von ihr zum Dschihad gegen die Übergangsregierung, Äthiopien und die USA aufriefen, marschierten Ende 2006 äthiopische Truppen ein und entmachteten die Union.[8]

Bald nach diesem Einmarsch begann ein Guerilla-Krieg von Islamisten und Clan-Milizen gegen die Truppen Äthiopiens und der Übergangsregierung. Islamisten und weitere Regierungsgegner bildeten im Exil in Asmara die Allianz für die Wiederbefreiung Somalias (ARS). Al-Shabaab, ursprünglich eine Jugendmiliz innerhalb der Union islamischer Gerichte, formierte sich neu als eigenständige und besonders radikale Gruppierung.[9]

Während der gemäßigtere Teil der ARS unter Sharif Sheikh Ahmed Friedensverhandlungen mit der Übergangsregierung führte, brachte al-Shabaab weite Teile Südsomalias unter ihre Kontrolle und setzt dort eine strenge Auslegung der Schari'a durch. Auch nach der Ernennung Sharif Sheikh Ahmeds zum Präsidenten und dem Abzug der äthiopischen Truppen kämpfen al-Shabaab und weitere islamistische Gruppierungen weiter gegen die Übergangsregierung.[10] Sie arbeiten teils zusammen, es gibt jedoch auch Machtkämpfe zwischen ihnen.[11] Konflikte gibt es auch um den fundamentalistischen Islam dieser Gruppen und den traditionellen, vom Sufismus geprägten gemäßigten Islam in Somalia.[12]

Eingreifen von außen

Äthiopien und Eritrea

Die Beziehungen zwischen Somalia und der Regionalmacht Äthiopien sind gespannt, da der somalische Staat das von ethnischen Somali bewohnte, Ende des 19. Jahrhunderts von Äthiopien eroberte Gebiet Ogaden bzw. die Somali-Region als Teil eines Groß-Somalia beanspruchte. Diese Ansprüche führten 1977/78 zum Ogadenkrieg, den Somalia verlor. Die separatistische Ogaden National Liberation Front führt weiterhin einen Guerillakrieg in der Somali-Region. Die äthiopische Armee reagierte auf ihre Angriffe seit 2007 auch mit Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung wie Morden, Niederbrennen von Dörfern, Folter und Vergewaltigungen.[13]

Äthiopien möchte verhindern, dass in Somalia Akteure Macht erlangen, die die Gebietsansprüche auf Ogaden aufrechterhalten; nach in Somalia verbreiteter Ansicht bedeutet dies, dass es entweder die politische Fragmentierung Somalias beibehalten oder eine ihm genehme „Marionettenregierung“ einsetzen möchte.[14] Äthiopien griff verschiedentlich auf Seiten unterschiedlicher Kriegsparteien in Somalia ein, zuletzt von Ende 2006 bis Anfang 2009 auf Seiten der Übergangsregierung. Das mit Äthiopien verfeindete Eritrea unterstützt hingegen anti-äthiopische Kräfte in Somalia, insbesondere Islamisten. Beide Länder wurden bereits früher beschuldigt, entgegen einem Waffenembargo der Vereinten Nationen Kriegsparteien mit Waffen beliefert und Truppen in Somalia stationiert zu haben und dort einen Stellvertreterkrieg auszutragen. Die Regierung Eritreas wies diese Vorwürfe mehrfach zurück.[15][16] Die somalischen Kriegsparteien lassen sich anhand ihrer Haltung zu Äthiopien grob in zwei Gruppierungen einteilen: Die vom Darod-Clan dominierte Koalition, die den von Äthiopien unterstützten Somalia Reconciliation and Restoration Council (SRRC) in Südwestsomalia bildete und von 2004 bis Ende 2008 die Übergangsregierung dominierte, und die anti-äthiopisch ausgerichtete Mogadischu-Gruppe, die ihre Basis im Habar-Gedir-Hawiye-Clan hat und auch Islamisten umfasst.[14]

Kenia

Kämpfer der al-Shabaab drangen verschiedentlich über die kaum bewachte Grenze in die Nordostregion von Kenia vor, wo ebenfalls Somali leben. Dort rekrutieren sie somalische Jugendliche aus Flüchtlingslagern sowie kenianische Somali für den Kampf in Somalia.[17] Kenianische Sicherheitskräfte kooperieren ihrerseits mit der Übergangsregierung Somalias, um Flüchtlinge in Dadaab und einheimische Somali für Einsätze in Somalia zu rekrutieren.[18][19][20]

Übrige internationale Gemeinschaft

Die übrige internationale Gemeinschaft griff von 1992 bis 1995 mit den UNOSOM-Friedensmissionen militärisch in den somalischen Bürgerkrieg ein, scheiterte jedoch an der Komplexität der Situation und dem Widerstand diverser Kriegsparteien. Seither bemühte sie sich vorwiegend diplomatisch um eine Stabilisierung der Lage und insbesondere um die Wiederherstellung einer Zentralregierung. Seit 1998 und mehr noch seit 2001 wird das Geschehen in Somalia vermehrt aus dem Blickwinkel des „Krieges gegen den Terror“ betrachtet. Dieser richtet sich vor allem gegen islamistische Akteure im Bürgerkrieg. Von diesen haben manche Verbindungen zu islamistischen Kreisen außerhalb Somalias. Ein weiterer Aspekt, der internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das Phänomen der Piraterie vor der Küste Somalias. Diese wird durch die politische Lage stark begünstigt, zum Teil beteiligen sich Bürgerkriegsakteure auch direkt an diesem profitablen Geschäft.

