Tempel der Athena Nike

Tempel der Athena Nike
Niketempel von Nordosten gesehen

Der Tempel der Athena Nike, auch kurz Niketempel oder Tempel der Nike Apteros genannt, erhebt sich auf einer kleinen Bastion südwestlich der Propyläen der Athener Akropolis. Er ersetzte einen während der persischen Besatzung der Akropolis 480 v. Chr. zerstörten Vorgängerbau. 448 v. Chr. erging der Auftrag zum Neubau des Tempels an Kallikrates, einen der Architekten des Parthenon.[1] Die Bauarbeiten scheinen aber erst während des Nikiasfriedens 421 v. Chr. aufgenommen worden zu sein. Etwa 410 v. Chr. war der Bau vollendet.

Inhaltsverzeichnis

Ältere Nutzung des Geländes

Grundriss des Tempels der Athena Nike; Norden links

Ein der Athena Nike geweihter heiliger Bezirk scheint bereits im 2. Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. auf diesem zur Bastion erweiterten Sporn der Akropolis existiert zu haben. Ein Altar für Brandopfer, gefüllt mit – heute verlorenen – wohl archaischen Terrakotten, wurde etwa 1,40 Meter unterhalb des Niveaus klassischer Zeit gefunden. Ein kleiner Altar aus Kalkstein trug eine aufgrund des Schriftcharakters in die 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. zu datierende Inschrift: Altar der Athena Nike – Patrokles hat ihn gemacht.[2] Nach den Perserkriegen errichtete man Athena Nike und ihrem Kultbild einen kleinen, nur 2,47 × 3,65 Meter großen Naiskos aus äginetischem Kalkstein, dessen Ostseite gänzlich offen war. 450/445 v. Chr., vermutlich nach dem Friedensschluss des Kallias mit den Persern 449/448 v. Chr., wurde ein Bauauftrag erteilt, der Arbeiten nach Entwürfen des Kallikrates vorsah. Dem archäologischen Befund zufolge kam es jedoch nicht zur Umsetzung, ein Baustopp wurde verhängt, dessen Datierung offen ist.[3]

Baubeschreibung

Für den schließlich umgesetzten Neubau wurde zunächst die Bastion in ordentlichem Quaderwerk erweitert. Da hierbei bereits auf die 437–431 v. Chr. errichteten Propyläen Rücksicht genommen wurde, kann der Bau frühestens im Zusammenhang mit deren Planung konzipiert worden sein.[4] Wahrscheinlich erst in der Zeit des Nikias-Friedens, ab 421 v. Chr., wurde der Entwurf des Kallikrates aus dem Jahr 448 v. Chr. umgesetzt.[5]

Rekonstruktionszeichnung des Tempels der Athena Nike

Der ganz aus Pentelischem Marmor errichtete kleine Tempel war 5,44 Meter breit, 8,27 Meter lang und 6,90 Meter hoch. Er erhob sich auf einem dreistufigen Unterbau, der Krepis. Sein Grundriss entspricht dem eines tetrastylen Amphiprostylos, das heißt an Front und Rückseite standen je vier Säulen vor der Cella. Auf Pronaos und Opisthodom verzichtete man – wohl aus Platzgründen. Der Tempel war ionischer Ordnung. Seine Säulen erhoben sich auf attischen Basen ohne Plinthen. Ein schmaler Wulst, gefolgt von einer hoch gezogenen Kehle, auf der ein horizontal geriefelter Wulst lag, bildete die Profilabfolge der Basen, die auch am Wandfuß der Cella wiederkehrt. Die Säulenschäfte waren monolithisch gearbeitet. Weit ausladende, im Verhältnis zu den Säulen schwere ionische Volutenkapitelle krönten die Säulen, die Eckvoluten der Ecksäulen waren nach außen gewendet. Die Säulenhöhe betrug 4,06 Meter, ihr unterer Durchmesser 0,52 Meter. Der lichte Abstand der Säulen, das Interkolumnium, betrug nur 1,03 Meter. Auf den Säulen lag der Architrav, der sich auch entlang der Cellawände hinzog. Er war in drei Faszien geteilt, der klassischen attischen Lösung.

