Kastell Rutupiae

Kastell Rutupiae
Die Sachsenküstenkastelle um 380 n. Chr.
Befunde des spätantiken Kastells (1836)
Ruinen der Umfassungsmauer des spätrömischen Kastells
Überreste der Innenbebauung
Heizkanal der Mansio

Kastell Rutupiae liegt in der Nähe des heutigen Richborough im County of Kent. Es war Bestandteil der römischen Festungskette an der sogenannten Sachsenküste.

Inhaltsverzeichnis

Lage und Funktion

Die Besatzung des Kastells sicherte einen der wichtigsten Hafenorte der britischen Provinzen und den südlichen Eingang des Wantsumkanals, von hier aus konnte man relativ schnell und ungefährdet den Oceanus Britannicus nach dem gallischen Gesoriacum (Boulogne-sur-Mer) überqueren. Der Kanal ist im Lauf der Zeit verlandet und nur Marschland und Deiche markieren die Stellen wo in der Antike noch Schiffsverkehr möglich war. Die Ruine des Kastells liegt daher heute circa 3 km landeinwärts.

Entwicklung

Im Jahr 43 n. Chr. landeten die Römer ihre Armee bei ihrer zweiten Invasion Britanniens unter Kaiser Claudius in Kent beim heutigen Richborough an. Zu dieser Zeit war dieser Ort eine geschützte Lagune zwischen der Küste und der Isle of Thanet. Die Okkupationsarmee wird auf ungefähr 50.000 Mann geschätzt. Archäologische Ausgrabungen haben ergeben, dass sofort nach der Landung begonnen wurde den Brückenkopf Rutupiae zu befestigten und weiter auszubauen.

Nach ihrer Konsolidierung im südöstlichen Britannien wurde Rutupiae zur wichtigsten Marine- und Nachschubbasis für das weitere Vordringen der Römer in Britannien. Neue Heerstraßen wurden von hier aus Richtung Canterbury und London angelegt, zahlreiche Holzbauten an einem gitterförmigen Straßennetz errichtet, um die Soldaten und Versorgungsgüter darin unterzubringen. Die meisten dieser Gebäude waren, an ihrer Vorderseite offene, kleine Läden, die die täglichen Bedürfnisse der Soldaten und ihrer Angehörigen stillten. Ein großes Gebäude mit Innenhof wurden an der der See zugewandten Seite errichtet. Der genaue Verwendungszweck des Gebäudes ist nicht gänzlich geklärt, es scheint als Herberge (mansio) für Durchreisende gedient zu haben. Nach dem Jahr 85 änderte sich das Erscheinungsbild grundlegend, die provisorischen Holzbauten der Gründungszeit wurden beseitigt und durch solidere Konstruktionen ersetzt. Ein mit weißem Marmor verzierter, viertoriger Triumphbogen (Quadrifrons), 25 m hoch, markierte symbolisch den Eingang in Roms neue Provinz Britannien, solche Monumente hat man auch in anderen Provinzstädten aufgestellt (z. B. das sogenannte Heidentor in Carnuntum). Im abgelegenen Britannien sollte dieses Bauwerk die Unterjochung der einheimischen Bevölkerung hervorheben und Roms Macht noch nachdrücklicher hervorheben. Einzelne bronzene Fundstücke und Teile von bearbeiteten Marmor geben eine gute Vorstellung darüber, wie er einmal ausgesehen haben könnte.

Um die Mitte des 3. Jahrhunderts erforderten drastische politische Umwälzungen eine massive Befestigung dieses wichtigen Hafenortes. Man errichtete Erdwälle und zusätzlich dazu wurde ein umlaufender dreifacher Verteidigungsgraben ausgehoben. Ein Großteil der Zivilstadt wurde planiert, der große Quadrifrons verfiel und wurde zuletzt als Beobachtungsposten benutzt, danach vollständig abgetragen. Mit dem Abbruchmaterial wurden massive Wehrmauern hochgezogen sodass ein völlig neu konzipiertes Kastell entstand. Es scheint, dass dies um das Jahr 275 in großer Eile geschah; als die Steinmauern fertig waren, wurden die provisorischen Erdwerke und Gräben wieder abgetragen und zugeschüttet. Im Zentrum des Kastells wurde ein Hauptquartier errichtet. Es war völlig von Holzbauten umgeben. Auch die Überreste einer Therme wurden im Kastell ausgegraben, an der Stelle wo einst die große Herberge gestanden hatte. Eine neue Bedrohung in Gestalt von angelsächsischen und fränkischen Piraten trat nun in Erscheinung, die Vorläufer der späteren sächsischen Siedler, die sich bald, über die Nordsee kommend, dauerhaft in Britannien festsetzen sollten. Der Limes an der „Sachsenküste“ wurde stärker befestigt, am nördlichen Ausgang des Wantsum Channels, der Thanet vom Festland trennte, wurde im Zuge dessen auch das Lager von Regulbium (Reculver) errichtet.

