Weltethos

Weltethos
Auf dem Buchumschlag von Küngs „Projekt Weltethos“ wurde als Symbol für sein Projekt die Erde gewählt

Das Weltethos ist die Formulierung eines Grundbestandes an ethischen Normen, den alle großen Religionen und Kulturen in ihren ethischen Traditionen wiederfinden und teilen.

Das Projekt Weltethos ist ein Versuch, die Gemeinsamkeiten der Weltreligionen zu beschreiben und ein gemeinsames Ethos, ein knappes Regelwerk aus den Grundforderungen aufzustellen, welche von allen akzeptiert werden. Der Initiator des Projekts ist der katholische Theologe Hans Küng.

Inhaltsverzeichnis

Grundüberzeugungen

Die Grundüberzeugungen des Projektes Weltethos sind

  • kein Zusammenleben auf unserem Globus ohne ein globales Ethos
  • kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen
  • kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen
  • kein Dialog zwischen den Religionen und Kulturen ohne Grundlagenforschung
  • kein globales Ethos ohne Bewusstseinswandel von Religiösen und Nicht-Religiösen

„Diese eine Welt braucht ein Ethos; diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele.“

Hans Küng, Das Projekt Weltethos

Goldene Regel

Ein wichtiges Beispiel für die Gemeinsamkeiten in den Religionen aber auch nicht religiösen Ansichten ist das Prinzip der Goldenen Regel. Alle Religionen und Kulturen kennen dieses Prinzip der Gegenseitigkeit. In Form eines deutschen Sprichworts formuliert lautet es: Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu. Das Projekt Weltethos führt folgende Beispiele zu den einzelnen Weltreligionen an:

  • Hinduismus: Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.Mahabharata (Geschichte Großindiens) XIII, 114.8
  • Buddhismus: Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten? - Samyutta-Nikaya (Reden Buddhas) V, 353.35-354.2
  • Judentum: Tue nicht anderen, was Du nicht willst, dass sie Dir tun. - Rabbi Hillel, Sabbat 3a
  • Christentum: Alles was Ihr wollt, dass Euch die Menschen tun, das tut auch Ihr Ihnen ebenso. - Neues Testament, Matthäus 7,12; Lukas 6,31 bzw. Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst., Levitikus 19,18 AT, Lukas 10,27, Matthäus 19,19, Matthäus 22, 39, Römer 13,9, Galater 5,14.
  • Islam: Keiner von Euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht. - An-Nawawi, Kitab Al-Arba'in (Vierzig Hadithe), 13

Erklärung zum Weltethos

Vom 28. August bis zum 4. September 1993 trafen sich in Chicago Vertreter vieler verschiedener Religionen, um ein Regelwerk zusammenzustellen, das die Menschenrechtserklärung von 1948 ethisch begründen sollte. Es beteiligten sich 6.500 Menschen aus 125 Religionen und religiösen Traditionen. Sie einigten sich in der Erklärung zum Weltethos auf vier Weisungen (Du sollst nicht töten, stehlen, lügen und Unzucht treiben), die in den Leitsätzen formuliert wurden:

  • Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben,
  • Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung,
  • Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit,
  • Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau.

Die Grundforderung lautet: Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden! Ferner gilt als Gemeinsamkeit die Goldene Regel.

Im Judentum werden diese Forderungen zum Beispiel aus den 10 Geboten hergeleitet; im Christentum ebenfalls, wobei Jesu Auslegung dieser Gebote in der Bergpredigt maßgebend ist.

Stiftung

Das Projekt wird inzwischen von der Stiftung Weltethos vorangetrieben. Gegründet wurde die Stiftung von Graf K.K. von der Gröben, der 1995 durch das Buch Projekt Weltethos auf das Thema aufmerksam wurde. Er stellt eine namhafte Summe zur Verfügung. Aus den Zinsen kann die weitere Arbeit langfristig finanziert werden. Präsident der Stiftung ist Hans Küng.

