Cellosuite

Cellosuite
Die erste Seite von Anna Magdalena Bachs Abschrift (Prélude der Suite Nr. 1)

Die sechs Suiten für Violoncello solo (BWV 1007–1012) von Johann Sebastian Bach gehören zur meistgespielten und (die letzte, 6. Suite) zur schwierigsten Solo-Literatur für dieses Instrument. Sie stellen ein Pendant zu den Sonaten und Partiten für Violine solo dar, sind aber deutlich kammermusikalischer gearbeitet.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Wann und warum Bach diese Werke schrieb, ist nicht überliefert. Es ist jedoch anzunehmen, dass er sie in den Jahren 1717–1720 für die beiden am Hof von Leopold von Anhalt-Köthen amtierenden Gambisten und Cellisten Christian Ferdinand Abel und Christian Linike komponierte. Wie bei vielen Werken Bachs sind keine originalen Abschriften überliefert. Die älteste Quelle ist eine Kopie, die Johann Peter Kellner um 1726 anfertigte, heutige Notenausgaben beruhen aber zum überwiegenden Teil auf der Abschrift durch Anna Magdalena Bach von etwa 1727.

Aufbau

Für eine frühe Entstehung in den ersten Köthener Jahren spricht vor allem die Tatsache, dass Ansätze einer Durchformung zu einem Zyklus noch kaum erkennbar sind. Zwar zeigen die einzelnen Suiten durchaus vergleichbare Satzfolgen (siehe den nächsten Absatz), aber weder die Tonartenabfolge noch stilistische Erwägungen lassen die bewusste und durchgreifende Planung eines Gesamtzyklus erkennen, wie sie wenige Jahre später für Bach zur Regel werden sollte. Sind die ersten drei Suiten in ihrem Aufbau noch durchaus ähnlich angelegt und bilden eine recht homogene Gruppe, so stellen die drei anderen deutlich höhere spieltechnische Anforderungen, durch die sie weder so ganz zur ersten Hälfte des Zyklus noch zueinander passen wollen.

Die einzelnen Suiten ähneln im Aufbau Bachs Englischen Suiten, denn sie all beginnen mit einem Präludium, das jeweils einen sehr unterschiedlichen Charakter hat. Es folgen Sätze in der durch Johann Jakob Froberger für die Klaviersuite standardisierte Folge AllemandeCouranteSarabandeGigue; vor dem Schlusssatz Gigue ist aber jeweils noch ein anderes Paar von Tänzen eingeschoben – zwei Menuette in der ersten und zweiten Suite, zwei Bourrées in der dritten und vierten, und zwei Gavotten in der fünften und sechsten.

Ungewöhnlich ist in den ersten vier Suiten, dass der jeweils zweite dieser eingeschobenen Sätze bei wechselndem Tongeschlecht in der gleichnamigen Tonart der Haupttonart steht (also c-Moll in C-Dur, usw.) – Bach verwendet in derartigen Fällen sonst meist die Paralleltonart oder die der Dominante.

Die einzelnen Werke

Suite Nr. 1 G-Dur, BWV 1007

  • Prélude c G-Dur
  • Allemande c G-Dur
  • Courante 3/4 G-Dur
  • Sarabande 3/4 G-Dur
  • Menuett I G-Dur – II g-Moll – I
  • Gigue 6/8 G-Dur

Die erste Suite gilt allgemein als die in ihrer Gesamtheit für den Spieler leichteste. Das Präludium ist wohl einer der bekanntesten Sätze des Zyklus.

