Uriel Acosta

Uriel Acosta

Uriel da Costa (latinisiert Uriel Acosta; * Ende 1583 oder Anfang 1584 in Porto; † April 1640 in Amsterdam) war ein Philosoph, Theologiekritiker und Freidenker portugiesisch-jüdischer Herkunft. Seine Autobiographie enthält eine der frühesten gedruckten Verteidigungen des Deismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Lehre

Portugal, 1583-1614

Uriel da Costa wurde bei seiner Geburt auf den christlichen Namen Gabriel da Costa getauft. Seine Eltern waren Enkel portugiesischer Juden, die im Jahr 1497 zur Konversion zum Katholizismus gezwungen worden waren. Während die Familie des Vaters im Laufe der Generationen gläubige Katholiken geworden waren, wurden mehrere Verwandte der Mutter als Geheimjuden (Marranen) vor der Inquisition angeklagt. So waren ihre Großmutter und ihr Vater 1544 mit leichten Strafen belegt worden; eine Tante wurde 1568 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Einer ihrer Brüder verließ 1598 Portugal und trat in Amsterdam zum Judentum über; auch mehrere ihrer Cousins lebten als Juden in Italien.

Gabriel da Costas Vater, ein Händler und Steuerpächter, erzog den Sohn in der katholischen Kultur der portugiesischen Oberschicht. Im Oktober 1600 schrieb sich Gabriel da Costa an der Universität Coimbra zum Studium des Kirchenrechts ein. Er unterbrach sein Studium nach vier Monaten, nahm es 1604 wieder auf und musste es 1608 wegen des Todes seines Vaters abbrechen. Er bekleidete das Amt eines Schatzmeisters in der Pfarrkirche von Cedofeita, einem Vorort seiner Heimatstadt, und empfing dazu anscheinend die niederen Weihen des katholischen Klerus.

Seiner Autobiographie zufolge war der junge Gabriel da Costa im katholischen Glauben so gewissenhaft, dass die Furcht vor den Höllenstrafen ihn unerträglich quälte. Mit 22 Jahren fand er bei dem Gedanken Trost, dass es vielleicht kein Leben nach dem Tod gebe. Dabei fiel ihm auf, dass Gott den Israeliten im Alten Testament nur Belohnungen und Strafen im Diesseits verspricht. Trotz der Bedrohung durch die Inquisition begann er, durch das Studium der lateinischen Bibel sich Kenntnisse des Judentums anzueignen und einige seiner Vorschriften zu befolgen. 1610 gewann er einige Familienmitglieder für den jüdischen Glauben. Einige von ihnen gaben in ihren späteren Geständnissen vor der Inquisition ein Bild von den Gebeten und Gebräuchen, die Gabriel da Costas privates Judentum ausmachten.

Gabriel da Costa legte um 1611 sein Kirchenamt nieder und heiratete am 5. März 1612 Francisca de Crasto, eine Frau aus Lissabon, die ebenfalls von jüdischer Abstammung war. Das Paar ließ sich in dem Dorf Vila Cova da Lixa in Nordwestportugal nieder, wo Gabriel da Costa die Einkünfte eines Adligen verwaltete. Er verschwand im Februar 1614 aus dem Dorf, begab sich mit seiner Mutter und seinen Brüdern nach Viana do Castelo und schiffte sich dort nach Amsterdam ein.

Hamburg, 1615-1623

Gabriel da Costa, seine Mutter und drei seiner Brüder kehrten bei ihrer Ankunft in Amsterdam auch öffentlich zum Judentum zurück. Als Jude änderte Gabriel seinen Vornamen in Uriel; seine Mutter wie auch seine Frau nannten sich Sara. Etwa Anfang 1615 ließ Uriel da Costa sich mit den Frauen und einem Bruder in Hamburg nieder und schloss sich dort der portugiesischen oder sephardischen Gemeinde an. Er lebte vom Seehandel mit seinem in Porto gebliebenen Schwager.

