Theresienstadt (Film)

Theresienstadt (Film)
Filmdaten
Originaltitel Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1945
Stab
Regie Kurt Gerron, Karel Pečený
Drehbuch Kurt Gerron
Kamera Karel Pečený, Ivan Frič
Schnitt Ivan Frič
Besetzung

Insassen des Ghettos Theresienstadt

Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet ist ein im Stil des Dokumentarfilms in der Zeit des Nationalsozialismus produzierter Propagandafilm, der vom August bis September 1944 gedreht wurde. Er sollte die angeblich guten Lebensverhältnisse im Ghetto Theresienstadt im heutigen Terezín darstellen und damit die Vernichtungspolitik des NS-Regimes verschleiern. Im März 1945 wurde der Film in Prag erstmals aufgeführt.

Inhaltsverzeichnis

Handlung (Fragment)

Der Film zeigt ein scheinbar normales Leben der Juden im Ghetto Theresienstadt und folgt einem schematisierten Tagesablauf. Es werden unter anderem Arbeitsszenen verschiedener Handwerker mit dem Hinweis „sie können in Theresienstadt ihren Berufen nachgehen“ gezeigt; auch Künstler („Ein Bildhauer beim Entwurf einer Brunnenanlage“) haben Arbeit. Eine Barackenstadt wird als „Arbeitszentrum“ deklariert. Während Szenen in einer Großraumnäherei wird die kontinuierliche „Eingliederung von Arbeitswilligen unter Anleitung von Fachkräften“ behauptet.

Nach dem „Feierabend“ sei „die Freizeitgestaltung jedem Einzelnen überlassen“ und dabei besonders beliebt und von vielen Zuschauern besucht das „Fußballwettspiel auf dem Hof einer ehemaligen Kasernenanlage“. Mit der Bemerkung „Ein Dampfbad steht der Bevölkerung zur Verfügung“ sieht man nackte, duschende Männer. Gezeigt werden auch die „Zentralbücherei mit reichhaltiger wissenschaftlicher Literatur“, eine „gut besuchte Vortragsreihe über wissenschaftliche und künstlerische Themen“, sowie eine „musikalische Darbietung eines Werkes eines in Theresienstadt lebenden jüdischen Komponisten“ durch ein Orchester. Kleingärtnerei innerhalb der Festung Theresienstadt wird als „Schrebergärten der Familien, in denen es ständig zu jäten und zu gießen gibt, die jedoch einen willkommenen Zuschuss für die Küche bringen“ bezeichnet.

Szenen eines offensichtlichen Lagers mit Holzdoppelstockbetten sind von der Bemerkung: „Alleinstehende Frauen und Mädchen machen es sich in ihrem Frauenheim gemütlich.“ begleitet.

Hintergrund der Filmproduktion

Als teilsouveränes Protektorat sah sich auch Dänemark der Verfolgung der Juden gegenüber gestellt. Die Protektoratsregierung Dänemarks forderte Aufklärung über die Verschleppung von etwa 450 dänischen Juden, die zum größten Teil in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden waren. Schließlich erteilte Adolf Eichmann im Dezember 1943 den Delegationen der dänischen Regierung sowie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz am 23. Juni 1944 die Erlaubnis, das Ghetto Theresienstadt zu besuchen.[1]

Diesem von der dänischen Regierung verlangten Besuch war monatelang eine Reihe von Verschönerungsmaßnahmen vorangegangen. Im Mai 1944 wurden 7.500 Menschen nach Auschwitz deportiert, um das Ghetto, welches durchschnittlich mehrere zehntausend Menschen beherbergte und dabei für nur 7.000 konzipiert war, weniger überfüllt aussehen zu lassen. Es wurde eine Fassade errichtet, die das tatsächliche Leid der Bewohner Theresienstadts kaschierte, was dazu führte, dass die ausländischen Delegierten positive Berichte einreichten. Diese bewirkten, dass das Internationale Komitee vom Roten Kreuz keine anderen Lager im Osten inspizierte.

Die Entscheidung zum Dreh des Filmes fiel wohl kurze Zeit nach dem Besuch der Delegationen, also dem 23. Juni 1944. Als Auftraggeber gilt SS-Sturmbannführer Hans Günther, Leiter des Prager „Zentralamts zur Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren“ Die Produktion begann ungefähr sieben Wochen nach dem Besuch der Delegationen. Ein verbreiteter Fehlglaube ist, dass Joseph Goebbels dabei eine tragende Rolle, wenn nicht die Führungsposition innegehabt habe. Tatsächlich hatte der Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, eine gewisse Entscheidungskraft in seiner Position gebündelt. Er trug die Verantwortung der NS-Propaganda im Protektorat Böhmen und Mähren. Daraus resultierten Spannungen mit dem Reichspropagandaministerium Goebbels. Diese wurden 1941 in der Goebbels-Heydrich-Abmachung beigelegt, in der festgelegt wurde, dass jegliche Propaganda ausschließlich über seine Person laufen durfte. Eine Vorbehaltsklausel schloss dabei jedoch SS-Aktivitäten aus. Somit wurde der gesamte Film ein Projekt der SS, von dem das Reichspropagandaministerium gänzlich ausgeschlossen blieb.

