Joh. Anton Lucius

Joh. Anton Lucius
Joh. Anton Lucius
Firmierung, Lucius, 2.JPG
Rechtsform
Gründung 1763
Auflösung 1950er Jahre
Auflösungsgrund Enteignung
Sitz Erfurt, DeutschlandDeutschland Deutschland
Branche Textilunternehmen

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Joh. Anton Lucius war ein großes Textilunternehmen in Thüringen. Es wurde 1763 von Johann Anton Lucius in Erfurt gegründet. Unter seinem Sohn Sebastian Lucius und dessen Nachkommen wuchs das Unternehmen stetig an.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Geschichte des Unternehmens ist mit der Erfurter Kaufmannsfamilie Lucius und der aus dem Magdeburger Raum stammenden Familie von Nathusius verbunden. Johann Anton Lucius' Vorfahren stammten aus Seehausen (heute ein Ortsteil von Bad Frankenhausen). Jacob Lucius war nach Erfurt gekommen, wurde Bäcker und erwarb 1691 das Bürgerrecht. Sein Sohn Johannes Hieronymus Lucius (1693–1756) war ein Erfurter Webermeister („Filorum textor“).[1] Sein Sohn war Johann Michael Lucius (1719–1806) und betrieb einen Wollwarenhandel.

Dessen Sohn Johann Anton Lucius gründete das nach ihm benannte Unternehmen.[2] Sie blieb über weitere drei Generationen in Familienbesitz und wurde in den 1950er Jahren enteignet bzw. aufgegeben. Das Unternehmen bestand 189 Jahre.

Johann Anton Lucius

1763 eröffnete Johann Anton Lucius auf der Langen Brücke 57/58 in Erfurt eine Wollzeugmanufaktur und begann den Handel mit Wollwaren und „baumwollenen Zeugen“.[3] Er stieg zusätzlich in die Fabrikation von Baumwollwaren ein. 1782 erwarb er eine Konzession zur Erweiterung seines Unternehmens um ein Ausschnittsgeschäft.[4]

Als Lucius starb, übernahmen sein Bruder Johann Jakob[5] sowie sein Sohn Sebastian Lucius, die bereits vorher im Geschäft mitgearbeitet hatten, 1810 das Unternehmen.

Sebastian Lucius

Heimarbeit am Webstuhl

Bei Übernahme des Unternehmens war dieses verschuldet, unter anderem bei einem Weihbischof Heinold. Wechsel waren fällig und es mussten schnell Gewinne erwirtschaftet werden. Sebastian Lucius wagte den Einstieg in das riskante Waffengeschäft – schneller und sicherer Transport für Waffen und Munition. Er konnte erfolgreich für eine Pariser und ein Mainzer Unternehmen tätig werden und hohe Profite realisieren. Das Unternehmen konnte so gerettet werden und Sebastian Lucius baute es nun erheblich aus.

Um die Produktion teilweise auf eine industrielle Basis stellen zu können, erwarb er 1815 die Spinnerei- und Weberei-Anlagen eines Fabrikanten Liebich, die zwischen den Erfurter Straßen Pilse und Junkersand gelegen waren. Er errichtete dort eine Ginghamfabrik. Er unterhielt auch eine große Färberei, in der die zum Verweben bestimmten Garne gefärbt wurden: Leinen-, Woll- und Baumwollgarne, Twist, Tücher und Kleiderstoffe, Nankin, Nessel, Drell, Damast und Gingham.

Das Unternehmen produzierte hauptsächlich Mützen und Strümpfe und beschäftigte rund 1000 Arbeiter, die meistens in Heimarbeit in der ländlichen Umgebung Erfurts tätig waren. Die wichtigsten Geschäftszweige des Lucius-Unternehmens waren im 19. Jahrhundert die Herstellung und der Großhandel von Tuch-, Band- und Strumpfwaren.[6] In den 1830er-Jahren begann Lucius, englische Produkte, vorwiegend Garne, zu importieren.

Die Abschaffung der innerdeutschen Zollgrenzen durch den deutschen Zollverein Mitte der 1830er-Jahre und der Anschluss Erfurts an das mitteldeutsche Eisenbahnnetz begünstigten die Großhandelstätigkeit des Unternehmens zusätzlich. Andere Unternehmen wurden übernommen. 1837 übergab Lucius die Ginghamfabrik zu seiner Entlastung an einen Neffen.

