Reutlinger Heimatmuseum

Reutlinger Heimatmuseum
Vorderansicht mit Haupteingang des Reutlinger Heimatmuseums in der Oberamteistraße

Das Reutlinger Heimatmuseum ist ein Museum zur Stadtgeschichte der ehemaligen Freien Reichsstadt (bis 1802), danach württembergischen Oberamts-, und in der Gegenwart baden-württembergischen Kreisstadt Reutlingen. Das Heimatmuseum wurde 1890 von einem Verein für Kunst und Altertum gegründet (der wenig später im 1889 entstandenen und bis in die Gegenwart bestehenden Reutlinger Geschichtsverein aufging). Seine Sammlung war zunächst in wechselnden Räumlichkeiten untergebracht, bevor sie ab 1939 im ehemaligen Königsbronner Hof ihren bis heute aktuellen Standort fand. Im seit 1996 ausgebauten und neu konzipierten Museum werden neben der dauerhaft präsenten Sammlung von Exponaten zur Ereignis-, Sozial- und vor allem Kulturgeschichte in unregelmäßigen Abständen auch Sonderausstellungen zu spezifischen Einzelthemen der historischen Entwicklung Reutlingens und seiner Umgebungsregion gezeigt.

Verwaltet wird das Heimatmuseum und seine Außenstellen – das Industriemagazin, das Museum Im Dorf im Stadtteil Betzingen und das Samenhandelsmuseum im Stadtteil Gönningen – vom Reutlinger Kulturamt, dessen Leiter auch der Kurator des Heimatmuseums ist.

Inhaltsverzeichnis

Gebäude

Das Heimatmuseum eingebettet im Altstadtkern Reutlingens: Blick vom Spendhaus in nordwestlicher Richtung über den Dachgeschossteil des Heimatmuseums zum Turm der Marienkirche

Das gegenwärtige Heimatmuseum (der vormalige Königsbronner Hof) ist in einem restaurierten Fachwerkhaus des Stadtzentrums, dem Altstadtkern Reutlingens, eingerichtet. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude ist eines der ältesten noch bestehenden Bauwerke der Stadt. Es wurde im Jahr 1278 als steinernes Haus erbaut und 1537 mit einem Fachwerk-Ausbau erweitert. Bis zum Ende der frühen Neuzeit war es als Zehnt- und Pfleghof des lange Zeit reichsunmittelbaren Zisterzienser-Klosters Königsbronn, danach als Oberamtshaus (vergleichbar einem heutigen Landratsamt) genutzt worden.

Geschichte der Sammlung

Im Jahr 1889 wurde die erste „Sammlung städtischer Altertümer“ in Reutlingen während einer Tagung des Sülchgauer Altertumsvereins der Öffentlichkeit vorgestellt. Mit dieser Präsentation von „alten Dingen“ war das Fundament des gegenwärtigen Museumsbestandes gelegt. Im Lauf der Jahrzehnte kamen zur ursprünglichen Sammlung weitere kulturhistorisch relevante Ergänzungen dazu – ein Umstand, der mit der Zeit die Frage nach einem geeigneten Aufbewahrungs- und Präsentationsort aufwarf. Zeitweilig war die Sammlung in der Realschule untergebracht, bis sie über einen längeren Zeitraum im Spendhaus (heute das zentrale städtische Kunstmuseum) ausgestellt werden konnte. Der Lehrer Gustav Haag begann 1909, die Reutlinger „Altertumssammlung“ zu systematisieren und auszubauen.

In den 1920er Jahren wurde – wesentlich getragen vom Reutlinger Geschichtsverein – das Bedürfnis der städtischen Öffentlichkeit nach einem eigenständigen Heimatmuseumsgebäude für die immer umfangreicher werdende Sammlung zu einem kommunalpolitischen Thema. Diesem Wunsch wurde 1936 mit dem Beschluss der Stadtverwaltung, den vormaligen Königsbronner Hof als Museum einzurichten, Rechnung getragen. Die feierliche Eröffnung des Heimatmuseums erfolgte schließlich Im Juli 1939. Bedingt durch den im selben Jahr beginnenden Zweiten Weltkrieg wurde das Museum jedoch wenige Jahre später wieder geschlossen, und erst 1949, vier Jahre nach dem Krieg, als Reutlingen unter französischer Besatzung stand, neu eröffnet. 1960 übernahm Karl Keim die Stelle des Kurators für das Museum. Er wurde in der Leitung 1986 abgelöst von Werner Ströbele. Ab 1989 wurde das Museum neu konzipiert, nach museumspädagogischen Richtlinien umgestaltet und renoviert. Seit 1996 ist es mit einer entsprechend moderneren Struktur wieder geöffnet.

