Alfred Rotter

Alfred Rotter
Alfred Rotter

Alfred Rotter (* 14. November 1886 als Alfred Schaie in Leipzig; † 5. April 1933 bei Gaflei, Liechtenstein) war ein deutscher Theaterbetreiber der sogenannten Rotter-Bühnen, Regisseur und Produzent.

Inhaltsverzeichnis

Die frühen Erfolge

Rotter war als überaus umtriebiger Bühnenmanager und waghalsiger Finanzjongleur eine der wohl schillerndsten Persönlichkeiten im Berliner Theaterbetrieb der Weimarer Republik. Als Alfred Schaie geboren, hatte er vor dem Ersten Weltkrieg Jura studiert und mit der finanziellen Hilfe seines Vaters zu dieser Zeit bereits Theaterproduktionen auf die Beine gestellt. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder Fritz Schaie sammelte er die Grundkenntnisse über das Theatermachen am Deutschen Schauspielhaus, an dessen Gründung einst beider Vater finanziell beteiligt gewesen war.

Inmitten des Krieges erwarben die Schaie-Brüder, die sich bereits frühzeitig in Rotter umbenannt hatten, ihre erste eigene Spielstätte, das Trianon-Theater. Bald darauf folgte mit dem Residenz-Theater die nächste Berliner Spielstätte. Zuletzt betrieben sie, zum Teil als Direktoren, überwiegend aber als Pächter, insgesamt neun Häuser. Zu den Rotterbühnen zählten u.a. das Metropol-Theater, das Theater des Westens, das Lessingtheater, das Lustspielhaus und das Centraltheater, in denen ebenso Klassiker (Stücke von Euripides, Sophokles, Shakespeare, Lessing) wie Stücke moderner Autoren (darunter Ibsen, Hauptmann und Shaw) aufgeführt wurden. Die Rotter-Brüder landeten ihre größten kommerziellen Erfolge vor allem am Metropol-Theater, der Spielstätte der leichten Muse. Dort brachten sie schwungvolle Revuen und Operetten (z.B. Marietta, Das Land des Lächelns und Das Lied der Liebe, alle zwischen 1929 und 1931) sowie zahlreiche Boulevardstücke zur Aufführung, teilweise in eigener Inszenierung. Zahlreiche Berliner Theater- und Filmgrößen wurden von den Rotters gefördert und verdienten sich an deren Bühnen ein Zubrot.

Der Zusammenbruch des Rotter-Konzerns

Der verschachtelte Rotter-Konzern – sechs GmbHs und zwei Aktiengesellschaften – geriet in der Spätphase der Weimarer Republik mehr und mehr in eine schwere finanzielle Schieflage (rund vier Millionen RM Bank- und Hypothekenschulden), da selbst die Rotter-Brüder im Zuge der unkontrollierten Spielstättenanhäufung die Übersicht zu verlieren drohten. Alfred und Fritz Rotter hatten bei ihren Firmen oftmals Konstruktionen gewählt, die sie im Krisenfalle von jeder Verantwortung im juristischen Sinne befreiten. So blieben zahlreiche finanzielle Forderungen von Gläubigern ungehört – Mietrückstände etwa, die dazu führten, dass die Besitzerin des Metropol-Theaters, die Dorotheenstadt-Baugesellschaft, am 17. Januar 1933 gegen die Rotters einen Konkursantrag stellte.

In 41 Prozessen versuchte allein der Verband Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnen-Komponisten die Rotters dazu zu zwingen, endlich ihre Tantiemenschulden zu begleichen. Zu den Gläubigern zählten so namhafte Komponisten wie Paul Abraham (Forderung: 20.000 RM), Franz Lehár (12.000 RM) und Emmerich Kálmán (10.000 RM). Erschwerend hinzu kam, dass sich einige späte Rotter-Produktionen (um 1932) als desaströse Kassenflops erweisen sollten. Keine zwei Wochen vor Machtantritt der Nationalsozialisten, am 18. Januar 1933, vermeldete die Vossische Zeitung einen Konkursantrag gegen die Rotter-Brüder. Die Berliner Börsen-Zeitung sprach am selben Tag sogar vom ‘Zusammenbruch der Rotterbühnen’. Über 1300 Angestellte des kollabierenden Firmenkonglomerats verloren von einem Tag auf den nächsten ihren Arbeitsplatz.

Nunmehr de facto bankrott, setzten sich Alfred und Fritz Rotter, seit 1931 Staatsbürger des Fürstentums Liechtenstein, am 9. beziehungsweise 22. Januar 1933 zunächst in die Schweiz, dann nach Vaduz ab. Vor allem Fritz Rotter hatte bis zuletzt verzweifelt versucht, frisches Kapital aufzutreiben, um den völligen Kollaps des Firmenimperiums abzuwenden. Am 22. Januar 1933 wurde schließlich vom Amtsgericht Berlin-Mitte ein Haftbefehl gegen die Brüder ausgestellt.

