- Yaşar Kemal
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Yaşar Kemal (* 6. Oktober 1923 als Kemal Sadık Gökçeli im Dorf Hemite, heute Gökçedam, in der Provinz Osmaniye) ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Romanciers der Türkei. Er ist kurdischer Abstammung.
Inhaltsverzeichnis
Herkunft, Kindheit und Jugend
Yaşar Kemals Geburtsort Hemite lag damals in der Provinz Adana, gehört heute aber mit dem Ortsnamen Gökçedam zu Osmaniye. Seine Eltern kamen während des Ersten Weltkrieges als kurdische Zuwanderer aus dem Dorf Ernis in der Provinz Van in die Çukurova. Sein Vater Sadık verdiente seinen Lebensunterhalt als Orangenverkäufer und brachte es dabei zu relativem Wohlstand.[1]
Yaşar Kemal hatte eine schwierige Kindheit. Bei einem Unfall verlor er sein rechtes Auge. Als Vier- oder Fünfjähriger musste er zusehen, wie sein Vater in einer Moschee beim Gebet erstochen wurde.
Werdegang und politische Tätigkeit
Yaşar Kemal ging zunächst im Dorf Berhanlı und später in der Kreisstadt Kadirli zur Schule. Die Mittelschule besuchte er in Adana und verdiente gleichzeitig seinen Lebensunterhalt in einer Baumwoll-Fabrik. Später arbeitete er als Baumwollarbeiter und Aushilfslehrer.
Yaşar Kemal wurde während seines Werdegangs dreimal inhaftiert. 1951–1963 war er als Journalist tätig und schrieb für die Tageszeitung Cumhuriyet. Zu diesem Zeitpunkt begann er den Namen Yaşar Kemal zu verwenden.
Als Yaşar Kemal 1951 die Insel Akdamar im Van-See besuchte, sah er die beginnende mutwillige Zerstörung des dortigen armenischen Klosterkomplexes mit der Kirche zum Heiligen Kreuz. Er nutzte seine Kontakte, um die Zerstörung zu beenden. Die Kirche verblieb in einem vernachlässigten Zustand, bis 2005 die türkische Regierung eine Restaurierung einleitete.[2]
1962 trat Yaşar Kemal der Türkiye İşçi Partisi (Arbeiterpartei der Türkei) (TIP) bei und übernahm dort wichtige Funktionen.
Er wurde zum kritischen und aktiven Beobachter der Politik in der Türkei. Er setzte sich stets für die Einhaltung der Menschenrechte und für die Menschen Anatoliens, einschließlich der Kurden, ein.
Hinwendung zum Sozialismus
Yaşar Kemal war ein überzeugter Sozialist und gleichzeitig ein kritischer Beobachter sozialistisch gesinnter Staaten, in denen die Arbeiter nicht wirklich regierten. So meinte er bei einem Interview mit dem berühmten türkischen Journalisten Abdi İpekçi, dass er sowohl gegen diejenigen sei, die die Arbeiter ausplündern und unterdrücken, als auch gegen diejenigen, die im Namen der Arbeiter an die Macht kommen wollen. Er war stets der Überzeugung, dass die Arbeiterklasse ihre eigene sozialistische Staatsform selbst aufbauen müsse.
Auch außerhalb der Türkei war Yaşar Kemal ein kritischer Beobachter. Unter anderem gab er dem britischen Sender BBC ein Interview, bei dem er auch Großbritannien in manchen Bezügen kritisierte. Doch dieses Interview wurde von der BBC nie ausgestrahlt, worüber der Autor Jahre später klagte. So meinte er, dass er für das Interview auch Geld bekommen habe, es aber trotzdem nicht veröffentlicht worden sei. Yaşar Kemal war der Überzeugung, dass England im Vergleich zu anderen „kapitalistischen“ Systemen einen gewissen Grad an Freiheit für das Proletariat böte. Diese Freiheit sei dadurch bedingt, dass die Bourgeoisie in England so stark verankert sei, dass sie es nicht nötig habe, die Arbeiterklasse zu unterdrücken.
Darüber hinaus meinte Kemal, dass die Bourgeoisie in Deutschland durch das Proletariat so stark unter Druck geraten sei, dass der Nazismus als Ausweg gesehen wurde, was die Machtergreifung Hitlers ermöglicht habe. Mussolinis Machtergreifung in Italien begründete Yaşar Kemal auf ähnliche Art und Weise.
Yaşar Kemal meinte, dass auch die UdSSR kein vollständig vom Proletariat beherrschtes Land sei, bis das Proletariat die letzten Überreste der Bürokratie aufgehoben habe. Er hatte jedoch noch 1971 die Hoffnung, dass dies dem sowjetischen Proletariat gelingen würde.
Yaşar Kemal als Schriftsteller
Sein wohl populärstes Werk ist Memed mein Falke (1955), das auch verfilmt wurde. Es ist die Geschichte eines Bauernjungen, der aus Wut über die diktatorische und ausbeuterische Herrschaft des Großgrundbesitzers Abdi Aga über fünf Dörfer in der Çukurova zum Räuber, Rebellen und Rächer seines Volkes wird. Der in über 40 Sprachen übersetzte Roman wurde zu einer Legende. In türkischen Kaffeehäusern wurde er vorgelesen, wandernde Sänger erzählten ihn nach. 1984 wurde der Roman von Peter Ustinov mit geringem Erfolg verfilmt. Darsteller waren Peter Ustinov (Abdi Aga), Herbert Lom, Denis Quilley, Michael Elphick und Simon Dutton (Memed).
