Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (Partei)

Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (Partei)

Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) war eine von Alfred Loritz gegründete deutsche Partei. Sie existierte von 1945 bis 1953 und gelangte sowohl in den Bayerischen Landtag als auch in den Bundestag. Die populistische Partei des Mittelstandes, die dank der Unterstützung von Flüchtlingsverbänden in den Bundestag gewählt wurde, ging in personellen Streitigkeiten unter. Zum Teil bemühte sie sich um die Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Gründung und Zeit bis zur Bundestagswahl 1949

Unter der Führung des Rechtsanwaltes Alfred Loritz wurde die WAV am 25. März 1946 in München als Partei gegründet. Loritz war aus persönlichen Gründen im Widerstand gegen das NS-Regime engagiert gewesen und 1939 vor der Einberufung in die Schweiz geflohen. Der Partei kam zugute, dass die US-Militärregierung nur wenigen Parteigründungen die Erlaubnis (Lizenz) erteilte. Vor der WAV gab es nur CSU, SPD und KPD; die FDP wurde zwei Monate nach der WAV gegründet. Für nur lokal organisierte Gruppierungen war sie daher ein interessanter Partner auf der Landesebene.[1]

Zwar gelangte die Partei nach dem Wahlerfolg von 5,1 Prozent am 30. Juni 1946 mit acht Mandaten in die bayerische Verfassunggebende Landesversammlung (15. Juli bis 30. November 1946), doch bald schon verließen mehrere Abgeordnete und Mitglieder die Partei in Richtung CSU oder FDP. Der diktatorische Stil des Partei- und Fraktionsvorsitzenden habe zu dieser Spaltung geführt, so der Parteienforscher Hans Woller.[2] Im Juni 1947 setzte eine nationalistische Gruppe unter Karl Meißner Loritz ab, der die Abwahl aber nicht akzeptierte. Es gelang Loritz’ Anhängern, wieder die Oberhand zu gewinnen. Im Oktober wurden Julius Höllerer, Alfred Noske und Loritz als die drei Landesvorsitzenden gewählt, letzterer in knapper Stichwahl gegen Meißner. Da Meißner eine neue Partei vorbereitete, wurde er ausgeschlossen. Im November gründete er den Deutschen Block.[3]

Aus den anschließenden Wirren, in denen man sich auch mit Ausschlussverfahren bekämpfte, ging im Juli 1949 schließlich Loritz als Sieger hervor. Die Zeit war knapp geworden, da am 14. August die erste Bundestagswahl stattfand. Loritz war zwischenzeitlich polizeilich gesucht worden, behauptete, wegen seiner bevorstehenden Ermordung habe er aus der Untersuchungshaft fliehen müssen, und warf der bayerischen Landesregierung vor, sie habe den Beginn der Hauptverhandlung absichtlich in die heiße Phase des Wahlkampfs gelegt. Die Militärregierung wies eine Verschiebung an, was zu einem Konflikt zwischen Besatzungsmacht und Landesregierung führte.[4]

Woller vermutet, die CSU habe seit Frühjahr 1948, als sie bei den Kommunalwahlen viele Stimmen verloren hatte, in der WAV einen Konkurrenten gesehen, obwohl diese selbst nur 1,7 Prozent erhalten hatte. Vor allem aber habe die CSU (zurecht) befürchtet, dass die WAV sich mit den Flüchtlingsgruppen verbündete. Diesen war eine Parteigründung von der Militärregierung verboten worden. Im Gegensatz zu SPD und FDP war die am Boden liegende WAV bereit, den Forderungen des „Neubürgerbundes“ nachzukommen. Er erreichte eine paritätisch besetzte Landesliste, und seine Anhänger mussten nicht in der WAV Mitglied werden.[5]

Bundestagspartei und Ende 1953

Das Wahlgesetz für den ersten Bundestag kannte zwar eine Fünf-Prozent-Hürde, sie galt aber nur jeweils pro Bundesland. Mit 14,4 Prozent der Stimmen in Bayern erhielt die WAV-Liste überraschend zwölf Mandate.[6] Damit war der Höhepunkt des Erfolges der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung erreicht. Am 17. März 1950 wurde die Lizenzierungspflicht aufgehoben, so dass die Flüchtlinge eine eigene Partei gründen konnten. Auch die entsprechenden Abgeordneten der WAV wechselten zur neuen Gruppierung Gesamtdeutscher Block/BHE. In Bayern reichten 2,8 Prozent in der Landtagswahl am 26. November 1950 nicht für den Wiedereinzug in den Landtag.[7]