Inhaltliche Aufteilung der Dauerausstellung

Friedrich List. Ölgemälde von Lists Tochter Caroline Hövemeyer nach der Lithografie Kriehubers, einer Büste und ihrer Erinnerung, 1889, ausgestellt im Heimatmuseum Reutlingen[1]
Ein ehemaliges Portal aus der Stadtmauer, die nur an wenigen Stellen Reutlingens noch erhalten ist; ausgestellt im Garten des Reutlinger Heimatmuseums

Im heutigen Heimatmuseum wird die Reutlinger Stadtgeschichte mit Original-Exponaten seit dem Spätmittelalter in sechs thematisch getrennten Bereichen dargestellt.

  • Der Rundgang beginnt im Erdgeschoss mit einer Ausstellung zur mittelalterlichen Geschichte der Stadt unter besonderem Augenmerk auf die Kirchengeschichte bis zur Reformationszeit, in der die Reutlinger Marienkirche eine Hauptwirkungsstätte des schwäbischen Reformators Matthäus Alber war.
  • Im ersten Obergeschoss wird die Geschichte der Reichsstadt vom 16. bis zum 18. Jahrhundert dargestellt. Dabei wird die Bedeutung und Entwicklung der zwölf Reutlinger Handwerkszünfte herausgestellt.
  • Im zweiten Obergeschoss befindet sich eine literarische Abteilung, in der neben der Volksbildungswelle im 19. Jahrhundert vor allem auf den weltberühmt gewordenen Reutlinger Wirtschaftstheoretiker und Eisenbahnpionier Friedrich List, sowie auf Leben und Werk des Schriftstellers Hermann Kurz und seiner Tochter Isolde besonders eingegangen wird.
  • Das Dachgeschoss des Heimatmuseums steht unter dem Motto „19. Jahrhundert - Aufbruch in die Moderne“. Hier soll dem Besucher anhand eines großformatigen Rundbildes, zusammengestellt aus historischen Stadt- und Straßenfotografien, ausgeschmückt mit realen Alltagsgegenständen aus der Zeit ein dreidimensionaler Eindruck des Stadtlebens zum ausgehenden 19. Jahrhundert vermittelt werden.
  • Im Untergeschoss, in dem während des Zweiten Weltkriegs ein städtischer Luftschutzkeller eingerichtet war, werden die Entwicklung und die Folgen der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus in Reutlingen aufbereitet. Darin sind viele Exponate aus der 1995 im Reutlinger Spitalhof präsentierten Sonderausstellung „Reutlingen 1930 - 1950. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit“ integriert, – eine Ausstellung, die aufgrund der umfassenden Aufarbeitung der kommunalen Geschichte des Nationalsozialismus auch überregional für Aufmerksamkeit sorgte, und die in einem umfangreichen Katalog mit erläuternden Themenkapiteln in Buchform dokumentiert ist.[2]
  • Der ummauerte Garten im Hinterhof des Heimatmuseums ist für die Öffentlichkeit tagsüber über einen gesonderten Eingang frei zugänglich. Diese Außenanlage verbindet einen kleinen Park mit einem Lapidarium, bestehend aus verschiedenen Skulpturen, Baufragmenten, historischen Grabmälern und anderen steinernen Zeugnissen der Stadtgeschichte aus sieben Jahrhunderten.

Sonderausstellungen und Veranstaltungsreihen

Neben der genannten Dauerausstellung werden im Reutlinger Heimatmuseum seit der Wiedereröffnung nach der Renovierung 1996 in unregelmäßigen Abständen zeitlich begrenzte Sonderausstellungen zu spezifischen Themen vor allem der regionalen Kultur- und Sozialgeschichte, aber teilweise auch zu Nischenthemen von überregionaler Bedeutung oder Gastausstellungen wie beispielsweise zur historischen Aspekten der Reutlinger Partnerstädte präsentiert. Seit 1996/97 fanden bislang mehr als vierzig solcher Sonderausstellungen in den Räumen des Heimatmuseums statt. Das Themenspektrum ist dabei sehr breit gefächert. So reicht die Palette der Sonderausstellungen von der „Rolle Reutlingens während der deutschen Revolution von 1848/49[3] über „Weinbau und Weingärtnerkultur in Reutlingen“[4] bis hin zur „Kulturgeschichte der Unterhose[5]. Eine der ersten Sonderausstellungen, die auch überregionale Aufmerksamkeit hervorrief, war 1997/98 die Ausstellung „Reise nach Reutlingen 1862“ [6] mit Stereoskop-Fotografien des norwegischen Landschaftsfotografen Knud Knudsen. Dieser hatte während einer Weiterbildung am pomologischen Institut vor Ort im Jahr 1862 die ersten städtischen Panoramen und Straßenszenen der Stadt fotografiert.