Verlauf

Herrschaft und Entmachtung Siad Barres

Hauptartikel: Siad Barre

Somalia erlangte 1960 seine Unabhängigkeit von Italien und Großbritannien. Nach neun Jahren der Demokratie, in denen Korruption und Vetternwirtschaft weit verbreitet waren, ergriff 1969 der Offizier Siad Barre die Macht und errichtete eine Diktatur. Offiziell betonte er die nationale Einheit und wandte sich gegen Clan-Loyalitäten, seine eigene Macht stützte er jedoch auf die sogenannte „MOD-Allianz“ aus seinem eigenen Clan der Marehan-Darod sowie den Ogadeni- und Dolbohanta-Darod. Insbesondere nach dem verlorenen Ogadenkrieg gegen Äthiopien 1977/78 wuchs die Unzufriedenheit aufgrund von Unterdrückung, Korruption und wirtschaftlichen Problemen. 1978 gab es einen ersten Putschversuch von Offizieren aus dem Majerteen-Darod-Clan, der bald niedergeschlagen wurde, aber in den Aktivitäten der Majerteen-Rebellenorganisation Somali Salvation Democratic Front (SSDF) in Nordostsomalia seine Fortsetzung fand. Im Nordwesten des Landes entstand die Somali National Movement (SNM) aus dem Clan der Isaaq. Beide Bewegungen wurden von Äthiopien unterstützt (während Somalia weiterhin die separatistische Western Somali Liberation Front im Ogaden förderte) und stellten zunächst keine ernsthafte Bedrohung für das Barre-Regime dar. Dies änderte sich, als die beiden Länder 1988 vereinbarten, die gegenseitige Unterstützung von Rebellengruppen zu beenden. Die SNM musste ihre Basen in Äthiopien räumen und begann daraufhin eine Großoffensive, in der sie unter anderem Burao und Hargeysa einnahm. Die Staatsarmee reagierte mit umfangreichen Repressionsmaßnahmen, die etwa 40.000 Menschen das Leben kosteten und Hunderttausende in die Flucht nach Äthiopien trieben. Sie konnte jedoch nicht verhindern, dass die SNM im Nordwesten die Oberhand gewann.

In Süd- und Zentralsomalia, im Umland der Hauptstadt Mogadischu, begann der Aufstand des 1989 gegründeten United Somali Congress (USC) der Hawiye. Mit dem Ende des Kalten Krieges verlor Barre zudem die Unterstützung der USA und anderer westlicher Staaten. Indem Barre in dieser Endphase seines Regimes die Taktik des „Divide et impera“ anwandte und gezielt Misstrauen und Feindseligkeit zwischen den Clans schürte, legte er zum Teil den Grundstein für weitere Konflikte.[14] 1990 kontrollierte seine Regierung praktisch nur noch die Hauptstadt. Am 26. Januar 1991 floh Siad Barre schließlich vor dem USC aus Mogadischu und begab sich mit Teilen der Armee durch das Shabeelle-Tal nach Süden. Ihm folgten zahlreiche Darod-Zivilisten aus Mogadischu, die vor Übergriffen und Racheakten des USC flohen. Der USC verfolgte Barre durch das Shabelle-Tal und weiter nach Süden in das Jubba-Tal hinein.

Die verschiedenen Bewegungen gegen Barre hatten sich im Vorfeld darauf verständigt, gemeinsam eine neue Regierung zu bilden. Dies scheiterte jedoch, als der von den Hawiye Mohammed Farah Aidid und Ali Mahdi Mohammed geführte USC den Sieg über Barre und damit den Hauptteil der Macht für sich allein beanspruchte. Die anderen Oppositionsgruppen erkannten die vom USC gebildete provisorische Regierung nicht an. Der Norden des Landes erklärte unter der Führung der SNM als Somaliland einseitig seine – international nicht anerkannte – Unabhängigkeit.[21] Der USC selbst spaltete sich Ende 1991 zwischen den Unterclans der Abgal- und Habar-Gedir-Hawiye, als sich Ali Mahdi Mohammed (Abgal) in Mogadischu zum Präsidenten ausrief, während Aidid (Habar Gedir) Siad Barre verfolgte. Abgal- und Habar-Gedir-Milizen lieferten sich in der Folge schwere Kämpfe in Mogadischu, bei denen massive Zerstörungen angerichtet und schätzungsweise 14.000 Menschen getötet wurden. Derweil formierten sich zu Siad Barre loyale Darod in dessen Heimatregion Gedo im Jubba-Tal, um unter Führung von Barres Verteidigungsminister und Schwiegersohn Siad Hersi „Morgan“ für eine Rückkehr Barres zu kämpfen. Somalia zerfiel in umkämpfte Machtbereiche von Clans und Kriegsherren und deren Milizen. So wird auch 1991 vielfach als Jahr des Kriegsbeginns angegeben.[22][23]

Dass den siegreichen Bewegungen kein Aufbau einer neuen Regierung gelang, wird mit verschiedenen Faktoren erklärt. Darunter sind das kurzfristig ausgerichtete Handeln ihrer Führer sowie die Zwietracht zwischen den Clans, die Siad Barre erfolgreich geschürt hatte. Des Weiteren hätten sich die Clan-Milizen und kriminelle Banden zunehmend der Kontrolle der Clanführer entzogen und hätten sich kaum von Plünderungen abhalten lassen, was durch die leichte Verfügbarkeit von Waffen noch verschärft wurde. Schließlich habe die internationale Gemeinschaft das Geschehen zu Beginn weitgehend ignoriert und damit die Chance verpasst, zu vermitteln, bevor sich die Fronten weiter verhärteten.[14]

