Stalag VI F

Stalag VI F

Das Stammlager VI F war ein Lager für Kriegsgefangene während des Zweiten Weltkrieges in Bocholt, ab Ende 1944 in Münster.

Inhaltsverzeichnis

Die Stammlager im Wehrkreis VI (Münster)

Im Deutschen Reich bestanden 17 Wehrkreise, die mit römischen Ziffern bezeichnet waren. Die Stammlager (Stalags) trugen die Ziffer ihres Wehrkreises und in der Reihenfolge ihrer Aufstellung einen Großbuchstaben. Im Wehrkreis VI (Münster) bestanden die Lager VI A Hemer, VI B Neu Versen (bei Meppen), VI C Bathorn (in der Grafschaft Bentheim), VI D Dortmund (Westfalenhalle), VI F Bocholt, VI G Bonn (Duisdorf), VI H Arnoldsweiler (im Kreis Düren), VI J Fichtenhain (bei Krefeld) und VI K Senne (bei Paderborn). Grundsätzliche Regelungen über Aufbau, Organisation und Funktion der Gefangenenlager regelte das Oberkommando der Wehrmacht in speziellen Dienstvorschriften.

Lager der „Österreichischen Legion“

Das Kriegsgefangenenmannschaftsstammlager VI F befand sich auf einem heute zum Stadtwald gehörenden Gelände Bocholts, das ursprünglich dem Bocholter Reit- und Fahrverein e. V. gehört hatte. 1934 wurde dort durch die NSDAP, Hilfswerk Nordwest, ein Auffanglager für rund 1.000 nach dem Juliputsch aus Österreich geflohene Nationalsozialisten errichtet, die sogenannte „Österreichische Legion“, das die SA 1940 in einer Dokumentation als „schönes, wenn nicht gar schönstes Lager, was jemals Legionäre bewohnten“, bezeichnete, [1] . Durch die SA-Leute im Lager wurden das Kolpingdenkmal vor der St.-Georg-Kirche in Bocholt beschädigt und der Bocholt-Besuch von Clemens August Kardinal von Galen aus Münster gestört.

Nach dem Anschluss Österreichs 1938 an das Deutsche Reich, kehrten die Lagerbewohner nach Österreich zurück. Die NSDAP verkaufte die Lagerbauten an die Wehrmacht. Nach Abschluss eines Garnisonsvertrages mit der Stadt Bocholt und Einrichtung eines Schießstandes sollte das Lager für die Unterbringung und Ausbildung kurzfristig dienender Rekruten genutzt werden. Tatsächlich wurde das Lager 1938 bis 1939 als Übungslager des Reichsarbeitsdienstes mit einer Aufnahmekapazität von bis zu 3.000 Personen genutzt.

Einrichtung als Stammlager

Beginnend mit dem Ende des Jahres 1939 trafen Kriegsgefangene aus Polen, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und dem Senegal im Lager ein, das vermutlich im Laufe des Jahres 1940 als „Stalag VI F“ für kriegsgefangene Mannschaftsdienstgrade und Unteroffiziere eingerichtet wurde. Gefangene Soldaten der Mannschaftsdienstgrade konnten nach dem Genfer Kriegsgefangenenabkommen von 1929 von der Gewahrsamsmacht zu Arbeiten aller Art außer in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden. Für die Kriegswirtschaft war dieses Arbeitskräftereservoir von erheblicher Bedeutung, zumal das Beschäftigungsverbot in der Rüstungsindustrie im Verlauf des Krieges kaum noch beachtet wurde. Das Lager war eine zentrale Einrichtung für die Versorgung der Schwerindustrie mit Arbeitskräften. Die Kriegsgefangenen, darunter seit 1941 auch Russen, wurden zum Arbeitsdienst bis ins Ruhrgebiet eingesetzt. Am 20. November 1941 bestimmte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) das Stammlager VI F als „allgemeines Bergbau-Aufnahmelager“. [2]