Aufgaben der Stiftung:

  • Durchführung und Förderung interkultureller und interreligiöser Forschung
  • Anregung und Durchführung interkultureller und interreligiöser Bildungsarbeit
  • Ermöglichung und Unterstützung der zur Forschungs- und Bildungsarbeit notwendigen interkulturellen und interreligiösen Begegnung

Die Ziele des Weltethos sind die Umsetzung der Menschenrechte, Freiheit der Menschen vor Unterdrückung, Freiheit als solche, Beseitigung des Welthungers, Umsetzung einer gerechten Wirtschaftsordnung, Solidarität zwischen den Menschen, Nachhaltigkeit zum Schutze des Ökosystems und Friedens auf der Erde. Dies soll durch Dialog zwischen den Religionen und den Bewusstseinswandel eines jeden erreicht werden.

Kritik

Am Projekt Weltethos wird bemängelt, dass die Grundlagen für dieses gemeinsame Ethos zu sehr westlichen Denkweisen entsprängen und somit die Inhalte anderer Religionen nicht genug berücksichtigten. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Religionen gegenüber dem Weltethos an Bedeutung verlieren und somit jahrhundertealtes Wissen und Traditionen in Vergessenheit geraten könnten. Schließlich wendet sich das Projekt Weltethos an die (großen) Religionen der Welt und berücksichtigt Menschen, die Religion fernstehen oder nicht religiös sind, lediglich am Rande. Dagegen wenden sich verschiedene Projekte, etwa das Projekt Ethify Yourself.[1] Als einer der schärfsten Kritiker des Projekts Weltethos tat sich der Philosoph Robert Spaemann hervor. Aus der Sicht eines evolutiv neuen, wissenschaftlich-rational fundierten Religionsbegriffes formuliert Siegfried Pflegerl eine konstruktiv anregende Kritik.

Literatur

  • eine umfangreiche Bibliographie zur Weltethosdebatte - zusammengestellt von Michel Hofmann - findet sich in: Christel Hasselmann: Die Weltreligionen entdecken ihr gemeinsames Ethos. Mainz 2002. S. 300ff.
  • Hans Küng: Projekt Weltethos, Piper Verlag, 1990 Inhaltsverzeichnis (pdf)
  • Hans Küng: Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft, Piper Verlag, München, 2004
  • Hans Küng (Hrsg.), Dieter Senghaas (Hrsg.): Friedenspolitik. Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen, Piper Verlag, München, 2003
  • Hans Küng: Erkämpfte Freiheit. Erinnerungen, Piper Verlag, München, 2002
  • Hans Küng: Wozu Weltethos? Religion und Ethik in Zeiten der Globalisierung. Im Gespräch mit Jürgen Hoeren, Herder Verlag, Freiburg/Brsg., 2002
  • Hans Küng (Hrsg.): Dokumentation zum Weltethos., Piper Verlag, München 2002
  • Christel Hasselmann: Die Weltreligionen entdecken ihr gemeinsames Ethos. Der Weg zur Weltethoserklärung, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 2002 (mit einem Vorwort von Hans Küng)
  • Christel Hasselmann: Hans Küngs Projekt Weltethos interkulturell gelesen, Interkulturelle Bibliothek, Traugott Bautz, Nordhausen 2005
  • Robert Spaemann: Weltethos als ‚Projekt‘, in: Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 9/10, 50. Jahrgang, Stuttgart 1996, S. 891-904 (eine grundsätzliche Kritik am Projekt Weltethos)
  • Hans Küng, Karl-Josef Kuschel (Hg.):Wissenschaft und Weltethos, Piper Verlag, München, 1998
  • Hans Küng: Ja zum Weltethos, Perspektiven für die Suche nach Orientierung, Piper Verlag, München, 1996
  • Erwin Bader (Hg.): Weltethos - Weltfrieden - Weltreligionen, hrsg. i. A. d. Initiative Weltethos Österreich, Vw. v. Hans Küng, LIT Verlag Wien - Münster 2007
  • Erwin Bader (Hg.): Weltethos und Globalisierung, hrsg. i. A. d. Initiative Weltethos Österreich, LIT Verlag Wien - Münster 2008
  • Siegfried Pflegerl: "Das Ethos der Einen Menschheit - Kritische Vorschläge zur Evolution der Weltethosdebatte", E-Book der Internetloge.de, 2009 Download gesamtes Buch: 95 S., PDF-File 1,5 MB unter: [1]

Einzelnachweise

  1. ethify.org; Roland Alton: Ethify Yourself. Mit neun Werten leben und wirtschaften. Online Buch, Kapitel Ausblick, letzter Abruf 20. März 2011.

Siehe auch

Weblinks


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