Eingreifen der UNOSOM

US-amerikanischer Helikopter über Mogadischu (1992)
Deutsche UN-Soldaten in Beledweyne

Die Kampfhandlungen und Plünderungen führten zu einer Verschlechterung der Versorgungslage bis hin zur Hungersnot im Süden Somalias, die schätzungsweise 300.000 bis 500.000 Menschen das Leben kostete. Betroffen waren vor allem die sesshaft-bäuerlichen, politisch und militärisch schwachen Bewohner der Region – der Clan der Rahanweyn und die Bantu-Minderheiten –, die zwischen die Fronten gerieten und sich kaum gegen Plünderungen und die Zerstörung ihrer landwirtschaftlichen Infrastruktur wehren konnten. Die Hungersnot erhielt ab etwa Mitte 1992 Aufmerksamkeit in den internationalen Medien. Im selben Jahr beschlossen die Vereinten Nationen die Entsendung der UNOSOM-Mission, die zunächst einen Waffenstillstand zwischen Aidid und Ali Mahdi überwachen sollte. Da auch Hilfsgüter für die von der Hungersnot Betroffenen vielfach geplündert wurden, kam die Idee auf, die Lieferung der Nahrungsmittelhilfe durch eine humanitäre Intervention zu sichern.

Amerikanische und italienische Soldaten sichern die Green Mile in Mogadischu

Der Frieden zwischen Kriegsherren und UNO hielt nicht lange. Insbesondere Aidid wandte sich mit seiner Somali National Alliance offen gegen die UNOSOM und verlangte ihren Abzug,[24] da er sie als Bedrohung seiner Macht ansah und fürchtete, sie werde die von Ali Mahdi gebildete Regierung anerkennen. Im November 1992 boten daraufhin die USA unter Präsident George H. W. Bush an, eine multinationale Truppe unter eigener Führung zu entsenden. Hintergrund dafür war die von Bush senior propagierte Idee einer „Neuen Weltordnung“. Der UN-Sicherheitsrat billigte die Entsendung dieser Unified Task Force UNITAF (auch als Operation Restore Hope bekannt) mit der Resolution 794 vom 3. Dezember 1992 und unterstellte ihr die UNOSOM-Operationen. Im Unterschied zur UNOSOM war die UNITAF ermächtigt, „alle nötigen Mittel“, auch militärische, anzuwenden. Am 9. Dezember gingen die ersten UNITAF-Truppen medienwirksam an der somalischen Küste an Land; insgesamt umfasste die Truppe zeitweise bis zu 37.000 Personen, mehrheitlich US-Amerikaner. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nahm auch die Bundeswehr mit dem Deutschen Unterstützungsverband Somalia an einem militärischen Einsatz außerhalb des Bündnisgebietes der NATO teil.

Allerdings stellten unterschiedliche Erwartungen innerhalb Somalias wie auch in der internationalen Gemeinschaft sowie mangelnde Kenntnis der lokalen Gegebenheiten Probleme dar. So gab es bei Teilen der somalischen Bevölkerung die Erwartung, dass die internationalen Truppen die Kriegsherren entwaffnen würden. Die US-Truppen wollten hingegen keine eigenen Verluste riskieren. Vereinzelte Versuche zur Entwaffnung von Kriegsparteien zeigten kaum Wirkung, da weiterhin großer Nachschub an Waffen innerhalb Somalias sowie aus Kenia und Äthiopien verfügbar war. Zugleich versuchte sich die UNSOM/UNITAF auch die Unterstützung der wichtigsten Akteure zu sichern, indem Geschäfte mit ihnen und ihren Clans abgeschlossen wurden. Versäumnisse der internationalen Truppen im Umgang mit der Bevölkerung – bis hin zu Menschenrechtsverletzungen namentlich durch kanadische und italienische Truppen – trugen dazu bei, anfängliche Sympathie in Ablehnung umschlagen zu lassen. Teile der somalischen Bevölkerung sahen in der UNOSOM/UNITAF eine Besatzungsmacht und unterstellten insbesondere den USA auch weniger edle Motive wie die Erlangung der Kontrolle über Erdölvorräte oder die dauerhafte Errichtung von Militärbasen am strategisch wichtigen Horn von Afrika.[25]

Nach einem Angriff von Aidids Truppen auf pakistanische Blauhelmsoldaten, die ein Waffenlager in der Nähe seiner Radiostation inspizieren sollten, wurde es zum wesentlichen Ziel der internationalen Truppen, Aidid zu ergreifen. Die schweren Angriffe, die gegen ihn gerichtet waren, hatten jedoch auch zahlreiche zivile Opfer zur Folge. Sie erleichterten es Aidid, sich durchaus mit Erfolg bei Teilen der Bevölkerung als antikolonialer Befreiungskämpfer darzustellen. Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen der UNOSOM/UNITAF und ihren somalischen Gegnern war die Schlacht von Mogadischu am 3./4. Oktober 1993, in der 18 US-Soldaten und ein malaysischer UN-Soldat sowie rund 1000 Somalier getötet wurden. Nach diesem Ereignis zogen die USA bis 1994 ihre Truppen ab. Auch die UNOSOM II zog sich 1995 zurück, ohne eine politische Lösung erreicht zu haben.[26][27]

Aufgrund der Erfahrungen in Somalia griffen die USA und die übrige internationale Gemeinschaft in den Jahren nach 1993 insgesamt zögerlicher in Konflikte ein, namentlich 1994 beim Völkermord in Ruanda und in den Jugoslawienkriegen insbesondere beim Massaker von Srebrenica 1995. In diesen Fällen wurde der internationalen Gemeinschaft später ihre Untätigkeit vorgeworfen, die Verbrechen mitermöglicht habe.

