Viktor Jara

Viktor Jara
Victor Jara (1970)

Víctor Lidio Jara Martínez (* 28. September 1932 in Lonquén bei Santiago de Chile; † tot aufgefunden 15. September 1973 Santiago de Chile) war ein chilenischer Sänger, Musiker und Theaterregisseur.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Kindheit und Jugend

Víctor Jara wurde in Lonquén, einer kleinen Stadt bei Santiago de Chile, geboren. Seine Eltern waren Landarbeiter – sein Vater Manuel arbeitete als einfacher Hilfsarbeiter, während seine Mutter Amanda einer Vielzahl von Jobs nachging, um Geld für die Familie zu verdienen.

Víctor Jaras Vater war Alkoholiker und misshandelte seine Frau häufig. Nachdem der Vater die Familie verlassen hatte, kümmerte sich Amanda alleine um die Familie. Sie sang und spielte Gitarre, was sie Víctor beibrachte, ebenso die traditionelle chilenische Folklore. Nach dem Tod seiner Mutter brach er seine Ausbildung zum Buchhalter ab und nahm zwei Jahre lang ein Studium der Theologie auf, ohne es abzuschließen.

Den Glauben an die Religion verloren, kehrte er ohne Arbeit nach Lonquén zurück und begann, sich gemeinsam mit ein paar Freunden, mit denen er bald darauf die Gruppe Cuncumén gründete, dem Studium der chilenischen Folklore zu widmen. Er entwickelte Interesse am Theater und begann, Schauspielerei in der Schule des Theaters in der Universidad de Chile zu studieren. In dieser Zeit nahm Víctor Jara an unzähligen Theaterproduktionen teil (z. B. Carmina Burana). Die Begegnung mit Violeta Parra war für ihn ausschlaggebend. Sie war eine begnadete Sängerin und Künstlerin, bewunderte die traditionelle chilenische Folklore und besaß ein kleines Café in Santiago. Víctor half ihr in diesem Café und begann mehr und mehr zu singen. Den Ausschlag für die Musik hatten die Erlebnisse einer Ostblocktournee mit seiner Santiaguiner Theatergruppe gegeben: Als Teil der Show hatte eine der Schauspielerinnen singen sollen; als diese jedoch erkrankte, sprang Jara mit seiner Gitarre ein und wurde vom russischen Publikum mit Blumen beworfen. Dies motivierte ihn schließlich dazu, in einem Moskauer Hotelzimmer sein erstes Lied, El cigarrito, zu schreiben.

Während dieser Zeit engagierte er sich auch erstmals in der chilenischen Politik.

Folksänger

1966 erschien seine erste Platte, Víctor Jara. Im selben Jahr erschien die Single La beata, in der Jara ein chilenisches Volkslied intonierte. Das Lied ist eher humoristisch gedacht und handelt von einer Nonne, die sich in einen Priester verliebt; Jaras Interpretation führte zu einem Skandal, so dass das Lied nicht mehr im Radio gespielt wurde und die Single aus den chilenischen Plattenläden verschwand. Daraufhin strömten immer mehr Besucher in Violeta Parras Café, um Jaras Interpretation von La beata zu hören.

In den folgenden Jahren arbeitete er als Theaterdirektor weiter, widmete aber immer mehr Zeit seinen Liedern und seinen politischen Tätigkeiten. Ab 1970 verließ er das Theater und konzentrierte sich auf die Musik. Die Lieder von Víctor Jara zeigen die einfachen Leute, ihr Leben und ihre Probleme in einer Gesellschaft mit krassem Sozialgefälle. Viele seiner Texte handeln von der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit oder politischen Skandalen.

Víctor Jara zählt als einer der großen Vertreter der „Nueva Canción“ (Neues Lied) in Südamerika. Dies war eine große revolutionäre Bewegung in Südamerika, an der viele Künstler und Gelehrte teilnahmen.

Víctor Jaras politische Ideen waren wichtige Teile seiner Stücke. Er war – wie viele progressive Sänger Südamerikas – überzeugter Kommunist und Leiter der Künstlerabteilung der Kommunistischen Partei Chiles. Er gab, zusammen mit anderen Sängern, Konzerte zugunsten von Salvador Allende und der Unidad Popular, einer Sammelbewegung links stehender Parteien.

