Kirchberg (Lahn)

Kirchberg (Lahn)

Der Lollarer Kirchberg erhebt sich östlich der Lahn gegenüber dem Dorf Ruttershausen, zu dessen Gemarkung er heute gehört. Kirchberg und Ruttershausen bilden einen Ortsteil der Stadt Lollar im Landkreis Gießen. Lollar liegt zwischen den Universitätsstädten Gießen und Marburg, 10 km nördlich von Gießen, 22 km südlich von Marburg.

Der Kirchberg wird erstmals in einer Urkunde von 1227 erwähnt. Vermutlich befand sich dort schon ein vorchristlicher Kult- und Gerichtsplatz, der dann während der Christianisierung Hessens im 8. Jahrhundert in eine christliche Kultstätte umgewandelt wurde. Diese Kirche wurde zur Mutterkirche des Kirchspiels Kirchberg, zu dem unter anderem die Orte Ruttershausen, Staufenberg, Lollar, Mainzlar, Daubringen, Wißmar, Salzböden und die heutigen Wüstungen Heibertshausen, Einshausen und Dickenbach gehörten. Außerdem war Kirchberg schon früh der Sitz eines Zentgerichts, urkundlich nachweisbar ist es 1237 ein Gerichtsort in der Grafschaft Ruchesloh.

Die kunstgeschichtlich bedeutsame spätgotische Hallenkirche auf dem Kirchberg wurde 1495 bis 1508 erbaut. Dabei fanden Teile eines romanischen Vorgängerbaues, insbesondere der Turm, Verwendung. Die Glocken stammen aus den Jahren 1310, 1380 und 1432. Zu den wertvollen Ausstattungsstücken gehören das große spätgotische Kruzifix auf dem Altar, drei farbig gefasste Doppelgrabsteine aus der Zeit um 1600 und das Rokokogehäuse der Orgel von 1777.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Gegenüber Ruttershausen erhebt sich auf dem östlichen Lahnufer unmittelbar aus der Lahnaue die steile Felskuppe des Kirchbergs. Die naturräumliche wie kultur- und politisch-geographische Lage lässt die Lahntalenge von Kirchberg zur deutlichen Abgrenzung zwischen dem Marburger und Gießener Lahntal werden.

Das gegenüberliegende Ruttershausen dürfte schon in fränkischer Zeit als Sicherung der hier den Fluss auf einer Furt querenden alten Höhenstraße Herborn–Amöneburg bestanden haben, die zwischen dem Altenberg und dem Lützenberg hindurch nach Ruttershausen–Kirchberg und weiter über Staufenberg führte, wo sie Anschluss an die „Langen Hessen“ fand.

Bis zum Bahnbau 1846/47 floss die Lahn in einem Bogen unmittelbar am Fuß des Kirchberger Kopfes vorbei, so dass zwischen diesem und Ruttershausen eine breite Aue lag, von der aus bei Hochwasser das auf der Nierderterrasse gelegene Dorf oft überschwemmt wurde. Mit dem Abschneiden der Flussschlinge durch die Bahntrasse wurde ein neuer, geradliniger Verlauf erzielt, der Kirchberg ist seitdem durch die Bahntrasse von der Lahn getrennt. Dadurch kommt die einst hervorgehobene Lage des Kirchbergs heute nicht mehr voll zur Geltung, die ihn wahrscheinlich schon in fränkischer Zeit zu einer Gerichts- und Kultstätte prädestinierte.

Geschichte

Vor der urkundlichen Ersterwähnung 1227

Das untere Lumda- und Salzbödetal mit der Lahntalenge von Ruttershausen–Kirchberg in fränkischer Zeit einen Hundertschaftsbezirk oder eine „Zent“ (von lateinisch centum = hundert) gebildet haben, deren Namen nicht mehr bekannt ist und die später zur „Zent Kirchberg“ wurde. Als unterste Verwaltungseinheit lebte die Zent als „Zentgericht Kirchberg“ (später Lollar) bis in die Neuzeit weiter. Wahrscheinlich umfasste die alte Zent die Orte Ruttershausen, Lollar, Mainzlar, Daubringen, Odenhausen, Salzböden, Wißmar, die heutigen Wüstungen (also aufgegebenen Ortschaften) Einshausen, Dickenbach, Neudorf, Ernsdorf, Burschied, später kamen noch Friedelhausen, Heibertshausen und die Burgsiedlung Staufenberg hinzu. Die Lahn teilte den Zentbezirk in zwei fast gleich große Gebiete, sie stellte allerdings kaum ein Verkehrshindernis dar, da man sie an vielen Stellen mühelos auf Furten überqueren konnte, wenn nicht gerade Hochwasser herrschte.

