Entzündungsaltern

Entzündungsaltern

Entzündungsaltern, der engl. Begriff inflamm-aging beziehungsweise inflammaging ist auch im deutschsprachigen Raum weit verbreitet, bezeichnet die vermehrte Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen und damit verbundenen chronischen Erkrankungen bei älteren Menschen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Die Immunoseneszenz, das Altern des Immunsystems, ist eine Begleiterscheinung des Alterns. Das Entzündungsaltern ist durch ein Nachlassen der Antwort der adaptiven Immunabwehr gekennzeichnet. Die Rückbildung des Thymus beginnt mit der Geschlechtsreife. Dieser Prozess ist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr abgeschlossen. Danach ist keine Reifung von T-Lymphozyten mehr möglich, wodurch das Immunsystem auf das Portfolio der bis dahin gebildeten T-Lymphozyten angewiesen ist. In jungen Jahren hat der Körper einen hohen Anteil an naiven – das heißt nicht aktivierten – T-Lymphozyten, einen geringen Anteil an Gedächtniszellen und kaum Effektorzellen. Im Alter ist es dagegen genau umgekehrt: Es dominieren die Effektorzellen, die Gedächtniszellen sind an zweiter Stelle und es sind kaum noch naive T-Lymphozyten vorhanden. Diese Umkehr hat Veränderungen in der Zytokinausschüttung zur Folge. Interleukin-2 und Interleukin-4 werden signifikant weniger ausgeschüttet, als in jungen Jahren, während γ-Interferon verstärkt gebildet wird. Dies wiederum bewirkt unter anderem eine schlechtere Reifung der B-Lymphozyten und eine reduzierte Produktion von Antikörpern.[2]

Der Begriff inflammaging wurde von dem italienischen Immunologen Claudio Franceschi von der Universität Bologna als Beschreibung für das allgemein akzeptierte Paradigma geprägt, dass das Altern mit der erhöhten Ausschüttung proinflammatorischer Botenstoffe verbunden ist.[3][4] Dieser Zustand der leichten systemischen und chronischen (= subklinischen) Entzündung unterscheidet sich erheblich von dem einer akuten Entzündung, die durch fünf Entzündungszeichen gekennzeichnet ist.

Auswirkungen

Das Entzündungsaltern bewirkt unter anderem, dass der Erfolg von Impfungen im Alter deutlich geringer als in jungen Jahren ist.[2]

Darüber hinaus wird das Entzündungsaltern als Ursache für eine Reihe altersassoziierter Erkrankungen mit inflammatorischer Pathogenese, wie beispielsweise Arthritis, Alzheimer[3], Arteriosklerose, Osteoporose und Diabetes mellitus, gesehen.[5][4]

Inflammaging wird auch als eine Ursache des Alterungsprozesses selbst gesehen.[6] Entzündungen sind – so die weitergehende Hypothese von Franceschi – in jungen Jahren sehr hilfreich, wo sie die Überlebenschancen gegen Pathogene erheblich verbessern, aber entsprechend der Theorie der antagonistischen Pleiotropie, im Alter für den Organismus eher schädlich.[4][7][8] Für diese These spricht, dass durch die Gabe von Sirolimus, einem Immunsuppressivum, bei Mäusen die Lebenserwartung signifikant verlängert werden kann.[9]

Aus evolutionärer Sicht ist das Überleben eines Organismusses zumindest bis zum Ende seiner reproduktiven Phase wichtig. Die meisten Organismen (einschließlich dem frühen Menschen) starben bevor sie das Ende der Reproduktionsphase erreichten. Die nachteiligen Auswirkungen des Entzündungsalterns traten somit nur sehr selten in Erscheinung. Eine Selektion gegen dieses die Lebensspanne verkürzende und erst nach der Reproduktionsphase auftretende Inflammaging war somit nicht möglich.[10]

Erst seit einer – evolutionsgeschichtlich gesehen – kurzen Zeit erreichen sehr viele Menschen ein Lebensalter das über 40 bis 50 Jahre hinausgeht. Das Immunsystem ist nicht für das Erreichen eines hohen Lebensalters ausgelegt, muss nun aber länger aktiv sein. Dieser lange Zeitraum der Aktivität führt zu chronischen Entzündungsprozessen, die langsam – aber unaufhaltsam – Schäden in den Organen anrichten. Ein Phänomen, das in direktem Zusammenhang mit dem Altern steht und zu den typischen altersbedingten chronischen Erkrankungen, wie beispielsweise Osteoporose, Sarkopenie, Diabetes mellitus Typ 2, Alzheimer und Arteriosklerose führen kann.[11] Die Progression dieser Erkrankungen hängt offensichtlich stark vom Genotyp des Einzelnen ab.[12][13] Es gibt dabei einen Zusammenhang, der besagt, dass pro-inflammatorische Genotypen früher altern und umgekehrt, dass ein kontrollierterer Entzündungsstatus ein langsameres Altern ermöglicht.[14][15][16][17] Die moderne Gesellschaft bedeutet eine deutlich reduzierte pathogene Belastung für den menschlichen Organismus – im Vergleich zu den Zeiten, als das Immunsystem sich evolutionär entwickelte. Ein auf die jetzigen Verhältnisse eingestelltes Immunsystem[18] würde so möglicherweise die Lebenserwartung erhöhen und chronische altersbedingte Erkrankungen unterdrücken.[19][11]