Das Lager galt bei Begehungen durch das Rote Kreuz 1940 als „eines der besten Lager“ und 1943 noch als „relativ erträglich“. 1941 wurde das Lager durch Notbaracken erheblich vergrößert. Ende 1941 starben 1.736 russische Kriegsgefangene durch Fleckfieber, Hunger und Gewalt. Sie fanden in namenlosen Gräbern auf einem eigenständigen Friedhof an der Vardingholter Straße in Bocholt die letzte Ruhestätte. Später konnten die Namen von 1.333 Verstorbenen geklärt werden. [3]

Für den heutigen Kreis Borken belief sich die Zahl der namentlich bekannten Kriegsgefangenen auf etwa 10.000 Menschen. Sie waren verteilt auf 220 Lager, von denen das Stalag VI F eine zentrale Rolle spielte. Von hier aus wurden die Kriegsgefangenen in die verschiedenen Arbeitskommandos oder zu anderen Arbeitgebern verschickt.

Außenlager

Eines der Außenlager war das „Lager Hammerstein Stalag VI F Bocholt 108” in der Hückeswagener Ortschaft Hammerstein bei Kräwinklerbrücke. Es wurde in der ehemaligen Streichgarnfabrik der Lenneper Fabrikanten Engels & Oelbermann eingerichtet. Dorthin wurden ab 1940 polnische und französische Kriegsgefangene und ab 1941/42 auch sowjetische Kriegsgefangene gebracht. Viele dieser Kriegsgefangenen, die aus einem Gefangenenlager in Stablack im ehemaligen Ostpreußen kamen und nach Bocholt verlegt werden sollten, wurden bereits in Wuppertal ausgeladen und ins Lager Hammerstein gebracht, da sie laut Augenzeugen nicht mehr transportfähig waren. Sie befanden sich bei ihrer Ankunft in einem sehr schlechten körperlichen Zustand, sie waren unterernährt und hatten Fleckfieber. Wie viele Menschen in dem Lager im Laufe der Zeit untergebracht worden sind, ist unklar. Aussagen von Zeitzeugen, die von einer Anzahl bis zu 6.500 ausgehen, sind nicht zu belegen. Legt man offizielle Angaben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu Grunde und vergegenwärtigt man sich die Situation vor Ort in der Ortschaft Hammerstein, so hat es sich maximal um mehrere hundert Menschen gehandelt, die sich gleichzeitig in dem Lager befanden.  [4], [5]

Ab Dezember 1942 ging die Verwaltung größerer Kriegsgefangenenlager in Wuppertal auf das Stalag VI J in Fichtenhain über. Ob das allerdings für das Lager Hammerstein gilt, ist unklar. [6]

Lagerkommandanten

Kommandant des Lagers war ab Mai 1942 Oberstleutnant Hans Jauch, der mit Schließung des Bocholter Lagers 1944 als Oberst seinen Abschied nahm. Jauch war in seiner Eigenschaft als Kommandant des Stalag VI F nach dem Krieg Zeuge der Verteidigung in dem Strafverfahren (Krupp-Prozess) gegen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wegen des rechtswidrigen Einsatzes von Kriegsgefangenen zur Rüstungsproduktion. Die Gefangenen des Stalags wurden in der Essener Region eingesetzt. Er vertrat den Standpunkt, dass im Zeichen des totalen Krieges in Firmen wie Krupp eine strikte Trennung des Einsatzes von Kriegsgefangenen in der Zivilproduktion statt in der Kriegsproduktion objektiv unmöglich war. Er war der Auffassung, dass das OKW, wenn man sich strikt an die Genfer Konventionen hätte halten wollen, generell davon hätte absehen müssen, Kriegsgefangene Firmen wie Krupp zur Verfügung zu stellen. [7]