Es ist bekannt, dass die ersten christlichen Missionare an die Sitten und Kultplätze der germanischen Vorfahren anknüpften, um den Widerstand gegen den neuen Glauben zu verringern. Deshalb wurden Kirchen häufig an der Stelle älterer Kultgebäude errichtet. Die erste aus Holz erbaute Kapelle sollen iro-schottische Mönche unter Lullus - einem Schüler des Bonifatius - schon zwischen 770 und 780 auf der später Kirchberg genannten Erhebung errichtet haben. Einen Beleg gibt es dafür nicht.

Die alte Zent Kirchberg war zunächst ein Teil des Oberlahngaus mit dem Verwaltungssitz Amöneburg. Um das Jahr 1000 gehörte das Kirchberger Gebiet zur Grafschaft Gleiberg, die sich aus dem alten Gau herausgebildet hatte und seit etwa 1150 in selbständige Herrschaftsgebiete zerfiel. Wahrscheinlich wurde das Kirchspiel Kirchberg vom Erzbistum Mainz aus etabliert, es gehörte lange Zeit zum Archidiakonat Mainz. Somit bildete die Kirchberger Flussenge schon früh einen Mainzer Sperrriegel zwischen der einstigen Grafschaft Gleiberg bzw. dem späteren Territorium der hessischen Landgrafen mit ihrem Hauptsitz in Marburg.

In seiner für die Siedlungs- und Territorialentwicklung wesentlichen Bedeutung als frühestes Kirchspielzentrum an der Nordbegrenzung des Gießener Beckens ist Kirchberg das Gegenstück zu Großen-Linden für das südliche Gießener Becken. Die territorialen Auseinandersetzungen um diese Schlüsselstelle zwischen Mainz und Hessen verlagerten sich im 14. Jahrhundert auf eine solche zwischen Hessen und Nassau.

Die Grafschaft Gleiberg – zu der die Zent Kirchberg gehörte – fiel im Jahre 1158 an die Merenberger. Diese hatten einen Witwensitz in Odenhausen und besaßen Güter in Odenhausen, Ruttershausen und Neuendorf.