Ende der UNOSOM und Bildung der Übergangsregierung

Nach dem gescheiterten UNOSOM-Einsatz geriet Somalia zeitweise aus dem Blickfeld der internationalen Presse und gilt als typisches Beispiel eines „gescheiterten Staates“. Vor allem Mogadischu war weiterhin zwischen Unterclans der Hawiye umkämpft. Neben Aidid und Ali Mahdi Mohammed gelangten weitere Kriegsherren wie Osman Ali Atto, Mohamed Qanyare Afrah und Musa Sudi Yalahow zu Bedeutung. Kriegsherren, Geschäftsleute mit eigenen Milizen und Banden von sogenannten „Freelancern“ kämpften bisweilen um einzelne Straßensperren. Solche Auseinandersetzungen forderten auch etliche zivile Todesopfer durch Querschläger.[28][29][30]

Die Habar-Gedir-Hawiye unter Aidid brachten 1995 die Hafenstadt Merka und das von den Rahanweyn bewohnte Südwestsomalia unter ihre Kontrolle.[31] Im selben Jahr konnten die Rahanweyn jedoch mit Unterstützung Äthiopiens ihre militärische Lage verbessern und die Rahanweyn Resistance Army (RRA) gründen.[3] Diese eroberte in den folgenden Jahren ihr Gebiet zurück. Aidid selbst wurde 1996 in einem Kampf unter den Hawiye um Bananenexporte aus dem unteren Shabelle-Tal („Bananenkrieg“) tödlich verwundet, woraufhin sein Sohn Hussein Mohammed Farah („Aidid junior“) sein Nachfolger wurde.[32] Auch die Biimal-Dir versuchten ihre Kontrolle über Merka und das untere Shabelle-Tal von den Habar Gedir zurückzuerlangen. In Jubaland und insbesondere in der bedeutenden Hafenstadt Kismaayo kämpfte die Juba Valley Alliance aus Habar Gedir und Marehan gegen Siad Hersi.[29][33] Die Kämpfe waren jedoch insgesamt weniger intensiv als Anfang der 1990er Jahre. Puntland im Nordosten, das seit 1991 unter Kontrolle der SSDF und der lokalen Clans war, erklärte sich 1998 zum autonomen Teilstaat innerhalb Somalias und errichtete eine eigene Regionalregierung. Innerhalb Puntlands kam es 2001–2003 zu Machtkämpfen zwischen Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed und Jama Ali Jama.[34] In Somaliland im Norden flammten 1992 und noch einmal 1994–1996 Auseinandersetzungen zwischen Clans auf, doch diese konnten mit traditionellen Methoden der Friedensstiftung beigelegt werden, sodass es seit 1996 weitgehend friedlich blieb.

Ein Erklärungsansatz für das Andauern des Krieges ist, dass verschiedene Akteure nicht in erster Linie weiterkämpften, um zu gewinnen, sondern vor allem um „Bedingungen anhaltender Instabilität“ zu schaffen, die ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen dienen. So würden Kriegsherren befürchten, in friedlichen und demokratischen Verhältnissen an Macht zu verlieren oder auch für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, und daher bei Friedensbemühungen als „Störenfriede“ (spoilers) auftreten. Auch Personen und Gruppierungen, die von Plünderungen und illegalen Geschäften leben und profitieren, seien an einer Wiederherstellung staatlicher Ordnung wenig interessiert.[14]

Versuche zur Regierungsbildung

Die internationale Gemeinschaft versuchte verschiedentlich, auf diplomatischem Weg zu einer Lösung der Konflikte beizutragen. Dabei konzentrierte sie ihre Bemühungen darauf, eine Regierung für Somalia zu bilden, die anschließend das Land stabilisieren sollte. Über ein Dutzend Runden von Friedensgesprächen wurden zu diesem Zweck durchgeführt. Im Jahr 2000 konnte nach Verhandlungen in Arta im Nachbarland Dschibuti eine Übergangsregierung, das Transitional National Government (TNG), aus Angehörigen verschiedener Clans gebildet werden. Damit verfügte Somalia wieder über eine international anerkannte Regierung. Innerhalb Somalias wurde sie jedoch von den meisten Kriegsherren, die in den Verhandlungsprozess kaum einbezogen worden waren, nicht anerkannt und konnte sich daher nie im Land niederlassen. Ihre Gegner gründeten das Bündnis SRRC als „Gegenregierung“ mit Sitz in Baidoa, das von Äthiopien unterstützt wurde. Erneute Verhandlungen in Kenia, bei denen diesmal Kriegsherren führend beteiligt waren, führten 2004 zur Bildung einer neuen Übergangsregierung Transitional Federal Government (TFG), die nun vom SRRC und Vertretern aus der faktisch autonomen Region Puntland dominiert wurde. Diese Regierung zog 2005 in Baidoa und Jawhar ein, konnte jedoch ebenfalls nie eine funktionierende Verwaltung aufbauen oder größere Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen.[35]

Union islamischer Gerichte, Kampf gegen Terrorismus

Seit den Terroranschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 und noch mehr seit Beginn der Amtszeit von George W. Bush und den Terroranschlägen am 11. September 2001 interessieren sich die USA wieder verstärkt für Somalia.[36] Das Land wurde als möglicher Standort von Trainingslagern islamistischer Terroristen oder gar als Zufluchtsort für Osama bin Laden betrachtet.

