Abbé de Prades

Abbé de Prades
Jean-Martin de Prades

Jean-Martin de Prades, genannt Abbé de Prades (* um 1720[1] in Castelsarrasin; † 1782 in Glogau) war ein französischer Theologe und einer der Beiträger zur Encyclopédie.

Besondere Bekanntheit erlangte de Prades durch den Skandal um seine Dissertation und den Enzyklopädieartikel Certitude, in dessen Folge die beiden ersten Bände der Encyclopédie mit einem Publikationsverbot belegt wurden. Nach der öffentlichen Verbrennung seiner Dissertationsschrift und heftigen Angriffen durch die Jesuiten flüchtete de Prades nach Preußen, wo er Friedrich II. als persönlicher Vorleser und Privatsekretär diente. Im Siebenjährigen Krieg der Spionage für Frankreich überführt, wurde de Prades zunächst inhaftiert und nach dem Ende des Krieges von Friedrich nach Schlesien verbannt, wo er neunzehn Jahre später starb.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Herkunft und theologische Ausbildung

Jean-Martin de Prades entstammte einer adeligen Familie aus Castelsarrasin im Südwesten Frankreichs. Seine theologische Ausbildung begann er in der Provinz und wechselte dann nach Paris, wo er die Priesterseminare von Saint-Sulpice, Saint-Nicolas-du-Chardonnet und Bons-Enfants besuchte. Nach der Weihe zum Subdiakon kehrte er in den Süden zurück und besuchte das Seminar der Lazaristen in Montauban, wo er zum Priester geweiht wurde. Anschließend nahm er ein Studium an der Sorbonne in Paris auf und gehörte bald zu den besten Studenten seines Faches.

Der Skandal um de Prades Dissertation und den Artikel „Certitude“

Letzte Seite des Artikels „Certitude“ im zweiten Band der Encyclopédie mit dem lobenden Schlusswort Diderots (linke Spalte).

Ab 1751 teilte er sich eine Wohnung mit den beiden Abbés Pestre und Yvon, die zu den Beiträgern des im Juni 1751 erschienenen ersten Bandes der Encyclopédie gehörten. De Prades Anteil an der Encyclopédie umfasste einen rund fünfzehnseitigen Artikel unter dem Lemma Certitude (dt. „Gewissheit“), der im zweiten Band im Januar 1752 veröffentlicht wurde. Eingerahmt wird der Artikel durch eine Einleitung und ein lobendes Schlusswort von Diderot. In seiner Behandlung politischer Themen verfolgt der Artikel eine königstreue Linie. De Prades verurteilt die Ermordung Heinrichs IV. und rühmt Ludwig XV. und den Sieg der königlichen Armee in der Schlacht bei Fontenoy. Auf religiösem Gebiet bot der Artikel eine größere Angriffsfläche. De Prades Gegner sahen in der Argumentation, auch über Wunder könne durch Merkmale der Wahrheit (frz. marques de verité) eine verstandesgemäße Gewissheit erlangt werden, einen Angriff auf die christliche Lehre.[2]

Der eigentliche Skandal um de Prades theologische Positionen hatte sich schon im November 1751 im Zuge der zum Promotionsverfahren gehörenden Disputation entzündet. In seiner Dissertationsschrift hatte de Prades eine Reihe von Thesen aufgestellt, die zu einer scharfen Auseinandersetzung mit Vertretern der theologischen Fakultät der Pariser Universität führten. Unter anderem hatte de Prades Zweifel an der zeitlichen Abfolge der Ereignisse im Buch Mose geäußert und die Heilwunder Jesu mit denen des griechischen Gottes der Heilkunst Asklepios verglichen. Ohne seine Vorbilder zu nennen, bediente de Prades sich über weite Strecken der von d’Alembert verfassten Vorrede zur Encyclopédie, dem Discours préliminaire, und der Pensées philosophiques von Diderot. Mit Diderot stand de Prades auch in persönlichem Kontakt und hatte sich mehrmals mit ihm zu Gesprächen getroffen.

