Dichtermuseum Liestal

Dichtermuseum Liestal

Das Dichtermuseum Liestal, seit der Zusammenlegung Dichter- und Stadtmuseum Liestal genannt, ist ein am 7. Juli 1946 im schweizerischen Liestal eröffnetes, regional und überregional bekannten Autoren gewidmetes Literaturmuseum.

Eingang zum Dichter- und Stadtmuseum Liestal

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Den Grundstock seiner Bestände verdankt das Dichtermuseum einer Schenkung von Marcel Herwegh. Nach dem Tod seiner Mutter Emma Herwegh (1904), die neben ihrem Ehemann, dem deutschen Vormärzdichter Georg Herwegh auf dem Liestaler Friedhof beigesetzt ist, hatte er den von ihm verwalteten und zum Teil herausgegebenen Nachlass seiner Eltern der Gemeinde Liestal überlassen, bevor er selbst 1937 verstarb. Mit der Schenkung war die Idee einer Herwegh-Gedenkstätte verbunden, die bereits Emma Herwegh beseelte. Doch wurde das Material zunächst in einem anderweitig genutzten Obergeschoss des Rathauses in Kisten untergebracht.

Zu der Hinterlassenschaft gehörten neben zahlreichen Manuskripten, Briefen (rund 4.000 Autographen) und Büchern auch Porträts des Ehepaars, Fotografien, Teile des Mobiliars und andere Andenken. Nach Vorarbeiten von Karl Schuppli wurde der Herwegh-Nachlass in den Jahren 1943 bis 1946 durch Bruno Kaiser (1911−1982) katalogisiert.[1] Der von den Nationalsozialisten verfolgte und über Belgien in die Schweiz geflüchtete Germanist war in Arisdorf interniert worden, erhielt jedoch die Erlaubnis, zur Vorbereitung für einen Vortrag vor Lagerhäftlingen den Nachlass einzusehen.

Das geplante Referat hielt Bruno Kaiser dann am 7. Juli 1946 als Eröffnungsrede, als im zweiten Stock des Rathauses das Dichtermuseum eingeweiht wurde. Man betrat das Museum durch eine Dichterstube, die mit Hinterlassenschaften der Liestaler Autoren Joseph Victor Widmann (als Deposita der Stadtbibliothek Bern) und des Nobelpreisträgers Carl Spitteler aus einer Stiftung von dessen Tochter Anna ausgestattet war.

Zu den ersten Förderern des Dichtermuseums gehörte der Kantonsbibliothekar und Sekundarschullehrer Otto Rudolf Gass (1890–1965), der die Gedenkausstellungen über Spitteler und Widmann eingerichtet hatte. Gemeinsam mit dem Lehrer und Jugendgerichtsschreiber Carl August Ewald (1900–1968) war er als Vorsitzender der Museumskommission nach dem Krieg für das Museum zuständig. Als Kustos wurde der pensionierte Bäckermeister Eduard Strübin eingesetzt.[2]

In den 1990er Jahren erwies sich die Unterbringung in der Rathaus-Etage als unzweckmässig, da die Bestände durch Schenkungen erweitert worden waren und eine angemessene Repräsentation nicht möglich war. Im Jahr 2000 wurde die von der Stadt Liestal geförderte „Stiftung Dichter- und Stadtmuseum Liestal“ gegründet, die das Museum betreibt;[3] seit 2001 existiert ein Gönnerverein. Der Umbau eines Hauses in der Nachbarschaft (Rathausstr. 30) als eigenes Quartier für das Museum wurde mit einem Lotteriefondsbeitrag von 500.000 CHF finanziert.[4]

Am 9. Juni 2001 bezog das Museum unter dem Namen Dichter- und Stadtmuseum das neue Haus, wo es mehrere Etagen einnimmt. Im Erdgeschoss befinden sich das Antiquariat Poete-Näscht und die Museumskasse. Auf der ersten Etage werden Wechselausstellungen gezeigt; den Dichternachlässen, zu denen noch der von Hugo Marti hinzugekommen ist, wirdmet sich die zweite Etage. Geschichte und das Brauchtum Liestals sowie das Wirken der Künstler Otto Plattner und Martin Disteli werden auf der dritten Etage dokumentiert.