Auf Deutsch erschien das Werk von Yaşar Kemal 1992 im Unionsverlag in Zürich.
Auszeichnungen (Auswahl)
Yaşar Kemal erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen und wurde 1972 für den Nobelpreis für Literatur vorgeschlagen. 1984 erhielt er in Frankreich den Orden der Ehrenlegion und wurde damit zum Commandeur de la Légion d’Honneur ernannt.
1997 erhielt Yaşar Kemal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In seiner Laudatio auf den Preisträger sagte Günter Grass unter anderem:
„In Yaşar Kemals Büchern ist die Darstellung des Rassenwahns als Ausdruck offizieller Regierungspolitik kenntlich. Deshalb ist der Autor den Herrschenden lästig. Deshalb zerren sie ihn immer wieder vor Gericht. Deshalb musste er Gefängnis und Folter erleiden. Deshalb - und um rechtsradikalen Anschlägen zu entgehen - suchte er im Ausland einige Jahre lang Zuflucht. Doch er kehrte nach Istanbul zurück und wird dort, wo er in seiner Sprache und deren Legenden gebettet ist, weiterhin der herrschenden Regierung lästig bleiben.[3]“
2007 wurde Yasar Kemal mit Ute Bock der Weltmenschpreis des Weltmenschvereins in Baden bei Wien verliehen.
Am 4. Dezember 2008 wurde Kemal mit dem Kulturpreis des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül ausgezeichnet. Die Verleihung dieses höchsten türkischen Kulturpreises an Kemal erfolgte in Anwesenheit von Regierungschef Erdoğan. „Dass mir dieser Preis zugesprochen wird, möchte ich als Zeichen dafür sehen, dass politische Standfestigkeit und der Kampf für Frieden und Menschenrechte nicht länger ein Grund zur Ausgrenzung sind und dass sich allmählich ein Weg zum Frieden in unserer Gesellschaft öffnet“, erklärte Kemal bei der Entgegennahme.[4]
Werke (Auswahl)
- Der Memed-Zyklus
- İnce Mehmed (dt.: Mehmed mein Falke), 1955
- İnce Mehmed II (dt.: Die Disteln brennen. Memed II), 1969
- İnce Mehmed III (dt.: Das Reich der Vierzig Augen. Memed III), 1984
- İnce Mehmed IV (dt.: Der letzte Flug des Falken. Memed IV), 2003
- Die Anatolische Trilogie
- Orta Direk (dt.: Der Wind aus der Ebene), 1960
- Yer Demir Gök Bakır (dt.: Eisenerde, Kupferhimmel), 1963
- Ölmez Otu (dt.: Das Unsterblichkeitskraut), 1968
- Teneke (dt.: Anatolischer Reis), 1962
- Ağrıdağı Efsanesi (dt.: Die Ararat Legende), 1970
- Binboğalar Efsanesi (dt.: Das Lied der tausend Stiere), 1971
- Yılanı Öldürseler (dt.: Töte die Schlange), 1976
- Kuşlar da Gitti (dt.: Auch die Vögel sind fort), 1978
- Deniz Küstü (dt.: Zorn des Meeres), 1978
- Yağmurcuk Kuşu (dt.: Salman), 1980
- Die Inselromane
- Fırat Suyu Kan Akıyor Baksana
- dt.: Die Ameiseninsel, 1998
- Der Sturm der Gazellen, 2006
- Die Hähne des Morgenrots, 2008
- Fırat Suyu Kan Akıyor Baksana
Über Yaşar Kemal
- Der Baum des Narren. Mein Leben. Im Gespräch mit Alain Bosquet, 1999
- Helga Dagyeli-Bohne: Yaşar Kemal – Sänger der Cukurova, 2004
Weblinks
- Literatur von und über Yaşar Kemal im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Yaşar Kemal in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database
- Eine Yaşar Kemal-Seite mit umfangreichen Informationen auf türkisch und englisch
- Yaşar Kemal beim Unionsverlag
- Günter Grass: Laudatio auf Yasar Kemal zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
- Friedensmanifest von Yasar Kemal
- Deutschsprachige Webseiten der türkischen Regierung zur Literatur in der Türkei
- Yasar Kemal im Gespräch mit seinem Übersetzer Cornelius Bischoff (pdf), Diskussion im Deutschen Generalkonsulat Istanbul am 22. Januar 2004, Reiner Möckelmann (Hrsg.)
- Rede Kemals von 2008
Einzelnachweise
- ↑ Yüksel Pazarkaya: Rosen im Frost. Einblicke in die türkische Kultur. Zürich 1989, S. 181
- ↑ Asbarez, 1st October 2010: The Mass at Akhtamar, and What’s Next
- ↑ G. Grass: Die Literatur verkuppelt uns und macht uns zu Mittätern. Laudatio auf Yasar Kemal in der Frankfurter Paulskirche. In: FR, 20. Oktober 1997.
- ↑ Dorstener Zeitung: „Yasar Kemal erhält höchsten Kulturpreis“, 4. Dezember 2008
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