Kampf zwischen Griechen und Barbaren, Block des Südfrieses vom Athena Nike-Tempel

Der darüber folgende Fries war mit figürlichen Reliefs überzogen. Die Ostseite zeigte hierbei eine Götterversammlung um die in der Mitte stehende Athena, den thronenden Zeus und den auf einem Fels sitzenden Poseidon zu ihren Seiten. Die übrigen Friesseiten zeigten Kämpfe zwischen Griechen und Barbaren, wohl Persern, sowie innergriechische Kämpfe an der Westseite, wohl zwischen Athenern und den von Persern unterstützten Böotiern und Thessaliern.[6] Befestigungsspuren auf der Oberseite des Geisons zeigen an, dass die Giebel ursprünglich mit Figuren geschmückt waren. Reste hiervon sind nicht erhalten. Das glatte Geison mit seiner leicht gekurvten Hängeplatte folgte direkt auf dem Fries, der hier den in der kleinasiatisch-ionischen Ordnung üblichen Zahnschnitt ersetzte. Die abschließende Sima war mit bunten Blütenbändern bemalt.

Sandalen gürtende Nike; Teil der Nike-Balustrade

Die Stirnwand der 4,14 × 3,78 Meter großen Cella wurde nur durch zwei freistehende Pfeiler gebildet, die mit den Seitenwänden durch Balustraden oder Gitter verbunden waren. Im 3. Jahrhundert v. Chr. ließ Antigonos II. Gonatas Bilder, die seinen Sieg über die Galater verherrlichten, an den Wänden des Tempels aufhängen.

Die Kultstatue[7] war aus Holz (Xoanon) und zeigte Athena mit einem Granatapfel in der Rechten, einem Helm in der Linken.[8] Die Statue war flügellos und so beschreibt Pausanias lapidar: Rechts des Tores ist ein Tempel der flügellosen Nike.[9] Dieser Name ist im Sprachgebrauch bis heute erhalten geblieben – Niketempel. Bereits Pausanias wusste nicht mehr, dass Nike einer der Aspekte Athenas war. Im Volksmund nannte man die Göttin Nike apteros („flügellose Nike“) und kolportierte die Geschichte, da sie flügellos sei, könne sie den Athenern nicht wegfliegen.[10]

Vor dem Tempel befand sich ein Altar, von dem Reste erhalten sind. 335/334 v. Chr. wurde der Gottheit hier eine Färse, gewählt aus den schönsten, geopfert.[11]

Den Tempel umgab in der Antike an Süd-, West- und Nordseite eine etwa 1,05 Meter hohe, mit Reliefs geschmückte Balustrade. Die Reliefs des Reichen Stils zeigen Niken und Athenen. Sie gehören zu den besten Vertretern des Kunstschaffens dieser Zeit.[12]