Vom Gefolge des von Augusto Pinochet angeführten Putsches gegen Allende wurde Víctor Jara am 12. September 1973 im Hof der Technischen Universität festgenommen, in der er als Dozent arbeitete; aufgrund der unsicheren Lage während des Putsches hatten er und einige Kollegen die Nacht in den Universitätsräumen verbracht, weil sie es als zu gefährlich angesehen hatten, nach Hause zu gehen.

Verhaftung und Tod

Kurz nach seiner Verhaftung wurde Jara von den Soldaten erkannt und ins Estadio Chile verbracht und, wie auch viele seiner Leidensgenossen, gefoltert. Unter diesen Umständen entstand sein letztes Gedicht (eigentlich ohne Titel, meist aber nach der Anfangszeile Somos cinco mil, „Wir sind fünftausend“, genannt). Später brachen ihm seine Peiniger die Hände, damit er nicht mehr Gitarre spielen konnte (Anmerkung: Viele glaubten, dass ihm die Hände abgehackt wurden, was jedoch seine Frau Joan Jara, die den Leichnam später sah, verneinte). Als Reaktion auf die hämische Aufforderung der Soldaten, er solle doch singen, wenn er ein Sänger sei, erhob Víctor Jara noch einmal seine Stimme, um das Lied der Unidad Popular (Venceremos – „Wir werden siegen“) anzustimmen. Daraufhin wurde er zusammengeschlagen und schließlich mit einem Maschinengewehr getötet. Nach einigen Tagen wurde seine Frau darüber informiert, dass seine Leiche gefunden worden war, und die Leiche wurde ihr übergeben. Sie verließ bald danach Chile. Ausländische Journalisten halfen ihr, versteckte Aufnahmen ihres Mannes nach Europa zu schmuggeln. Ende der 1980er Jahre kehrte sie nach Chile zurück, wo sie 1994 die Victor-Jara-Stiftung gründete.

Im September 2003, zum 30. Jahrestag seiner Ermordung, wurde das Estadio Chile offiziell in Estadio Víctor Jara umbenannt.

Am 9. Dezember 2004, mehr als 31 Jahre nach der Ermordung Jaras, erhob der Richter Juan Carlos Urrutia in Santiago Anklage gegen den pensionierten Oberst Mario Manríquez Bravo. Manríquez Bravo sei während des Mordes an Jara der ranghöchste Offizier im Estadio Chile gewesen und somit verantwortlich für den Mord unter seinem Kommando.

Die schlichte Grabnische Victor Jaras auf dem Cementerio General

Musikalisches Werk

Víctor Jaras Lieder lassen sich grob in sieben Gruppen einteilen:

  1. Lieder über das aktuelle politische Geschehen in Chile, z.B. Ni chicha ni limoná und „Movil“ Oil Special. Einige dieser Stücke sind lyrische Anklagen gegenüber den Drahtziehern von politischen Skandalen und Morden, z. B. Las casitas del barrio alto und Preguntas por Puerto Montt - in letzterem geht es um ein Massaker an der armen Landbevölkerung, die ungenutztes Land besetzt hat. Auf den dafür verantwortlichen Politiker Ramón Pérez Zujovic, der im Lied namentlich erwähnt wird, wurde einige Jahre später ein Mordanschlag verübt, wofür Jara sich mitschuldig fühlte. Einer Landbesetzung in Santiago, aus der schließlich der Stadtteil Herminda de la Victoria wurde, widmete er sein Album La población.
  2. Volkstümlich anmutende Stücke über das Leben der armen Leute, die jedoch meist einen mehr (Plegaria a un labrador) oder weniger (El hombre es un creador) revolutionären Unterton haben.
  3. Vertonungen von Gedichten, allen voran denen Pablo Nerudas.
  4. Lieder, die die internationale Solidarität, die Völkerfreundschaft oder ähnliches besingen, vor allem Una palabra solamente und El derecho de vivir en paz.
  5. Coverversionen: Zu den Künstlern, deren Lieder Víctor Jara gerne nachspielte, gehören unter anderem Daniel Viglietti, Violeta Parra und Atahualpa Yupanqui.
  6. Volkstümliche Musik: Die von Jara intonierten Volkslieder stammten meist aus Chile und den benachbarten Andenländern, mit Hush a bye findet sich aber auch ein nordamerikanisches Traditional. Sein Album Canto por travesura widmete er ganz der chilenischen Folklore.
  7. Instrumentalstücke, die wohl bekanntesten davon: Cai cai vilú, La partida und die vier Teile von La remolienda