Entzündungsaltern wird auch als mögliche Ursache für Krebserkrankungen gesehen. Bei Hundertjährigen wurde vermehrt eine Genexpression festgestellt, die offensichtlich Entzündungsprozesse besser kontrolliert.[20]

Weiterführende Literatur

Einzelnachweise

  1. G. Sergio: Exploring the complex relations between inflammation and aging (inflamm-aging): anti-inflamm-aging remodelling of inflamm- aging, from robustness to frailty. In: Inflammation Research 57, 2008, S. 558–563. doi:10.1007/s00011-008-7243-2 PMID 19109735
  2. a b F. Thalhammer: Impfen im Alter. In: Österreichische Ärztezeitung November 2008
  3. a b B. Giunta u. a.: Inflammaging as a prodrome to Alzheimer's disease. In: J Neuroinflammation 5, 2008, S. 51. PMID 19014446
  4. a b c C. Franceschi u. a.: Inflamm-aging. An evolutionary perspective on immunosenescence. In: Ann N Y Acad Sci 908, 2000, S. 244–254. PMID 10911963 (Review)
  5. S. Vasto u. a.: Inflammatory networks in ageing, age-related diseases and longevity. In: Mech Ageing Dev 128, 2007, S. 83–91. PMID 17118425 (Review)
  6. C. Franceschi u. a.: Inflammaging and anti-inflammaging: a systemic perspective on aging and longevity emerged from studies in humans. In: Mech Ageing Dev 128, 2007, S. 92–105. PMID 17116321 (Review)
  7. G. Candore u. a.: Biology of longevity: role of the innate immune system. In: Rejuvenation Res 9, 2006, S. 143-148. PMID 16608411 (Review)
  8. C. Caruso u. a.: Aging, longevity, inflammation, and cancer. In: Ann N Y Acad Sci 1028, 2004, S. 1–13. PMID 15915584 (Review)
  9. D. E. Harrison u. a.: Rapamycin fed late in life extends lifespan in genetically heterogeneous mice. In: Nature 460, 2009, S. 392–395. PMID 19587680
  10. C. Franceschi: Inflammaging as a major characteristic of old people: can it be prevented or cured? In: Nutr Rev 65, 2007, S. S173–176. PMID 18240544
  11. a b S. Vasto und C. Caruso: Immunity & Ageing: a new journal looking at ageing from an immunological point of view. In: Immun Ageing 29, 2004, 1. PMID 15679921 (Open Access)
  12. C. Franceschi und M. Bonafe: Centenarians as a model for healthy aging. In: Biochem Soc Trans 31, 2003, S. 457–461. PMID 12653662 (Review)
  13. K. S. Krabbe u. a.: Inflammatory mediators in the elderly. In: Exp Gerontol 39, 2004, S. 687–699. PMID 15130663 (Review)
  14. D. Lio u. a.: Inflammation, genetics, and longevity: further studies on the protective effects in men of IL-10 -1082 promoter SNP and its interaction with TNF-alpha -308 promoter SNP. In: J Med Genet 40, 2003, S. 296–299. PMID 12676903
  15. G. Pawelec u. a.: T cells and aging. In: Front Biosci 7, 2002, S. d1056–d1183. PMID 11991846 (Review)
  16. G. Candore u. a.: Immunological and Immunogenetic markers of successful and unsuccessful ageing. In: Advances in Cell Aging and Gerontology 13, 2003, S. 29–45.
  17. C. Caruso u. a.: Looking for immunological risk genotypes. In: Ann N Y Acad Sci 1019, 2004, S. 141–146. PMID 15247007
  18. G. Wick u. a.: A Darwinian-evolutionary concept of age-related diseases. In: Exp Gerontol 38, 2003, S. 13–25.
  19. L. Mariani u. a.: Chronic antigenic stress, immunosenescence and human survivorship over the 3 last centuries: heuristic value of a mathematical model. In: Mech Ageing Dev 124, 2003, S. 453–458. PMID 12714253
  20. S. Vasto u. a.: Inflammation, ageing and cancer. In: Mech Ageing Dev 130, 2009, S. 40–45. PMID 18671998

Weblinks


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