Vor diesem Hintergrund beobachteten die USA den Machtgewinn der Union islamischer Gerichte mit Besorgnis. Die Union war eine lose Koalition islamischer Gerichtshöfe, die in unterschiedlich strenger Ausprägung die Schari'a durchsetzten, und war mit dem in Mogadischu mächtigen Clan der Habar-Gedir-Hawiye, insbesondere mit deren Unterclan der Ayr, verbunden. Sie umfasste ein breites Spektrum von gemäßigten Geistlichen bis zu Wahhabiten und Mitgliedern der früheren al-Ittihad.[8] Die USA unterstützten zeitweise die Allianz für die Wiederherstellung des Friedens und gegen den Terrorismus, einen losen Zusammenschluss von Kriegsherren gegen die Union. Diese Unterstützung für die weitgehend unbeliebten Kriegsherren vergrößerte jedoch möglicherweise die Zustimmung in der Bevölkerung für die Union islamischer Gerichte eher noch.[37] Als Mitte 2006 die Konflikte zwischen den ARPCT- und anderen Kriegsherren und der Union eskalierten, vertrieb die Union binnen kurzer Zeit die Kriegsherren und übernahm die Macht in Mogadischu und weiteren Teilen Südsomalias.[9] Dort konnte sie die Sicherheitslage für die Bevölkerung deutlich verbessern und zum Teil erstmals seit Kriegsbeginn wieder ein gewisses Maß an Recht und Ordnung herstellen. Auch der Handel erlebte einen Aufschwung, und der Hafen und der Flughafen von Mogadischu wurden wieder eröffnet. Gewisse Maßnahmen der islamischen Gerichtshöfe wie Verbote von Kinos, Tanz, Musik und Kat, öffentliche Auspeitschungen und vermehrter Druck auf Frauen, Gesichtsschleier zu tragen (was in Somalia traditionell nicht üblich ist), sorgten allerdings auch für Unmut in der Bevölkerung.[8]

Zugleich begann die Union, die Übergangsregierung in Baidoa zu bedrohen. An den Grenzen zwischen den Machtbereichen von Übergangsregierung und Union kam es weiterhin zu Kämpfen, wobei die Übergangsregierung weiter zurückgedrängt wurde. Innerhalb der Union kam es zu Machtkämpfen, wobei zusehends radikale Kräfte die Oberhand gewannen. Diese erhoben auch Ansprüche auf die Somali-Region Äthiopiens – die von Somali-Nationalisten und vom somalischen Staat als Teil eines Groß-Somalia beansprucht worden war – und riefen zum Dschihad gegen die Übergangsregierung, gegen Äthiopien und die USA auf. Zudem erhielt die Union Unterstützung vom mit Äthiopien verfeindeten Eritrea und beherbergte Teile der separatistischen Gruppierungen Ogaden National Liberation Front und Oromo-Befreiungsfront.[8][10][38]

Eingreifen Äthiopiens

Äthiopien beobachtete diese Entwicklungen mit Sorge, da es ein Übergreifen auf die Somali-Region und eine islamistische Vereinnahmung seiner eigenen muslimischen Bevölkerung fürchtete. Vordergründig um die somalische Übergangsregierung zu schützen, stationierte es zunächst „Militärbeobachter“ in Somalia. Dies sorgte innerhalb der Übergangsregierung für Uneinigkeit, da Teile der Übergangsregierung dieses äthiopische Eingreifen ablehnten.[39]

Am 24. Dezember 2006 erklärte Äthiopien der Union islamischer Gerichte den Krieg.[40] Die USA, für die Äthiopien ein wichtiger regionaler Verbündeter im „Krieg gegen den Terror“ ist,[41] billigten und unterstützten diese Intervention. Umstritten ist, ob die USA Äthiopien dazu veranlassten oder ob sie selbst der Intervention skeptisch gegenüberstanden, Äthiopien aber gewähren ließen.[10]

Unterstützt durch Bombardements der äthiopischen Luftwaffe drangen Truppen Äthiopiens und der somalischen Übergangsregierung im Süden des Landes vor. Am 27. Dezember verließ die Union islamischer Gerichte Mogadischu und zog sich großteils nach Süden in die Hafenstadt Kismaayo zurück.[42] Von dort wurde sie weiter bis in den äußersten Süden Somalias nahe der kenianischen Grenze abgedrängt. Am 10. Januar 2007 griffen auch US-amerikanische Kampfflugzeuge Städte in jenem Gebiet an. Laut US-Angaben waren das Ziel al-Qaida-Terroristen.[43] Weitere Luftangriffe führten die USA im Juni 2007 in Bargaal im Nordosten Somalias, Anfang 2008 wiederum im Süden in Dhobley[44] und am 1. Mai 2008 in Dhuusamarreeb durch.

