Émile Ajar

Émile Ajar
Statue zu Ehren von Romain Gary in Vilnius

Romain Gary (Geburtsname Roman Kacew, in frz. offiz. Papieren Kacewgari) (* 8. Mai 1914 in Vilnius, Litauen (Geburts-Nationalität litauisch); † 2. Dezember 1980 in Paris, Frankreich) war ein französisch-jüdischer Pilot, Schriftsteller, Regisseur, Übersetzer und Diplomat. Er schrieb überwiegend in Französisch, aber auch in Englisch.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Romain Gary wuchs in seiner Geburtsstadt Vilnius und später in Warschau, Polen auf. Als er elf Jahre alt war, verließ sein Vater, Arieh-Leib Kacew, die Familie und heiratete ein zweites Mal. Gary blieb bei seiner Mutter, Nina Owczinski, die ihn von nun an alleine großzog. 1928 zogen Mutter und Sohn nach Nizza, Frankreich, wo Gary seine Schulausbildung abschloss. Anschließend studierte er Rechtswissenschaft in Aix-en-Provence und in Paris.

1938 ging er zur französischen Luftwaffe und wurde in Salon-de-Provence dazu ausgebildet, Kampfflugzeuge zu fliegen. Bald wurde er selbst zum Ausbilder für Schießübungen ernannt. Nachdem die Nationalsozialisten Frankreich besetzt hatten, floh er nach England und trat 1940 der France libre unter Charles de Gaulle bei. Er avancierte zum Staffelhauptmann der Bomberstaffel „Lorraine“ und kämpfte in England, Afrika, Äthiopien, Libyen und in der Normandie. Für seine Verdienste wurde er zum Kommandeur der Ehrenlegion erklärt und mit dem „Ordre de la Libération“ ausgezeichnet. 1945 heiratete er die britische Schriftstellerin und Journalistin Lesley Blanch.

1945 wurde er Sekretär im französischen Außenministerium und Berater in den Botschaften in Sofia und Bern und arbeitete in der Direction d'Europe am Quai d'Orsay in Paris. Von 1952 bis 1956 war er Sprecher bei den Vereinten Nationen, wurde anschließend zum Bolivien-Beauftragten ernannt und Generalkonsul in Los Angeles, USA.

1961 beendete er seine politische Karriere. Seine Frau ließ sich 1962 von ihm scheiden. Während der folgenden zehn Jahre reiste er viel, schrieb das Drehbuch für Der längste Tag (1962) und drehte zwei Filme (Birds in Peru (1968) und „Kill!“ (1971)). Am 16. Oktober 1962 heiratete Gary ein zweites Mal: die amerikanische Schauspielerin Jean Seberg. (Alexandre) Diego Gary, ihr erstes gemeinsames Kind, wurde 1963 geboren. 1970 wurde Jean Seberg erneut schwanger, verlor das Baby jedoch im siebten Monat. Die Ehe wurde im selben Jahr geschieden.

Seberg versuchte an jedem folgenden Todestag ihrer 1970 vorzeitig verlorenen Tochter sich das Leben zu nehmen. 1978 warf sie sich in der Pariser Metro vor einen Zug, überlebte aber. Im September 1979 wurde sie tot auf der Rückbank ihres Autos aufgefunden. Romain Gary, den der Suizid seiner Ex-Frau in Depressionen gestürzt hatte, erschoss sich ein Jahr später am 2. Dezember in Paris.

In seinem Abschiedsbrief hinterließ er folgende Nachricht: „No connection with Jean Seberg. Lovers of broken hearts are kindly asked to look elsewhere. Obviously, one could blame this on nervous depression. But then, one would have to admit that it has lasted since I reached manhood and has permitted me to carry on my literary work. Why then? Perhaps one must seek the answer in the title of my autobiography, The Night Will Be Peaceful, and in the last words of my last novel because it could not be said better: 'I have finally explained myself fully.“ (Time; December 15, 1980)

Werk

Bereits 1935 veröffentlichte er in der französischen Zeitschrift Gringoire zwei Kurzgeschichten: „L'Orage“, über eine gescheiterte Ehe, und die in Indochina spielende Erzählung „La petite femme“. Obwohl die Zeitung für ihre antisemitische Einstellung bekannt war, entschied sich der jüdischstämmige Gary für eine Publikation in diesem Blatt, vermutlich, weil es beinahe eine Million Leser erreichte.

1945, nachdem er in den diplomatischen Dienst eingetreten war, veröffentlichte Gary seinen ersten Roman, Éducation européenne, den er während des Krieges zwischen zwei Missionen geschrieben hatte. Das Werk wurde in siebenundzwanzig Sprachen übersetzt, und mit dem Kritikerpreis ausgezeichnet. Es ist die Geschichte eines vierzehnjährigen polnischen Jungen, der während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg einer Widerstandsgruppe beitritt und langsam zum Mann heranwächst. Die deutsche Version wurde aus der amerikanischen Fassung übersetzt, die von Gary 1959 in Kalifornien selbst erstellt worden war.

