Egon Bahr

Egon Bahr
Egon Bahr (2005)

Egon Karl-Heinz Bahr (* 18. März 1922 in Treffurt, Thüringen) ist ein deutscher Politiker (SPD). Er war von 1972 bis 1974 Bundesminister für besondere Aufgaben und von 1974 bis 1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Beruf

Nach dem Abitur 1940 absolvierte Bahr zunächst eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Rheinmetall Borsig-AG in Berlin. Von 1942 bis 1944 nahm er als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil, zuletzt als Fahnenjunker-Unteroffizier an der Luftkriegsschule VI in Kitzingen, wurde dann allerdings wegen „Einschleichens in die Wehrmacht“ als „nichtarischer“ Rüstungsarbeiter zu Rheinmetall-Borsig rückversetzt, denn er hatte (vergebens) seine jüdische Großmutter verheimlicht.[1] Er arbeitete nach dem Krieg als Journalist bei der Berliner Zeitung, anschließend bei der Allgemeinen Zeitung (Berlin) und dem Tagesspiegel (Berlin).[2] Von 1950 bis 1960 war er Chefkommentator und Leiter des Bonner Büros des RIAS. 1959 wurde er als Presseattaché an die Deutsche Botschaft in Ghana abgeordnet. Von 1984 bis 1994 war er Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Seit 1984 ist er Honorarprofessor an der Universität Hamburg.

Egon Bahr ist verheiratet und hat drei Kinder.

Partei

Seit 1956 ist Bahr Mitglied der SPD. Von 1976 bis 1981 war er Bundesgeschäftsführer der SPD. Vor allem auf sein Betreiben hin wurde der damalige Bundesvorsitzende der Jusos, Klaus Uwe Benneter, aus der SPD ausgeschlossen. Benneter hatte zuvor geäußert, die DKP sei ein potenzieller Bündnispartner der SPD, da es sich bei ihr lediglich um einen politischen und nicht etwa, wie bei der CDU, um einen „Klassengegner“ handele. Außerdem hatte Benneter auch den Status der Jungsozialisten als SPD-Nachwuchsorganisation in Frage gestellt.

Abgeordneter

Egon Bahr, 1978

Von 1972 bis 1990 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Hier war er ab 1980 Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Egon Bahr ist 1976 und 1980 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Flensburg – Schleswig und sonst stets über die Landesliste Schleswig-Holstein in den Bundestag eingezogen.

Öffentliche Ämter

Von 1960 bis 1966 war Bahr Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin und als solcher Sprecher des vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt geführten Senats. Von 1966 bis 1969 war er Botschafter und als Ministerialdirigent Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt.

Er gilt als einer der wichtigsten und einflussreichsten Berater Willy Brandts im Hinblick auf die Entspannungspolitik, und wie seine filmisch festgehaltene Reaktion auf Brandts Rücktritt dokumentierte, wohl auch als dessen enger Freund. Nach der Bundestagswahl 1969 wurde er Staatssekretär im Bundeskanzleramt und zugleich Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin. In dieser Funktion wirkte er als Unterhändler in Moskau und Ost-Berlin maßgeblich am Moskauer Vertrag, Warschauer Vertrag, Transitabkommen, sowie dem Grundlagenvertrag mit. Letztere wurden durch Bahr für die Bundesrepublik und Michael Kohl für die DDR unterzeichnet. Bahr wird daher bisweilen auch als „Architekt der Ostverträge“ bezeichnet. Auf Bahr geht das Motto sozialliberaler Ostpolitik „Wandel durch Annäherung“ und die „Politik der kleinen Schritte“ zurück.[3]

Nach dem Rücktritt von Willy Brandt schied auch Bahr am 7. Mai 1974 zunächst aus der Bundesregierung aus. Am 7. Juli 1974 wurde er jedoch von Bundeskanzler Helmut Schmidt als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit erneut in die Bundesregierung berufen. Nach der Bundestagswahl 1976 schied er am 14. Dezember 1976 endgültig aus der Bundesregierung aus.

Sonstige politische Tätigkeiten und Initiativen

Egon Bahr und Johannes Gross (1985)

1980 wurde Bahr Mitglied der „Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit“ unter dem Vorsitz des schwedischen Politikers Olof Palme. Die Kommission veröffentlichte ihren Bericht 1982 unter dem Titel „Common Security“. Zu den Vorschlägen der Kommission gehörte die Idee eines atomwaffenfreien Korridors in Mitteleuropa. Bahr veröffentlichte diverse Schriften über eine zukünftige deutschen Außenpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges (siehe auch „Veröffentlichungen“ weiter unten). So vertritt Bahr u.a. die These, dass Europa und Deutschland im Rahmen einer Zivilmacht stärkeren Einfluss in der Welt suchen sollten. 1991 regte Bahr eine Diskussion über die Schaffung eines „Deutschen Friedenskorps“ an.

