Calvinismus

Calvinismus
Schreiben Calvins an Eduard VI. von England

Der Calvinismus (auch Kalvinismus) ist eine theologische Bewegung, die auf den Lehren des Schweizer Reformators Johannes Calvin beruht, dessen Denken die Reformierten Kirchen Westeuropas und die englischen Presbyterianer nachhaltig geprägt hat.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Begriff „Calvinismus“ wurde erstmalig 1552 in der Schrift eines lutherischen Theologen verwendet.[1] Calvin betonte, dass für ihn selbst diese Bezeichnung nicht akzeptabel war:

„Sie finden uns anzuhängen keine größere Schmähung, als dies Wort ‚Calvinismus‘. Doch ist’s nicht schwer zu vermuten, woher solch tödlicher Hass kommt, wie sie ihn gegen mich haben.“

Lehre

Die Theologie Calvins betont die unbedingte Heiligkeit Gottes. Alles Menschenwerk, sogar die Glaubensentscheidung und nicht zuletzt der Kultus der katholischen Kirche mit Sakramenten, Reliquien oder Ablass galten ihm als Versuche, die Souveränität Gottes einzuschränken und an Irdisches zu binden. Die zum Teil schroffen Züge von Calvins Offenbarungs-, Gnaden- und Erlösungslehre – insbesondere seine Prädestinationslehre (wonach Gott ein für alle mal vorherbestimmt hat, ob der einzelne Mensch auf dem Weg zur ewigen Seligkeit oder zur ewigen Verdammnis ist) – wurden in der Auseinandersetzung der Calvinisten mit den „Arminianern“ im 17. Jahrhundert durch die Beschlüsse der Dordrechter Synode und durch das Bekenntnis von Westminster noch verschärft.

Die vier Soli als Basis

Wie bei allen Richtungen, die aus der Reformation hervorgingen, gehören die vier Soli zur Basis des Calvinismus:

  • sola scriptura – allein die Schrift ist die Grundlage des christlichen Glaubens (nicht die Tradition)
  • solus Christus – allein Christus (nicht die Kirche) hat Autorität über Gläubige
  • sola gratia – allein durch die Gnade Gottes wird der Mensch errettet (nicht wegen seiner eigenen Güte)
  • sola fide – allein durch den Glauben wird der Mensch gerechtfertigt (nicht durch gute Werke)

Die fünf Punkte

Darüber hinaus wird die spezifische Lehre des Calvinismus oft in fünf Punkten (mit dem englischen Akronym TULIP für Total depravity (Völlige Verderbtheit), Unconditional election (bedingungslose Wahl), Limited atonement (begrenzte Sühne), Irresistible grace (unaufhaltsame Gnade), Perseverance of the saints (Ausdauer der Heiligen)) zusammengefasst:

Völlige Verderbtheit oder völlige Fähigkeit

Aufgrund des Sündenfalls beherrscht die Sünde den ganzen Menschen, sein Denken, seine Gefühle und seinen Willen. Daher ist der normale Mensch nicht fähig, die Botschaft des Evangeliums zu verstehen, er ist geistlich völlig hilflos und verloren. Der Mensch kann Gottes rettende Botschaft erst verstehen, nachdem er durch den Heiligen Geist dazu befähigt wurde (Röm 5,12 LUT, Mk 4,11 LUT).