Nachantike bis Neuzeit

Der Niketempel stand bis 1687. Fränkische Umgestaltungen des Geländes betrafen zwar den Altar der Athena Nike, nicht aber den Tempel selbst. Irgendwann im 16. Jahrhundert wurde der Tempel unter den Osmanen in ein Pulvermagazin umgewandelt, große Mengen Pulvers wurden unter dem zuvor herausgerissenen Cellaboden in der Krepis vergraben. Als Jacob Spon und George Wheler im Jahr 1675 den Tempel beschrieben und zeichneten, erwähnten sie auch das in ihm aufbewahrte Pulver. 1687 legten ihn die Osmanen nieder, um mit seinen Steinen die Verteidigungsanlagen der Akropolis gegen die Venezier zu verstärken. Das Material wurde zwischen Pinakothek und Bastion verbaut. Auch Teile der Nike-Balustrade wurden in diesem Abschnitt des Bollwerks verarbeitet. Nach der Befreiung Griechenlands wurden die Bauteile aus dem Bollwerk geborgen, der Tempel 1836 wieder aufgebaut. Die nachlässige Ausführung dieser Anastilosis nötigte den griechischen Antikendienst allerdings, noch in den 1930er Jahren den Tempel erneut niederzulegen und zu rekonstruieren. Abermals wurde der Tempel ab 1998 vollständig neu rekonstruiert, um zeitgemäßere Mittel und Methoden einsetzen und um mittlerweile weitere, als zum Tempel gehörig identifizierte Teile integrieren zu können. Diese dritte Anastilosis konnte im September 2010 der Öffentlichkeit übergeben werden. Im Gegensatz zu früher wurde auf der Ostseite auch ein Teil des Giebels aus neuem Marmor mit einigen geborgenen und identifizierten älteren Bauteilen rekonstruiert. [13]

Literatur

  • Maria S. Brouscaris: The monuments of the Acropolis. Athen 1978, S. 47–52.
  • Evelyn B. Harrison: The Glory of the Athenians: Observations on the Program of the Frieze of the Temple of Athena Nike. In: Diana Buitron–Oliver (Hrsg.): The Interpretation of Architectural Sculpture in Greece and Rome. 1997, S. 109–125.
  • Wolfram Hoepfner: Propyläen und Nike-Tempel. In: W. Hoepfner (Hrsg.): Kult und Kultbauten auf der Akropolis. Internationales Symposion vom 7. bis 9. Juli 1995 in Berlin. Berlin 1997, S. 160-177.
  • Raymund V. Schoder: Das antike Griechenland aus der Luft. Gustav Lübbe Verlag. Bergisch Glattbach 1974, S.30-33.
  • Jeffrey M. Hurwit: The Athenian Acropolis. 1999, S. 209–215.
  • Ira S. Mark: The Sanctuary of Athena Nike in Athens. Architectural Stages and Chronology. Hesperia Supplementum Bd. 26, 1993.
  • Ludwig Ross – Eduard Schaubert – Christian Hansen: Der Tempel der Nike Apteros. Berlin 1839.

Weblinks

 Commons: Tempel der Athena Nike – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Inscriptiones Graecae I² 24. 25; Inscriptiones Graecae I³ 35. 36
  2. Antony E. Raubitschek: Dedications from the Athenian Acropolis. A Catalogue of the Inscriptions of the Sixth and Fifth Century B.C. 1939, Nr. 329.
  3. Zur Vorgeschichte des Tempels siehe Ira S. Mark: The Sanctuary of Athena Nike in Athens. Architectural Stages and Chronology. Hesperia Supplementum Bd. 26, 1993, S. 12–68.
  4. Wolfram Hoepfner: Propyläen und Nike-Tempel. In: W. Hoepfner (Hrsg.): Kult und Kultbauten auf der Akropolis. Internationales Symposion vom 7. bis 9. Juli 1995 in Berlin. Berlin 1997, S. 160-177.
  5. Zur äußerst komplexen Diskussion der Inschriften und Bauphasen siehe Ira S. Mark: The Sanctuary of Athena Nike in Athens. Architectural Stages and Chronology. Hesperia Supplementum Bd. 26, 1993, S. 115–121.
  6. Evelyn B. Harrison: The Glory of the Athenians: Observations on the Program of the Frieze of the Temple of Athena Nike. In: Diana Buitron–Oliver (Hrsg.): The Interpretation of Architectural Sculpture in Greece and Rome. 1997, S. 109–125.
  7. Zur komplizierten Problematik um das Kultbild, insbesondere seine Datierung, siehe: Ira S. Mark: The Sanctuary of Athena Nike in Athens. Architectural Stages and Chronology. Hesperia Supplementum Bd. 26, 1993, S. 93–98.
  8. Heliodor von Athen überliefert bei Harpokration, Lexicon (Wilhelm Dindorf: Harpocrationis Lexicon in decem oratores Atticos ex recensione Guilelmi Dindorfii. Oxford 1853; Felix Jacoby: Die Fragmente der griechischen Historiker. 1923, 373 F2, der Text wiederholt in Suda s. v. Nike Athena),
  9. Pausanias 1, 22, 4.
  10. Pausanias 3, 15, 7.
  11. Inscriptiones Graecae II² 334.
  12. Tonio Hölscher: Ritual und Bildsprache. Zur Deutung der Reliefs an der Brüstung um das Heiligtum der Athena Nike in Athen. In: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Abteilung Athen. Bd. 112, 1997, S. 143–166 Taf. 18 f.
  13. Zur nachantiken Geschichte des Tempels siehe Ira S. Mark: The Sanctuary of Athena Nike in Athens. Architectural Stages and Chronology. Hesperia Supplementum Bd. 26, 1993, S. 7–11.
37.97150277777823.724944444444