Die sieben verbliebenen WAV-Abgeordneten im Bundestag versuchten daraufhin, sich anderen bürgerlichen Parteien anzuschließen, nicht aber der SPD und der KPD. Bei verlangten sie allerdings die Zusicherung eines Wahlkreises oder Listenplatzes für die folgende Wahl. Im Juni 1951 wurde Loritz, der eine Fusion mit der rechtsradikalen Sozialistischen Reichspartei (SRP) angekündigt hatte, aus der WAV-Fraktion ausgeschlossen. Loritz aber ließ sich in einer Landesversammlung im September als Landesvorsitzender bestätigen und seinerseits vier der Bundestagsabgeordneten aus der Partei ausschließen. In Folge dessen gründeten schwäbische WAV-Gruppen im Dezember 1951 einen bayerischen Landesverband der Deutschen Partei (DP).[8] Die Abgeordneten schlossen sich der DP im Bundestag an; am 6. Dezember 1951 löste die WAV-Fraktion sich auf. Am 25. März 1953 gründeten die Abgeordneten Günter Goetzendorff, Wolfgang Hedler, Erich Langer, Alfred Loritz und Otto Reindl für den Rest der Legislaturperiode erneut eine WAV-Gruppe.

Bereits 1950 hatten sich zwei Abgeordnete der SRP der WAV-Gruppe im Bundestag angeschlossen. Nach dem SRP-Verbot im Oktober 1952 dachte die Partei daran, unter anderem die WAV als Sammelbecken zu gebrauchen. Loritz war zwar nicht völkisch eingestellt, teilte mit der SRP aber die Ablehnung der Außenpolitik Konrad Adenauers und überhaupt der „alten“ Parteien und der parlamentarischen Demokratie. Die Zusammenarbeit von WAV und SRP lief als niedersächsischer Landesverband der WAV, unter dem Namen Deutsche Aufbau-Vereinigung. Die Sammelbewegung scheiterte aber, und die WAV nahm an der Bundestagswahl 1953 nicht mehr teil. Am 11. August 1953 hatte sie noch den Namen DAV angenommen.[9]

Bremische Bürgerschaftswahlen 1955

Loritz bemühte sich um ein politisches Comeback, für das er sich die Bremer Bürgerschaft auswählte. Sie sollte am 9. Oktober 1955 gewählt werden. Bei der Unterschriftensammlung für die WAV kam es zu Unregelmäßigkeiten. Die sich daran anschließenden Auseinandersetzungen vor Gericht dauerten bis zum Tod von Loritz 1979.[10]

Programm

Loritz war 1932 aus der Wirtschaftspartei ausgeschlossen worden, da er sich, so Woller, wie ein Querulant benommen habe. Er habe sich stets als Opfer dargestellt und seine Antihaltung gegen mächtige Gegner gerichtet. Nach Kriegsende wollte er eine Partei gründen, die die bestehenden Besitz- und Machtverhältnisse verteidigen sollte.[11]

Das WAV-Gründungsprogramm vom Dezember 1945 richtete sich an den Mittelstand. Woller beurteilt es als konzeptionslos und populistisch. Trotz des Schutzes des Privateigentums sollten ehemalige Nationalsozialisten und sehr Reiche enteignet werden. Der Mittelstand sollte gegen die Großindustrie geschützt werden, die Arbeiterschaft einen Mindestlohn erhalten. Statt der parlamentarischen Demokratie wollte Loritz Volksabstimmungen über jedes Gesetz. Der „Volkswille“ solle direkt zum Ausdruck kommen. In der Außenpolitik begrüßte die WAV die Westintegration der Bundesrepublik, war aber anscheinend auch neutralistisch eingestellt.[12]