Von der Ersterwähnung bis zur Reformation

  • 1227 In einer Gerichtsurkunde vom 2. März 1227 unterschreibt der Plebanus (Gemeindepfarrer) Reinherus de Kyrberg als Zeuge in einem Rechtsstreit. Damit wird Kirchberg erstmals urkundlich erwähnt, außerdem die dortige Existenz eines Pfarrsitzes bestätigt. Kirchberg gehörte kirchenorganisatorisch zum Dekanat Amöneburg im Archidiakonat des Propstes von St. Stephan im Erzbistum Mainz und war Mittelpunkt eines Sendbezirks. Die Sendkirchen stellen in der Regel die älteste Schicht der Pfarrorganisation dar. Der Zeitpunkt der Gründung der Pfarrei Kirchberg ist nicht bekannt.
  • 1237 Im 13. Jh. zählten Daubringen, Lollar, Mainzlar, Ruttershausen, Staufenberg Odenhausen, Salzböden, Wißmar und mehrere später aufgegebene Dörfer (Wüstungen) zum Kirchspiel Kirchberg. 1237 ist Kirchberg urkundlich als Gerichtssitz (Zentgericht) in der Grafschaft Ruchesloh nachgewiesen. Historisch wird Kirchberg damit innerhalb von zehn Jahren – 1227 und 1237 – sowohl in seiner kirchlichen Funktion als Sendkirche und Mittelpunkt eines Kirchspiels als auch in seiner weltlichen Bedeutung als Zentgericht greifbar.
  • 1327 Kirchberg hat gegenüber anderen Kirchspielen eine herausgehobene Bedeutung erlangt. Der damalige Pfarrer stand im Range eines Dekans. Fast genau 100 Jahre nach ihrer ersten urkundlichen Erwähnung erfuhr die Kirche zu Kirchberg im Jahre 1327 eine besondere Auszeichnung: für sie wurde ein gesiegelter Ablassbrief auf Pergament von Papst Johannes XXII. in Avignon ausgestellt. (Für Gottesdienstbesuche und das 30-malige Beten des Ave Maria beim Nachtgeläut wird ein 40tägiger Ablass erteilt.)
  • 1333 Die Grafschaft Gleiberg – und damit Kirchberg – fällt an den Grafen Johann von Nassau-Weilburg.
  • 1366 Johann von Nassau lässt eine Burg bei Kirchberg bauen: zum Schutze seiner Liegenschaften, auch um die hessische landgräfliche Verbindungsstraße zwischen Gießen und Marburg zu überwachen und sich den eigenen nördlichen Amts- und Botenweg nach Treis und Londorf zu sichern. Heinrich II. von Hessen, „der Eiserne“, sah die neue Burg bei Kirchberg als eine Bedrohung an. Bereits im Jahre 1372 griff er die Burg an, zerstörte sie und machte „20 wehrhafte Mannen“ zu Gefangenen. (Reste des Mauerwerks der Burg wurden 1846 bei der Lahnbegradigung gefunden.) 1367 wurde in Kirchberg erstmals eine Schule errichtet, die jedoch nur wenige Jahre Bestand hatte und wohl auch den Zerstörungen von 1372 zum Opfer fiel.
  • 1396 Die Orte Wißmar, Odenhausen und Salzböden gehören nicht mehr zur Zent Kirchberg, sie umfasst nur noch Lollar, Ruttershausen, Mainzlar und Daubringen. Die Zent gerät immer mehr in die Territorialpolitik der hessischen Landgrafen, die die Verbindungswege ihres Widersachers, des Erzbischofs von Mainz, zu seinen Besitzungen an Ohm und Eder zu unterbinden suchten.
  • 1450 Der Sendbezirk (Sedes) Kirchberg umfasste im 15. Jahrhundert nach dem Synodalregister des Archidiakonats St. Stephan in Mainz die Siedlungen Burscheid, Daubringen, Dickenbach, Heibertshausen, Kirchberg, Lollar, Mainzlar, Odenhausen, Ruttershausen und Wißmar sowie Salzböden. Die kirchliche Bedeutung Kirchbergs kann sich also deutlich besser behaupten als die weltliche des Zentgerichts, das immer mehr zusammenschrumpft und dessen Sitz schließlich nach Lollar verlagert wird.
  • 15. und 16. Jh. Im 15. und 16. Jahrhundert befand sich das Gericht Kirchberg unter der gemeinsamen Landesherrschaft der Landgrafschaft Hessen und der Grafschaft Nassau-Weilburg (Gemeines Land an der Lahn). Als Pfarrei war Kirchberg mit folgenden Rechten und Funktionen ausgestattet: Seelsorge (cura animarum), Taufe (baptisterium), Begräbnis (cimiterium oder sepultura) und Zehnterhebung. Das starke Interesse an Kirchberg kann nur mit der gehobenen kirchenrechtlichen Stellung der Kirche, mit der Funktion und Tradition als Sendort und als frühe Pfarrkirche begründet werden. Kirchberg war mit seinem Friedhof der Begräbnisort für sämtliche Orte des Kirchspiels.
  • 1495–1508 Die heutige spätgotische zweischiffige Hallenkirche in Kirchberg wird erbaut. Dabei werden Teile des romanischen Vorgängerbaues, insbesondere des Turmes und Langhauses, verwendet, ebenso die Glocken aus dem 14. und 15. Jh. Bauherren bzw. Stifter waren Burgmannen der Burg Staufenberg: die Leitung hatten die Schabe von Staufenberg, hinzu kamen die Herren Rau von Holzhausen, von Rolshausen, Milchling von Treis, von Trohe und die Grafen von Ziegenhain, deren sechsstrahliger Stern zweimal am Bau erhalten geblieben ist. (Siehe auch die Beschreibung der spätgotischen Hallenkirche.)