Suite Nr. 2 d-Moll, BWV 1008

  • Prélude 3/4 d-Moll
  • Allemande c d-Moll
  • Courante 3/4 d-Moll
  • Sarabande 3/4 G-Dur
  • Menuett I d-Moll – II D-Dur – I
  • Gigue 3/8 d-Moll

Suite Nr. 3 C-Dur, BWV 1009

  • Prélude 3/4 C-Dur
  • Allemande c C-Dur
  • Courante 3/4 C-Dur
  • Sarabande 3/4 C-Dur
  • Bourrée I C-Dur – II c-Moll – I
  • Gigue 3/8 C-Dur

Suite Nr. 4 Es-Dur, BWV 1010

  • Prélude c Es-Dur
  • Allemande c Es-Dur
  • Courante 3/4 Es-Dur
  • Sarabande 3/4 Es-Dur
  • Bourrée I Es-Dur – II Es-Dur – I
  • Gigue 12/8 Es-Dur

Das Präludium ist eine harmonisch weit ausgreifende Akkordstudie und erinnert deutlich an ähnliche Sätze für Laute und entfernt an das bekannte C-Dur-Präludium des Wohltemperierten Klaviers. Wegen der für das Cello schwierigen Tonart gehört der Satz – mit der sechsten Suite – zu den schwierigsten Sätzen des ganzen Zyklus.

Suite Nr. 5 c-Moll, BWV 1011

  • Prélude c-3/8 c-Moll
  • Allemande c c-Moll
  • Courante 3/4 c-Moll
  • Sarabande 3/4 c-Moll
  • Gavotte I c-Moll – II c-Moll – I
  • Gigue 3/8 c-Moll

Diese Suite ist in Skordatur notiert; das heißt, die a-Saite wird um einen Ganzton nach g heruntergestimmt. Den ersten Satz bildet eine zweiteilige Französische Ouvertüre aus punktiert zu spielender Einleitung und Fugato. Stilistisch fällt weiter auf, dass die Gigue im Gegensatz zu allen anderen Gigues des Zyklus’ auf punktierter Rhythmik basiert und diese deutlich herausstellt.

Diese Suite existiert auch in einer g-Moll-Fassung für Laute (BWV 995). Beide Versionen gehen wahrscheinlich auf eine gemeinsame Urfassung zurück; ob diese aber für Laute oder Cello geschrieben war, ist nicht nachgewiesen.

Suite Nr. 6 D-Dur, BWV 1012

  • Prélude 12/8 D-Dur
  • Allemande c D-Dur
  • Courante 3/4 D-Dur
  • Sarabande 3/2 D-Dur
  • Gavotte I D-Dur – II D-Dur – I
  • Gigue 6/8 D-Dur

Diese Suite ist für ein fünfsaitiges Instrument mit zusätzlicher hoher e-Saite komponiert. Es ist nicht sicher, ob dieses Instrument am Bein oder am Arm gespielt wurde (also heute als Violoncello- oder Violentyp angesprochen werden würde), aber der wesentlich größere Tonumfang als in den anderen Suiten spricht eher für eine Art Bratsche. Ob das Instrument identisch ist mit dem Violoncello piccolo, das Bach in seinen Leipziger Kantaten fordert, und/oder mit der Viola Pomposa, die Bach erfunden haben soll, ist ebenfalls offen.

Die einleitende Prélude macht schon im Thema ausgiebigen Gebrauch von der Bariolage-Technik; in der ganzen Komposition ist das Akkordspiel wesentlich anspruchsvoller als in den anderen Suiten.

Interpretation im 20./21. Jahrhundert

Im 20. Jahrhundert wurde diese Werkgruppe durch den Cellisten Pablo Casals, der sie als erster ungekürzt aufführte, wieder einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Durch seine Interpretation hob er gleichzeitig das Ansehen des Violoncellos als Soloinstrument. Als weitere wichtige Interpreten der Neuzeit können Mstislaw Rostropowitsch, Pierre Fournier, Paul Tortelier, Yo-Yo Ma, Heinrich Schiff, Truls Mørk, Mischa Maisky und János Starker angesehen werden.

Mit dem Stärkerwerden einer historisch informierten Aufführungspraxis wurden die Suiten auch auf Originalinstrument gespielt; hier sind die Interpretationen von Hidemi Suzuki, Pieter Wispelwey und Anner Bijlsma hervorzuheben.

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