Ein Sohn war Ferdinand Lucius, der das Unternehmen übernehmen sollte. Eine Tochter war Henriette Marie Lucius (1823–1886). Sie heiratete den Rittergutsbesitzer Gustav Buhlers. Dieses Paar hatte vier Kinder, darunter Marianne Buhlers, die am 28. Oktober 1869 in Erfurt den preußischen Landstallmeister Hans von Nathusius heiraten sollte und die Mutter der letzten Eigentümer des Unternehmens Johann Anton Lucius war.

Haus Dacheröden

Haus Dacheröden im Jahr 1955

In die Zeit Sebastian Lucius' fällt auch der Erwerb des heute noch bestehenden, damaligen Unternehmenssitzes in Erfurt. Er hatte die eine Hälfte („Am Anger 38“, vormals „Haus zum Güldenen Hecht“) des heutigen Haus Dacheröden von der verwitweten Ehefrau des H. Chr. Spoenla[7], einer geborenen Lucius, geerbt.

1833 kaufte er die zweite Haushälfte („Am Anger 37“, vormals „Haus zum Großen und Neuen Schiff“) dazu und ließ beide Teile durch eine neu gestaltete Zwischenverbindung funktional zu einem Gebäude verschmelzen. Hier befanden sich nun neben Wohnungen auch der Hauptsitz des Unternehmens sowie der Versand der importierten englischen Garne und eigenproduzierten Textilien. Zu diesem Zweck wurden in den 1830er-Jahren Anbauten errichtet.

 Commons: Haus Dacheröden – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Ferdinand Lucius

Laut testamentarischer Verfügung ging das Unternehmen nach dem Tod Sebastian Lucius' an seine Witwe Marianne Lucius, geb. Hebel über. Die Leitung sollte der viertälteste Sohn Ferdinand übernehmen. Dabei wurde er zunächst von dem älteren Bruder August unterstützt. Dieser älteste Sohn des Sebastian Lucius hatte nach der Rückkehr von Bildungsreisen im Jahr 1842 von seinem Vater ein Rittergut als Geschenk und Erbe erhalten. Das Gut Stoedten bei Straußfurt wurde ihm 1848 übereignet.

Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1862 übernahm Ferdinand Lucius das Unternehmen. Die Großhandlung mit Garn und Wollwaren dehnte sich unter seiner Leitung aus und wuchs zu einem der führenden Unternehmen in Erfurt heran. 1886 stand Ferdinand Lucius mit einem Einkommen von 180.000 Mark an vierter Stelle der einkommensstärksten Unternehmer Erfurts. 1906 war er der reichste Bürger der Stadt, sein Vermögen betrug zu dem Zeitpunkt etwa 8,5 Millionen Mark, sein jährliches Einkommen lag bei 500.000 Mark. 1867 bis 1871 war er Präsident der Handelskammer Erfurt. Von 1890 bis 1903 war er Abgeordneter des deutschen Reichstages und in seinem Sterbejahr 1910 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Erfurt ernannt.

1859 hatte Lucius Wilhelmine Wirth geheiratet. Das Paar hatte keine männlichen Nachkommen. Nach seinem Tod lebte kein Namensträger Lucius mehr in Erfurt.

Walter von Nathusius

Der Pilz als Unternehmenslogo

Bereits am 1. Januar 1906 hatte Lucius' Großneffe Walter von Nathusius zusammen mit dem bisherigen Prokuristen Carl Bender die Leitung des Unternehmens übernommen. Nathusius war bereits mehrere Jahre in das Geschäft eingearbeitet worden. Er war der Sohn des bereits genannten Hans von Nathusius und damit ein Urenkel des Sebastian Lucius. Da Ferdinand Lucius keine männlichen Nachkommen hatte, war in der Familie beschlossen wurden, das Geschäft von den Nachkommen der Kusine fortführen zu lassen.