Für Les racines du ciel erhielt er 1956 und für La vie devant soi 1975 den Prix Goncourt. Er ist damit der einzige Schriftsteller, der zweimal mit diesem bedeutenden Preis ausgezeichnet wurde, denn der Prix Goncourt wird eigentlich nicht mehrfach an dieselbe Person vergeben. Es war in diesem Fall nur möglich, weil Gary La vie devant soi unter seinem Pseudonym Émile Ajar veröffentlicht hatte. Erst nach seinem Tod wurde entdeckt, dass Gary mit Ajar identisch war.

Nach Romain Gary wurde das Centre Culturel Français Romain Gary de Jérusalem benannt.

Pseudonyme

Das Pseudonym Émile Ajar, unter dem Gary auch veröffentlichte, wird in einem seiner Bücher mit „Paul Pawlowitsch“ als bürgerlichen Namen angegeben, ein freier Schriftsteller, der 1940 in Nizza geboren sein soll. Paul Pawlowitsch war der Cousin Garys. Der Verlag Werner Classen in Zürich beteiligte sich 1977 am Verwirrspiel, indem er auf dem Waschzettel von Monsieur Cousin und die Einsamkeit der Riesenschlangen schrieb: Émile Ajar, 1940 in Nizza geboren, bekennt in seinem Lebensbericht "Pseudo": "Ich habe meine Bücher alle in Kliniken geschrieben, auf Anraten der Ärzte, die mir sagten, dies hätte für mich einen therapeutischen Effekt. Zuerst rieten sie mir, Bilder zu malen, aber das hat zu nichts geführt.

Zitate

  • Patriotismus ist Liebe zu den Seinen. Nationalismus ist Hass auf die anderen.“
  • Avantgardisten sind Leute, die nicht genau wissen, wo sie hinwollen, aber als erste da sind.“
  • „Bei der nächsten Sintflut wird Gott nicht Wasser, sondern Papier verwenden.“
  • „Manche Leute würden lieber sterben als nachdenken. Und sie tun es auch.“

Werke

Als Romain Gary

  • L'Éducation européenne (frz. 1945 u.ö.) engl. Forest of Anger 1944, überarbeitet und wiederveröffentlicht in Englisch 1960: Nothing Important Ever Dies (London), in den USA als A European Education. Deutsch: General Nachtigall Nach der Version von 1960 übersetzt von Günter K. Leupold. Konstanz, Stuttgart: Diana, 1962
  • Tulipe (1946)
  • Le grand vestiaire (1948)
  • Les couleurs du jour (1952)
  • Les racines du ciel (1958)
  • La promesse de l'aube (1960) dt. Erste Liebe – letzte Liebe 1961, häufige Neuaufl., 2008 unter dem Titel Frühes Versprechen [1]
  • Johnie Coeur (1961)
  • Gloire à nos illustres pionniers (1962, Kurzgeschichten) dt. in: Grüße vom Kilimandscharo, s.u., als Filmmotiv hieraus siehe Les oiseaux vont mourir au Pérou
  • Lady L. (1963) dt. (in: Grüße vom Kilimandscharo, s.u.)
  • The ski bum (1965)
  • Pour Sganarelle (1965) Essay
  • Les mangeurs d'étoiles (1966)
  • La danse de Gengis Cohn (1967) dt. Der Tanz des Dschingis Cohn München: Piper, 1969, identisch mit dtv (lt. Impressum „ungekürzt“ - Anm.: was seinerzeit bei deutschen Taschenbüchern i.d.R. gegenüber der deutschen Hardcover-Ausgabe gemeint war) 1970 u.ö. Zur Kürzung der dt. Buchversion gegenüber dem französischen Original siehe Weblinks. Gekürzt wurden 2 Passagen (und darauf rückbezogene kurze Sätze), welche die angebliche deutsche Herstellung von Seife aus den Knochen ermordeter Juden thematisierten. Der Urheber der Kürzungen bleibt offen.
  • La tête coupable (1968) verfilmt 1994 als Les Faussaires
  • Adieu Gary Cooper (1969) Neufassung von The ski bum
  • Chien blanc (1970)
  • Les trésors de la Mer Rouge (1971)
  • Europa (1972)
  • Les enchanteurs (1973)
  • La nuit sera calme] (1974, möglicherweise fiktives Interview mit François Bondy)
  • Au-delà de cette limite votre ticket n'est plus valable (1975)
  • Clair de femme (1977) dt. Frauenlicht
  • Charge d'âme (1977) dt. Atemkraftwerk 1985
  • La bonne moitié (1979)
  • Les clowns lyriques (1979)
  • Les cerfs-volants (1980) dt. Gedächtnis mit Flügeln 1989. Roman über die Résistance
  • Vie et mort d'Émile Ajar (1981, postum)
  • L'homme à la colombe (1984, definitive postume Version)
  • Grüße vom Kilimandscharo deutsch Piper 1962, 1965, ungek. dtv 1967 (14 Erzählungen und 1 Roman)