Unter dem Motto „Abendstunde im Museum“ finden regelmäßig ein Mal pro Monat Vorabendveranstaltungen statt, bei denen – oft mit Bezug auf einen jubiläums- oder jahreszeitbedingten Anlass – einzelne Exponate der Ausstellung besonders vorgestellt und besprochen werden. Ebenfalls regelmäßig an einem Samstag pro Monat werden „Spiel- und Spaßnachmittage“ für Kinder ab vier Jahren angeboten, bei denen dieser Altersgruppe Geschichte anhand von spielerischen Aktionen nahegebracht werden soll.

Außenstellen

Ein Teil der Bestände des Reutlinger Heimatmuseums ist in anderen Ausstellungen mit eigenem Standort in Reutlingen-Mitte (Industriemagazin) oder den Stadtteilen Betzingen (Museum im Dorf) und Gönningen (Samenhandelsmuseum) ausgelagert, wo sie eigene Sammlungen der Stadtteile ergänzen. Letztere beiden Museen enthalten eigenständige historische Exponate zur jeweiligen, teils von Reutlingen unabhängigen Orts- bzw. Stadtteilgeschichte.

Industriemagazin

Das Reutlinger Industriemagazin, untergebracht in den alten Montagehallen der ehemaligen Firma Wandel in der Eberhardstraße, Reutlingen-Mitte, enthält Bestände zur Industriegeschichte der Stadt, insbesondere historische Maschinen und Werkstücke der Reutlinger Maschinenbau- und Textilindustrie, die die Industrialisierung der Stadt, und damit auch ihren sozialen Wandel seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts geprägt hatten. Die Ausstellung ist nur eingeschränkt zu besichtigen. Sie bildet lediglich den Grundbestand eines noch in Planung befindlichen eigenständigen Reutlinger Industrie- und Wirtschaftsmuseums.

Museum Im Dorf Betzingen

Das Museum Im Dorf im Stadtteil Betzingen ist untergebracht in einem ehemaligen landwirtschaftlichen Gehöft der Gemeinde, die als dörflich geprägter Vorort Reutlingens bis 1802 zum Gebiet der damaligen freien Reichsstadt gehörte. Nach der Eingliederung Reutlingens in Württemberg war Betzingen ein Jahrhundert lang selbständige Gemeinde, bevor sie 1907 endgültig nach Reutlingen eingemeindet wurde. Die Ausstellung des Museums Im Dorf dokumentiert im Wesentlichen den Umbruch von der stark ländlich geprägten Tradition des Dorfes zum industrialisierten Vorort Reutlingens, insbesondere im 19. Jahrhundert.

Samenhandelsmuseum Gönningen

Im erst 1971 nach Reutlingen eingemeindeten Stadtteil Gönningen, gelegen ca. zehn km südwestlich der Kernstadt, befindet sich im dortigen Rathausgebäude das örtliche Samenhandelsmuseum, das die Jahrhunderte alte Handelstradition des Dorfes aufbereitet und mit verschiedenen Exponaten, zusammengestellt in der Nachbildung einer historischen Samenhändlerpackstube, die Geschichte und Bedeutung des europaweit betriebenen Samenhandels vor Ort aufbereitet und darstellt.

Literatur

Siehe auch

Stadtarchiv Reutlingen

Einzelnachweise

  1. Stadt Reutlingen Heimatmuseum und Stadtarchiv (Hrsg.): Friedrich List und seine Zeit: Nationalökonom, Eisenbahnpionier, Politiker, Publizist, 1789–1846: Katalog und Ausstellung zum 200. Geburtstag unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten Dr.h.c. Lothar Späth Reutlingen 1989, ISBN 3-927228-19-2, S. 238
  2. Stadtverwaltung Reutlingen/Schul-, Kultur- und Sportamt/Heimatmuseum und Stadtarchiv (Herausgeber): „Reutlingen 1930 - 1950. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit“; Katalog und Buch mit Hintergrundbeschreibungen zur gleichnamigen Ausstellung von 1995, ISBN 3-927228-61-3
  3. Freiheit oder Tod - Die Reutlinger Pfingstversammlung und die Revolution von 1848/49; Sonderausstellung des Heimatmuseums in Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg zur 150-Jahr-Feier der Revolution vom 20. September 1998 bis zum 24. Januar 1999
  4. "... alle Jahre gibts nicht Wein" - Weinbau und Weingärtnerkultur in Reutlingen, Sonderausstellung des Reutlinger Heimatmuseums vom 2. September 2001 bis zum 4. November 2001
  5. "Beinkleider sind rathsam". Kleine Geschichte der Unterhose, Sonderausstellung des Reutlinger Heimatmuseums vom 22. Juli 2007 bis zum 23. September 2007
  6. „Reise nach Reutlingen 1862 - Steroskopbilder des norwegischen Fotografen Knud Knudsen“; Sonderausstellung des Reutlinger Heimatmuseums vom 13. Dezember 1997 bis 3. August 1998

Weblinks

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