Dagmar Reichardt

Dagmar Reichardt

Dagmar Reichardt (* 25. September 1961 in Rom) ist eine deutsche Literaturwissenschaftlerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Dagmar Reichardt entstammt einer bis in das 16. Jahrhundert zurückzuverfolgenden Hugenotten-Familie, aus deren späteren Verzweigungen als prominentester kultureller Vertreter der in Frankfurt/Oder sowie in Halle/Saale in Erscheinung getretene deutsche Komponist und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) hervorgegangen ist. Zur weiteren Verwandtschaft Reichardts zählen nicht nur die Autoren Ludwig Tieck und der in Frankfurt/Oder geborene Heinrich von Kleist, sondern auch der schlesische Dichter und Romanist Hermann Isaac Emil von Petit (9. Juni 1811–30. Januar 1864).

Dagmar Reichardt wuchs als Tochter eines deutschen Diplomaten in Santiago de Chile und in Rom auf, bevor sie ihre akademische Laufbahn in Deutschland begann. In Hamburg hat sie 1986–1989 die deutsch-italienische Kulturzeitschrift Zigzag. Das Italien-Magazin mitbegründet, verlegt und herausgegeben. Dort leitete sie 1999–2009 auch die Schreibwerkstatt Reiters Ruhm vom Writers’ Room e.V. und wurde als Übersetzerin, Buchlektorin, Ghostwriterin und freie Autorin tätig. In dieser Zeit gab sie literarische Bücher etwa über die Neue Deutsche Literatur (1991; 1992) sowie eine Anthologie des italienischen Germanisten und ehemaligen Mitglieds der Erich Fried Gesellschaft Cesare Cases in deutscher Übersetzung heraus (1996). Es folgten weitere Literaturübersetzungen, darunter der Gedichtband Himmelsreden (2004) von Giuseppe Bonaviri und das Filmdrehbuch Der heilige Paulus (2007) von Pier Paolo Pasolini. Insgesamt zeichnete sie in den Jahren 1987–2004 für die Herausgabe und Redaktion von rund 50 Werken auf dem Belletristik- und Fachtitelsektor des deutschen Buchmarkts verantwortlich.

Wissenschaftliche Laufbahn

Nach einem Studienaufenthalt in New York City im Jahr 1980/81 studierte Dagmar Reichardt Philosophie, Neuere deutsche Literatur, Romanistik und Kunstgeschichte an den Universitäten Frankfurt/Main, Urbino und Hamburg, wo sie 1989 ihren Magister im Fachbereich Sprachwissenschaften mit einer Arbeit über den norditalienischen Autor Guido Piovene (1907–1974) erwarb und 1999 über den sizilianischen Schriftsteller Giuseppe Bonaviri (1924–2009) promoviert wurde.

Ihre Sizilienstudien weitete sie anschließend mittels eines umfangreichen Projekts zur kulturellen Hybridität und Transkulturalität der sizilianischen Inselliteratur aus, das zur Herausgabe des interdisziplinären, dreisprachigen Bandes L’Europa che comincia e finisce: la Sicilia (2006) führte. Das Werk wurde in der internationalen Forschungslandschaft rege rezensiert und anerkennend aufgenommen. Der sizilianische Journalist und Schriftsteller Giuseppe Quatriglio hielt es für ”eine beachtliche Untersuchung […] mit vielen verdienstvollen und komplexen Forschungsergebnissen” (Giornale di Sicilia, 4. Juli 2006), während der italienische Literaturkritiker Sergio Sciacca es als “ein ausnehmend originelles Werk […] und einen bedeutungsvollen Schritt zum kulturellen Entwurf eines ‘Neuen Europas’” würdigte (La Sicilia, 21. Juli 2006). Der spanische Italianist Paulino Matas Gil beurteilte den Band schlicht als “Pflichtlektüre für die internationale Italianistik” (Revista de la Sociedad Española de Italianistas, 2005/3). Ein Jahr nach Erscheinen des Buchs wurde Dagmar Reichardt 2007 der Internationale Italianistik-Preis Flaiano verliehen.