Die Lagerkommandantur unter Lagerkommandant Karl Rahm verpflichtete den einige Monate später im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordeten Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron mit der Bildung eines Produktionsstabs. Gleichzeitig nahm Gerron die Rolle des "Spielleiters" ein, nach außen die Position des Regisseurs, dessen Einflusskraft freilich arg beschnitten wurde. Augenzeugen berichten, dass Gerron tagtäglich von SS-Männern beobachtet wurde, die ihm überall hin folgten und selbst die Einstellung der Kamera genauestens inspizierten. Allem Anschein nach wollte man kein unnötiges Risiko allzu freier künstlerischer Bearbeitung eingehen. Das Kamerateam stammte von der Prager Wochenschau-Gesellschaft Aktualita, die damals von Karel Pečený geleitet wurde. Gerron fertigte zwei Versionen eines Drehbuchs und ein bis zwei Tagesberichte über die insgesamt elf Drehtage an, die heute noch erhalten sind. Das Material wurde ohne seine Aufsicht in Prag geschnitten. Am 28. März 1945 wurde der Film fertiggestellt.

Im Film treten mehrere hundert Statisten auf, darunter auch Prominente, die sich der Welt als noch lebend zeigen sollten. Bei einigen Personen sind dies die letzten Bildnisse vor ihrem Tod.

Die Musik zum Film wurde teils unter Gerrons Leitung (oder zumindest in seiner Anwesenheit) im August und September 1944 (beispielsweise das von Karel Ancerl dirigierte Orchester oder die Jazzband "Ghetto-Swingers" und die Kinderoper Brundibar) und teils unter Peter Deutsch, einem dänischen Komponisten, aufgenommen.

Propagandistische Wirkung

Ursprünglich dafür konzipiert, im Ausland den umgehenden Gerüchten über den planmäßig ablaufenden Holocaust entgegenzuwirken, wären wohl zahlreiche Kopien des Filmes an internationale Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, neutrale Staaten und den Vatikan versandt worden. Da aber nach der Fertigstellung des Filmes am 28. März sowohl Wege als auch Mittel einer Kommunikation mit dem Ausland verwehrt blieben, fand der Film dort auch keine Beachtung.

Zu diesem Zeitpunkt hätte ein derartiger Propagandafilm keine nennenswerte Wirkung erzielt, zumal bereits im Mai/Juni 1944 ein ausführlicher Bericht über die organisierte Tötungsmaschinerie in Auschwitz das Ausland erreichte. Im Bewusstsein der Existenz der Gaskammern hätte wohl dementsprechende euphemistischen Propaganda nicht das geringste erzielt. Schließlich legte auch die stets fortschreitende Ostfront all jene kaschierten Tragödien frei, die das Ausland bis dato allein als Zeugen-Bekundungen erreichten.

Erhaltungszustand

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verschwand die 38 Sequenzen umfassende Endfassung des Films. Er ist heute nur fragmentarisch erhalten; es liegen nur eine Reihe von zum Teil auch unvollständigen Sequenzen vor. Eine kanadische Fassung enthält 23 Minuten der ursprünglich etwa 90 Minuten:[2]

Übersicht über die erhaltenen Sequenzen und Fragmente

Sequenz 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Quellen B , Y B , Y B* B* B* B , Y B , Y B* B* B, Y B', Y' B* B, Y B, Y B, Y
Sequenz 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Quellen B* B* B* B* B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N B, F, N
B: Bundesarchiv - Filmarchiv, Berlin; F: Filmmuseum München; N: Narodny filmový archív, Prag; Y: Yad Vashem, Jerusalem
* Einzelbilder (Auslassung, wenn komplette Sequenz am gleichen Ort vorhanden ist); x' Anfang

„Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“

Der Film ist auch unter dem Namen Der Führer schenkt den Juden eine Stadt bekannt. Dieser vielfach kolportierte Titel ist aber weder in den erhaltenen Aufzeichnungen Kurt Gerrons, noch dem Film selbst belegt. Er tauchte zuerst in Erinnerungsberichten von beteiligten Ghettoinsassen als Adolf Hitler schenkt den Juden eine Stadt oder mit einem ähnlichen Titel auf. Der scheinbare Zynismus dieses Filmtitels stellt sich in diesem Licht als sarkastischer Witz der zur Filmproduktion Gezwungenen dar. So sieht es auch der Jazzgitarrist Coco Schumann (damals Lagerinsasse und Darsteller im Film) in seiner Biographie Der Ghetto-Swinger (München 1997).

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karel Margry: Cinematographie des Holocaust - Das Konzentrationslager als Idylle: "THERESIENSTADT" - EIN DOKUMENTARFILM AUS DEM JÜDISCHEN SIEDLUNGSGEBIET
  2. Theresienstadt ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet auf www.cine-holocaust.de

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