1q21.1-Deletionssyndrom

1q21.1-Deletionssyndrom
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Klassifikation nach ICD-10
Q93.5 Sonstige Deletionen eines Chromosomenteils
ICD-10 online (WHO-Version 2011)
1q21.1

Das 1q21.1-Deletionssyndrom ist ein seltenes Syndrom, welches durch eine Deletion auf dem menschlichen Chromosoms 1 an der Stelle 1q21.1, verursacht wird. Folgen dieser Veränderung können mentale Retardierung und verschiedene körperliche Anomalien sein. Die Penetranz ist sehr variabel. Einige Menschen mit dieser Deletion weisen keine erkennbare Beeinträchtigung auf.

Unique, eine internationale Vereinigung von Menschen mit seltenen chromosomalen Abweichungen kennt 48 registrierte Menschen mit dieser Deletion weltweit. (Stand: November 2011)[1]

Neben der 1q21.1-Deletion gibt es auch eine 1q21.1-Duplikation, bei der der betreffende Abschnitt zwei- oder dreifach vorhanden ist.

Inhaltsverzeichnis

Struktur der Region 1q21.1

Die Struktur der 1q21.1 ist komplex. Das Gebiet hat eine Größe von ca. 6 Millionen Basenpaaren (Mb) (von 141,5 auf 147,9 Mb). Es gibt zwei Bereiche, in denen die Deletion auftreten kann: den TAR-Bereich mit der Folge eines TAR-Syndroms und den distalen Bereich, der zu anderen Anomalien führt. Das Gebiet weist mehrere Wiederholungen der gleichen Struktur auf (Bereiche in der gleichen Farbe auf dem Bild haben gleiche Strukturen). Nur 25 % der Struktur sind spezifisch. Bis heute gibt es jedoch keine vollständigen Informationen über die Nukleotidsequenz in diesen Bereichen. Der Bereich 1q21.1 gilt als einer der schwierigsten bei der Kartierung des menschlichen Genoms. Die fehlenden Bereiche betragen derzeit etwa 700.000 Basenpaare. Daher ist es schwer, Beginn und Ende einer Deletion genau zu bestimmen.

Typen

Man unterscheidet beim 1q21.1-Deletionssyndrom zwei Typen:

  • Bei der Klasse I-Deletion ist die Deletion auf den TAR-Bereich oder den distalen Bereich beschränkt.
  • Ist die Deletion so groß, dass beide Bereiche betroffen sind, wird sie als sogenannte Klasse II-Deletion bezeichnet. Dabei gibt es komplexe Fälle, in denen sowohl der TAR und dem distalen Bereich betroffen sind, während der Bereich dazwischen normal ist, sowie auch einige atypische Varianten.

Eine normale Deletion betrifft zwischen 1,0 und 1,9 Millionen Basenpaare (Mb). Nach Mefford sind 1,35 Mb der Standard für eine solche Deletion.[2]. Die größte am lebenden Menschen beobachtete Deletion beträgt über 5 Mb.

Symptome

Die Folgen der Mikrodeletion sind phänotypisch sehr variabel. Während manche Menschen mit diesem Syndrom keinerlei erkennbaren Beeinträchtigungen aufweisen, kommt es bei anderen zu erheblichen Einschränkungen.

Bislang nachgewiesene Symptome sind:

Symptome, die bisher nicht sicher dem 1q21.1-Deletionssyndrom zugeordnet werden konnten, sind:

Da nur wenige Informationen über das Syndrom vorliegen, ist nicht klar, ob die Liste der Symptome vollständig ist.

Betroffene Gene

Die beim 1q21.1-Deletionssyndrom im TAR-Bereich betroffenen Gene sind: HFE2 (Hämojuvelin), TXNIP, POLR3GL, LIX1L, RBM8A, PEX11B, ITGA10, ANKRD35, PIAS3, NUDT17, POLR3C, RNF115, CD160, PDZK1 und GPR89A.

Die im distalen Bereich betroffenen Gene sind PDE4DIP, HYDIN2, PRKAB2, PDIA3P, FMO5, CHD1L, BCL9, ACP6, GJA5, GJA8, NBPF10, GPR89B, GPR89C, PDZK1P1 und NBPF11.

Diagnostik

Das Syndrom kann auch in Familien, in denen keines der Elternteile die Gene trägt, auftreten. Wegen der Wiederholungen in 1q21.1 besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein ungleiches Crossing-over während der Meiose. In diesem Fall können Teile des Chromosoms verloren gehen und es kommt zu Kopienzahlvariationen (Copy Number Variation - CNV) in Form von Deletionen oder Duplizierungen. So eine zufällige Mutation wird eine „de-novo“ Situation genannt und tritt in 75 % der Fälle auf.