Am 15. Dezember stellte die mit dem Fall befasste Kommission der Pariser theologischen Fakultät fest, die in der Arbeit geäußerten Thesen seien zu verwerfen und die Schrift selbst fiele unter die Zensurbestimmungen. Als dann im Januar 1752 der zweite Band der Encyclopédie erschien, äußerten sich die Theologen schockiert und beschuldigten de Prade der Häresie. Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Enzyklopädiebandes wurde die Dissertationsschrift de Prades auf Anordnung des Erzbischofs von Paris Christophe de Beaumont öffentlich verbrannt. De Prades selbst verlor alle seine universitären Titel. Als dann das Pamphlet Les Réflexions d’un franciscain, avec une lettre préliminaire adressée à M.***, auteur en partie du «Dictionnaire philosophique»[3] des Jesuiten Jean-Baptiste Geoffroy die Verbindungen zwischen de Prades, Pestre, Yvon und Diderot enthüllte und Gerüchte über eine Verschwörung der Enzyklopädisten die Runde machten, flohen de Prades, Pestre und Yvon ins Ausland.

Am 7. Februar 1752 wurde schließlich den beiden ersten Bände der Encyclopédie vom königlichen Rat, dem Conseil du Roi das Druckprivileg entzogen. In der Begründung hieß es, man habe nicht nur versucht, die Autorität des Königs zu untergraben, sondern auch „die Grundlagen des Irrtums, der Verderbnis der Sitten, der Irreligiosität und des Unglaubens“ befördert.[4]

Am Hof Friedrichs des Großen

De Prades Weg ins Exil führte ihn zunächst in die Niederlande und von dort – auf die Vermittlung d’Alemberts, Voltaires und des Marquis d’Argens hin – weiter nach Preußen. Kurz nach seiner Ankunft am Hof Friedrichs II. versprach dieser ihm eine Pfründe in Schlesien, vergab ihm eine Pension und ernannte ihn zu seinem Vorleser. Wenige Tage nach de Prades erstem Treffen mit Voltaire schrieb dieser an seine Nichte Marie-Louise Denis

C’est je vous jure le plus drôle d’hérésiarque qui ait jamais été excommuniqué. Il est gai, il est aimable, il supporte en riant sa mauvaise fortune.[5]
Ich schwöre ihnen, dass dies der merkwürdigste Häretiker ist, der jemals exkommuniziert wurde. Er ist heiter, er ist liebenswert, er erträgt sein übles Schicksal lachend.

In Preußen vollendete de Prades eine zweiteilige Verteidigungsschrift seiner Dissertation unter dem Titel Apologie de Monsieur l’abbé de Prades. Diderot schrieb einen dritten Teil unter de Prades Namen[6] und alle drei Teile wurden heimlich in Paris gedruckt. Noch 1752 erschien ein Pamphlet unter dem Titel Le Tombeau de la Sorbonne (dt. „Das Grab der Sorbonne“), bei dem die Autorenschaft de Prades nicht abschließend geklärt, aber doch sehr wahrscheinlich ist und das in satirischer Form über alle diejenigen herzog, die de Prades Dissertationsschrift verurteilt hatten. Doch schon 1754 änderte de Prades seine Position und verwarf schließlich sogar seine eigenen Thesen. Hauptgrund hierfür war seine finanzielle Lage, die er durch eine Annäherung an die katholische Kirche zu verbessern hoffte. Die Strategie hatte Erfolg: Papst Benedikt XIV., der de Prades Dissertation noch Anfang März 1752 verdammt hatte, nahm ihn wieder in die katholische Kirche auf und die theologische Fakultät der Sorbonne gab ihm seine akademischen Grade wieder zurück.

Als Vorleser und Privatsekretär Friedrichs II. stand de Prades in einem überaus engen Verhältnis zum preußischen König. In seinem Stolz auf diesen Einfluss ließ er die Bemerkung „le roi m’a dit“ (dt. „der König sagte mir“) so häufig fallen, dass er am Hof schließlich nur noch „l’abbé le roi m’a dit“ (dt. „der Abbé der König sagte mir“) genannt wurde.