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Nike des Paionios — mit Kopfteil Die Nike des Paionios ist eine der wenigen antiken rundplastischen Nikedarstellungen, die als Künstleroriginal erhalten blieb. Der griechische Bildhauer Paionios von Mende schuf die frühklassische Skulptur um 420 v. Chr. aus… …   Deutsch Wikipedia

  • Parthenon-Tempel — Der Parthenon Der Parthenon (griechisch παρθενών ‚Jungfrauengemach‘) ist der Tempel für die Stadtgöttin Pallas Athena Parthenos auf der Athener Akropolis. Er wurde zum Dank für die Rettung der Athener und Griechen durch die Göttin nach dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Griechischer Tempel — Der Parthenon auf der Akropolis in Athen, Griechenland Der griechische Tempel (altgriechisch ὁ ναός ho naós „Wohnung“; inhaltlich nicht gleichzusetzen mit dem lateinischen templum „T …   Deutsch Wikipedia

  • Tempel des Hephaistos — Das Hephaisteion von Osten Das Hephaisteion von Südwesten …   Deutsch Wikipedia

  • Niketempel — Grundriss des Tempels der Athena Nike; Norden links Der Tempel der Athena Nike, auch kurz Niketempel oder Tempel der Nike Apteros genannt, erhebt sich auf einer kleinen Bastion südwestlich der Propyläen der Athener Akropolis. Er ersetzte einen… …   Deutsch Wikipedia

  • Ernst Ziller — Ernst Ziller, um 1880 Ernst Moritz Theodor Ziller (griechisch Ernestos Tsiller Ερνέστος Τσίλλερ; * 22. Juni 1837 in Serkowitz, heute zu Radebeul; † 4. November 1923 in Athen) war ein deutsch griechischer …   Deutsch Wikipedia

  • Religion der griechischen Antike — Griechische Gottheiten Zeustempel in Athen Die Griechische Mythologie umfasst die Gesamtheit der antiken griechischen Mythen, also der Geschichten der …   Deutsch Wikipedia

  • Mausoleum Heinrich Schliemann — Schliemann Grabmal Das Grabmal Heinrich Schliemanns steht auf dem Ersten Athener Friedhof und ist die letzte Ruhestätte des deutschen Kaufmanns und Feldarchäologen Heinrich Schliemann (1822–1890). Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Dekastylos — Der Parthenon auf der Akropolis in Athen, Griechenland Der griechische Tempel (altgriechisch ὁ ναός ho naós „Wohnung“; inhaltlich nicht gleichzusetzen mit dem lateinischen templum …   Deutsch Wikipedia

  • Distylos — Der Parthenon auf der Akropolis in Athen, Griechenland Der griechische Tempel (altgriechisch ὁ ναός ho naós „Wohnung“; inhaltlich nicht gleichzusetzen mit dem lateinischen templum …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”