In 25 % der Fälle ist eines der Elternteile Träger des Syndroms, ohne dass es sich auf die Person auswirkt oder es bestehen nur leichte Symptome. In mehreren Fällen wurde das Syndrom bei Kindern wegen Autismus oder einem anderen Problem festgestellt und erst später diagnostiziert, dass eines der Elternteile auch betroffen war.

In Familien, wo beide Eltern negativ auf das Syndrom getestet wurden, ist das Risiko, dass ein zweites Kind mit dem Syndrom zur Welt kommt, äußerst gering. Wenn das Syndrom in der Familie gefunden wurde, hat das zweite Kind ein Risiko von 50 %, am Syndrom erkrankt zu sein, weil es ein autosomal dominanter Erbgang gibt . Die Auswirkungen der 1q21.1-Mikrodeletion auf das Kind kann jedoch nicht vorhergesagt werden. Eltern, deren Kind am Syndrom erkrankt ist, sollten daher vor einer weiteren Schwangerschaft humangenetisch beraten und untersucht werden.

Eine Feststellung der Chromosomveränderung ist durch Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) möglich. In der Schwangerschaft ist im Rahmen der Pränataldiagnostik eine Feststellung ebenfalls möglich.

Therapie

Aufgrund der genetischen Ursache ist eine ursächliche Behandlung nicht möglich. Angezeigt ist jedoch eine symptomatische Therapie, insbesondere die Korrektur der auftretenden Fehlbildungen und die Therapie der Begleiterkrankungen.

Forschung

Das Syndrom wurde erstmals bei Menschen diagnostiziert, die Herzabnormalitäten hatten, später jedoch auch bei Patienten gefunden, die an Autismus und Schizophrenie litten. Aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen wurde deutlich, dass 20 von 1000 Patienten mit Autismus eine 1q21.1-Mikrodeletion haben.

Relation in 1q21.1

An mehreren Standorten weltweit wird das 1q21.1-Deletionssyndrom derzeit untersucht. Dabei gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Autismus und Schizophrenie, der durch Duplizierungen und Deletionen an Chromosomen seinen Ursprung in der Embryogenese haben könnte. Statistische Untersuchungen zeigten, dass Schizophrenie bei einer 1q21.1-Mikrodeletion signifikant häufiger ist. Dagegen ist Autismus bei einer 1q21.1-Mikroduplizierung signifikant häufiger. Ähnliche Beobachtungen wurden im Hinblick auf Chromosom 16 auf 16p11.2 (Deletion: Autismus / Duplizierung: Schizophrenie) sowie auf Chromosom 22 (22q11.21-Deletion (Velo-Cardio-Facial Syndrom): Schizophrenie / Duplizierung: Autismus) und 22q13.3 (Deletion (Phelan-McDermid-Syndrom): Schizophrenie / Duplizierung: Autismus) gemacht. Weitere Untersuchungen bestätigen das die Chance auf eine Relation zwischen Schizophrenie und Deletionen auf 1q21.1, 3q29, 15q13.3, 22q11.21 en Neurexin 1 (NRXN1) und Duplizierung auf 16p11.2 7,5% oder mehr ist. [9][10]

Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen Autismus, Schizophrenie und Mikroveränderungen am Chromosom 15 (15q13.3), sowie am Chromosom 16 (16p13.1) und Chromosom 17 (17p12) sind noch nicht schlüssig.

Variationen im BCL9 gen, im distalen Bereich, bestätigen das Risiko auf Schizofrenie und auch eine Relation mit eine bipolaren Störung und Deprimiertheit. [11]

Die Forschung konzentriert sich derzeit auf 10 bis 12 Gene auf 1q21.1, welche für die Produktion von DUF1220 verantwortlich sind. DUF1220 ist ein unbekanntes Protein, das in den Neuronen des Gehirns in der Nähe des Neocortex aktiv ist. Basierend auf Forschungen an Affen und anderen Säugetieren wird davon ausgegangen, dass die Zahl der DUF1220-Genlocus mit der kognitiven Entwicklung in Beziehung steht. (Mensch: 212; Schimpanse: 37; Affen: 30; Maus: 1) Es scheint, dass die DUF1220-Orte auf 1q21.1 sich an Stellen befinden, die mit der Größe und der Entwicklung des Gehirns zusammenhängen, was wiederum mit Autismus (Makrozephalie) und Schizophrenie (Mikrozephalie) verbunden ist. Es wird davon ausgegangen, dass eine Deletion oder eine Duplizierung eines Gens, das DUF1220-Gebiete hervorbringt, Wachstums- und Entwicklungssörungen des Gehirns verursachen kann.

In der Erforschung des HYDIN2 oder HYDIN Paralog ist ein weiterer Zusammenhang zwischen Makrozephalie und Duplizierungen, sowie zwischen Mikrozephalie und Deletionen erkannt worden. Dieser Teil des 1q21.1 ist an der Entwicklung des Gehirns beteiligt. Es wird angenommen, dass es ein dosisempfindliches Gen ist. Wenn dieses Gen nicht im 1q21.1-Bereich zur Verfügung steht, führt es zu Mikrozephalie. Das HYDIN2 ist eine Kopie des HYDIN, das auf 16q22.2 gefunden worden ist.