Weitere Kämpfe 2007 bis 2008

Derweil zog die Übergangsregierung erstmals in Mogadischu ein. Dabei wurde sie weiterhin von schätzungsweise 55.000 äthiopischen Soldaten unterstützt. Die afrikanische Friedenstruppe African Union Mission to Somalia (AMISOM), die die umstrittene äthiopische Militärpräsenz ersetzen sollte, erreichte nie ihre geplante Truppenstärke: Von vorgesehenen 8000 Soldaten sind bislang rund 4000 zugesagt und etwa 2000 (aus Uganda und Burundi) stationiert. Der Vorschlag, eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen zu entsenden, wurde bislang wegen der schwierigen Lage vor Ort und der Erfahrungen von 1992–1995 zurückgewiesen.

In Mogadischu kam es zu Angriffen auf die Truppen Äthiopiens und der Übergangsregierung, die sich bald zum offenen Krieg ausweiteten. Zu den Aufständischen gehörten militante Islamisten und Angehörige des Hawiye-Clans – von denen manche den sofortigen Abzug Äthiopiens verlangten, während andere weitergehende politische Ziele verfolgten – und diverse andere Akteure, die an einer stabilen Regierung kein Interesse haben.[45] Vor allem im März/April, Juli/August (während der Nationalen Versöhnungskonferenz, die bescheidene Resultate erbrachte) und November 2007 gab es heftige Zusammenstöße, die insgesamt etwa 700.000 Menschen in die Flucht trieben. Gemäß einem Bericht von Human Rights Watch haben dabei sowohl die äthiopischen und Übergangsregierungs-Truppen als auch die Aufständischen durch Vorgehen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Kriegsverbrechen begangen.[46] Amnesty International kam ebenfalls zu dem Schluss, dass Zivilisten in Süd- und Zentralsomalia schweren Übergriffen von allen Seiten ausgesetzt seien.[47]

2008 griffen die Gegner Äthiopiens und der Übergangsregierung vermehrt und mit Erfolg kleinere Städte im Süden und Zentrum Somalias an.[48] Teile der Union islamischer Gerichte begaben sich zusammen mit weiteren Gegnern der Übergangsregierung ins Exil nach Eritrea und gründeten die Allianz für die Wiederbefreiung Somalias (ARS) mit dem Hauptziel, die äthiopische Militärpräsenz zu beenden. Friedensgespräche zwischen der Übergangsregierung und gemäßigten Vertretern dieser Allianz in Dschibuti führten zu Vereinbarungen über eine Machtteilung und den Abzug der äthiopischen Truppen.[49] Radikale Vertreter der ARS und die islamistische Jugendmiliz al-Shabaab, die aus dem militanten Flügel der Union islamischer Gerichte hervorgegangen ist, lehnten diese Verhandlungen jedoch ab und erhöhten ihre militärische Aktivität gegen Äthiopien und die Übergangsregierung. Dabei drangen sie kurzzeitig bis in die äthiopische Grenzstadt Ferfer vor.[50] Namentlich im westlichen Teil Südsomalias (Jubaland) und in der zentralsomalischen Region Hiiraan übernahmen sie die Kontrolle, während die Übergangsregierung nur mehr die Stadt Baidoa und den Hafen, den Flughafen, den Präsidentenpalast und einige Militärlager in Mogadischu sicher kontrollierte.[51]

Lage 2009

Karte der politischen Lage in Somalia

Entsprechend den Friedensvereinbarungen zogen die äthiopischen Truppen im Januar 2009 aus Somalia ab. Kurz zuvor trat Präsident Abdullahi Yusuf Ahmed von seinem Amt zurück, nachdem er zuletzt stark kritisiert worden war und sich mit Ministerpräsident Nur Hassan Hussein überworfen hatte. Er kehrte in seine Heimatregion Puntland zurück, wohin ihm auch zu ihm loyale Truppen der Übergangsregierung gefolgt sein sollen. Truppen des gemäßigten Teils der ARS sollten das Sicherheitsvakuum nach dem Abzug der Äthiopier füllen. Das Übergangsparlament, erweitert um Mitglieder der ARS, wählte den Allianz-Vertreter Sharif Sheikh Ahmed zum neuen Präsidenten. Die radikal islamistische al-Shabaab, die die Führung innerhalb des politischen Islam in Somalia beansprucht, kämpfte jedoch weiter gegen die Übergangsregierung und für die vollständige Durchsetzung einer strengen Auslegung der Schari'a und eroberte auch den bisherigen Regierungssitz Baidoa. Zugleich trat eine neue, gemäßigt-islamistische Gruppierung namens Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ) in Erscheinung und begann die al-Shabaab zu bekämpfen.[52] Sie repräsentiert die traditionell in Somalia vorherrschende, vom Sufismus geprägte Form des Islam, die von den radikaleren Strömungen bedrängt wird.[12]

Ende Juni 2009 rief Präsident Sharif Sheikh Ahmed den Ausnahmezustand wegen der wachsenden Gewalt aus.[53] Das somalische Parlament ist wegen der Flucht einer großen Zahl von Abgeordneten praktisch nicht mehr beschlussfähig.[54]

Lage 2010

Auf einem Treffen Ende Januar 2010 in Baidoa verabschiedeten die Milizenführer von Al Shabaab Mohamed Abdi Godane und Sheikh Muktar Robow sowie weitere islamistische Gruppierungen (z. B. Kamboni) eine Proklamation, in der der Dschihad in Somalia als Teil des Dschihads der Al Qaida erklärt wurde. Ziel sei es, einen Gottesstaat am Horn von Afrika zu errichten.[55]