„Der Primat der Propaganda und die widersprüchliche Politik“, so Woller, „verdeckten allerdings nicht, daß in der WAV […] ein, wenn auch schmaler, ideologischer Konsens bestand, der sich aus sozialen Existenzängsten und ständischen Romantizismen konstituierte.“ Die WAV habe sich, anstelle der Industriegesellschaft, die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgewünscht.[13]

Wahlergebnisse und bayerisches Ministeramt

Wahlergebnisse
(Bayern)
15%
10%
5%
0%

In Bayern erzielte die WAV 1946 zur Verfassungsgebenden Landesversammlung 5,1 Prozent (8 Mandate), 1946 zum Landtag 7,4 Prozent (13 Mandate), 1950 nur noch 2,8 Prozent. Bei der Bundestagswahl 1949 kam sie auf bundesweit 2,9 Prozent der Stimmen; nur für Bayern, wo sie kandidierte, gezählt waren es 14,4 Prozent (12 Mandate). Wegen ihrer Präsenz im Bayerischen Landtag hatte sie seit Juni 1947 einen, seit Februar 1948 (nach einer Neuorganisation) zwei Vertreter im Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes.

In der ersten vom Volk gewählten Regierung Bayerns nach dem Krieg war neben CSU und SPD auch die WAV vertreten, trotz absoluter Mehrheit der CSU. Loritz war Sonderminister für politische Befreiung, verantwortlich für die Entnazifizierung, am 24. Juni 1947 wurde er jedoch entlassen.

Die Partei war 1946 noch überwiegend von Alteinsässigen gewählt worden, 1949 aber war sie vor allem in Gebieten mit vielen Flüchtlingen erfolgreich.[14]

Vorsitzende

Vorsitzende der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung 1946–1953[15]
März 1946 bis Juni 1947 Alfred Loritz
Juni 1947 bis Oktober 1947 Fünfköpfiges „Direktorium“, von der US-Militärregierung nicht anerkannt: Karl Meißner, Josef Klessinger, Friedrich Lugmair, Alfred Noske, Paul Röschinger
Oktober 1947 bis August 1948 Julius Höllerer, Erich Kühne, Alfred Loritz (vertreten durch Gottfried Zimmermann)
August 1948 bis August 1953 Alfred Loritz

Alfred Loritz war das erste und letzte Mitglied der WAV, „enfant terrible, Münchner Stadtgespräch im ersten Nachkriegsjahrzehnt, Gegenstand der Sensationspresse“. Durch den Schwarzmarkt reich geworden und mit einem großen Rednertalent ausgestattet, war der diktatorische Loritz dennoch ungeeignet, eine stabile und dauerhafte Organisation aufzubauen.[16]

Literatur

  • Hans Woller: Die Loritz-Partei: Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945–1955. Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt 1982, ISBN 3-421-06084-3.
  • Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, ISBN 3-531-11592-8, Bd. 2, S. 2458–2481 (vgl. die Sonderausgabe Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen 1986, ISBN 3-531-11838-2, Bd. 4: NDP–WAV).
  • Sören Winge: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945–53. Entwicklung und Politik einer „undoktrinären“ politischen Partei in der Bundesrepublik in der ersten Nachkriegszeit. Almqvist & Wiksell, Stockholm 1976, ISBN 91-554-0368-9 (zugleich Diss., Universität Uppsala).

Einzelnachweise

  1. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2458.
  2. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2463.
  3. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2463–2465.
  4. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2466–2467.
  5. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2468.
  6. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2468.
  7. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2469.
  8. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2469.
  9. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2470.
  10. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2470.
  11. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2458.
  12. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2460–2462.
  13. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2463.
  14. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2471–2473.
  15. Hans Woller: Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. In: Richard Stöss (Hrsg.): Parteien-Handbuch. Die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1990. Westdeutscher Verlag, Opladen, 1984, Bd. 2, S. 2475.
  16. Michael Schlieben: Missglückte politische Führung: Die gescheiterten Nachkriegsparteien. In: Daniela Forkmann, Michael Schlieben (Hrsg.): Die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland 1949–2005. VS, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14516-9, S. 303–348 hier S. 321 (Zitat) und S. 324f.

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