Bedingungslose Erwählung

Dies ist Calvins Prinzip der doppelten Prädestination. Die Erwählung zum Heil vollzieht sich nach Calvin wie folgt: Gott hat die Menschen in eine Gruppe der Auserwählten und eine der Nicht-Auserwählten geteilt. Für die Auserwählten hat Gott seine Erkenntnis bestimmt und die Auferstehung vorhergesehen. Die Übrigen bleiben unwissend bezüglich Gottes und des Evangeliums. Laut Calvin sind sie von Gott verdammt auf dem Weg in die ewige Hölle. Diese Entscheidung sei noch vor der Schaffung des Universums getroffen worden und somit erst recht vor der Geburt des einzelnen Menschen sowie vor irgendwelchen Entscheidungen, die der Mensch in seinem Leben trifft. Die Gründe, warum Gott einige erwählt hat, sind unbekannt. Es ist aber offensichtlich, dass das nicht aufgrund irgendwelcher guten Werke von Seiten des Erwählten geschehen ist. Die Erwählung ist insofern nicht an irgendwelche in der Person des Erwählten liegenden Bedingungen geknüpft (Röm 9,15 LUT.21LUT).

Begrenzte Versöhnung/Sühne

Das ist der Glaube, dass Jesus Christus nicht gestorben ist, um alle Menschen zu retten. Sein Erlösungswerk ist nur an die auserwählten Sünder, die durch ihn gerettet sind, gerichtet (Mt 26,28 LUT, Eph 5,25 LUT).

Unwiderstehliche Gnade

Gemeint ist, dass man die Gnade der Erwählung nicht ausschlagen kann. Der Mensch hat in dieser Hinsicht also keinen freien Willen, da er tot ist in seinen Vergehungen und deswegen keinerlei Macht hat, sich für Gott zu entscheiden (Eph 2,1 LUT). Nur durch den Ruf Gottes kann der Mensch geistlich wieder zum Leben erweckt werden (Eph 2,5 LUT), und somit zu Gott kommen. Jeder Mensch, den Gott erwählt hat, werde Gott erkennen. Die Erwählten können dem Ruf Gottes nicht widerstehen (Joh 6,44 LUT, Röm 8,14 LUT).

Die Beharrlichkeit der Heiligen

Die einmal Geretteten werden gerettet bleiben. Es sei unmöglich, Gottes Gnade wieder zu verlieren (Röm 8,28 LUT, Joh 6,39 LUT).

Weitere Prägungen

Weiter ist der Calvinismus geprägt durch:

Calvinistische Arbeitsethik

Da die Absichten Gottes den Menschen verborgen bleiben, müsse jeder im Sinne einer tugendhaften Lebensführung handeln, also so, als ob er von Gott auserwählt sei. Unbändiger Fleiß, individueller und wirtschaftlicher Erfolg können in der Folge als Zeichen für den Gnadenstand gewertet werden. Jedoch hat der Mensch keinerlei Einfluss auf die göttliche Entscheidung. Ob jemand nach dem Tod in der Hölle landet oder zum Himmel auffährt, wurde bereits zu Anbeginn der Zeit festgelegt. Was der Mensch nun versucht, ist, sich selbst durch seine Tugendhaftigkeit Gewissheit darüber zu verschaffen, dass er auserwählt sein müsse.

Durch die Testakte von 1673 wurden schließlich in England neben Katholiken auch die calvinistischen Puritaner aus Staatsämtern ausgeschlossen, wodurch sie in privatwirtschaftliche Bereiche gedrängt wurden. Im 18. Jahrhundert waren beinahe die Hälfte der englischen Erfinder, Kaufleute und Unternehmer Calvinisten, obwohl diese in der britischen Gesamtbevölkerung eine Minderheit darstellten.

Der „Protestantismusthese“ des deutschen Soziologen Max Weber zufolge hat der Calvinismus im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Arbeitsmoral und -ethik in England, Holland, der Schweiz und einigen Gegenden Deutschlands, besonders in den von den seit 1613 reformierten Hohenzollern regierten Staaten, maßgeblich beeinflusst und legitimiert. Er setzt einen Maßstab bei der Nützlichkeit menschlichen Handelns an, wobei der wirtschaftliche Erfolg im Vordergrund steht: Zeitvergeudung sei die schlimmste Sünde, wozu auch übermäßig langer Schlaf oder Luxus zählen. Arbeit sei der von Gott vorgeschriebene Selbstzweck des Lebens. Mit seiner spezifischen Arbeits- und Wirtschaftsethik habe er eine wesentliche Grundlage für die Industrielle Revolution und den modernen Kapitalismus geschaffen.