Im Jahr der Unternehmensübernahme überschritt Erfurt die 100.000 Einwohner-Schwelle und war nun eine Großstadt. Die Firma des Unternehmens zu Beginn des 20. Jahrhunderts lautete: Johann Anton Lucius Strickgarngroßhandel und Strumpffabrikation.[8]

Nathusius hatte erkannt, dass der Übergang zu eigener Fabrikation im größeren Umfang als bislang notwendig und erfolgversprechend sein würde. Deshalb wurde am 1. Juni 1906 in Chemnitz eine Filiale zur Herstellung von feinen Baumwoll- und Seiden-Strumpfwaren gegründet. Im selben Jahr wurde auch die Marke „Pilz“ für Strumpfwaren und Garne geschützt. Im Jahr 1909 wurde dann in Schleusingen eine große Strumpffabrik zur Produktion von Wollstrümpfen errichtet. Die hier hergestellten Strümpfe wurden ebenfalls unter der Marke Pilz vertrieben.

Hans Joachim von Nathusius

Nach dem Tode Carl Benders im Jahr 1913 berief Nathusius seinen Bruder Hans Joachim, der an der Universität in Darmstadt ein ingenieurtechnisches Studium absolviert hatte, als leitenden Angestellten in das Unternehmen. Hans Joachim von Nathusius (1884–1946) unterlag die technische und organisatorische Leitung des immer umfangreicher werdenden Unternehmens. Nach einigen Jahren wurde er Mitinhaber. Seine Frau war Maria Anna, geb. Freiin von Giovanelli zu Gerstburg und Hörtenberg (1886–1960). Die Ehe blieb kinderlos.

Trotz des Ersten Weltkriegs, der nachfolgenden Inflation und Wirtschaftskrise überlebte das Unternehmen. Schon bald florierte des wachsende Strumpfgeschäft. Ein ebenfalls begonnener Kurzwarenhandel wurde allerdings nach einigen Jahren wieder aufgegeben. Das Geschäft konzentrierte sich auf den Strickgarngroßhandel und die Strumpffabrikation. Der Vertrieb in die Hauptabsatzgebiete Pommern, Mecklenburg, Schlesien, Sachsen und Brandenburg funktionierte auf Basis eines durchorganisierten Logistiknetzes. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges besuchten 15 Handelsvertreter die Abnehmer mit eigenen Fahrzeugen. Die Bestellungen der Handlungsreisenden gingen im Haus Dacheröden ein, wurden versandfertig gemacht und per Bahn verschickt. Der Transport zum Erfurter Güterbahnhof erfolgte per Pferdewagen. Das Unternehmen nahm regelmäßig an Fachmessen teil. Die Produktion erreichte jährlich eine Größenordnung von rund 1 Million Paar Strümpfen.

Franz Xaver von Nathusius

1922 war der dritte Bruder und zukünftige Teilhaber Franz Xaver von Nathusius (1880–1953) in das Unternehmen eingetreten. Nach Abschluss der Offizierslaufbahn (Rittmeister a. D.) 1910 war er zunächst Eigentümer der Baumwollplantage „Mgohori“[9] und der Mgohori-Baumwoll-Gesellschaft mbH am Fluss Rufiji in Deutsch-Ostafrika gewesen.[10] Im Ersten Weltkrieg hatte er unter Paul Emil von Lettow-Vorbeck in Afrika gekämpft. Seine Frau war Antonie, geb. Tiedemann († 1950), die er 1908 in Daressalam geheiratet hatte. In dem Erfurter Unternehmen übernahm er vom ausgeschiedenen Prokuristen Hugo Besler das Finanzwesen.

Im Jahr 1931 war die Firma Lucius mit dem Gewerbe Handel und Industrie in Artikeln der Textilbranche im Handelsregister eingetragen. Auf Das Werk in Schleusingen entfiel 1931 rund 46 % des Gesamt-Jahressteuergrundbetrages (2.111 Reichsmark), auf das Erfurter Geschäft 54 %.[11] 1938 wurde das 175-jährige Jubiläum des Unternehmens im Haus Kossenhaschen, einem Teil des Hotels Erfurter Hof am Hauptbahnhof, gefeiert.

Der Niedergang

Sammelmarken-Serie

Der Zweite Weltkrieg führte zu Umsatzausfällen, sowohl in der Produktion wie im Großhandel. 1943 starb Walter von Nathusius, sein Bruder Franz übernahm die Geschäftsleitung. Ein Luftangriff auf Erfurt im November 1944 brachte Beschädigungen in der Straße Am Anger und auch am Haus Dacheröden.

