Urbaramt

Urbaramt
Eingangsseite des Tennenbacher Güterbuchs, lat., 1317-1341.
Urbar-Rödel, mhd., Chorfrauenstift Säckingen, entstanden um 1310.
Urbar-Codex, mhd., Dominikanerinnenkloster St. Katharina, Freiburg, begonnen 1309, fol. 1v/2r, Initium.

Ein (das) Urbar (latinisiert Urbarium, Mz. Urbare bzw. Urbarien, Betonung jeweils auf dem „a“) bezeichnet ein Verzeichnis über Besitzrechte eines Grundherrn und Leistungen seiner Grunduntertanen (Grundholden) und ist eine bedeutende Rechtsquelle des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lehenswesens. Auch für Gült- und Lagerbücher wird der Ausdruck verwendet.

Je nach Region und Schriftträger sind für diese Verzeichnisse auch die Bezeichnungen Salbuch, Berain, Heberegister, Erdbuch und (Zins)-Rödel oder Rodel geläufig.

Der Begriff Urbar wird aus dem althochdeutschen „ur-beran“ bzw. dem mittelhochdeutschen „erbern“ für „hervorbringen“ oder „einen Ertrag bringen“ abgeleitet. Es handelt sich um zu ökonomischen, administrativen oder rechtlichen Zwecken angelegte Verzeichnisse von Liegenschaften, Abgaben und Diensten einer Grundherrschaft (z. B. eines Klosters) oder einer Villikation. Urbariale Schriftträger sind, bei mitunter komplexen genealogischen Bezügen zwischen Konzept- und Ausführungs- bzw. Reinschrift, entweder zu Rödel (lat. rotulus) zusammengenähte Pergamentstreifen oder, aus diesen übertragen, lagengebundene Codices[1].

Um ein Urbar zu erstellen, suchten im Frühmittelalter Beauftragte des jeweiligen Grundherrn die ihnen bekannten Orte auf, in denen Ansprüche bestanden. Sie vereidigten Männer guten Rufs und befragten sie nach den lokalen Gewohnheiten und den Verpflichtungen der ortsansässigen Familia. Die mündlich und in der Volkssprache gegebenen Auskünfte wurden zunächst fast ausschließlich in lateinische Sprache übertragen und schriftlich dokumentiert. Meist wurde Hube für Hube mit den sie bewohnenden Leuten und deren Pflichten aufgeführt. Die Genauigkeit der Aufnahmen differierte dabei so stark, dass anzunehmen ist, dass viele Pflichten über lokale Gewohnheiten geregelt waren und deshalb nicht eigens aufgeführt werden mussten.

Urbare konnten vor Gericht Anwendung finden, wie eine Urkunde Pippins I. v. Aquitanien von 828 belegt. In einer Abschrift eines Urbars aus dem frühen 13. Jahrhundert findet sich eine „Gebrauchsanweisung“, wie diese „Büchlein" im Streitfall eingesetzt wurden: sie stammt von Cesarius von Milendonk, der im Jahr 1222 das 893 entstandene Urbar von Prüm, einem Kloster in der Eifel, abschrieb. Er wandte sich direkt an den zukünftigen Benutzer seiner Abschrift und gab Anweisungen zur Anwendung des „Buches “ bei Gericht. Auf den Höfen trafen sich dazu die Vertreter des Grundherrn, also des Abts von Prüm, mit Schöffen und Angehörigen der Familia. Dabei wird deutlich, wie das mündliche Verfahren zu dieser Zeit noch von weit größerer Bedeutung ist, und wie sehr die Schrift als „Drohgebärde“ [2] eingesetzt werden konnte:

"Hüten soll sich, wer immer auch auf den Höfen mit den Schöffen und der Familia Gericht hält, ihnen sogleich das, was in diesem Buch zu finden ist, vorweg anzugeben. Vielmehr sollte man die Rechte der Kirche von ihnen sorgfältig erfragen, weil nichts (d.h. kein einzelner Rechtsanspruch) in jeder Hinsicht zufriedenstellend beschrieben ist, andere stark vernachlässigt sind, die nicht in diesem Buch geschrieben stehen. Z. B. sind hier zu Birresborn (in der Nähe von Prüm) die Fronfuhren und der Fasszins nicht erwähnt, beide werden jedoch geleistet. Man erfrage von ihnen sorgfältig die Rechte der Kirche und höre darüber; und sollten sie über irgend etwas schweigen, das in diesem Buch ausgedrückt ist, dann halte man ihnen dies geflissentlich vor, und so werden sie sich umso mehr fürchten."

Sicherlich hat Cesarius die einschüchternde Wirkung überschätzt. Seine Anweisung zeigt aber, dass der ehemalige Abt die Vollständigkeit des Urbars nicht sehr hoch einschätzte.