Musikalisch reicht die Palette vom klassischen Liedermacherstil (nur Gesang und Gitarre) über andine Folklore (begleitet von zahlreichen Musikern mit indigenen Instrumenten - von denen einige in der Regierungszeit Pinochets verboten wurden, weil sie zu sehr an Víctor Jara und seine Weggefährten erinnerten) bis zu, vereinzelt, leicht rockigem, hippiesken Sound (in El derecho de vivir en paz). Begleitet wurde er meistens von Musikern der Gruppen Inti-Illimani oder Quilapayún, denen er in ihrer Anfangszeit mit Rat und Tat zur Seite stand.

Zitate

Jetzt will ich erleben,
vereint mit meinem Sohn und Bruder,
den Frühling, den wir alle
täglich gemeinsam erbauen,
die Drohung schreckt mich nicht,
Ihr Herren des Elends.
Der Stern der Hoffnung
bleibt weiterhin der unsere.
Stürme des Volkes rufen mich,
Stürme des Volkes tragen mich,
erweitern mein Herz
und füllen meine Kehle mit Luft.
So wird der Dichter singen,
während meine Seele klingt
auf den Wegen des Volkes
von jetzt an und für alle Zeit.
– Stürme des Volkes – (1973)

Theaterinszenierungen

  • 1959: Alejandro Sievekings Parecido a la Felicidad
  • 1960: Germán Luco Cruchagas La Viuda de Apablaza
  • 1960: Niccolò Machiavellis La Mandragola
  • 1961: Alejandro Sievekings La Madre de los Conejos
  • 1962: Alejandro Sievekings Ánimas de Día Claro (Daylight Spirits)
  • 1963: Bertolt Brechts Der kaukasische Kreidekreis
  • 1963: Egon Wolffs Los Invasores
  • 1963: Raúl RuizDúo (Duet)
  • 1963: Alejandro Sievekings Parecido a la Felicidad”
  • 1965: Alejandro Sievekings La Remolienda
  • 1965: Ann Jellicoes The Knack
  • 1966: Peter WeissMarat/Sade
  • 1966: Abelardo Estorinos La Casa Vieja
  • 1967: Alejandro Sievekings La Remolienda
  • 1967: Germán Luco Cruchagas La Viuda de Apablaza
  • 1968: Joe Ortons Entertaining Mr. Sloane
  • 1969. Megan Ferrys Viet Rock
  • 1969. SophoklesAntigone

Diskografie

Studio-Alben

  • Víctor Jara [Canto a lo humano] (1966)
  • Canciones folklóricas de América (1967)
  • Víctor Jara [Odeon] (1967)
  • Pongo en tus manos abiertas (1969)
  • Canto libre (1970)
  • El derecho de vivir en paz (1971)
  • La población (1972)
  • Canto por travesura (1973)
  • Manifiesto (1974)

Live-Alben

  • El Recital (1983)
  • Víctor Jara en México, WEA International (1996)
  • Habla y Canta en la Habana Cuba, WEA International (2001)
  • En Vivo en el Aula Magna de la Universidad de Valparaíso, WEA International (2003)