1945 kam das Großhandelsgeschäft aufgrund fehlender Verkehrsverbindungen zum Erliegen. Nach dem Krieg versuchten Franz von Nathusius und sein Bruder Hans-Jochen, das Geschäft wieder aufzubauen, jedoch wurden noch vorhandene Dienstfahrzeuge von der Besatzungsmacht requiriert. 1946 starb dann auch Hans-Jochen von Nathusius. Auch die Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone von 1948 schädigte das Unternehmen. Das Erfurter Geschäft bestand mangels Handelstätigkeit Ende der 1940er-Jahre nur noch aus Vermietungen von Wohn- und Geschäftsräumen. Die Fabrik in Schleusingen produzierte aber noch immer. 1951 sah der letzte Besitzer des Unternehmens Lucius sich gezwungen, Grundstücke und Gebäude des Unternehmens in Erfurt zu verkaufen. Damit ging das Unternehmen in Erfurt unter. Neuer Eigentümer des Hauses Dacheröden wurde die spätere VOB Zentrag, ein Verbund von SED-eigenen Druckereien und Verlagen in der DDR. In dem Gebäude wurde ein Formulardruck-Versand eingerichtet.

Im Jahr 1952 wurde die Schleusinger Fabrik entschädigungslos enteignet. Damit existierte das Unternehmen Lucius nicht mehr. Im Haus Dacheröden befindet sich heute ein Kulturforum.

Produktionsstätten und Zweigstellen

Neben den Produktionsstandorten in Chemnitz und Schleusingen unterhielt das Unternehmen Lucius Zweigstellen in Hannover, Kiel und Breslau.[12]

Strumpffabrik in Schleusingen

Die Strumpffabrik in Schleusingen

1909 hatte Walter von Nathusius die Strumpffabrik in Schleusingen errichtet.[13] In dieser Lucius-Fabrik wurden sämtliche Arten gestrickter Strümpfe (Baby-, Kinder-, Männer- und Frauenstrümpfe) produziert. Außerdem wurden hier die seidenen Damenstrümpfe vom Produktionsstandort in Chemnitz gefärbt und konfektioniert. Der weitere Vertrieb lief über die Zentrale in Erfurt. Neben der Glasindustrie bot vor allem für Frauen und Mädchen die Strumpffabrik in der Suhler Straße Arbeit in Schleusingen.[14]

Im Jahr 1952 wurde die Schleusinger Fabrik enteignet. Es entstand der VEB Pilzstrumpffabrik Schleusingen.[12] 1955 wurden die Textilmaschinen demontiert und in Fabrikationsstätten im thüringischen Eichsfeld verlagert. An ihrer Stelle wurden Werkzeugmaschinen installiert und aus der ehemaligen Strumpffabrik wurde der VEB Elektromotorenwerk Schleusingen (EMS). Dieser Betrieb hatte später über 900 Mitarbeiter.[14]

Die Stürmer-Kampagne

Typischer „Stürmerkasten“, hier aus dem Jahr 1933

In Schleusingen gab es vor dem Zweiten Weltkrieg das bekannte Modehaus Müller & Schwab, das zwei jüdischen Familien gehörte. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde dieses Unternehmen zunehmend von nichtjüdischen Konkurrenten angefeindet. Kampagnen gegen das Unternehmen hatten das Ziel, durch Diffamierung oder Einschüchterung einen Umsatzrückgang zu erreichen und damit das Geschäft in den Bankrott zu treiben. Dank guter Kontakte konnte das nationalsozialistische Hetzblatt Der Stürmer dazu eingesetzt werden.[15] Die Zeitung veröffentlichte auf der Titelseite der Ausgabe 3 im Jahr 1934 folgenden Text:

Luciusstrümpfe – Worüber man in Schleusingen spricht

In Erfurt (Thüringen) gibt es ein Unternehmen, das sich “Joh. Anton Lucius, Erfurt-Chemnitz“ nennt. Dieses Unternehmen unterhält in Schleusingen (Thüringen) eine Strumpffabrik, in der es etwa 70 Arbeiterinnen beschäftigt. Von diesen wird verlangt, dass sie nur Strümpfe tragen, die in der Fabrik „Lucius“ hergestellt werden. Den Alleinvertrieb der Lucius-Strümpfe hat in Schleusingen das jüdische Unternehmen Müller & Schwab. Die Arbeiterinnen des Unternehmens Lucius sind also gezwungen, ihre Strümpfe im Judenhaus Müller & Schwab zu kaufen. Ein deutscher Geschäftsmann bat das Unternehmen Lucius, es möge auch ihm den Verkauf der Lucius-Strümpfe übertragen.