In einem Interview[4] mit der FAZ gestand Egon Bahr ein, 1940 einen „gewissen Stolz“ empfunden zu haben, dass Polen, Frankreich, Dänemark und Norwegen im Zweiten Weltkrieg so schnell von der deutschen Wehrmacht erobert wurden. Nach Bernhard und Hans-Jochen Vogels Buch Ein Unikat im Doppelpack soll Bahr noch Anfang November 1989, also wenige Tage vor Maueröffnung, „Lasst uns um alles in der Welt aufhören, von der Einheit zu träumen oder zu schwätzen“ gemeint haben.[5]

Bahr war mit Johannes Gross befreundet und spielte mit ihm 1985 in Hamburg gemeinsam gegen den späteren Schachweltmeister Garry Kasparov bei einer Veranstaltung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.[6]

Zitate

„Mich interessierte immer nur Deutschlandpolitik. Ich bin doch nicht Sozialdemokrat geworden, um die Banken zu sozialisieren. Nein, ich bin Sozialdemokrat geworden, weil ich der Auffassung war, der Adenauer meint es nicht ehrlich, und der Schumacher meint es mit der Priorität der Deutschlandpolitik ehrlich. Daß es zu einer Wiedervereinigung kommt, da war ich sicher. Ich habe diese Überzeugung nie verloren.[4]

„Ich habe mit allem, was geschehen ist, das erreicht, was ich wollte. Der entscheidende Punkt der Wende des Denkens war diese Mauer. Wir haben 1961 festgestellt, alle sind zufrieden, keiner will den Status quo ändern. Niemand wird uns helfen, sie auch nur löchrig oder durchlässig zu machen. So fing es an, und dazu mußte man, da man die Passierscheine weder in Bonn noch in Amerika, noch in Moskau bekam, mit denen verhandeln, die autorisiert waren, sie auszugeben.[4]

Bewertungen

„Über viele Jahre hat er einen pragmatischen Patriotismus vertreten, dessen Ziel schließlich von den innenpolitischen Gegnern erreicht wurde.“

Stefan Aust [4]

Ehrungen (Auswahl)

Bahr wurde 1973 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 2002 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin verliehen. 2007 wurde Egon Bahr mit dem Willy-Brandt-Preis der norwegisch-deutschen Willy-Brandt-Stiftung, 2008 mit dem Göttinger Friedenspreis und dem Marion Dönhoff Preis geehrt. Am 6. Oktober 2008 verlieh ihm das Internationale Hochschulinstitut (IHI) Zittau für seine Verdienste um den Europäischen Einigungsprozess die Ehrendoktorwürde.[7] Am 14. Januar 2010 erhielt er den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. In seiner Geburtsstadt Treffurt ist eine Straße nach ihm benannt.[8]

Veröffentlichungen

  • Zu meiner Zeit. München 1996, ISBN 3-89667-001-8 (Autobiografie Bahrs)
  • Willy Brandts europäische Außenpolitik (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Heft 3). Berlin 1999
  • Deutsche Interessen: Streitschrift zu Macht, Sicherheit und Außenpolitik. München 2000, ISBN 3-442-75593-X
  • Der deutsche Weg: Selbstverständlich und normal. München 2003, ISBN 3-89667-244-4
  • Plädoyer für eine transatlantische Arbeitsteilung. In: Thomas Jäger, Alexander Höse, Kai Oppermann (Hrsg.): Transatlantische Beziehungen. Sicherheit – Wirtschaft – Öffentlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S. 489-495, ISBN 3-531-14579-7.

Literatur

  • Andreas Vogtmeier: Egon Bahr und die deutsche Frage. Zur Entwicklung der sozialdemokratischen Ost- und Deutschlandpolitik vom Kriegsende bis zur Vereinigung. (Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Band 44), Bonn 1996.
  • Daniel Friedrich Sturm: „‚Metternich‘ in Moskau. Egon Bahrs Wandel durch Annäherung“. In: Deutschland Archiv. Jg. 42, Nr. 5, 2009, S. 841–846

Weblinks

 Commons: Egon Bahr – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikiquote: Egon Bahr – Zitate

Einzelnachweise

  1. Hermann Schreiber: Er denkt zuviel - die Leute sind gefährlich. In: Der Spiegel. Nr. 53, 2009 (25. Dezember 1972, online).
  2. Viel dazugelernt. In: Der Spiegel. Nr. 7, 2009 (9. Februar 1970, online).
  3. Wandel durch Annäherung (PDF), Rede Egon Bahrs am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing.
  4. a b c d FAZ-Interview mit Egon Bahr am 29. April 2005.
  5. Buchbesprechung Ein Unikat im Doppelpack - Hans-Jochen und Bernhard Vogel resümieren ihr politisches Leben und danken dem Herrgott.
  6. Der Spiegel, Nr. 24/1985, Seite 108: „Bericht zum Simultan-Kampf von Garry Kasparov gegen 31 Gegner“.
  7. www.presseportal.de/pm/72939/1272736/internationales_hochschulinstitut_zittau.
  8. www.strassenkatalog.de/str/egon-bahr-str-99830-treffurt.html, aufgerufen am 15. Juni 2011.

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