Äquivalenzprinzip (Physik)

Äquivalenzprinzip (Physik)
Labor mit einem Beobachter und einem Laser.
Beschleunigung des Raumes a, Gravitationsbeschleunigung g.
Äquivalenzprinzip: Im freien Fall (rechts unten) sind die physikalischen Phänomene genauso wie in Schwerelosigkeit (mitte links).
In einem System, in dem a und g entgegengesetzt und gleich groß sind, verhalten sich sowohl der Beobachter, als auch der Lichtstrahl so, als würde der Raum nach oben beschleunigt. Die Gravitation hat also keinen Einfluss auf die Physik im Raum.
Hinweis: Die Krümmung des Laserstrahls ist stark überzeichnet.

Das Äquivalenzprinzip geht auf Überlegungen von Galileo Galilei (1636/38) zurück. Es besagt, dass schwere und träge Masse eines Massenpunktes in dem Sinne äquivalent sind, dass alle Körper unabhängig von ihren anderen Eigenschaften wie chemische Zusammensetzung, Größe, Form und Masse im Vakuum bei Abwesenheit anderer Kräfte auf gleiche Art fallen. Bei gleichem Anfangsort und gleicher Anfangsgeschwindigkeit durchlaufen alle Körper dieselbe Fallkurve. Als Erweiterung dieses schwachen Äquivalenzprinzips beschreiben einige Autoren (unter anderem Einstein selbst) das sogenannte starke Äquivalenzprinzip für die allgemeine Relativitätstheorie. Dieses besagt, dass in einem frei fallenden Bezugssystem auf kleinen Abstands- und Zeitskalen keine Gravitationsfelder nachweisbar sind.

Die Äquivalenz von träger Masse und schwerer Masse wird in Isaac Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (1687) formuliert, bleibt aber in Newtons Mechanik unerklärt.

Inhaltsverzeichnis

Äquivalenz von träger und schwerer Masse

Die träge Masse mtr tritt in der Abhängigkeit des Impulses \mathbf p eines Teilchens von seiner Geschwindigkeit \mathbf v auf,

\mathbf p = \frac{m_{\text{tr}}\,\mathbf v}{\sqrt{1-\mathbf v^2/c^2}}\,.

Ist die Geschwindigkeit klein gegen die Lichtgeschwindigkeit c\,, so gilt näherungsweise Newtons Mechanik mit

\mathbf p = m_{\text{tr}}\,\mathbf v \,.

Der Impulserhaltungssatz spricht aus, dass Teilchen träge sind. Um ihre Geschwindigkeit zu ändern, muss Impuls übertragen werden. Der pro Zeit auf das Teilchen übertragene Impuls ist die Kraft

\frac{\mathrm d\, \mathbf p}{\mathrm d t}=\mathbf F\,.

Die träge Masse ist additiv: Setzt man einen Körper aus Bestandteilen zusammen, so addieren sich ihre trägen Massen, wenn man die Bindungsenergien der Bestandteile vernachlässigen kann.

Die schwere Masse bewirkt die Schwerkraft, mit der sich Körper gegenseitig anziehen. Für sie gilt näherungsweise Newtons Gravitationsgesetz. Ein Körper der schweren Masse mschwer zieht einen anderen Körper der schweren Masse Mschwer im Abstand r mit einer Kraft vom Betrag

 F = G_{\text{Newton}}\, \frac{m_{\text{schwer}}\, M_{\text{schwer}}}{r^2}

an. Ebenso wie die träge Masse ist die schwere Masse additiv: Setzt man einen Körper aus Bestandteilen zusammen, so addieren sich ihre schweren Massen, wenn man die Bindungsenergien vernachlässigen kann.