Darauf erhielt der deutsche Geschäftsmann folgenden Bescheid:

7.11.33, Firma Hans Dunst, Schleusingen (Thür.)
Ich empfing Ihr Geehrtes vom 28. vor. Mts über mein Schleusinger Haus und mit Rücksicht auf die sehr angenehme langjährige Verbindung mit Fa. Müller & Schwab muß ich zu meinem Bedauern ablehnen, Ihnen ein Angebot zu unterbreiten. Die Herren Müller & Schwab kaufen seit langen Jahren ganz treu bei mir; ihr Geschäft befindet sich in derselben Straße, und ich mache alten Kunden nicht Konkurrenz.
Hochachtungsvoll !, gez. Unterschrift

Der deutsche Geschäftsmann erlaubte sich darauf diese Antwort zu geben:

10.11.33
Ich empfing Ihr Schreiben vom 7.cr. und teile Ihnen mit, dass bei mir im Geschäft erzählt worden ist, dass einer Ihrer maßgebenden Herren aus Erfurt beim Inspizieren der hiesigen Fabrik auch die Strümpfe, welche Ihre Arbeiterinnen tragen, gemustert und erklärt hat, sie dürften nur Ihre Fabrikate tragen, man müßte Ihr Unternehmen als Arbeitgeber auch unterstützen. Das finde ich ganz richtig, Sie können aber Ihr Personal nicht zwingen, beim Juden zu kaufen. Durch den Erhalt Ihres Briefes geht deutlich hervor, dass sie es für richtig halten, dass Ihre Fabrikate noch fernerhin bei dem Unternehmen Müller & Schwab, anstatt bei mir gekauft werden. Ich behalte mir vor, Ihren Brief zur Stellungnahme an den Kampfbund, welchem ich als Mitglied angehöre, weiterzuleiten.
Hochachtungsvoll !, gez. Unterschrift

Der Direktor des Schleusinger Lucius-Betriebes ist ein gewisser Herr Bockenstein. Er ist Freimaurer und Stahlhelmer und ist bekannt dafür, dass er Nazis nur sehr zögernd in seinen Betrieb aufnimmt. Es muß erwartet werden, dass sich in Thüringen irgendwer findet, der dafür sorgt, dass den Lucius-Bockenstein-Methoden das Handwerk gelegt wird. Die Arbeiterinnen können verlangen, dass man darauf verzichtet, ihre persönliche Freiheit zu beschränken. Strumpfkontrollen mögen im Judendeutschland von gestern etwas Selbstverständliches gewesen sein. Im neuen Deutschland sei den Lucius-Bockenstein-Leuten geraten, sich den geänderten Verhältnissen recht bald anzupassen.“

Der Stürmer, Ausgabe 03/1934

In Folge der Veröffentlichung des Artikels in den vier Schaukästen, in denen der Stürmer in Schleusingen ausgehängt wurde, wurden alle Käufer, die das Geschäft Müller & Schwab betraten, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus fotografiert. Die Einschüchterungskampagne war erfolgreich; die Umsätze des Geschäftes gingen so weit zurück, dass das Unternehmen am Januar 1939 im Handelsregister[16] als erloschen ausgetragen wurde.[15]

Auch der Absatz von Lucius-Produkten wurde durch die Stürmer-Kampagne gestört. In einem Brief an den Schleusinger Bürgermeister Alfred Syré (* 1890) vom 20. Januar 1934 weist der damalige Geschäftsführer Hans Jochen von Nathusius mit Bezug auf den Stürmer-Artikel auf einen drohenden Arbeitsplatzverlust hin.[17]

Im Lokalteil Erfurter Stadtnachrichten wurde in der Ausgabe vom 3. Februar 1934 unter dem Titel Die Strumpfkontrollen der Firma Lucius. Deutsche Arbeiterinnen sollen beim Juden kaufen, der Artikel des Stürmers komplett abgedruckt.[18]