Verwendung nach dem Zweiten Weltkrieg

Am 18. September 1944 wurde das Lager wegen der nahenden Front aufgelöst und nach Münster (Hoher Heckenweg) verlegt, [8] Belegstärke etwa 5.000 sowjetische Kriegsgefangene. [9]

In der Folge wurde es bis August 1951 zu einem „Wohnlager für Ausländer“, sogenanntes „DP-Lager“ für Displaced Persons, heimatlose oder zwangsverschleppte Ausländer. Es diente in dieser Zeit zur Rückführung von Ausländern verschiedener Nationalitäten, aber auch 1946 zur Internierung von 2.500 Littauern, Letten und Esten, die als Mitglieder von SS-Einheiten in Dänemark gefangen genommen worden waren.

Ende 1952 wurde das Lager eingerichtet als Hauptdurchgangslager für Flüchtlinge aus der Sowjetzone, Ende 1956 für Flüchtlinge des Ungarnaufstandes genutzt.

Das Mahnmal

1985 kaufte die Stadt Bocholt das Lager zur Erweiterung des Freizeitgeländes Stadtwald. Die Baulichkeiten wurden abgerissen und 1987 wurde ein Mahnmal von ehemaligen Kriegsgefangenen aus dem Lager im Bocholter Stadtwald enthüllt. Das Mahnmal ist Opfer von Vandalismus geworden. Der Kulturausschuss der Stadt Bocholt hat hierzu verlautbart:

„Die Gleichgültigkeit gegen den historischen und künstlerischen Wert der Gedenkstätte im Bocholter Stadtwald, die durch Zerstörung und Diebstahl am Text der zwei Gedenksteine festzustellen ist, knüpft sich nahtlos an - ohne jedoch damit in einen Vergleich gesetzt zu werden - an die Gleichgültigkeit, die man in früheren Jahrzehnten gegenüber den im Stadtwaldlager oft zwangsweise untergebrachten Menschen gezeigt hat.“

Literatur

  • Otto Bokisch, Gustav A. Zirbs: Der österreichische Legionär, Wien 1940 (besonders S. 123-140)
  • Winfried Grunewald, Winfried und Ingeborg Höting, Zwangsarbeit im Westmünsterland, Dokumente, Akten, Aussagen., Schriftenreihe des Kreises Borken XVII, Borken 2004 (mit Spezialinventar der Quellen und ausführlichem Literaturverzeichnis).
  • Hans D. Oppel, Zur Geschichte des Stadtwaldlagers, in: Unser Bocholt Jg. 38 (1987) H. 4, S. 31-41.
  • Wilfried Egerland, Norbert Bangert, Ralf Lochmann, Ralph Vesper, „Wasser können sie trinken ..., morgen sind sie tot!“ Lager Hammerstein 1933 - 1945, Schriftenreihe des Vereins für Bergische Zeitgeschichte e. V.

Weblinks

51.856156.65187Koordinaten: 51° 51′ 22″ N, 6° 39′ 6″ O

Einzelnachweise

  1. Otto Bokisch, Gustav A. Zirbs: Der österreichische Legionär, Wien 1940, S. 123
  2. Reinhard Otto: „Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42“. 1988, ISBN 9783486645774, S. 325.
  3. www.bdwo.de
  4. www.wuppertalsperre.net
  5. Wilfried Egerland, Norbert Bangert, Ralf Lochmann, Ralph Vesper: „Wasser können sie trinken..., morgen sind sie tot!“ – Lager Hammerstein 1933 - 1945
  6. Klaus Goebel: „Wuppertal in der Zeit des Nationalsozialismus“. 1984, S. 194.
  7. United Nations War Crimes Commission: Law reports of trials of war criminals . 1997, ISBN 978-1-57588-403-5, S. 94.
  8. Gisela Schwarze: „Gefangen in Münster: Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Zwangsarbeiterinnen 1939 bis 1945“. 2008, ISBN 9783884748251, S. 173.
  9. www.muenster.de

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