Gottfried Schramm

Gottfried Schramm

Gottfried Schramm (* 11. Januar 1929 in Heidelberg) ist ein deutscher Historiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gottfried Schramm ist der Sohn des Historikers Percy Ernst Schramm und der Politikerin Ehrengard Schramm, geb. von Thadden. Er studierte Germanistik, Slawistik und Geschichte an den Universitäten Göttingen, Tübingen und Erlangen. Nach seiner altgermanistischen Promotion über zweigliedrige Personennamen der Germanen, einigen Studienmonaten in Paris und einer zweieinhalbjährigen Tätigkeit als Lehrer und Internatserzieher an der Schule Birklehof wechselte Schramm zur Osteuropäischen Geschichte und wurde an der Universität Marburg wissenschaftlicher Assistent von Peter Scheibert. Er habilitierte sich 1964 mit einer Arbeit über den „Polnischen Adel und die Reformation“ und wurde ein Jahr später auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Neuere und Osteuropäische Geschichte der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg berufen, den er bis zu seiner Emeritierung 1994 innehatte. Von 1971 bis 1994 leitete Schramm das Studium generale der Universität, seit 1974 ist er Herausgeber der „Freiburger Universitätsblätter“.[1]

Wissenschaftliches Werk

Schramms wissenschaftliche Arbeit erstreckt sich über ungewöhnlich weite Räume und Zeiten. Sie reicht von der Frühgeschichte Ost- und Südosteuropas über das frühneuzeitliche Polen bis zur Sowjetunion unter Stalin. Einen herausgehobenen Platz nehmen Schramms namenphilologische Zugänge zu der an Quellen armen Frühgeschichte Ost- und Südosteuropas bis etwa 1000 n. Chr. ein, die sich u. a. in Publikationen zum Anfang Altrußlands sowie zur lateinischen Kontinuität in Südosteuropa und den Anfängen des Christentums auf der Balkanhalbinsel niedergeschlagen haben.[2]
Einen weiteren Schwerpunkt der Forschungen Schramms bildet die polnische Geschichte der frühen Neuzeit. Neben der Habilitationsschrift „Der polnische Adel und die Reformation“ hat er eine Vielzahl von Aufsätzen zur Kirchen- und Verfassungsgeschichte Polens, insbesondere zur Geschichte der städtischen Reformation, vorgelegt, in denen die polnischen Eigenentwicklungen vor dem Hintergrund europäischer Vergleichsfälle herausgearbeitet und in einen größeren Erklärungszusammenhang gestellt werden.[3]
Eine wichtige Stellung in Schramms wissenschaftlicher Arbeit nimmt auch die neuere russische Geschichte ein. Als Mitherausgeber und Mitverfasser des „Handbuchs der russischen Geschichte“ galt sein besonderes Interesse den Entwicklungschancen des ausgehenden Zarenreiches. Zuletzt hat sich Schramm der Geschichte Russlands über das Werk der großen russischen Dichter genähert: „Von Puschkin bis Gorki. Dichterische Wahrnehmungen einer Gesellschaft im Wandel“.[4]
Besonderes Aufsehen erregte Schramm mit dem 2004 veröffentlichten Buch „Fünf Wegscheiden der Weltgeschichte. Ein Vergleich“.[5] Darin vergleicht er scheinbar heterogene, sich über dreitausend Jahre erstreckende, welthistorische Weggabelungen miteinander: die Abtrennung des jüdischen Monotheismus vom herrschenden Polytheismus, die Entstehung des Christentums, die Reformation in Mitteleuropa, die Grundlegung der repräsentativen Demokratie in Amerika und die Entstehung des revolutionären Sozialismus in Russland. Diese fünf Wegscheiden sieht Schramm durch eine lange Reihe struktureller Gemeinsamkeiten – darunter nicht zuletzt der missionarische Wahrheitsanspruch der neuen Überzeugungsgemeinschaften – miteinander verbunden, die zumindest im Bündel nirgendwo sonst in der Geschichte wiederbegegnen. Mit seinem Vergleich bietet Schramm weltgeschichtliche Antworten auf die Frage, warum das russische Experiment einer sozialistischen Gesellschaft scheiterte.[6]

Auszeichnungen

Schriften (Auswahl)