Postum erschienene Alben/Kompilationen

  • Te recuerdo Amanda, Fonomusic (1974)
  • Presente, (1975)
  • Vientos del Pueblo, Monitor (1976)
  • Canto Libre, Monitor (1977)
  • 10 Anos Cantando con Nosotros (1983)
  • An Unfinished Song, Redwood Records (1984)
  • Todo Víctor Jara, EMI (1992)
  • 20 Años Despues, Fonomusic (1992)
  • Deja la Vida Volar (Lass das Leben fliegen) (1996)
  • Víctor Jara presente, colección „Haciendo Historia“, Odeon (1997)
  • Te Recuerdo, Víctor, Fonomusic (2000)
  • Antología Musical, WEA Warner (2001) 2CDs
  • 1959–1969 – Víctor Jara, EMI Odeon (2001) 2CDs
  • Latin Essential: Victor Jara, (WEA) 2CDs (2003)
  • Collección Victor Jara – Warner Bros. (2004) (8-CD-Box)
  • Victor Jara. Serie de Oro. Grandes Exitos, EMI (2005)

Literatur

  • Joan Jara: Das letzte Lied. Das Leben des Victor Jara. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2000, ISBN 3-442-72388-4.
  • Joan Jara: Victor. Ein unvollendetes Lied. Verlag Volk und Welt, Berlin 1986, ISBN 3-353-00043-7.

Nachleben

  • Der Komponist Leon Schidlowsky widmet seine misa sine nomine, die er 1973 - 1975 komponierte, Victor Jara.
  • Die Metalcore-Band Heaven Shall Burn besingt in ihrem Lied The Weapon they Fear Víctor Jara.
  • Die Band The Clash besingt ihn in ihrem Lied Washington Bullets vom Album Sandinista (1980).
  • Die Band Simple Minds widmet Víctor Jara ihren Song Street Fighting Years vom gleichnamigen Album (1989).
  • Die spanische Band Ska-P besingt den „Unvergessenen“ in ihrem Lied Juan Sin Tierra.
  • Auch die Gruppe Zupfgeigenhansel zeigte in den 70er Jahren ihre Solidarität mit Víctor Jara in einem gleichnamigen Lied, das seine Lebensgeschichte erzählt.
  • Ein vergleichbares Lied veröffentlichte der deutsche Liedermacher Hannes Wader 2001 auf seinem Album Wünsche.
  • Víctor Jaras Leben ist Thema von Dean Reeds DDR-Fernsehfilm El Cantor von 1978.
  • Freundeskreis erwähnt Jara in ihrem Lied Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte (1997)
  • Die argentinische Gruppe Los Fabulosos Cadillacs besingt ihn in ihrem Lied El Matador.
  • Die Schauspielerin und Sängerin Donata Höffer singt Mitte der 1980er Jahre einige der wichtigsten Lieder von Víctor Jara. Begleitet wird sie u. a. von dem Gitarristen Hector Sandos.
  • Die österreichische Band Die Schmetterlinge besingen Victor Jara in einem Lied aus der Proletenpassion von Unger (1977).
  • Die chilenische Regisseurin Carmen Luz Parot drehte 1999 den Dokumentarfilm El derecho de vivir en paz über Víctor Jaras Leben. Im Film kommen u.a. seine Witwe sowie einige seiner Mithäftlinge aus den letzten Tagen seines Lebens zu Wort.
  • Pippo Pollina erzählt eindrucksvoll in seinem Lied Il giorno del falco von den Geschehnissen im Estadio Chile.
  • In Leipzig existiert der Verein Victor Jara, der im Felsenkeller Vernissagen, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und Partys veranstaltet. Der Name stammt vom FDJ-Jugendclub „Victor Jara“, der sich in Vorwendezeiten dort befand.
  • Als (zwar namenloser, aber durch zahlreiche Anspielungen doch identifizierbarer) Sänger taucht Víctor Jara im Roman Das Geisterhaus von Isabel Allende auf.
  • Die irische Rockband U2 singt in ihrem Song One Tree Hill aus dem Joshua Tree Album über Jara: „And in the world a heart of darkness - A fire zone. Where poets speak their heart then bleed for it. Jara sang - his song a weapon - In the hands of one whose blood still cries from the ground
  • Die US-amerikanische Band Calexico besingt ihn in Victor Jara’s Hands vom Album Carried To Dust (2008) und will damit auch Bezug auf die Gegenwart nehmen (Guantanamo Bay, Abu Ghraib).
  • Der irische Liedermacher Christy Moore veröffentlichte auf seinem Album This Is The Day (2001) ein Lied über das Leben Jaras.

Siehe auch

Weblinks


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