Während sich im frühen und hohen Mittelalter die urbarialen Aufzeichnungen meist noch in kursorischen Besitzlisten bzw. summarischen Abgabenverzeichnissen erschöpften, traten im späten Mittelalter an deren Stelle umfassende Besitzbeschreibungen eines konkreten, auf Eigengutbewirtschaftung und Erblehensvergaben basierten Wirtschaftssystems (Herrschaft, Amt, Gericht, Liegenschaft, Anrainer, Lehensnehmer, Zinsabgaben (Naturalien oder Geld), Mortuarium). Zudem wurden in Urbare auch vermehrt Weistumspassagen, der lehnsrechtlich zu leistende Treueschwur der Grundholden, die regelmäßigen Termine der Dinggerichte und deren Beschlüsse aufgenommen, so dass es zu inhaltlichen Überschneidungen verschiedener Textsorten kam. Freiburg etwa verdankt die Überlieferung der ältesten Fassung seines Stadtrechts einer Abschrift im Urbar („Güterbuch") des außerstädtischen Zisterzienser-Klosters Tennenbach. Überhaupt waren Urbare seit dem 13. Jahrhundert ein bedeutendes Instrument zur Organisierung der sich konstituierenden Landesherrschaft und wurden im deutschen Sprachgebiet nach 1300 zunehmend auch in der Landessprache verfasst bzw. in diese übersetzt[3].

Die verstärkte Berücksichtigung urbarialer Quellentexte im Rahmen kritischer, kommentierter Volltexteditionen in der jüngeren Vergangenheit ließen Urbare bei insgesamt guter Überlieferungssituation zu einem wichtigen mediaevistischen Überlieferungsträger sowohl für die Bereiche der Landes- und Wirtschaftsgeschichte als auch der Sozial- und Sprachgeschichte des Mittelalters werden.

Literatur

  • Dieter Hägermann:„Urbar“ in: Lexikon des Mittelalters. Bd. VIII. Stuttgart/Weimar 1999. (Sp. 1286-1289)
  • Wolfgang Kleiber: Urbare als sprachgeschichtliche Quelle. Möglichkeiten und Methoden der Auswertung, in: Vorarbeiten und Studien zur Vertiefung der Südwestdeutschen Sprachgeschichte, hrsg. v. Friedrich Maurer, Stuttgart, Kohlhammer, 1965 / Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte Band XVII, Freiburg, Eberhard Albert Verlag, S. 151-243.
  • Wolfgang Kleiber: Das Aufkommen der deutschen Sprache in domanialen Rechtsquellen (Urbaren) Südwestdeutschlands zwischen 1250 und 1450, in: Alemannisches Jahrbuch 1973/75 (Alemannica, landeskundliche Beiträge, Festschrift f. Bruno Boesch), Bühl, Konkordia, 1976, S. 202-220.
  • Ludolf Kuchenbuch: Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9. Jahrhundert. Studien zur Sozialstruktur der Familia der Abtei Prüm, Wiesbaden 1978
  • Gregor Richter: Lagerbücher- oder Urbarlehre. Hilfswissenschaftliche Grundzüge nach württembergischen Quellen, Stuttgart 1979 (Veröffentlichungen der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 36).
  • Roger Sablonier: Verschriftlichung und Herrschaftspraxis. Urbariales Schriftgut im spätmittelalterlichen Gebrauch. In: Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur, München 2002 (Münstersche Mittelalter-Schriften 79), S. 91-120.
  • Alfons Schäfer: Die ältesten Zinsrödel im Badischen Generallandesarchiv (Karlsruhe). Rödel als Vorläufer und Vorstufen der Urbare, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (ZGO) 112 (1964), S. 297-372.
  • Schlagwort 'Urbar' in der Hilfswissenschaftlichen Bibliographie

Weblinks

Anmerkungen, Details, Einzelbelege

  1. vgl. Alfons Schäfer: Die ältesten Zinsrödel im Badischen Generallandesarchiv (Karlsruhe). Rödel als Vorläufer und Vorstufen der Urbare, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (ZGO) 112 (1964), S. 297-372
  2. siehe Literatur Ludolf Kuchenbuch: Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9. Jahrhundert
  3. vgl. Wolfgang Kleiber: Urbare als sprachgeschichtliche Quelle. Möglichkeiten und Methoden der Auswertung, in: Vorarbeiten und Studien zur Vertiefung der Südwestdeutschen Sprachgeschichte, hrsg. v. Friedrich Maurer, Stuttgart, Kohlhammer, 1965 / Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte Band XVII, Freiburg, Eberhard Albert Verlag, S. 151-243

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