Kontroversen

Die strikte Lehre des Calvinismus wird von vielen Christen nicht akzeptiert, wobei es dafür unterschiedliche Gründe gibt:

  • Liberale Christen verschiedener Konfessionen halten die calvinistische Lehre für antiliberal und intolerant.
  • Die Katholiken lehnen entschieden alle fünf Punkte ab (siehe oben), dazu kommen etliche andere wichtige Lehrpunkte, unter anderem bezüglich der Ekklesiologie und der Sakramente.
  • Für die Orthodoxen ist der Freie Wille, den Calvin ablehnt, eine Grundlehre der Bibel. Erlösung sei kein einmaliger, rein passiv zu empfangender Gnadenakt und keine Frage des Sich-gerettet-Wissens, sondern eine andauernde aktive Zusammenarbeit des Heiligen Geistes mit den Gläubigen.
  • Die Methodisten: Bereits John Wesley akzeptierte die doppelte Prädestination nicht, die der Calvinist George Whitefield vertrat, was zur Trennung der beiden führte.
  • Die Lutheraner lehnen eine doppelte Prädestination ab und halten an der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl fest.
  • Die Quäker lehnen ebenfalls die Prädestination ab. Siehe: Quäkertheologie.

Der Arminianismus, die Lehre der sogenannten Remonstranten, stellt eine ausdrückliche theologische Gegenposition zum Calvinismus innerhalb der calvinistisch geprägten Gebiete Nordwesteuropas und der englischsprachigen Staaten im 17. Jahrhundert dar.

Literatur

  • Philip Benedict: Christ’s Churches Purely Reformed. A Social History of Calvinism. Yale University Press, New Haven, Connecticut u. a. 2002, ISBN 0-300-08812-4.
  • Stefan Bildheim: Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit. EHS 3/904. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2001, ISBN 3-631-37533-6.
  • Deutsches Historisches Museum Berlin (Hrsg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Sandstein Verlag, Dresden 2009. ISBN 978-3-940319-65-4
  • Philip S. Gorski: The Disciplinary Revolution. Calvinism and the Rise of the State in Early Modern Europe. University of Chicago Press, Chicago u. a. 2003, ISBN 0-226-30483-3.
  • Ernst Koch: Das konfessionelle Zeitalter – Katholizismus, Luthertum, Calvinismus (1563–1675). Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen 2/8, Evang. Verlagsanstalt, Leipzig 2000, ISBN 3-374-01719-3.
  • Andrew Pettegree: Calvinism in Europe, 1540–1620. Cambridge University Press, Cambridge 1994, ISBN 0-521-43269-3.
  • Jan Rohls: Zwischen Bildersturm und Kapitalismus. Der Beitrag des reformierten Protestantismus zur Kulturgeschichte Europas. Veröffentlichungen der Johannes-a-Lasco-Bibliothek 3. Foedus-Verlag, Wuppertal 1999, ISBN 3-932735-34-X.
  • Dieter Schellong: Wie steht es um die „These“ vom Zusammenhang von Calvinismus und „Geist des Kapitalismus“? Paderborner Universitätsreden 47. Univ.-Gesamthochschule, Paderborn 1995
  • Christoph Strohm: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus. Arbeiten zur Kirchengeschichte 65, de Gruyter, Berlin u. a. 1996 ISBN 3-11-015061-1.
  • Max Weber: Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 1988
  • Stefan Zweig: Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1983

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Christian Forberg: „Dieser Unfreudigeste aller Menschen“. Zum 500. Geburtstag des strengen Reformators Johannes Calvin; in: Studiozeit. Aus Kultur- und Sozialwissenschaften, Deutschlandfunk-Sendung vom 26. März 2009

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