Als Émile Ajar

  • Gros calin 1974. Dt.: Monsieur Cousin und die Einsamkeit der Riesenschlangen Übers. Justus Franz Wittkop. Classen, Zürich 1977 ISBN 3-7172-0256-1 und Fischer TB
  • La vie devant soi (1975)
  • Pseudo 1976
  • L'Angoisse du roi Salomon 1979. Dt.: König Salomons Ängste Übers. Eugen Helmlé. Bücherbund, Stuttgart 1981; zuerst S. Fischer, Frankfurt 1980 ISBN 3-10-001502-9, häufige Neuaufl.

Als Fosco Sinibaldi

  • L'homme à la colombe (1958)

Als Shatan Bogat

  • Les têtes de Stéphanie (1974) Aus dem Engl. von Françoise Lovat. Paris: Gallimard

Als René Deville

erschien das englische Original von Les têtes de Stéphanie

Als Lucien Brûlard

Pseudonym bekannt seit Februar 2006, gebildet aus zwei Pseudonymen von Stendhal, seinem Vorbild (Lucien Leuwen und Henri Brulard), zugefügt der Circonflex. In seinen Frühschriften verwendet (russ. gary heißt frz. brûle).

Filmographie

Literarische Vorlage
  • 1959: Über den Gassen von Nizza (The man who understood women) – nach dem Roman "The Colors of the Day”
  • 1965: Lady L
  • 1970: Versprechen in der Dämmerung (Promise at dawn)
  • 1979: Die Liebe einer Frau (Clair de femme)
  • 1979: Lust auf Sex (Au-dela de cette limite, votre ticket n'est plus valable)
  • 1981: Weiße Bestie ; auch: Der weiße Hund von Beverly Hills (White dog) - Regie und Buch: Samuel Fuller u.a. Fullers Anklage gegen den Rassismus lief weder im US-amerikanischen noch im deutschen Kino.
  • 1994: Der Tanz des Dschinghis Cohn (Genghis Cohn) - Regie: Elijah Moshinsky, Darsteller: Diana Rigg, Robert Lindsay)
Drehbuch
  • 1962: Der längste Tag (Autor für zusätzliche Szenen)
  • 1971: Kill! – auch Regie; mit Jean Seberg, James Mason, Curd Jürgens
  • 1967: Vögel sterben in Peru (Les oiseaux vont mourir au Pérou) – auch Regie
  • 1958: Die Wurzeln des Himmels (The roots of heaven)

Literatur

  • Myriam Anissimov: R.G. Le caméléon Denoël, Paris 2004 (ausführliche Biographie) ISBN 2-207-24835-6, als TB: Editions Gallimard ISBN 2-07-041361-6 (in Franz.)
  • Timo Obergöker: Écritures du non-lieu. Topographies d'une impossible quête identitaire: Romain Gary, Patrick Modiano et Georges Perec Peter Lang, Frankfurt 2004 ISBN 3-631-52613-X in Französisch (Beschreibung auf den Verlagsseiten)
  • Astrid Poier-Bernhard: Romain Gary im Spiegel der Literaturkritik ebd. 1999 ISBN 3-631-35273-5, Inhalt unter [1]
  • dies.: Romain Gary - das brennende Ich: literaturtheoretische Implikationen eines Pseudonymenspiels Niemeyer, Tübingen 1996 (Reihe: Mimesis 26) ISBN 3-484-55026-0 - Inhaltsangabe [2]
  • Claudia Gronewald: Die Weltsicht R. G.s im Spiegel seines Romanwerkes Nodus Publ., Münster 1997 (Münstersche Beiträge zur romanischen Philologie. Bd. 18) Zugl. Diss.phil. Univ. Münster ISBN 3-89323-568-X Detaillierte Inhaltsangabe [3]
  • Joachim Kronsbein: Spiel mit gebrochenem Herzen (zur Neuübers. von "Frühes Versprechen") in: Der Spiegel Hamburg 2008 (Nr. 26 vom 23. 6.) S. 154f (sehr oberflächlich, ohne den jüdischen und politischen Hintergrund des Autors)

Weblinks

Nachweise

  1. Deutschlandradio Kultur: „Das folgsame Chamäleon“, Rezension zu Frühes Versprechen, 20. März 2008

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