Bernard Etté

Bernard Etté

Bernard Etté (* 13. September 1898 in Kassel; † 26. September 1973 in Mühldorf am Inn; bürgerlich: Bernhard Ette) war ein deutscher Kapellmeister und Violinist.

Im Jahre 1923 wurde er der Kapellmeister des Boston Club Tanzorchesters, mit dem er in Berlin in den besten Häusern, wie Femina, Excelsior, Adlon und Bristol spielte. Mit seinem Orchester, in dem namhafte Musiker wie Franz Grothe, Dajos Béla, Paul Godwin, Billy Bartholomew und Otto Stenzel mitwirkten, nahm er eine der ersten Radiosendungen auf. In den 1930er- und 1940er-Jahren leitete Bernard Etté ein großes Schauorchester. Er ging das Risiko ein, seinen Banjospieler Rudi Anhang nach dessen Berufsverbot durch die Reichsmusikkammer illegal weiterzubeschäftigen. Nach 1945 versuchte er in den Vereinigten Staaten von Amerika einen neuen Anfang, der jedoch nicht erfolgreich wurde. Die Kriegswirren und die sowjetische Besatzungspolitik ließen Etté sehr vieles von seinem umfangreichen Hab und Gut verlieren.

Wie viele andere bedeutende deutsche Tanzorchester-Leiter tat sich auch der einer „anderen Generation“ entstammende Etté anfangs nicht leicht mit der US-amerikanisch beeinflussten, jazzmusikalischen Ausrichtung der nunmehr für die Engagementvergabe bedeutsamen Clubs (im Volksmund: „Ami-Clubs“).

Sicherlich mit erschwerend für einen künstlerischen Neustart kam hinzu, dass sich der Künstler etwa zwei Jahre nach Ende des Krieges wegen (angeblicher oder unwissender) Mitgliedschaft in der NSDAP (Etté war überdies ein Jagdfreund Hermann Görings) vor der Berliner Entnazifizierungskammer für Kulturschaffende zu verantworten hatte.[1]

Zu den für Tanzmusiker existentiell notwendigen Betätigungsfeldern zählte Ende der 1940er-Jahre, als noch zahlreiche Veranstaltungshäuser (Cafés, Hotels usw.) in Trümmern lagen, die musikalische Unterhaltung von Kurgästen auf sogenannten „Bädertourneen“, welche das mittelgroße Orchester von Etté unter anderem auf die ostfriesische Insel Norderney führte.

Anfang der 1950er-Jahre bestand nach mehreren Personalwechseln noch einmal für kürzere Zeit eine Band-Formation mit moderner orientierten Swing-Stilisten, mit dem späteren Südfunktanzorchester-Tenoristen und -Flötisten Manfred Hoffbauer, dem Altsaxophon- und Klarinetten-Satzführer Herbert Wellsandt und dem US-Club-erfahrenen Pianisten/Akkordeonisten Rolf Vögel (Völge). Diese stellten ihre Flexibilität auf ausgedehnten Tourneen durch die Rhein-Mosel-Idyllen unter Beweis.

In renommierten Häusern wie der Stuttgarter Oper, dem Baden-Badener Kurhaus oder den Kölner Blatzheim-Betrieben begleitete das einst hoch gerühmte Orchester debütierende und etablierte Vokalistinnen im Schlager- oder Operettenbereich wie Lonny Kellner(-Frankenfeld), Magda Schneider und die Chansonette Gabriele Laval, Ettés fünfte Ehefrau. Daneben erlebte das in alter Treue zahlreich erschienene europäische Publikum Darbietungen von Big-Band-Klassikern, bspw. dem Trumpet Blues Harry James’, Dobs(chinskis) Boogie, aber ebenso dem Zeitgeschmack angepasste Orchesterarrangements deutscher Evergreens wie Rose vom Wörthersee, Was eine Frau im Frühling träumt, Wenn der weiße Flieder wieder blüht … aus der Feder von Walter Kollo oder Franz Doelle.

Zumindest mit letztgenanntem Genre durfte der sich gelegentlich sogar noch als Violinist präsentierende Etté erneut in „seinem“ Metier fühlen. Bildete doch die schwungvoll-animierende Interpretation von Film-/Unterhaltungsschlagern vor allem vor und während der Kriegszeit eine akklamierte Domäne seines einst sogar über Deutschlands Grenzen hinaus geschätzten Orchesters. So umfasste auch das neue Repertoire die vielbewährten Tangos aus „guter alter Zeit“ wie Olé Guapa etc. Dem Rock'n'Roll- sowie späteren Beat-Musik-Geschmack der jüngeren Generation konnte und wollte der nunmehr fast Sechzigjährige nicht mehr Tribut zollen. Für gepflegte Tanzmusik sorgten jetzt jüngere Orchester wie Hugo Strasser oder Max Greger.

Das im Laufe der 1950er-Jahre nach und nach personell reduzierte Ensemble machte u.a. einem Publikum in Leipzig (seinerzeit DDR) seine künstlerische Aufwartung. Schließlich hatte auch die nach 1945 noch einmal für gut ein Jahrzehnt aufblühende Ära Etté definitiv ihr Ende gefunden. Von der Musikindustrie unbeachtet, verbrachte der Jahrzehnte zuvor zu den maßgeblichen Kulturrepräsentanten und Schallplatten-Millionären zählende Etté seine letzten Lebensjahre relativ vergessen, krank und quasi verarmt in einem süddeutschen Seniorenheim.

Erst in den 1980er-Jahren erfolgte eine Würdigung im Rahmen der Wiederauflagen von Aufnahmen deutscher Tanzorchester in Form von Doppel-LPs. Später wurden von Sammlern weitere Aufnahmen zusammengetragen und auf CD herausgebracht, wie die Kompilation der Firma MEMBRAN Music Ltd. mit repräsentativen Etté-Aufnahmen der Jahre 1931–1942. Daneben existiert eine eingehend recherchierte Etté-Bio-Discography aus der Feder von Rainer E. Lotz und H. J. P. Bergmeier (1995).

Einzelnachweise

  1. Personalien: Bernhard Ette. In: Der Spiegel. Nr. 38, 1947, S. 13 (online).

Literatur

  • Bernhard Etté, Max Ruschel: Beste Schule f. Jazz-Schlagzeug mit Berücks. aller übrigen Schlagzeug-Instrumente ; Bes. zum Selbstunterricht geeignet. M. Biering, Leipzig o.J. [1927]
  • Horst Bergmeier, Rainer E. Lotz: Bernard Etté: a bio-discography. Fox auf 78, Dietramszell o.J. [1995]

Weblinks


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