Transitabkommen

Transitabkommen
Transitabkommen 1971, unterzeichnet von Egon Bahr (links) und Michael Kohl (rechts)
Foto: Hubert Link

Als Transitabkommen wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über den Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) bezeichnet. Es wurde zwischen den Staatssekretären Egon Bahr (Bundesrepublik) und Michael Kohl (DDR) ausgehandelt und am 17. Dezember 1971 in Bonn unterzeichnet. Am 3. Juni 1972 trat es in Kraft. Im Rahmen der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel, die durch einen „Wandel durch Annäherung“ eine deutliche Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR erreichen wollte, sollte das Transitabkommen Reisen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin erleichtern. Zuvor wurden vor allem die Grenzkontrollen aus Sicht der Reisenden oft als schikanös empfunden und waren zuweilen mit erheblichem Zeitaufwand verbunden. Das Transitabkommen ist das erste Abkommen, das auf Regierungsebene zwischen der Bundesrepublik und der DDR abgeschlossen wurde.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Grundlage für dieses Abkommen war das kurz zuvor zwischen den Alliierten beschlossene Viermächteabkommen vom 3. September 1971, welches ebenfalls am 3. Juni 1972 in Kraft trat. Hierbei wurde über den freien Zugang nach West-Berlin, über die Präsenz von Bundesbehörden im Westteil der Stadt und über den ungehinderten Aufenthalt der Alliierten in allen Teilen der geteilten Stadt verhandelt. Erstmals wurde von den Sowjets die Sicherung der Wege nach West-Berlin eingeräumt. Nähere Einzelheiten sollten in einem weiteren Vertrag, dem Transitabkommen, folgen, die beide deutschen Staaten direkt aushandeln.

Inhalte

Gültigkeitsbereiche

Das Abkommen fand Anwendung auf die Bereiche Schifffahrt, Bahn- und Straßenverkehr. Der Flugverkehr zwischen Berlin und dem Bundesgebiet war nicht Bestandteil des Abkommens. Besonderes Augenmerk erhielt der Straßenverkehr. Die Vorschriften und Verfahrensweisen im Falle eines Missbrauchs waren besonders im Bereich Güter- und Personenverkehr sehr ausführlich, nicht zuletzt aus dem Grunde, weil hier aus Sicht der DDR die größte Gefahr bestand, die Transitstrecken für Fluchtversuche zu missbrauchen.

Visa-Erteilung und Personenkontrollen

Visaeinträge der Behörden der DDR

Mit dem Abkommen wurde unter anderem vereinbart, dass die Ausstellung von Visa an den Grenzkontrollstellen der DDR direkt am Fahrzeug der Reisenden zu erfolgen habe und dass eine Kontrolle der Gepäckstücke unterbleibe. In die Pässe wurde dabei ein zweifarbiger Visavermerk gestempelt. Die Farben wechselten jedes Jahr. Für Einwohner West-Berlins wurde ein extra Blatt in den (grünen) „behelfsmäßigen“ Berliner Personalausweis eingelegt. Der von der Bundesrepublik ausgestellte Reisepass für Einwohner West-Berlins wurde von den Behörden der DDR nicht anerkannt. Bei Nutzung von durchgehenden Zugverbindungen wurden Visa von den Kontrollorganen der DDR während der Fahrt erteilt. Der Visavermerk bei dem Transit mit der Bahn war einfarbig schwarz.

Transitpauschale / Kosten

Mit Artikel 18 wurde zudem geregelt, dass die für die Benutzung der Transitwege anfallenden Kosten fortan nicht mehr direkt vom Reisenden zu bezahlen waren, sondern nunmehr in einer jährlichen Pauschalsumme durch die Bundesrepublik beglichen wurden. Dieser Passus stellte für die Reisenden eine immense Erleichterung dar. Hierzu heißt es im Vertragstext:

1. Abgaben, Gebühren und andere Kosten, die den Verkehr auf den Transitwegen betreffen, einschließlich der Instandhaltung der entsprechenden Wege, Einrichtungen und Anlagen, die für diesen Verkehr genutzt werden, werden von der Bundesrepublik Deutschland an die Deutsche Demokratische Republik in Form einer jährlichen Pauschalsumme gezahlt.
2. Die von der Bundesrepublik Deutschland zu zahlende Pauschalsumme umfaßt:
a) die Straßenbenutzungsgebühren;
b) die Steuerausgleichsabgabe;
c) die Visagebühren;
d) den Ausgleich der finanziellen Nachteile der Deutschen Demokratischen Republik durch den Wegfall der Lizenzen im Linienverkehr mit Autobussen und der Erlaubniserteilung im Binnenschiffsverkehr sowie entsprechender weiterer finanzieller Nachteile.
Die Pauschalsumme wird für die Jahre 1972 bis 1975 auf 234,9 Millionen DM pro Jahr festgelegt.
3. Die Bundesrepublik Deutschland überweist die Pauschalsumme jährlich bis zum 31. März, erstmalig bis zum 31. März 1972, auf ein Konto bei einer von der Deutschen Demokratischen Republik zu bestimmenden Bank in der Bundesrepublik Deutschland zugunsten der Deutschen Außenhandelsbank AG in Berlin.
4. Die Höhe der ab 1976 zu zahlenden Pauschalsumme und die Bestimmung des Zeitraumes, für den diese Pauschalsumme gültig sein soll, werden im zweiten Halbjahr 1975 unter Berücksichtigung der Entwicklung des Transitverkehrs festgelegt.

Die Bedeutung des Artikels 18 geht auch aus einem Schriftwechsel, den beide Vertragspartner während der Vertragsverhandlungen führten, hervor. Dabei wurde vereinbart, dass dieser Artikel vorab bereits zum 1. Januar 1972 in Kraft trat. Die jährlichen Pauschalsummen wurden, wie vereinbart, regelmäßig dem Verkehrsaufkommen auf den Transitstrecken angepasst und beliefen sich letztlich im Jahre 1989 auf 525 Millionen DM.

Missbrauch

Aus Sicht der DDR bestand eine erhöhte Gefahr, dass die Transitstrecken für Fluchtversuche oder unkontrollierte und somit unerwünschte Kontakte zwischen West-Berlinern bzw. Bundesbürgern und Bürgern der DDR genutzt werden könnten. Daher wurde im Vertragswerk explizit festgehalten, was als Missbrauch des Transitabkommens gewertet und strafrechtlich verfolgt werden könnte:

1. Ein Mißbrauch im Sinne dieses Abkommens liegt vor, wenn ein Transitreisender nach Inkrafttreten dieses Abkommens während der jeweiligen Benutzung der Transitwege rechtswidrig und schuldhaft gegen die allgemein üblichen Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik bezüglich der öffentlichen Ordnung verstößt, indem er
a) Materialien verbreitet oder aufnimmt;
b) Personen aufnimmt;
c) die vorgesehenen Transitwege verläßt, ohne durch besondere Umstände, wie Unfall oder Krankheit, oder durch Erlaubnis der zuständigen Organe der Deutschen Demokratischen Republik dazu veranlaßt zu sein;
d) andere Straftaten begeht oder
e) durch Verletzung von Straßenverkehrsvorschriften Ordnungswidrigkeiten begeht.
Im Falle hinreichenden Verdachts eines Mißbrauchs werden die zuständigen Organe der Deutschen Demokratischen Republik die Durchsuchung von Reisenden, der von ihnen benutzten Transportmittel sowie ihres persönlichen Gepäcks nach den allgemein üblichen Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik bezüglich der öffentlichen Ordnung durchführen oder die Reisenden zurückweisen.

Das Abkommen sah ferner vor, dass ein Vergehen auch durch die Behörden der Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt werden sollte, sofern der Verstoß zu einem Zeitpunkt entdeckt wurde, zu dem sich der Verursacher bereits außerhalb der DDR befand.

Auswirkungen

Das Abkommen sah zudem auch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, der sogenannten Transitkommission vor, die sich aus Mitarbeitern der Verkehrsministerien beider Staaten zusammensetzte und sich auf Ersuchen eines Vertragspartners zur Schlichtung von Streitigkeiten zusammensetzte.

In den Folgejahren wurde der Transitverkehr zunehmend verbessert. So wurden Vereinbarungen hinsichtlich einer Runderneuerung der Autobahn-Transitstrecke Berlin–Hannover (heutige BAB 2), der Einrichtung einer Autobahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg (heutige BAB 24, der Verkehr führte bis Mitte der 1980er Jahre über die so genannte Fernstraße 5), die Einrichtung des Grenzübergangs Staaken/Eisenbahn sowie weiterer Verbesserungen getroffen. Die von der Bundesrepublik hierfür übernommenen Kosten beliefen sich bis 1990 auf insgesamt 2.210,5 Millionen DM, wobei der Bau der Autobahnstrecke Berlin–Hamburg mit 1,2 Milliarden DM den größten Anteil ausmachte.

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