Welfenschatz

Welfenschatz
Armreliquiar: Rückansicht
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Der Welfenschatz ist der Reliquienschatz des Braunschweiger Domes. Er besteht ausschließlich aus kunsthandwerklichen Gegenständen, die in der Zeit zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert gefertigt wurden, größtenteils handelt es sich dabei um Goldschmiedearbeiten. Als „Welfenschatz“ wird er allerdings erst seit Ende des 19. Jahrhunderts bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die brunonische Gräfin Gertrud I. († 1077, Gattin Liudolfs von Braunschweig) hatte bereits dem Vorgängerbau des Domes um 1030 verschiedene wertvolle Ausstattungsgegenstände gestiftet. Von diesen befinden sich noch heute einige im Welfenschatz, darunter z. B. das Armreliquiar des Heiligen Blasius,[1] des Namensgebers des Braunschweiger Domes. Es befindet sich heute in der Mittelaltersammlung des Herzog Anton Ulrich-Museums in der Burg Dankwarderode.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Schatz durch Vermächtnisse und Stiftungen erheblich vermehrt, so enthält ein Inventar aus dem Jahre 1482 140 Gegenstände. 1545 kamen Teile des Kirchenschatzes des Braunschweiger Cyriakusstiftes hinzu.

1574 wird zum ersten Mal ein Diebstahl aus dem Schatz verzeichnet: Es werden 20 Gegenstände – meist Monstranzen – gestohlen, die seither verschollen sind. 1658 und in den folgenden Jahren entnahm Herzog Anton Ulrich zahlreiche Teile.

Übergabe des Schatzes an die Welfen

Nachdem die protestantische Stadt Braunschweig am 12. Juni 1671 ihre Unabhängigkeit verloren hatte, wurde der Schatz – bis auf das Armreliquiar des Namenspatrons des Domes – an den 1651 zum Katholizismus übergetretenen Herzog Johann Friedrich ausgehändigt. Zum Zeitpunkt der Übergabe des Schatzes am 16. Juli 1671 war er noch ungeteilt. Johann Friedrich ließ ihn zunächst in die Schlosskirche in Hannover bringen, wo der Schatz nur sehr selten und nur wenigen ausgewählten Personen präsentiert wurde.

Im Zuge der Napoleonischen Kriege wurde der Schatz zum Schutz vor den feindlichen Truppen nach England in Sicherheit gebracht, kehrte dann aber wieder nach Hannover zurück, wo er im von König Georg V. 1861 gegründeten und 1862 eröffneten „Königlichen Welfenmuseum“ ausgestellt wurde.

Nachdem das Königreich Hannover 1866 von Preußen annektiert worden war, wurde der Schatz Georg V. als privates Eigentum zuerkannt, woraufhin er ihn mit ins Exil nach Österreich nahm. Im Jahre 1891 erschien schließlich der erste wissenschaftliche Katalog, in dem alle verbliebenen Teile des Schatzes aufgelistet und beschrieben wurden.

Verkauf und Zerschlagung des Schatzes

1928 schließlich bemühte sich ein Enkel Georgs V., Herzog Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg, die verbliebenen 82 Stücke des Schatzes zu Geld zu machen. Ernst-August forderte 24 Millionen Reichsmark für den gesamten Schatz. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise fand sich jedoch zunächst kein Käufer.

Zahlreiche deutsche Museen bemühten sich nun, den Reliquienschatz als Ganzes für Deutschland zu erhalten und einer drohenden Zerschlagung entgegenzuwirken. Aber selbst Eingaben beim Reichskanzler und der Preußischen Staatsregierung blieben aufgrund der nicht verhandelbaren Bedingungen seitens des Welfenherzogs vergeblich. Andererseits wurde ein Angebot Ernst-Augusts an die Stadt Hannover, den gesamten Welfenschatz zusammen mit den Herrenhäuser Gärten für 10 Millionen RM zu erwerben, aufgrund der desolaten Finanzlage am 30. Dezember 1929 von der Stadt abgelehnt.

Daraufhin erwarb ein Konsortium von drei namhaften jüdischen Frankfurter Kunsthändlern, Zacharias Max Hackenbroch, Firma J. Rosenbaum und Firma I. & S. Goldschmidt, den aus 82 Einzelexponaten bestehenden Reliquienschatz für acht Millionen Reichsmark am 7. Januar 1930. Bei verschiedenen nachfolgenden Ausstellungen in Frankfurt, Berlin und den USA wurden schließlich Teile des Kunstschatzes in private und öffentliche Sammlungen in die USA verkauft. Die meisten Stücke, darunter der sog. Gertrudis-Tragaltar, sicherte sich das Cleveland Museum of Art, aber auch das Art Institute of Chicago erhielt acht Teile.

Erwerb durch den preußischen Staat 1935

Die beteiligten Kunsthändler, die infolge der Weltwirtschaftskrise und der unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung Anfang 1933 einsetzenden rassischen Verfolgung offenbar innerhalb kurzer Zeit in ernsthafte, wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten und die zum Teil bereits vor 1935 ins Ausland emigrieren mussten, verhandelten augenscheinlich ab 1934 mit verschiedenen preußischen Ministerien über den Ankauf der Restsammlung, die sich zum Zeitpunkt der Verhandlungen in Amsterdam befand. Deren Wert wurde mit immerhin noch 6 bis 7 Millionen Reichsmark beziffert.