Sogleich nach seinem Eintritt ins Judentum will Uriel da Costa dagegen protestiert haben, dass zahlreiche jüdische Traditionen nicht der Bibel, sondern dem Talmud folgen. Doch scheint er während der ersten zwei Jahren die Lebensweise der Hamburger jüdischen Gemeinde widerspruchslos geteilt zu haben. 1616 verbreitete er eine Liste von elf jüdischen Vorschriften, in denen er eine Verfälschung der biblischen Gesetze erblickte, unter dem Titel Propostas contra a tradição (Thesen gegen die Tradition). Die Hamburger jüdischen Vorsteher wandten sich um theologischen Rat an das Rabbinat in Venedig, das da Costas Auffassungen als eine Ketzerei nach Art der Sadduzäer und Karäer anprangerte. Die sephardischen Gemeinden von Venedig und Hamburg belegten Uriel da Costa im August 1618 mit dem Bann. Seine Brüder und sein Amsterdamer Cousin Dinis Eanes arbeiteten jedoch weiterhin in Handelsgeschäften mit ihm, so dass ihm der Bann nicht wesentlich schadete.

Uriels starkes Ehrgefühl hielt ihn davor zurück, seine Thesen zu widerrufen, vielmehr arbeitete er an einer Schrift zu ihrer Verteidigung. Dabei gelangte er zu dem Schluss, dass auch die Vorstellung von einer unsterblichen Seele unbiblisch sei: Die Seele des Menschen sei eine physikalische Lebenskraft in seinem Blut und gehe beim Tod zugrunde. Dem Hamburger Arzt und Philosophen Semuel da Silva gelang es, sich Einsicht in das Manuskript zu verschaffen; er veröffentlichte die drei provokantesten Kapitel mit einer polemischen Widerlegung, die 1623 in Amsterdam erschien.

Amsterdam, 1623-1640

Als der Angegriffene selbst nach Amsterdam verzog, sprach auch die dortige Gemeinde am 15. Mai 1623 den Bann gegen ihn aus. Er beschloss daraufhin, seinen Standpunkt öffentlich zu machen, und ließ sein Manuskript unter dem Titel Exame das tradições phariseas conferidas com a lei escrita (Prüfung der pharisäischen Traditionen durch Vergleich mit dem Schriftgesetz) im Frühjahr 1624 in Amsterdam drucken. Die erste Hälfte dieses Werkes kritisiert die talmudischen Auslegungen der Bibel, die zweite beweist aus dieser die Sterblichkeit der Seele. Dies war der erste öffentliche Angriff auf die jüdisch-christliche Glaubenslehre vom Leben nach dem Tod. Der Stadtrat von Amsterdam ließ die gedruckte Ausgabe verbrennen, inhaftierte den Autor und verbannte ihn nach Utrecht, wo er fünf Jahre lang lebte.

1629 gelang es Uriel da Costas Cousin Dinis Eanes, die Wiederaufnahme des Ketzers in die Amsterdamer jüdische Gemeinde zu vermitteln. Dieser gelobte, der jüdischen Religion fortan weder in Worten noch Taten zu widersprechen. Nach dem Tod seiner Frau plante er eine zweite Ehe. 1632 jedoch wurde bekannt, dass er zu Hause die jüdischen Speisevorschriften nicht befolgte und Christen gegenüber herabsetzend vom Judentum sprach. Die Gemeinde schloss ihn daraufhin wieder aus, wahrscheinlich im Jahr 1633, und auch seine Brüder und sein Cousin unterstützten ihn nicht mehr, weil sie sich hintergangen fühlten.

Der Gebannte lebte verarmt und gemieden, im Konkubinat mit einer Dienstmagd, nahe dem jüdischen Viertel von Amsterdam. Im Nachdenken über seine Erfahrungen gelangte er zu der Überzeugung, dass alle Religionen, die christliche, die jüdische und auch die der Bibel, nichts weiter als Menschenwerk seien. Sie könnten von Gott keine wahre Kenntnis vermitteln, begünstigten im Gegenteil Lüge und Hass. Die Menschen würden erst dann glücklich und friedlich miteinander leben können, wenn sie die Religionen aufgäben und nur der Vernunft und der Natur folgten.

Um seiner Vereinsamung zu entfliehen und „als Affe unter Affen“ in die Gemeinschaft zurückzukehren, spiegelte Uriel 1639 erneut eine Rückkehr zum jüdischen Glauben vor. Er erklärte sich bereit, sich der symbolischen Geißelung (hebräisch malkut) zu unterwerfen, die das rabbinische Recht als Bußritual vorschreibt. Uriel da Costa war aber durch dieses entwürdigende Ritual dermaßen gekränkt, dass er wenige Tage später, im April 1640, mit einer Pistole Selbstmord beging.