Quellen

  • Jane Gregory: Bringing up a challenging child at home : when love is not enoug. Jessica Kingsley Publishers, London ; Philadelphia, PA 2000, ISBN 1-85302-874-6.
  • Samantha J. L. Knight (Hrsg.): Genetics of mental retardation : an overview encompassing learning disability and intellectual disabilit. Karger, Basel, Switzerland ; New York 2010, ISBN 3-8055-9280-9.
  • Mefford HC, Sharp AJ, Baker C, et al.: Recurrent rearrangements of chromosome 1q21.1 and variable pediatric phenotypes. In: N. Engl. J. Med.. 359, Nr. 16, Oktober 2008, S. 1685–99. doi:10.1056/NEJMoa0805384. PMID 18784092. Volltext bei PMC: 2703742.
  • Brunetti-Pierri N, Berg JS, Scaglia F, et al.: Recurrent reciprocal 1q21.1 deletions and duplications associated with microcephaly or macrocephaly and developmental and behavioral abnormalities. In: Nat. Genet.. 40, Nr. 12, Dezember 2008, S. 1466–71. doi:10.1038/ng.279. PMID 19029900. Volltext bei PMC: 2680128.
  • Crespi B, Stead P, Elliot M: Evolution in health and medicine Sackler colloquium: Comparative genomics of autism and schizophrenia. In: Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A.. 107 Suppl 1, Januar 2010, S. 1736–41. doi:10.1073/pnas.0906080106. PMID 19955444. Volltext bei PMC: 2868282.
  • A. Reis, A. Rauch: Chromosomale Ursachen der geistigen Behinderung. Medizinische Genetik 21 (2009), 237-245, doi:10.1007/s11825-009-0166-7
  • R. Wimmer, H. Seidel: Chromosomale Mikrodeletionen als Ursache pädiatrischer Krankheitsbilder. Medizinische Genetik 20 (2008), 348-356, doi:10.1007/s00112-008-1697-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Unique
  2. Mefford HC, Sharp AJ, Baker C, et al.: Recurrent rearrangements of chromosome 1q21.1 and variable pediatric phenotypes. In: N Engl J Med. 359, Nr. 16, Oktober 2008, S. 1685–99. doi:10.1056/NEJMoa0805384. PMID 18784092. Volltext bei PMC: 2703742.
  3. Stefansson H, Rujescu D, Cichon S, et al.: Large recurrent microdeletions associated with schizophrenia. In: Nature. 455, Nr. 7210, September 2008, S. 232–6. doi:10.1038/nature07229. PMID 18668039. Volltext bei PMC: 2687075.
  4. Jennifer L. Stone, Michael C. O Donovan u.a.: Rare chromosomal deletions and duplications increase risk of schizophrenia. In: Nature. 455, 2008, S. 237–241, doi:10.1038/nature07239.
  5. Velinov M, Dolzhanskaya N: Clavicular pseudoarthrosis, anomalous coronary artery and extra crease of the fifth finger-previously unreported features in individuals with class II 1q21.1 microdeletions. In: Eur J Med Genet. 53, Nr. 4, 2010, S. 213–6. doi:10.1016/j.ejmg.2010.05.005. PMID 20573555.
  6. Diskin SJ, Hou C, Glessner JT, et al.: Copy number variation at 1q21.1 associated with neuroblastoma. In: Nature. 459, Nr. 7249, Juni 2009, S. 987–91. doi:10.1038/nature08035. PMID 19536264. Volltext bei PMC: 2755253.
  7. eine Veröffentlichung der Klinik der Leidener Universität wird erwartet
  8. Lina Basel-Vanagaite et al.: An emerging 1q21.1 deletion-associated neurodevelopmental phenotype. Journal of Child Neurology 26 (1), 113-116, doi:10.177/0883073810377658
  9. Copy Number Variants in Schizophrenia: Confirmation of Five Previous Findings and New Evidence for 3q29 Microdeletions and VIPR2 Duplications; Douglas F. Levinson et al; Am J Psychiatry 2011; 168:302-316; doi: 10.1176/appi.ajp.2010.10060876
  10. Copy Number Variation in Schizophrenia in the Japanese Population; Masashi Ikeda et al; Biological Psychiatry Volume 67, Issue 3, Pages 283-286 (1 February 2010) doi:10.1016/j.biopsych.2009.08.034
  11. Common Variants in the BCL9 Gene Conferring Risk of Schizophrenia; Junyan Li et al.; Arch Gen Psychiatry. 2011;68(3):232-240. doi:10.1001/archgenpsychiatry.2011.1
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