In die Verhandlungen über den Ankauf der Sammlung war 1934 auf Seiten des NS-Preußenstaates maßgeblich der später als NS-Kriegsverbrecher verurteilte Jurist, SS-Obergruppenführer Dr. Wilhelm Stuckart, involviert gewesen.[2] Stuckart trat kurz darauf, 1936, gemeinsam mit dem späteren Adenauer-Vertrauten und Chef des Bundeskanzleramtes Hans Globke als Mitverfasser des sogenannten Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung zu den „Nürnberger Gesetzen“ in Erscheinung.[3]

Für die nationalsozialistische Reichsregierung, mehr noch für den damals pro forma noch existierenden Staat Preußen unter seinem Ministerpräsidenten Hermann Göring war die "Rückführung" des Welfenschatz ins Deutsche Reich von überragender kulturpolitischer Bedeutung, denn die Ankaufsverhandlungen wurden maßgeblich von Göring selbst und Bernhard Rust, damals preußischer Kultusminister und Mitinitiator des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums koordiniert und durchgesetzt (aus dem Vorwort des Begleitkataloges zur Ausstellung des Welfenschatz 1935 in Berlin: "...Daß der Schatz nach seinen Irrfahrten durch die neue Welt nun doch noch für seine deutsche Heimat gerettet worden ist, danken wir der kulturbewußten und zielsicheren Energie des Preußischen Finanzministers, Herrn Dr. Popitz, und des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Herrn Bernhard Rust, die beide mit freudigster Zustimmung des Herrn Ministerpräsidenten Göring die Erwerbung des Schatzes beschlossen und durchgesetzt haben").[4]

Schließlich erwarb der Staat Preußen im Juni 1935 für die Staatlichen Museen Berlin die unverkauft gebliebenen 42 Stücke aus dem Besitz des Händlerkonsortiums (zwei weitere kurz darauf aus anderem Besitz) für einen Kaufpreis von angeblich 4.264.166,66 Reichsmark, darunter das „Welfenkreuz“, den Eilbertus-Tragaltar, das Kuppelreliquiar sowie das Plenar Ottos des Milden.[5] Diese Stücke gelten als die kunsthistorisch bedeutendsten Teile des (verbliebenen) Schatzes.

Während des Zweiten Weltkrieges wurden die Gegenstände ausgelagert und konnten so vor Zerstörung oder Raub gerettet werden.

Verbleib nach 1945

Nach Kriegsende wurde sie von US-Truppen beschlagnahmt. Der Schatz wurde anschließend treuhänderisch an das Land Hessen und 1955 schließlich an Niedersachsen übergeben. 1957 ging der Welfenschatz in das Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über. Von 1957 bis November 1963 war der Welfenschatz wieder in der Burg Dankwarderode zu besichtigen, bevor er – gegen großen Widerstand der Stadt Braunschweig, aber auch des Landes Niedersachsen – wieder nach Berlin in das dortige Kunstgewerbemuseum gesandt wurde, wo er seither ausgestellt wird. Es handelt sich um den umfangreichsten weltweit in einem Kunst-Museum ausgestellten Kirchenschatz. Er bildet den Höhepunkt der Mittelaltersammlung des Kunstgewerbemuseums.

In Braunschweig verblieben neben dem ältesten Armreliquiar weitere Teile, die nach 1945 vom Herzog Anton Ulrich-Museum erworben worden waren.

Literatur

  • Wilhelm A. Neumann: Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg. Wien 1891
  • Otto von Falke / Robert Schmidt / Georg Swarzenski: Der Welfenschatz. Der Reliquienschatz des Braunschweiger Domes aus dem Besitz des Herzogl. Hauses Braunschweig-Lüneburg. Frankfurt 1930
  • Städelsches Kunstinstitut Frankfurt (Hrsg.) [A. Osterrieth]: Der Welfenschatz – Katalog der Ausstellung 1930 – Berlin und im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt, Berlin und Frankfurt 1930
  • Staatliche Museen zu Berlin: Der Welfenschatz, Einführung und beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1935.
  • Georg Swarzenski: Der Welfenschatz. In: Jahrbuch der Preußischer Kulturbesitz. 1963, S. 91-108
  • Dietrich Kötzsche: Der Welfenschatz im Berliner Kunstgewerbemuseum. Berlin 1973
  • Patrick M. de Winter: Der Welfenschatz. Zeugnis sakraler Kunst des Deutschen Mittelalters. Hannover 1986
  • Klaus Jaitner: Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg ("Welfenschatz") vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. In: Jahrbuch Preussischer Kulturbesitz 23, 1986, S. 391-422.
  • Dietrich Kötzsche: Der Welfenschatz, in: Jochen Luckhardt und Franz Niehoff (Hrsg.): Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125-1235, Band 2: Essays, S. 511-528, München 1995
  • Andrea Boockmann: Die verlorenen Teile des ‚Welfenschatzes’. Eine Übersicht anhand des Reliquienverzeichnisses von 1482 der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig, Göttingen 1997
  • Joachim Ehlers / Dietrich Kötzsche (Hrsg.): Der Welfenschatz und sein Umkreis. Mainz 1998
  • Jochen Luckhardt / G. Bungarten (Hrsg.): Welfenschätze. Gesammelt, verkauft, durch Museen bewahrt. [Ausstellungskatalog Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig] 2007

Weblinks

 Commons: Welfenschatz – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Martina Junghans: Die Armreliquiare in Deutschland vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Dissertation Bonn (2000), Bonn 2002, Kat.-Nr. 1
  2. Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Jahrbuch Preussischer Kulturbesitz, Bd. 23, Berlin 1987, S. 422.
  3. Stuckart-Globke: Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung. Band 1, München und Berlin 1936.
  4. Staatliche Museen zu Berlin: Der Welfenschatz, Einführung und beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1935.
  5. Daraus leitet sich ein Restitutionsanspruch der Erben von Max Hackenbroch her: NS-Raubkunst - "Unwürdig und moralisch höchst fragwürdig." In Die Zeit vom 2. Juni 2009

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