Hundert Tage (Roman)

Hundert Tage (Roman)

Hundert Tage ist ein 2008 im Wallstein Verlag erschienener Roman von Lukas Bärfuss.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Der Schweizer Entwicklungshelfer David Hohl reist 1990 in die Hauptstadt von Ruanda, wo er im Büro an Entwicklungsprojekte der Schweizer Direktion arbeitet und dadurch ein diktatorisches Regime stützt. Dazumals galt Ruanda noch als Vorzeigeland des afrikanischen Kontintents. In der Hauptstadt Kigali bricht Chaos aus, als der Papst im Stadion eine Rede hält, wobei Hohl von der Menge beinahe erdrückt wird. Im Krankenhaus trifft er Agathe erneut, die er bereits vom Brüsseler Flughafen kennt. Eine heftige Liebesbeziehung zwischen den beiden beginnt. Tutsi-Rebellen marschieren kurz darauf in die Stadt ein, und der Völkermord steht kurz bevor. Als 1994 die Morde der Hutu an den Tutsi beginnen, verlassen die Entwicklungshelfer das Land. Hohl entscheidet sich spontan zu bleiben, und versteckt sich in seinem Haus. Seine Geliebte Agathe, die Tochter eines Ministerialbeamten, besucht ihn auch jetzt noch.Sein Gärtner hortet dort Beutegut, versorgt ihn aber, bis Hohl bemerkt, dass er zu den Mördern gehört und ihn vertreibt. Hohl ist halb verdurstet, als sich Hutu-Milizen in seinem Garten niederlassen und ihm Wasser und Nahrung geben. Als die Rebellen vor Kigali stehen, flieht Hohl mit den Hutus in den Kongo. David wird als Mitarbeiter im Flüchtlingslager sofort willkommen geheissen. Als er mitbekommt, dass Agathe in Goma ist, erwirbt Hohl durch Korruption Geld, um zu ihr reisen zu können. Als Hohl in Goma eintrifft, stirbt Agathe allerdings kurz darauf an Cholera.

Figuren

  • David Hohl: Tierfreund, Entwicklungshelfer, hilfsbereit, Perfektionist
  • Paul: Stellvertretender Koordinator, Perfektionist
  • Agathe: Tochter eines Ministerialbeamten,
Beziehungen der Personen
  • David zu Paul: beste Freunde, kennen sich aber kaum → Buch Seite 167
  • David zu Agathe: Beziehung, er liebt sie

Formale Aspekte

100 Tage ist ein Roman, der auf 200 Seiten ohne ein einziges Kapitel geschrieben wurde. Es wird immer aus der Ich-Perspektive erzählt, meistens aus jener Davids. Hintergrundinformationen werden immer in den Erzählton eingebunden.

Schwerpunkt

Das zentrale Thema im Buch sind die Entwicklungshelfer. Für die westlichen Entwicklungshelfer war Ruanda das ideale Land, mit gutem Klima, funktionierendem Staatswesen, mit disziplinierten und lernfähigen Bewohnern. So gab es auf jedem Hügel ein Projekt. Wald wird aufgeforstet, wo er schon unwiederbringlich zerstört ist, ein Schweizer Ingenieur kommt beim Rettungsversuch eines Baumes ums Leben. In Kigali spielen die Entwicklungshelfer und Diplomaten Schnitzeljagd, organisiert von Missland, einem gescheiterten Entwicklungshelfer, der als Gegenfigur zu Hohl angelegt ist.

Ein anderes zentrales Thema ist der Vorwurf, dass die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Ruanda von Anfang an dem Mordsystem diente, ohne sich dessen bewusst zu sein. Entwicklungshilfe ist auf Stabilität ausgerichtet und nützt deshalb immer dem, der an der Macht ist. Man hatte keinen Sinn für die Konsequenzen dessen, was man tat und dachte nicht darüber nach, wem man nützte, weil man sich als unpolitisch verstand. Man half Telefonleitungen legen, durch die später Mordbefehle weitergegeben wurden, man bot eine hervorragende Ausbildung im Radiojournalismus an, so dass die Hetze in gut gemachten Programmen stattfand. Und ein Schweizer, der bis 1993 direkt auf der Schweizer Gehaltsliste stand, war der Berater des Diktators.

Deutung

Lukas Bärfuss will mit dem Buch darauf aufmerksam machen, dass sich Schweizer in der Ordnung und Bescheidenheit der Ruander selbst wieder erkennen und nicht merken, was sich zusammenbraut. Denn es ist gerade diese Ordnung, die den Genozid ermöglicht. Völkermord kann nur in einem geregelten Staatswesen geschehen, in dem jeder seinen Platz kennt. Analysten sind sich einig, dass der Völkermord in Ruanda eine perfekt inszenierte Aktion war, die eine funktionierende Machthierarchie voraussetzt, kein Ausbruch spontaner Gewalt.

Auszeichnungen

Der Roman stand 2008 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Im selben Jahr wurde Bärfuss für den Roman mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet, 2009 mit dem Sonderpreis des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises.

Literatur

Weblinks


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