  • Namenschatz und Dichtersprache. Studien zu den zweigliedrigen Personennamen der Germanen (Dissertation), Göttingen 1957, 198 S.
  • Der polnische Adel und die Reformation 1548-1607 (Habilitation), Wiesbaden 1965, X, 380 S.
  • Nordpontische Ströme. Namenphilologische Zugänge zur Frühzeit des europäischen Ostens, Göttingen 1973, 254 S.
  • Eroberer und Eingesessene. Geografische Lehnnamen als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr., Stuttgart 1981, X, 467 S.
  • Handbuch der Geschichte Russlands, Band 3: 1856-1945. Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat, 1. Halbband, unter Mitarbeit von Dietrich Beyrau u. a. hg. v. Gottfried Schramm, Stuttgart 1983.
  • Handbuch der Geschichte Russlands, Band 3: 1856-1945. Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat, 2. Halbband, unter Mitarbeit von Bernd Bonwetsch hg. v. Gottfried Schramm, Stuttgart 1992.
  • Ein Damm bricht. Die römische Donaugrenze und die Invasion des 5.-7. Jahrhunderts im Lichte von Namen und Wörtern, München 1997, 397 S.
  • Anfänge des albanischen Christentums. Die frühe Bekehrung der Bessen und ihre langen Folgen, zweite, überarbeitete Aufl., Freiburg 1999, 284 S. (Das Buch ist auch albanisch von Skender Gashi übersetzt: Fillet e krishterimit shqiptar. Konvertimi i hershem i beseve dhe pasojat e tij te gjata. Albanisches Institut, St. Gallen 2006 - ISBN: 978-3-9523077-2-4)
  • Altrußlands Anfang. Historische Schlüsse aus Namen, Wörtern und Texten zum 9. und 10. Jahrhundert, Freiburg 2002, 569 S.
  • Fünf Wegscheiden der Weltgeschichte. Ein Vergleich, Göttingen 2004, 391 S.
  • Slawisch im Gottesdienst. Kirchenwortschatz und neue Schriftsprachen auf dem Weg zu einem christlichen Südosteuropa, München 2006, 207 S.
  • Von Puschkin bis Gorki. Dichterische Wahrnehmungen einer Gesellschaft im Wandel, Freiburg 2008, 372 S.
  • (Gesammelte Aufsätze zur polnischen Geschichte) Polska w dziejach Europy środkowej. Studia [Polen in der Geschichte Mitteleuropas. Studien], übers. v. Ewa Płomińska-Krawiec, Poznań 2010, 291 S.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. zur Biografie Gottfried Schramm, Ein Philologe als Historiker, in: Erzählte Erfahrung. Nachdenkliche Rückblicke Freiburger Professoren aus den Jahren 1988 bis 2007, Freiburg 2007, S. 515-528.
  2. Vgl. Gottfried Schramm, Nordpontische Ströme. Namenphilologische Zugänge zur Frühzeit des europäischen Ostens, Göttingen 1973; ders., Eroberer und Eingesessene. Geografische Lehnnamen als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr., Stuttgart 1981; ders., Anfänge des albanischen Christentums. Die frühe Bekehrung der Bessen und ihre langen Folgen, zweite, überarbeitete Aufl., Freiburg 1999; ders., Ein Damm bricht. Die römische Donaugrenze und die Invasion des 5.-7. Jahrhunderts im Lichte von Namen und Wörtern, München 1997; ders., Altrußlands Anfang. Historische Schlüsse aus Namen, Wörtern und Texten zum 9. und 10. Jahrhundert, Freiburg 2002; ders., Slawisch im Gottesdienst. Kirchenwortschatz und neue Schriftsprachen auf dem Weg zu einem christlichen Südosteuropa, München 2006.
  3. Vgl. Der polnische Adel und die Reformation 1548-1607, Wiesbaden 1965 sowie den Aufsatzband Polska w dziejach Europy środkowej. Studia [Polen in der Geschichte Mitteleuropas. Studien], übers. v. Ewa Płomińska-Krawiec, Poznań 2010, der auch Arbeiten zur neueren polnischen Geschichte enthält.
  4. Vgl. Handbuch der Geschichte Russlands, Band 3: 1856-1945. Von den autokratischen Reformen zum Sowjetstaat, 2 Halbbände unter Mitarbeit von Dietrich Beyrau u. a. hg. v. Gottfried Schramm, Stuttgart 1983 und 1992 sowie Gottfried Schramm, Von Puschkin bis Gorki. Dichterische Wahrnehmungen einer Gesellschaft im Wandel, Freiburg 2008.
  5. Vgl. die Rezension von Reinhart Koselleck in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. Oktober 2004 (http://www.buecher.de/shop/weltgeschichte/fuenf-wegscheiden-der-weltgeschichte/schramm-gottfried/products_products/content/prod_id/12897486/#faz).
  6. Vgl. Gottfried Schramm, Fünf Wegscheiden der Weltgeschichte. Ein Vergleich, Göttingen 2004.
  7. Vgl. http://www.pforzheim.de/kultur-bildung/geschichte/johannes-reuchlin/reuchlinpreis-die-preistraeger/2009-gottfried-schramm.html

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