Vaterlosigkeit

Vaterlosigkeit

Vaterlosigkeit ist die Erziehung eines Kindes nur durch die in der Regel alleinerziehende Mutter und ohne einen Vater bzw. Stiefvater. Wächst ein Kind ohne beide Elternteile auf, so spricht man von Waisen bzw. Sozialwaisen. Rund 1,35 Millionen Kinder wachsen zurzeit in Deutschland ohne Vater auf.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Infolge der beiden Weltkriege war Vaterlosigkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis weit über die Jahrhundertmitte hinaus ein weit verbreitetes Phänomen.[2]

Sowohl der erste als auch der Zweite Weltkrieg führten mit ihren Opferzahlen in Millionenhöhe zu hohen Raten von Halb- und Vollwaisen. Viele gefallene Soldaten ließen Familien zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg war etwa ein Viertel der Kinder vaterlos, da ihre Väter getötet, vermisst oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Der Anteil der Kinder, die während und nach dem Krieg durch Kriegsdienst oder Kriegsgefangenschaft zumindest zeitweise ohne Vater aufwuchsen, wird auf weitere 25 bis 30 % geschätzt.

In den folgenden Jahrzehnten änderten sich die Gründe für Vaterlosigkeit; als Hauptursache wurde der Tod des Vaters durch die Trennung der Eltern abgelöst.

Psychosoziale Folgen

Welche psychosozialen Folgen ein Kind durch das Aufwachsen ohne eines der Elternteile davonträgt, wird unterschiedlich bewertet und ist zudem stark von anderen Faktoren abhängig. Die konkrete Auswirkung der Vater- bzw. Mutterlosigkeit zeigte sich abhängig von der allgemeinen psychischen Stabilität eines Kindes und dem weiteren Umfeld an festen Bezugspersonen. Die Persönlichkeit des erziehenden Elternteils spielt ebenfalls eine zentrale Rolle.


In der Psychoanalyse wird davon ausgegangen, dass es für die Entwicklung eines Kindes sehr wichtig ist, dass es in der Mutter-Kind-Konstellation eine dritte Größe gibt, welche die symbiotische Beziehung relativiert (vgl. Triangulierung). Ob diese dritte Person notwendigerweise der Vater sein muss, ist umstritten. So geht unter anderem der Psychoanalytiker Berthold Rothschild davon aus, dass diese dritte Person genau so gut auch ein neuer Lebensgefährte der Mutter, der Onkel oder die Großmutter sein kann. Es gibt ebenfalls Untersuchungen, die nachweisen, dass auch das Aufwachsen bei einem homosexuellen Elternpaar (in sogenannten Regenbogenfamilien) keine negativen Auswirkungen auf die Kinder hat, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Elternpaar von zwei Männern oder zwei Frauen handelt.

Mittlerweile gilt das Konzept der Symbiose mit der Mutter als äußerst umstritten. Anzunehmen ist es eher, dass es nicht darum geht, dass eine dritte Person das Kind 'retten' muss aus der vermeintlich symbiotischen Beziehung, sondern dass es für ein Kind besser ist mindestens zwei sichere Bezugspersonen zu haben, auf die es sich verlassen kann, die Verhaltensvarianten aufweisen, und so mehr Orientierung geben als dies eine einzelne Person kann - besonders für einen Sohn. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass das Kind ein zu großes Gewicht bekommt, wenn für den alleinerziehenden Elternteil nicht auch ein erwachsener Ansprechpartern da ist.

Dennoch werden aus Sicht einiger Fachleute Väter und Mütter als wichtig für die Erziehung von Kindern angesehen. Dies wird mit ihrem tendenziell im Vergleich zum jeweils anderen Geschlecht unterschiedlichen Umgang sowohl hinsichtlich ihrer Erwartungen an ihre Kinder, als auch hinsichtlich ihres körperlichen Umgangs mit ihren Kindern begründet. Vater- bzw. Mutterlosigkeit wird von ihnen auch als ein Problem für die Entwicklung der Geschlechtsidentität betrachtet. Dazu gibt es sowohl Studien, die zeigen, dass mit einem allein erziehenden Elternteil aufgewachsene Kinder auch nach Jahrzehnten noch z. T. schwere Folgen mit sich tragen, als auch andere, die sogar positive Folgen von Vaterlosigkeit nachweisen konnten, wie z. B. höhere Zufriedenheit in der eigenen Partnerschaft.

Literatur

  • Hermann Schulz, Jürgen Reulecke, Hartmut Radebold: Söhne ohne Väter – Erfahrungen der Kriegsgeneration. Ch. Links Verlag, Berlin, ISBN 3-86153-320-0. (Rezension)
  • Alexander Mitscherlich: Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft. Ideen zur Sozialpsychologie. 1963.
  • Frank Dammasch: Die innere Erlebniswelt von Kindern alleinerziehender Mütter. Brandes + Apsel, ISBN 3-86099-298-8.
  • Matthias Franz: Wenn der Vater fehlt. In Psychologie Heute. März 2004, S. 20-25.
  • Shmuel Shulman, Inge Seiffge-Krenke, Fathers and Adolescents. Routledge, ISBN 0-415-11792-5.
  • Kornelia Steinhardt, Wilfried Datler, Johannes Gstach (Hrsg.): Die Bedeutung des Vaters in der frühen Kindheit. Gießen: Psychosozial 2002, ISBN 3-89806-189-2. (Rezension)
  • Jürgen Grieser: Der phantasierte Vater. Zu Entstehung und Funktion des Vaterbildes beim Sohn. Tübingen: edition diskord 1998.
  • Horst Petri: Das Drama der Vaterentbehrung. Chaos der Gefühle – Kräfte der Heilung. Freiburg u.a.: Herder 1999, ISBN 3-451-05217-2. (Rezension)

Filmdokumentationen

  • Söhne ohne Väter - vom Verlust der Kriegsgeneration. Dokumentarfilm von Andreas Fischer, Deutschland 2007, 80 Minuten. Erstausstrahlung: 20. Mai 2007, 3sat

Einzelnachweise

  1. Welt.de: Kinder ohne Väter
  2. Vaterlosigkeit im und nach dem II. Weltkrieg

Weblinks


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