Da das Verhältnis von träger und schwerer Masse unabhängig von weiteren Eigenschaften des Teilchens ist und nicht von seiner chemischen Zusammensetzung, seiner Größe und Form abhängt, sind träge und schwere Masse eines Teilchens äquivalent: Sie heben sich aus den Bewegungsgleichungen des Teilchens weg, das im Schwerefeld eines anderen Körpers fällt. In Übereinstimmung mit den Beobachtungen durchlaufen im Vakuum alle Teilchen bei gleichem Anfangsort und gleicher Anfangsgeschwindigkeit dieselbe Fallkurve.

Da das Trägheitsgesetz und das newtonsche Gravitationsgesetz auf voneinander unabhängigen physikalischen Befunden und Axiomen beruhen, bleibt in Newtons Mechanik unerklärt, dass träge und schwere Masse äquivalent sind.

Äquivalenzprinzip in der allgemeinen Relativitätstheorie

In der allgemeinen Relativitätstheorie durchlaufen Testteilchen unabhängig von ihrer Zusammensetzung oder anderen Beschaffenheit dieselbe Fallkurve, wenn anfänglich ihr Ort und ihre Geschwindigkeit übereinstimmen. Im newtonschen Sinne sind also träge und passive schwere Masse, zwischen denen man in der allgemeinen Relativitätstheorie nicht unterscheiden kann, äquivalent. Dass alle Testteilchen dieselben Fallkurven durchlaufen, ergibt sich in der allgemeinen Relativitätstheorie daraus, dass sich die Wirkung bei Wechsel der Koordinaten nicht ändert. Das Äquivalenzprinzip ist so durch eine Symmetrie erklärt.

Die Beobachtung einer Verletzung des Äquivalenzprinzips würde daher zeigen, dass die allgemeine Relativitätstheorie nur begrenzt gültig wäre. Mit heutiger Messgenauigkeit hat man keine Abweichungen vom Äquivalenzprinzip beobachten können.

Darüber hinaus gilt in der allgemeinen Relativitätstheorie ein aktives Äquivalenzprinzip, dass nämlich verschiedene Materie oder Strahlung dieselbe Gravitation erzeugen, wenn nur ihr Energie-Impulstensor übereinstimmt.[1]

Das Äquivalenzprinzip war für Einstein, der es schon 1907 formulierte,[2] ein Leitgedanke zum Aufbau der allgemeinen Relativitätstheorie.[3] Einstein verwendete dabei das sogenannte starke Äquivalenzprinzip. Dieses besagt, dass ein homogenes Gravitationsfeld einer gleichmäßigen Beschleunigung in einer flachen Raumzeit entspricht und dass im Koordinatensystem eines frei fallenden Beobachters die Metrik für kleine raumzeitliche Abstände zum Referenzraumzeitpunkt nur wenig von einer flachen Metrik abweicht. Quantitativ lässt sich dies durch riemannsche Normalkoordinaten darstellen, die zeigen, dass die Abweichungen von der flachen Metrik proportional zum Krümmungstensor sind.

Es ist damit klar, dass das Äquivalenzprinzip nicht für ausgedehnte Objekte gilt. Da das elektrische Feld geladener Körper ebenfalls eine große Ausdehnung hat, gibt es eine Kontroverse darüber, ob das Äquivalenzprinzip für solche Teilchen gelte.[4][5][6] Die Mehrheit der Physiker vertritt dabei die Ansicht, dass elektrisch geladene Teilchen im Gravitationsfeld elektromagnetische Strahlung abgeben und sich demzufolge nicht auf Geodäten der Raumzeit bewegen. Das bedeutet, dass das Äquivalenzprinzip nicht für geladene Teilchen gilt.