Im frühen 5. Jahrhundert gab die römische Armee und Verwaltung Britannien auf. Eine Anzahl von Münzfunden zeigt jedoch, dass in diesem ehemaligen Militärlager immer noch rege Betriebsamkeit herrschte. Ein Gebäude, das eine frühchristliche Kirche mit einem hexagonalen, gekachelten Basin (wahrscheinlich ein Taufbecken), gewesen sein könnte, wurde im nordwestlichen Teil des Areals ausgegraben. Wahrscheinlich stammt das Gebäude aus dem späten 4. oder frühen 5. Jahrhundert und dürfte auch noch einige Zeit nach Abzug der Römer in Gebrauch gewesen sein. Als Augustinus von Canterbury im Jahr 597 Britannien besuchte, ging er wahrscheinlich in Richborough an Land. Aufgrund seiner exponierten Lage als wichtigster Kanalhafen blieb dieser Ort durchgehend besiedelt.

Befestigung

Mit 2,5 ha etwas kleiner als das benachbarte Regulbium (Reculver), waren die Verteidigungsmauern von Rutupiae wesentlich massiver konstruiert und nachträglich modernisiert worden. Die meisten Abschnitte der an der Basis 3,3 m messenden Mauer stehen heute noch bis zu einer Höhe von 8 m. Sie wurde hauptsächlich aus Flintstein erbaut, aber auch zahlreiche andere Gesteinsarten aus der Umgebung wurden beim Bau verwendet. Der Nordwall z. B. dürfte allerdings größtenteils aus dem Material des abgebrochenen Triumphbogens bestehen. Zweibändrige Ziegelreihen (sie enthalten auch eine kleine Menge wiederverwendeter Dachziegel) wurden in einem Meter Abstand zueinander eingefügt. Die Mauerecken waren mit vorkragenden, halbrunden massiven Türmen geschützt, während die Zwischentürme viereckig und innen hohl waren. Zwei V-förmige Wehrgräben umgaben noch zusätzlich die Kastellmauern.

Besatzung

Am Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. war laut der Notitia Dignitatum in "Rutupis" ein Präfekt mit einer Vexillation der Legio II Augusta unter dem Befehl des Comes litoris saxonici stationiert (Praefectus legionis secundae Augustae, Rutupis).

Therme

Im Nordostteil des Kastellareals wurde ein kleines, nach Ost-West ausgerichtetes, Badehaus (Reihenbadtyp) mit einem seitlich angebauten Becken freigelegt. Es wurde vermutlich gleichzeitig mit dem Kastell errichtet (Fund einer Münze des Kaiser Tetricus, 268-273 n. Chr., unter dem Estrichboden des Frigidariums) Insgesamt konnten drei Räume untersucht werden, einer war nicht beheizbar. Er liegt an der Ostseite des Gebäudes und misst 3,40 m x 3,60 m. An der Nordseite befindet sich eine mehrfach umgestaltete Piscina, die in eine rechteckige Nische (2,40 m x 1,65 m) eingebaut wurde. Im Westen schloss sich das 2,70 m x 3,60 m große Tepidarium an, danach das Caldarium. Beide sind mit einer Hypokaustenheizung ausgestattet, dessen Praefurnium sich an der Westseite des Caldariums befindet. Das dazugehörige Wasserbecken befand sich in einer an der Nordseite angebauten Apsis.

Vicus

Die Zivilsiedlung (vicus) lag westlich des Triumphbogens im einen von Erdwerken umgebenen Areal und setzte sich auch noch etwas außerhalb dieser Wälle weiter fort. Die Mansio wurde mehrmals umgebaut und zuletzt in Steinbauweise neu errichtet. Weiters fand man ein Gräberfeld und die Reste von zwei kleinen Tempeln. Im Südwesten lag auch ein kleines Amphitheater.

Literatur

  • Nic Fields: Rome’s Saxon Shore Coastal Defences of Roman Britain AD 250–500, (Fortress 56, Osprey Books, Dezember 2006)
  • Manfred Philipp: Kastellbäder in den nördlichen Provinzen des römischen Reiches, Dissertation, Textband I, Innsbruck 1999, S. 136.

Weblinks


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