Spionage, Haft und letzte Jahre in Schlesien

Gleich zu Beginn des Siebenjährigen Krieges wurde de Prades der Spionage für Frankreich überführt und 1757 in Magdeburg inhaftiert. Diderot und Voltaire zeigten sich bestürzt über de Prades Verrat an Friedrich. Diderot sagte zu seiner Geliebten Sophie Volland „Welch verwerflicher Mensch!“[7] und Voltaire schloss eine Betrachtung über den Fall in einem Brief an Friedrich II. mit den Worten ab „Oh, beste aller möglichen Welten, wo bist Du!“[8]

Nach dem Ende des Krieges wurde de Prades von Friedrich II. nach Schlesien verbannt. Mit mehr als 30.000 Livres, die er seinen Mitgefangenen während seiner Haftzeit in Magdeburg beim Spiel abgenommen hatte und seinen kirchlichen Einkünften führte er ein bequemes Leben mit eigener Dienerschaft. 1782 starb er in geistiger Umnachtung in Glogau.

Literatur

Quellen

Darstellungen

  • Prades, abbé Jean-Martin de, in: Frank Arthur Kafker, The encyclopedists as individuals: a biographical dictionary of the authors of the Encyclopédie, Oxford 1988, ISBN 0-7294-0368-8, S. 316–319.
  • John S. Spink: Un abbé philosophe: l’affaire de J.-M. de Prades, in: Dix-huitième siècle 3 (1971), S. 145–180.
  • John S. Spink: The abbé de Prades and the Encyclopaedists: was there a plot?, in: French Studies 24 (1970), S. 225–236.
  • Joseph Dedieu: Jean-Martin de Prades, in: Catholic Encyclopedia (1913), online abrufbar als Volltext im englischsprachigen Wikisource-Projekt.
  • Wilhelm Gundlach: Friedrich der Große und sein Vorleser Jean Martin de Prades, Hamburg 1892, online abrufbar über die Universitätsbibliothek Trier im Format PDF (2,7 MB).
  • Prades (Jean-Martin de), in: Jean Chrétien Ferdinand Hoefer, Nouvelle biographie générale, Band 40: Philoponus – Preval, Paris 1862, S. 412f.

Anmerkungen

  1. Kafker, The encyclopedists as individuals gibt abweichend von Hoefer, Nouvelle biographie générale und anderen älteren französischen Lexika 1724 als Geburtsjahr an.
  2. De Prades schrieb hierzu: „Prétendez vous, m-a-t’on dit, vous servir de ces marques de verité pour les miracles comme pour les faits naturels? Cette question m’a toujoûrs [sic] surpris. Je répons à mon tour: est-ce qu’un miracle n’est pas un fait? Si c’est un fait, pourquoi ne puis-je pas me servir des mêmes marques de vérité pour les uns comme pour les autres?“, Artikel Certitude, S. 849, hier zitiert nach dem Digitalisat im ARTFL-Projekt, online abrufbar im Bildformat JPEG.
  3. Mit „M.***“ ist Diderot gemeint.
  4. „Sa Majesté a reconnu, que dans ces deux volumes on a affecté d’insérer plusieurs maximes tendantes à détruire l’autorité royale, à établir l’esprit d’indépendance & de révolte, &, sous des termes obscurs & équivoques, à élever les fondements de l’erreur, de la corruption des moeurs, de l’irréligion & de l’incrédulité“, in: Arret du Conseil d’État du Roi … Du 7 février 1752, hier zitiert nach der Transkription im ARTFL-Projekt, online abrufbar über die Webseiten der Bibliothek der University of Chicago.
  5. Brief Voltaires an seine Nichte Marie-Louise Denis vom 19. August 1752. Hier zitiert nach Kafker, The encyclopedists as individuals, S. 317. Die Authentizität des Schreibens ist umstritten. Vgl. dazu André Magnan, Pour saluer «Paméla»: une œuvre inconnue de Voltaire, in: Dix-huitième siècle 15 (1983), S. 362.
  6. Dieser erschien unter dem Titel Suite de l’Apologie … ou Réponse à l’Instruction Pastorale de M. l’Evêque d’Auxerre.
  7. „Quel abominable homme!“, Schreiben vom 15. Juni? 1759, hier zitiert nach Kafker, The encyclopedists as individuals, S. 318.
  8. „O meilleur des mondes possibles, où êtes-vous!“, Brief Voltaires an Friedrich II. vom 5. Juni 1759, hier zitiert nach Kafker, The encyclopedists as individuals, S. 318.

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