Nach Jahren als Dozentin und Wissenschaftliche Assistentin am Studiengang Romanistik der Universitäten Hamburg (1997–2003) und Bremen (2001–2008) sowie einer Gastprofessur in Innsbruck, wurde Reichardt 2008 auf einen Lehrstuhl für Modern Italian Studies an der Universität Groningen in die Niederlande berufen. Zusätzlich engagierte sie sich als Mitglied in diversen wissenschaftlichen Vereinigungen in Deutschland, Italien, Österreich, den USA und Beneluxländern, und wirkte in den wissenschaftlichen Beiräten des Premio Flaiano (Nachfolge Hans Magnus Enzensberger), der Internationalen Vereinigung italienischer Hochschulprofessoren AIPI sowie der Österreichisch-Kanadischen Gesellschaft mit. 2005/06 koordinierte sie für Deutschland in Arpino das Europaprojekt Il libro di pietra des Schriftstellers Giuseppe Bonaviri in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Außenministerium und dem deutschen Dichter Matthias Politycki, den sie so u. a. in Italien einführte. Zu diesem Anlass erhielt sie im Rahmen des XXV. Certamen Ciceronianum Arpinas die Cicero-Medaille der Region Latium.

Methodologisch setzt sich Reichardt vornehmlich mit literarischen Machtdiskursen sowie mit dem Verhältnis zwischen regionalen, nationalen und globalen Identitäten insbesondere in der italienischen Literatur der Moderne kritisch auseinander.

Forschungsschwerpunkte

  • Komparatistische, narratologische und imagologische Ansätze
  • Literarischer Modernismus im 19. – 21. Jahrhundert
  • Deutsch-italienische Kulturbeziehungen in Geschichte und Gegenwart
  • Poststrukturalismus, Postkolonialismus und Transkulturalität
  • Diskursanalysen (insb. Herrschafts-, Globalisierungs- und Intermedialitätsdiskurse)
  • Literatursoziologie und Produktionsästhetik

Werke (Auswahl)

  • Neue Deutsche Literatur. Jahrbuch 1991. Ausgewählte Texte neuer und bekannter Autoren herausgegeben von Dagmar Reichardt, Hamburg: Edition Dax, 1991, ISBN 3-88697-006-X.
  • Neue Deutsche Literatur. Jahrbuch 1992. Ausgewählte Texte neuer und bekannter Autoren herausgegeben von Dagmar Reichardt, Hamburg: Edition Dax, 1992, ISBN 3-88697-020-5.
  • Ade, ihr Zöpfe der Loreley. Über Deutschland, die Deutschen und die deutsche Literatur von Cesare Cases, übers., hrsg. und mit einem Nachwort von Dagmar Reichardt, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 1996, ISBN 3-434-50094-4.
  • Das phantastische Sizilien Giuseppe Bonaviris. Ich-Erzähler und Raumdarstellung in seinem narrativen Werk, Frankfurt a.M./Berlin/Bern u.a.: Peter Lang, 2000, ISBN 3-631-36240-4.
  • Il dire celeste. Lirica di Bonaviri / Himmelsreden. Lyrik von Bonaviri von Giuseppe Bonaviri, übers., kommentiert und mit einem Vorwort von Dagmar Reichardt, hrsg. von Irmela Arnsperger, Dagmar Reichardt und Bernd Mayer, Stuttgart: Commedia & Arte, 2004, ISBN 3-924244-36-7.
  • Italienische Biographien in deutscher Sprache 1980-2004, zusammen mit Sabine Witt, Essen: Perelmuter, 2005, ISBN 3-00-015353-5.
  • L’Europa che comincia e finisce: la Sicilia. Approcci transculturali alla letteratura siciliana. Beiträge zur transkulturellen Annäherung an die sizilianische Literatur. Contributions to a Transcultural Approach to Sicilian Literature, hrsg. und mit einem Vorwort von Dagmar Reichardt, Frankfurt a.M./Berlin/Bern u.a.: Peter Lang, 2006, ISBN 3-631-54941-5.
  • Der heilige Paulus von Pier Paolo Pasolini, Filmdrehbuch mit einem Geleitwort von Dacia Maraini, übers., hrsg. und mit einem kritischen Kommentar von Dagmar Reichardt und Reinhold Zwick, Marburg: Schüren Verlag, 2007, ISBN 978-3-89472-495-5.
  • Histoires inventées. La représentation du passé et de l’histoire dans les littératures française et francophones, hrsg. von Elisabeth Arend, Dagmar Reichardt und Elke Richter, Frankfurt a.M./Berlin/Bern u.a.: Peter Lang, 2007, ISBN 978-3-631-56966-5.
  • Kongressband Tempo e memoria nella lingua e nella letteratura italiana, (Mitherausgeberin), 2 Bände, Online-Publikation 2009, Teil 1, Teil 2 auf infoaipi.org (PDF)

Weblinks


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