Zur Unterstützung der somalischen Übergangsregierung beschloss die EU, ab Mai 2010 etwa 2000 somalische Soldaten durch EU–Militärberater zu trainieren. An der ″EU training mission Somalia (EUTM Somalia)″ in Uganda werden auch Militärberater der Bundeswehr beteiligt sein.[56]

Die Al-Shabaab-Milizen starteten am 23. August 2010 eine massive Offensive in der Hauptstadt Mogadischu. Bei einem Angriff auf das Hotel Muna am 24. August 2010 wurden mindestens 30 Menschen, vor allem Parlamentsabgeordnete und Regierungsmitarbeiter getötet.[57]

Folgen

Binnenvertriebene bei Merka, Südsomalia

Anfang 2009 waren etwa 1,3 Millionen Menschen in Somalia intern vertrieben, rund 700.000 davon aufgrund der Kämpfe in Mogadischu seit 2007. 3,5 Millionen waren auf humanitäre Hilfe angewiesen.[10]

Weitere Hunderttausende flohen in Flüchtlingslager in den Nachbarländern, in die Staaten der Arabischen Halbinsel, nach Nordamerika oder Europa. Ein großer Teil der somalischen Bevölkerung ist zum Überleben auf die Geldüberweisungen im Ausland lebender Verwandter angewiesen.

Zugleich haben sich Teile der Wirtschaft Somalias und der Bevölkerung auf den Zustand ohne funktionierende Regierung eingerichtet. Geschäftsleute profitieren davon, keine Steuern bezahlen zu müssen, und manche leben von illegalen Aktivitäten (wie etwa Verkauf importierter abgelaufener Medikamente, Export von Holzkohle und Altmetall, Waffenhandel). Viele junge Männer leben als Kämpfer, die sich gegen Bezahlung rekrutieren lassen oder als sogenannte Freelancer ihren Lebensunterhalt durch Raub und Plünderung bestreiten, und verfügen kaum über Qualifikationen, die ihnen in Friedenszeiten eine Existenz sichern würden. Manche dieser Akteure greifen deshalb auch aktiv in den Bürgerkrieg ein, um in eigenem Interesse eine Stabilisierung der Lage zu verhindern.[45][14] Eine Studie kam gar zu dem Schluss, dass verschiedene Sozial- und Wirtschaftsindikatoren des Landes für den Zeitraum 2000 bis 2005 (Bürgerkrieg und keine funktionierende Zentralregierung, aber in weiten Landesteilen wenig Kämpfe) weiterhin sehr schlecht gewesen seien, aber besser als 1985 bis 1990 (Endphase der Barre-Diktatur mit verbreiteter Korruption und schlechter Wirtschaftslage).[58]

Siehe auch

Literatur

  • Abdirizak Sheikh, Mathias Weber: Kein Frieden für Somalia? 2. Aufl. Frankfurt 2010, ISBN 978-3-934517-11-0.
  • Ioan M. Lewis: Understanding Somalia and Somaliland: Culture, History and Society, 2008. ISBN 978-1-85065-898-6 (englisch)
  • Ken Menkhaus: Somalia: ‘They Created a Desert and Called it Peace(building)’, in: Review of African Political Economy Vol. 36, No. 120, 2009 (engl.)
  • Verena „Vre“ Karrer; Elisabeth von Bäschlin (Hrsg.): Und grüsse euch mit dem Lied des Regenvogels, eFeF 2003. ISBN 3-905561-50-6 (Berichte einer Schweizerin, die in Merka humanitär tätig war, bis sie 2002 von Unbekannten ermordet wurde)
  • Abdirizak Sheikh, Mathias Weber: Kein Frieden für Somalia?, Frankfurt 2005. ISBN 3-934517-03-X
  • Mathias Weber: Der UNO-Einsatz in Somalia, M.W. Verlag, Denzlingen 1997, ISBN 3-9805387-0-2