Autoren

Das Liestaler Dichter- und Stadtmuseum widmet sich in erster Linie dem Leben und Werk beider Herweghs, Viktor Widmanns, Carl Spittelers und Hugo Martis. In zwei als „Salon“ bezeichneten Grossvitrinen finden sich Antiquitäten und Gegenstände aus dem Besitz von Emma und Georg Herwegh, beispielsweise das Manuskript des Bundesliedes für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein und die Vertonung von Hans von Bülow, Widmungsexemplare von Richard Wagner, Fotografien von Garibaldi, Gottfried Semper und Lassalle, Brille und Leselupe Georgs, Emmas Reitpeitsche und ihre angeblich beim Feldzug der Deutschen Demokratischen Legion in der Badischen Revolution benutzte Pistole.

In ähnlichen Glaskästen finden sich die Schreibtische mit Gegenständen von Widmann (mit einem aus Bernstein geschnitzten Maikäfer, den Verehrerinnen dem Dichter der Maikäferkomödie aus Königsberg gesandt hatten) und Spitteler (mit einer eindrucksvollen Bleistift-Schärfmaschine).

Zwölf Wandvitrinen führen mit Textbeispielen, Kurzbiografien, Dokumenten und Bildern, teilweise auch mit Hörstationen, in Leben und Werk der mit Liestal oder der Region verbundenen Autorinnen und Autoren ein. Auf Lesebretter fixierte Einzelbände (Werkausgaben, Biographien, Forschungsliteratur), die zu Sitzgelegenheiten und Ruhebänken mitgenommen werden können, laden zum Verweilen und Nachlesen ein.

Hinzu kommen zahlreiche weitere Lebenszeugnisse von Korrespondenzpartnern, die im Dichter- und Stadtmuseum archiviert sind und von Forschern eingesehen werden können, zum Beispiel Briefe aus der Feder des preussischen Obersten und Revolutionärs Wilhelm Rüstow, der zum Herwegh-Kreis gehörte, und des Revolutionärs Theodor Opitz, der von 1873 bis zu seinem Tode 1896 in Liestal lebte und mit Widman befreundet war, oder die umfangreiche Korrespondenz von Ludmilla Assing mit Emma Herwegh, deren an Assing gerichtete Briefe in der Sammlung Varnhagen (derzeit in der Jagiellonischen Bibliothek in Krakau) aufbewahrt wurden.

Weitere Autoren mit Bezug zur Region, die im Dichter- und Stadtmuseum repräsentiert sind, gehören politische Flüchtlinge wie Josef Otto Widmann und Karl Kramer, Baselbieter Mundartdichter wie Jonas Breitenstein und Wilhelm Senn (Schöpfer des Baselbieterliedes) sowie die Lyrikerin Verena Rentsch. Wechselausstellungen widmete das Museum beispielsweise den Schriftstellern Friedrich Glauser, Johann Peter Hebel, dem Künstler Jörg Shimon Schuldhess, der Architektur aus Liestal seit 1901, der mit Holzschnitten illustrierten Lyriksammlung Ergolzreihe und weiteren regionalen Themen.