Den unmittelbar darauf an die Macht gekommenen Nationalsozialisten kam der schillernde Finanzskandal gerade recht: Als halbseidene Bankrotteure verflucht, als Könige des sittenlosen Berliner Nachtlebens alter Prägung gegeißelt und als Vergifter deutscher Moral geschmäht, avancierten die Rotter-Brüder in der NS-Propaganda zum Hassbild des „jüdischen Finanzhasardeurs“: Der Völkische Beobachter nannte sie in seiner Ausgabe vom 20. Januar 1933 verächtlich die „verkrachten Theaterjuden“. Noch 1940 konnte man die Konterfeis Alfred und Fritz Rotters als abschreckende Beispiele für das vermeintlich charakterlose Finanzjudentum der Weimarer Republik in Fritz Hipplers filmischer Hetz-‘Dokumentation’ Der ewige Jude, dem berüchtigtsten antisemitischen Machwerk der Filmgeschichte, sehen.

Missglückter Entführungsversuch und Tod in Liechtenstein

Gedenktafel am Admiralspalast in Berlin

Am 5. April 1933 lockten einige Nationalsozialisten aus Deutschland und Liechtenstein die ehemaligen Theaterbetreiber aus ihrem liechtensteinischen Exilanten-Refugium, einem alpinen Waldhotel, heraus, um Fritz und Alfred Rotter sowie dessen Ehefrau Gertrud nach Deutschland zu entführen. Eine Hetzjagd durch die Bergwelt begann. Während Fritz Rotter den Häschern verletzt entkommen konnte,[1] stürzten Alfred und Gertrud Rotter auf der Flucht von einem Felsen unterhalb von Gaflei zu Tode.

Ob es sich dabei um einen Unfall, Totschlag oder Mord gehandelt hat, konnte nie zweifelsfrei geklärt werden. Der Prozess gegen die vier Rotter-Verfolger aus dem Fürstentum am 7. und 8. Juni 1933 endete in Vaduz mit äußerst milden Haftstrafen, das als „Rotteraffäre“ verharmloste Miniatur-Pogrom – es handelte sich dabei um das einzige politisch motivierte Attentat in Liechtenstein im 20. Jahrhundert von Bedeutung – wurde jahrzehntelang tabuisiert und erfolgreich verdrängt. Selbst dieses milde Urteil fand noch Anstoß in der Bevölkerung: rund 700 Bürger des zu dieser Zeit nur wenige tausend Einwohner zählenden Landes unterschrieben kurz darauf eine Petition, in der die Begnadigung der Täter gefordert wurde.

Einzelnachweise

  1. Laut Theaterarchiv Kay Weniger geriet er anschließend für längere Zeit in schweizerische Auslieferungshaft und wurde, unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, wegen ungedeckter Schecks im Casino der französischen Stadt Boulogne erneut verhaftet.

Literatur


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Rotter — ist der Familienname folgender Personen: Alfred Rotter (eigentl. Schaie) (1886 1933), deutscher Theaterunternehmer, Bruder von Fritz Rotter Ariel Rotter (* 1973), argentinischer Drehbuchautor und Regisseur Curt Rotter (1881–1945),… …   Deutsch Wikipedia

  • Alfred Hrdlicka — Alfred Hrdlicka, 2005 Alfred Hrdlicka (* 27. Februar 1928 in Wien; † 5. Dezember 2009 ebenda) war ein österreichischer Bildhauer, Zeichner, Maler, Grafiker und …   Deutsch Wikipedia

  • Alfred Hrdlička — Alfred Hrdlicka, 2005 Alfred Hrdlicka [ˌalfʁeːt ˈhʁdlɪtʃka] (* 27. Februar 1928 in Wien) ist ein österreichischer Bildhauer, Zeichner, Maler …   Deutsch Wikipedia

  • Alfred Kantor — (* 7. November 1923 in Prag; † 16. Januar 2003 in Yarmouth (US Staat Maine) war ein tschechisch jüdischer Künstler. Leben und Wirken Der junge Zeichner Alfred Kantor musste seine gerade begonnene Ausbildung zum Werbegrafiker in der Rotter Schule… …   Deutsch Wikipedia

  • Alfred Berger (patineur artistique) — Pour les articles homonymes, voir Alfred Berger. Alfred Berger Biographie Nationalité …   Wikipédia en Français

  • Fritz Rotter (Theaterunternehmer) — Fritz Rotter (* 3. September 1888 als Fritz Schaie in Leipzig; † nach Juli 1939) war ein deutscher Theaterbetreiber (der sogenannten Rotter Bühnen), Regisseur und Produzent. Gedenktafel am Admiralspalast Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Julian B. Rotter — (* Oktober 1916 in Brooklyn, New York) ist ein US amerikanischer Psychologe, der sich unter anderem mit der Entwicklung einer sozialen Lerntheorie und mit der Erforschung von Kontrollüberzeugungen auseinandergesetzt hat. Inhaltsverzeichnis 1… …   Deutsch Wikipedia

  • Julian Rotter — Infobox Scientist name = Julian Rotter birth date = October 1916 birth place = Brooklyn, New York death date = death place = nationality = American field = Psychology work institution = University of Connecticut alma mater = Indiana University… …   Wikipedia

  • Emilie Rotter — Eiskunstlaufen Bronze 1932 Paare Bronze …   Deutsch Wikipedia

  • Emília Rotter — Nation …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”