Weblinks

 Commons: Somalischer Bürgerkrieg – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ioan M. Lewis: A Modern History of the Somali, 4. Auflage, Oxford u. a. 2002, S. 263. ISBN 978-0-85255-483-8
  2. Für eine Zusammenfassung dieser Debatte vgl. Norwegian Refugee Council, HABITAT, UNHCR: Land, Property, and Housing in Somalia, 2008, S. 46–48.
  3. a b Ken Menkhaus: Bantu ethnic identities in Somalia, in: Annales d'Ethiopie, No 19, 2003.
  4. a b Alex de Waal, 2007: Class and Power in a Stateless Somalia.
  5. Mohamed Haji Mukhtar: The Plight of the Agro-Pastoral Society of Somalia, in: Review of African Political Economy, 1996.
  6. a b Norwegian Refugee Council, HABITAT, UNHCR: Land, Property, and Housing in Somalia, 2008, S. 100–105 sowie S. 168 f.
  7. Ioan M. Lewis: Understanding Somalia and Somaliland: Culture, History and Society, 2008, ISBN 978-1-85065-898-6 (S. 21)
  8. a b c d Lewis 2008 (S. 85–90)
  9. a b Ken Menkhaus: Zum Verständnis des Staatsversagens in Somalia: interne und externe Dimensionen und Dirk Spilker: Somalia am Horn von Afrika. Nationale und regionale Konfliktlinien in Vergangenheit und Gegenwart, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Somalia – Alte Konflikte und neue Chancen zur Staatsbildung, 2008 (PDF)
  10. a b c d Ken Menkhaus: Somalia: ‘They Created a Desert and Called it Peace(building)’, in: Review of African Political Economy Vol. 36, No. 120, 2009
  11. Behind Somalia's Islamist rivalry, in: BBC News, 1. Oktober 2009. Abgerufen am 9. Oktober 2009. (engl.)
  12. a b Jeffrey Gettleman: For Somalia, Chaos Breeds Religious War, in: New York Times, 23. Mai 2009. Abgerufen am 1. Juni 2009. (engl.)
  13. Human Rights Watch, 2008: Collective Punishment. War Crimes and Crimes against Humanity in the Ogaden area of Ethiopia’s Somali Region[1] (engl.)
  14. a b c d e f Ken Menkhaus: Zum Verständnis des Staatsversagens in Somalia: interne und externe Dimensionen, in: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Somalia – Alte Konflikte und neue Chancen zur Staatsbildung, 2008 (PDF)
  15. Who supports who?, in: BBC News, 26. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  16. [2], in: Garowe Online, 4. Mai 2009. Abgerufen am 5. Mai 2009. (engl.)
  17. Jeffrey Gettleman: Radical Islamists Slip Easily Into Kenya, in: New York Times, 21. Juli 2009
  18. Youth lured to fight in Somalia, in: Garowe Online: 7. November 2009
  19. Kenya admits to secret police training for Somalia, in: Garowe Online, 24. Oktober 2009
  20. Human Rights Watch: Kenya: Stop Recruitment of Somalis in Refugee Camps, 22. Oktober 2009
  21. Mark Bradbury: Becoming Somaliland, 2008, ISBN 978-1-84701-310-1 (S. 46–47, 77...)
  22. Lewis 2008 (S. 67–74, 78)
  23. Lewis 2002 (S. 262–264)
  24. Department of Public Information, United Nations, 1997: Somalia – UNOSOM I
  25. Verena „Vre“ Karrer; Elisabeth von Bäschlin (Hrsg.): Und grüsse euch mit dem Lied des Regenvogels, eFeF 2003. ISBN 3-905561-50-6
  26. Lewis 2002 (S. 267–275)
  27. Lewis 2008 (S. 78–80)
  28. Lewis 2002 (S. 275–281)
  29. a b Ken Menkhaus: Somalia: A Situation Analysis, 2000[3] (engl., PDF)
  30. Michael Stührenberg: Die tägliche Apokalypse, in: GEO 02/2003
  31. Lewis 2002 (S. 277, 280)
  32. Lewis 2002 (S. 280f.), Lewis 2008 (80f.)
  33. Ken Menkhaus: Somalia: A Situation Analysis and Trend Assessment, 2003[4] (engl., PDF)
  34. Lewis 2008 (S. 77, 100–103)
  35. Lewis 2008 (S. 81–85)
  36. Martin Plaut: US fails to break Somali Islamists, in: BBC News, 1. Januar 2009. Abgerufen am 2. Januar 2009. (engl.)
  37. Mark Mazzetti: Efforts by C.I.A. Fail in Somalia, Officials Charge, in: New York Times, 8. Juni 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  38. Thomas Scheen: Somalia ohne Hoffnung, in: FAZ.net, 14. Januar 2007. Abgerufen am 10. Oktober 2009.
  39. Der heilige Krieg am Horn von Afrika, in: Tages-Anzeiger, 16. Oktober 2006.
  40. Äthiopien erklärt den Krieg, in: tagesanzeiger.ch, 24. Dezember 2006. abgerufen am 20. November 2008.
  41. Mark Mazzetti: U.S. Signals Backing for Ethiopian Incursion Into Somalia, In: New York Times, 27. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  42. Mogadishu crowds greet Somali PM, in: BBC News, 29. Dezember 2006. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  43. US-Luftwaffe fliegt neue Angriffe auf Qaida-Stellungen, in: Spiegel Online, 10. Januar 2007. Abgerufen am 20. November 2008.
  44. Timeline: Somalia, in: BBC News, 20. November 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  45. a b Nina Brenjo: Somalia: Profiting from misery, in: Reuters AlertNet, 27. April 2007. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  46. Human Rights Watch, 2007: Shell-Shocked. Civilians Under Siege in Mogadishu[5] (engl.)
  47. Amnesty International, 2008: Routinely Targeted. Attacks on Civilians in Somalia[6] (engl., PDF)
  48. Jeffrey Gettleman: Somali Town Falls to Insurgent Raid, in: New York Times, 1. April 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  49. Move to probe Somali atrocities, in: BBC News, 24. November 2008. Abgerufen am 22. Dezember 2008. (engl.)
  50. Alisha Ryu: Peace Accord Brings More Violence to Somalia, in: VOA News, 13. Juni 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  51. Mohamed Mohamed: Somalis grow fearful of Islamists, in: BBC News, 12. November 2008. Abgerufen am 20. November 2008. (engl.)
  52. Mohamed Olad Hassan: New year heralds new Somali fears, in: BBC News, 30. Dezember 2008. Abgerufen am 2. Januar 2009 (engl.)
  53. Deutsche Welle: Somalia im Ausnahmezustand vom 24. Juni 2009
  54. Nachrichten.ch: Somalias Parlamentarier fliehen aus dem Land vom 25. Juni 2009
  55. http://www.somalia-aktuell.de/
  56. http://news.bbc.co.uk/2/hi/8607182.stm
  57. http://www.tagesschau.de/ausland/somalia264.html
  58. Peter T. Leeson: Better Off Stateless: Somalia Before and After Government Collapse[7] (engl., PDF)

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