Experimentelle Überprüfung

Erste Versuche zu träger und schwerer Masse machten bereits Isaac Newton (1689) und Friedrich Wilhelm Bessel (1832) in Form von Pendelversuchen. Weitere Untersuchungen wurden 1890 und 1909 von dem ungarischen Physiker Loránd Eötvös in dem nach ihm benannten Eötvös-Experiment durchgeführt, welches 1964 von Roll, Krotkov & Dicke in Princeton[7] und 1972 von Braginsky & Panov in Moskau in verbesserter Form wiederholt wurde. Quantitativ werden solche Messungen zur Äquivalenz von träger und schwerer Masse durch das sog. Eötvös-Verhältnis

\eta\equiv\frac{2|a_1-a_2|}{|a_1+a_2|}

beschrieben, wobei a1 und a2 die gemessenen Beschleunigungen zweier unterschiedlicher Testkörper darstellen. Während die klassischen Pendelversuche von Newton und Bessel eine Obergrenze von η < 10 − 3 erreichten, verbesserten die Torsionspendelversuche von Eötvös (1909) diese Grenze auf η < 10 − 9. Durch Experimente mit den Laserreflektoren, die bei Apollo-Missionen auf dem Mond aufgestellt worden waren (Lunar Laser Ranging), konnte Irwin Shapiro 1976 die Gültigkeit des Äquivalenzprinzips mit einer Genauigkeit von 10-12 nachweisen[8]. Adelberger et al. publizierten 1999 eine Arbeit, die dieses Prinzip mit einer Genauigkeit von 10-13 bestätigt.

Schärfere Obergrenzen lassen sich durch satellitengestützte Experimente wie z.B. die STEP-Mission (Satellite Test of the Equivalence Principle), Gravity Probe A oder Microscope erzielen. Hierbei werden z.B. die relativen Beschleunigungen von im Orbit befindlichen, frei fallenden Testkörpern mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung gemessen, was zu einer erwarteten Genauigkeit von η < 10 − 15 (Microscope) und η < 10 − 18 (STEP)[9] führen soll. Hierbei wird auch, direkter als in früheren Experimenten, die Formulierung des Äquivalenzprinzips der ART überprüft.

Quellen

  1. Norbert Dragon, Geometrie der Relativitätstheorie
  2. Albert Einstein: Über das Relativitätsprinzip und die aus demselben gezogenen Folgerungen. In: Jahrbuch der Radioaktivität. 4, 1907/8, S. 411–462. Das Wort Äquivalenzprinzip taucht zuerst auf in Einstein Lichtgeschwindigkeit und Statik des Gravitationsfeldes, Annalen der Physik Bd.38, 1912, S.365. Er stellt es aber schon in Einfluß der Schwere auf die Ausbreitung des Lichts, Annalen der Physik Bd.35, 1911, S.898 ausführlich dar.
  3. Einstein: nach meiner Auffassung ruht meine Theorie ausschließlich auf diesem Prinzip, in Über Friedrich Kottlers Abhandlung „Über Einsteins Äquivalenzhypothese und die Gravitation“,Annalen der Physik, Bd.51, 1916, S.639
  4. A. K. Singal, The Equivalence Principle and an Electric Charge in a Gravitational Field II. A Uniformly Accelerated Charge Does Not Radiate, General Relativity and Gravitation 27 1371-1390 (1997)
  5. Stephen Parrot: Radiation from a Uniformly Accelerated Charge and the Equivalence Principle Found.Phys. 32 (2002) 407-440
  6. Øyvind Grøn, Sigurd Kirkevold Næss: An electromagnetic perpetuum mobile? (2008)
  7. P. G. Roll, R. Krotkov und R. H. Dicke: The equivalence of inertial and passive gravitational mass in Annals of Physics 26 (1964), 442-517 doi:10.1016/0003-4916(64)90259-3
  8. Irwin I. Shapiro, Charles C. Counselman, III und Robert W. King: Verification of the Principle of Equivalence for Massive Bodies in Phys. Rev. Lett. 36 (1976), 555-558 doi:10.1103/PhysRevLett.36.555
  9. Ruterford Appleton Lab. :STEP: Satellite Test of the Equivalence Principle Zitat: "STEP aims to measure Equivalence at the level of 1 part in 1018."- abgerufen am 28. Juni 2007

Literatur

  • Claus Lämmerzahl, Hansjörg Dittus Das Äquivalenzprinzip auf dem Prüfstand, Physik in unserer Zeit 1999, Heft 2

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