Vor seinem Tod verfasste er einen autobiographischen Text in lateinischer Sprache, in dem er sein Leben und seine philosophischen Ansichten darstellt. Er betitelte diese Autographie ironisch Exemplar humanae vitae (Ein beispielhaftes Menschenleben). Uriel stellt hier seinen Weg als unablässige individuelle Suche nach einer Religion ohne Jenseitsglauben dar.

Die Dokumente der Inquisition lassen überlegen, ob nicht zumindest seine Rückkehr vom Christentum zum Judentum durch Traditionen aus der Familie und dem portugiesischen Umfeld angeregt war. Uriel da Costa brachte jedenfalls seinen ungewöhnlichen Werdegang erst nachträglich in eine innere Logik. „Er musste dem Leser erklären, ohne sich unglaubhaft zu machen, wie er in den 56 Jahren seines Lebens ein Anhänger, und zwar jedes Mal ein fanatischer Anhänger, von fünf verschiedenen Ideologien sein konnte: Katholizismus, Marranismus, orthodoxes Judentum, sadduzäisches Judentum und naturalistischer Deismus“ (I. S. Révah: Uriel da Costa, S. 535).

Nachleben

Die Handschrift des Exemplar humanae vitae wurde bei dem Selbstmörder gefunden und von christlichen Theologen zu judenfeindlicher Propaganda benutzt. Philippus van Limborch veröffentlichte das Werk 1687 und lieferte, ohne es zu wollen, den seitherigen Religionskritikern einen ihrer klassischen Texte.

Uriel da Costas Rebellion im Amsterdamer sephardischen Judentum nimmt um vierzig Jahre die des Philosophen Baruch Spinoza vorweg, dessen Familie mit der seinen verschwägert war. Seine Leiden als Freidenker in einer religiösen Welt ließen ihn als ein Märtyrer der Aufklärung erscheinen. Übersetzungen des Exemplar erschienen ab 1790 in den meisten europäischen Sprachen. Karl Gutzkow griff auf diese Schrift zurück für sein Drama Uriel Acosta (1846), das insbesondere in hebräischer und jiddischer Bearbeitung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts viel gespielt wurde. Uriel da Costas Lebensgeschichte liegt außerdem den Romanen Ein Gewürm der Erde (Um bicho da terra, 1984) von Agustina Bessa-Luís und Die Vertreibung aus der Hölle (2001) von Robert Menasse zugrunde.

Uriel da Costas Hauptwerk, das Exame von 1624, galt lange Zeit als verschollen. Erst 1989 entdeckte H. P. Salomon ein Exemplar in der Königlichen Bibliothek von Kopenhagen.

Werke

  • Propostas contra a tradição (1616)
  • Sobre a mortalidade da alma do homem (in: Semuel da Silva: Tratado da inmortalidade da alma, 1623)
  • Exame das tradições phariseas conferidas com a lei escrita (1624)
  • Exemplar humanae vitae (1640)
  • Examination of Pharisaic Traditions. Exame das tradições phariseas. Facsimile of the unique copy in the Royal Library of Copenhagen. Supplemented by Semuel da Silva's Treatise on the immortality of the soul. Tratado da inmortalidade da alma. Translation, notes and introduction by H. P. Salomon and I. S. D. Sassoon, E. J. Brill, Leiden 1993.
  • Exemplar humanae vitae / Beispiel eines menschlichen Lebens. Hrsg., übers. und erl. von Hans-Wolfgang Krautz, Stauffenburg-Verlag, Tübingen 2001, ISBN 3-86057-186-9

Literatur

  • Josef Kastein: Uriel da Costa oder Die Tragödie der Gesinnung, Berlin, Rowohlt, 1932.
  • Stephan Wyss: Passacaglia. Ästhetische Erkundungen über Uriel da Costa, über den Abschied vom dreifaltigen Gott und über die Erscheinung des Andern im Zweideutigen (1996)
  • I. S. Révah: Uriel da Costa et les Marranes de Porto. Cours au Collège de France 1966-1972. Édition présentée et annotée par Carsten L. Wilke, Centre Culturel Calouste Gulbenkian, Paris 2004. ISBN 972-8462-37-9
  • Michael Studemund-Halévy: Uriel da Costa, in: Das Jüdische Hamburg, Wallstein Verlag, Göttingen 2006, ISBN 3-8353-0004-0, Seite 51.

Weblinks


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