Kataloge und Editionen

  • Michail Krausnick: Nicht Magd mit den Knechten. Emma Herwegh, eine biographische Skizze. (Für die Ausstellung 1848. Wirtshaus, Hinterzimmer und Salon. Deutsche Demokraten im Baselbieter Exil, 25. April bis 19. September 1998.) Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 1998 (Marbacher Magazin, Sonderheft 83), ISBN 3-929146-74-6
  • „Nationalität trennt, Freiheit verbindet.“ Revolution 1848/49. Ausstellungskatalog Stuttgart, Liestal, Mulhouse, Lörrach 1998, ISBN 3-933726-10-7
  • Barbara Alder (mit Hans Rudolf Schneider und Sabine Kubli): 1848. Wirtshaus, Hinterzimmer und Salon. Deutsche Demokraten im Baselbieter Exil. Begleitbroschüre zur Ausstellung 25. April bis 19. September 1998. Dichtermuseum/Herwegh-Archiv, Liestal 1998
  • „Verstöhntder mi no?“ Alemannische Gedichte im Dialog mit Fotos von Rolf Frei. Hrsg. v. Dichter- und Stadtmuseum. Creavis Verlag, Basel 2003, ISBN 3-9520698-8-4
  • Dominik Wunderlin, Hans Peter Epple: Liestaler Grenzgänge – Mann und Bann. Texte und Legenden. Sonderausstellung zum Banntag 2005. Hrsg. v. Dichter- und Stadtmuseum. Lüdin, Liestal 2005, ISBN 3-85792-165-X
  • bauern begehren auf. baselbieter gedenken 1653 ff. Texte und Legenden. Sonderausstellung zum Bauernkrieg vom 4. Juni bis 12. Oktober 2003. Dichter- und Stadtmuseum, Liestal 2003
  • Sabine Kronenberg, Hans Rudolf Schneider (Hrsg.): Wurzeln. Zwölf literarische Grabungen. Christof Merian, Basel 2006 (Edition Dichter- und Stadtmuseum Liestal Bd. 1), ISBN 978-3-85616-264-1
  • Isabell Koellreuter, Sabine Kronenberg, Hans Rudolf Schneider (Hrsg.): Alpenliebe. Lesereisen ins helvetische Gebirge. Christof Merian, Basel 2006 (Edition Dichter- und Stadtmuseum Liestal Bd. 2), ISBN 3-85616-284-4
  • Von Brodtbeck und Bohny zu Otto+Partner. Architektur aus Liestal seit 1901. Dichter- und Stadtmuseum, Liestal 2007
  • Christoph Oberer: Die Schnecken der Gemeinde Liestal. Dichter- und Stadtmuseum, Liestal 2009

Literatur

  • Julius Stöcklin: Ein Poetennest. Literarische Skizze. Landschäftler, Liestal 1922
  • Otto Gass: Das Dichtermuseum Liestal. In: Baselbieter Heimatbuch Bd. 4 (1948)
  • Alfred Liede: Das Herwegh-Archiv im Dichtermuseum Liestal. Mit einem Beitrag von Edgar Schumacher. Separatabdruck aus Scripta Manent Jg. 5/6 (1960/61), H. 8–11, Basel 1961
  • Mario Carlo Abutille: Weltoffener, humaner und klarer Denker. Das Dichtermuseum Liestal ehrt zum 100. Geburtstag den Schriftsteller Hugo Marti. In: Basellandschaftliche Zeitung, 9. Dezember 1993, S. 29
  • Hans Rudolf Schneider: Ein Rundgang durch das Dichtermuseum/Stadtmuseum Liestal. In: Jurablätter Jg. 56 (1994), S. 65–72
  • Sabine Reimann: Das Herwegh-Archiv in Liestal. In: Das Markgräflerland Jg. 1998, Bd. 1, S. 61–70
  • Xaver Schwäbl: Zur 150. Wiederkehr der „Badischen Revolution 1848“. Herwegh-Archiv im Museum Liestal (Baselland). In: Regional. Menschen und Kultur am Oberrhein. Jg. 1998, H. 1, S. 5 f.
  • Marco Badilatti: Sammlung sichtbar gemacht. Dichter- und Stadtmuseum Liestal in historischen Mauern. In: Heimatschutz Jg. 97 (2002), Nr. 2, S. 26–27
  • Hans Rudolf Schneider: Mitten in Liestal: Ein neuer Bücherturm für den Bücherwurm. In: Baselbieter Heimatbuch, Bd. 24 (2003)
  • Martin Stohler: Zur Geschichte des Dichter- und Stadtmuseums Liestal. o. O. u. J. (Web-Ressource)

Einzelnachweise

  1. Vgl. Jürgen Stroech: Bruno Kaiser (1911–1982). In: Bewahren - Verbreiten - Aufklären: Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der deutschsprachigen Arbeiterbewegung. Hrsg. v. Günter Benser und Michael Schneider. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn-Bad Godesberg 2009, S. 144–150.
  2. Vgl. Alfred Liede: Das Herwegh-Archiv im Dichtermuseum Liestal. Mit einem Beitrag von Edgar Schumacher. Separatabdruck aus Scripta Manent. Jg. 5/6 (1960/61), H. 8–11, Basel 1961, S. 4.
  3. Eintrag der „Stiftung Dichter- und Stadtmuseum Liestal“ im Handelsregister des Kantons Basel-Landschaft
  4. Vgl. Medienmitteilungen des Regierungsrates Basel-Landschaft. Aus der Regierungsrats-Sitzung vom 13. Juni 2000 (Web-Ressource).

Weblinks

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