Einzelnachweise

  1. gem. der genealogischen Familienwebsite Luciusnet.de, zur Zeit offline
  2. gem. Tradition. Zeitschrift für Unternehmensgeschichte und Unternehmerbiographie, Band 3–4, Vereinigung Deutscher Werksarchivare (Mitteilungen), F. Bruckmann, S. 78
  3. gem. Stadtchronik bei Erfurt-Online
  4. gem. Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Band 105, Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung (Hrsg.), Verlag des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, 1994, S. 150
  5. gem. Hans-Werner Hahn, Werner Greiling und Klaus Ries: Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Hain Wissenschaft, 2001, S. 168
  6. gem. Artikel Wer war Sebastian Lucius ? auf der Website der Sebastian-Lucius-Schule in Erfurt, abgerufen am 27. Januar 2010
  7. eventuell auch von Spoenla
  8. gem. Jahrbuch für Geschichte, Band 10, Institut für Geschichte, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.), Zentralinstitut für Geschichte, Akademie der Wissenschaften der DDR, Akademie-Verlag, 1974, S. 353
  9. Franz Xaver von Nathusius setzte auf seiner Plantage den ersten, nach seinem Erfinder Robert Stock benannten Stock-Motorpflug in Afrika ein, gem. Der Pflanzer, Zeitschrift für Land- und Forstwirtschaft in Deutsch-Ostafrika, Biologisch-Landwirtschaftliches Institut in Amani (Hrsg.), Deutsch-Ostafrikanische Zeitung, 1913, S. 283 ff.
  10. gem. Beihefte, Band 13, S. 152
  11. gem. Zerlegung des Grundbetrages nach dem Gewerbeertrag auf mehrere Gemeinden (Gutsbezirke), Formblatt vom 8. September 1931 betr Firma Joh. Anton Lucius in Erfurt, Eingang Stadt Schleusingen am 11. September 1931, vorliegend im: Kreisarchiv Hildburghausen
  12. a b gem. Bestands-Nr 807: Johann Anton Lucius Erfurt, Zweigstelle Schleusingen (494807), beim Archivportal Thüringen
  13. gem. Jahrbuch für Geschichte, Band 10, Institut für Geschichte, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hrsg.), Zentralinstitut für Geschichte, Akademie der Wissenschaften der DDR, Akademie-Verlag, 1974, S. 353 baute er nicht selbst, sondern erwarb eine vorhandene Produktion. Es könnte sich hierbei um die vormalige mechanische Weberei Schwarz handeln, die im Jahr 1868 die erste Dampfmaschine der Stadt aufstellen ließ.
  14. a b gem. Artikel Wandmalereien – Glas- und Strumpffabrik auf der Website der Stadtverwaltung Schleusingen, abgerufen am 27. Januar 2010
  15. a b gem. Kerstin Möhring, …, S. 26 f.
  16. gem. Eintrag/Vermerk A Nr. 351
  17. gem. Original beim Kreisarchiv Hildburghausen, Signatur Schl.817/1
  18. gem. Original beim Kreisarchiv Hildburghausen

Literatur

  • Lilly von Nathusius: Johann Gottlob Nathusius (1760–1835) und seine Nachkommen sowie sein Neffe Moritz Nathusius mit seinen Nachkommen. Detmold 1964, S. 57 ff.
  • Wolfgang Ollrog (Bearb.): Johann Christoph Gatterer, der Begründer der wissenschaftlichen Genealogie. In: Archiv für Sippenforschung und alle verwandten Gebiete mit Praktischer Forschungshilfe. 47. Jahrgang, Heft 81/82, Februar 1981, C. A. Starke Verlag, Limburg 1981, Nr. 3.4.1.3.3, 3.4.1.3.5 und 3.4.1.3.6, S. 72 f.
  • Werner Voigt, Haus Dacheröden, ein Haus voller Kulturgeschichte(n), Stadt Erfurt, Kulturdirektion (Hrsg), Erfurt 1998
  • Georg Wenzel, Jochen von Nathusius, in: Deutscher Wirtschaftsführer, Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten. Ein Nachschlagebuch über 13000 Wirtschaftspersönlichkeiten unserer Zeit, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg u.a. 1929
  • Robert von Lucius:Die Erfurter Familie Lucius. Erfurter Heimatbrief Nr. 37 (1978), S.28-37

Weblinks


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