16.–18. Jahrhundert

  • 1526 Der Anstoß zur Einführung der Reformation in Kirchberg ist in engem Zusammenhang mit der Reformation der Landgrafschaft Hessen durch Philipp den Großmütigen in den Jahren seit 1526 zu sehen. Da Kirchberg gemeinschaftlich von Hessen und Nassau verwaltet wurde (Gemeines Land an der Lahn), ist aber auch der Einfluss Graf Philipps III. von Nassau-Weilburg zu berücksichtigen, der in seiner Grafschaft erst nach 1532 mit der Einführung der Reformation begann. Als „Reformator von Kirchberg“ wird Pfarrer Heiderich Grebe (ca. 1485 - ca. 1536) genannt.
  • 1532 Im Pfarrwäldchen wird ein Siechenhaus für die Kranken (Siechen) des Gerichts Kirchberg erbaut. Der Hof, der jetzt der Familie Geißler gehört, wird ebenfalls schon früh erwähnt.
  • 1570 Aus dem Zentgericht Kirchberg wird das Gericht Lollar-Kirchberg, der Gerichtsort wird nach Lollar verlagert.
  • 1576 Im Kirchspiel Kirchberg wütet die Pest. Zum Kirchspiel gehören nur noch Daubringen, Lollar, Mainzlar, Ruttershausen und Staufenberg.
  • 1585 Das Gemeine Land an der Lahn wird zwischen Hessen-Marburg und Nassau-Weilburg aufgeteilt. Damit geht das Gericht Kirchberg-Lollar in den alleinigen Besitz von Hessen-Marburg über.
  • 1591 Wilhelm Dilich veröffentlicht in diesem Jahr seine Synopsis descriptionis totius Hassiae mit 50 Federzeichnungen hessischer Städte. Darunter befindet sich auch eine Ansicht von Staufenberg mit dem Kirchberg, der Lahn und Ruttershausen im Vordergrund. Auf dieser Zeichnung, gleichzeitig die älteste Ansicht des Kirchbergs, sieht man bereits eine Brücke über die Lahn und in Ruttershausen den Turm des adeligen Gutshofes.
  • 1604 Nach dem Tod von Landgraf Ludwig IV. wird die Landgrafschaft Hessen-Marburg unter seinen beiden Neffen, den Landgrafen von Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt, aufgeteilt. Das Gericht Kirchberg gehört seitdem zu Hessen-Darmstadt. Um das oberhessische Erbe werden in der Folge langwierige kriegerische Auseinandersetzungen („Hessenkrieg“) zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt geführt.
  • 1618–1648 Der Dreißigjährige Krieg trifft auch das Kirchspiel Kirchberg mit verheerenden Folgen. Im Kirchspiel wütet die Pest, 1629 derart massiv, dass die Toten nicht mehr registriert werden, 1635 sterben mehr als 250 Personen daran. 1636 lagern hier schwedische Truppen, 1640 fügen bayrische Truppen den umliegenden Dörfern großen Schaden zu.
  • 1645–1648 Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges kulminiert die Auseinandersetzung um das oberhessische Erbe im regionalen Hessenkrieg. Dabei wird Ruttershausen bis auf wenige Gebäude eingeäschert und auf dem Kirchberg der Pfarrhof verwüstet. Im Laufe dieser kriegerischen Auseinandersetzung wird auch die Burg Gleiberg zerstört (1646) und am 27. Mai 1647 die Staufenberger Oberburg „sambt dem Thurm gantz übern Haufen geworfen und eingeäschert“. Die Bevölkerung des Kirchspiels wird durch die Kriegsfolgen dezimiert.
  • 1658 Die Michaeliskapelle auf dem Friedhof wurde abgebrochen. Sie hatte einen höheren Turm als die Kirche. Nach der Einführung der Reformation (1527) war die Kapelle aufgegeben worden.
  • 1708 Das jetzige Pfarrhaus wurde erbaut.
  • 1746 Im Chor wurde eine Orgelempore errichtet, die bis 1926 bestand. Seit 1777 steht die fünfteilige Rokoko-Orgel auf der Nordempore. Die spätbarocke Orgel wurde vom Gießener Orgelbauer Johann Heinemann gebaut.
  • 1756–1763 Der Siebenjährige Krieg trifft auch Oberhessen hart. Im August 1757 marschiert eine 15.000 Mann starke Armee durch das Kirchspiel Kirchberg. 1758 kommt es zu einem Scharmützel vor der Tiefenbach. 1759 liegen sich über vier Monate lang Franzosen auf der linken Lahnseite und Engländer und Braunschweiger auf dem rechten Lahnufer gegenüber. Obwohl es dabei zu keinen Kampfhandlungen kommt, ist der Schaden groß.
  • 1794–1814 Im Verlauf der französischen Revolutionskriege, später der Napoleonischen Kriege, kommt es über Jahre hinweg immer wieder zu Truppendurchmärschen und Einquartierungen der verschiedenen Kriegsparteien. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig (Oktober 1813) übernachtet Napoleons Bruder Jerôme („König Lustig“) auf der Flucht vor den Truppen der Verbündeten im damaligen Gasthaus „Zum Adler“ in Kirchberg (Hausname „Wirtsbauer“).

19. und 20. Jahrhundert

  • 1805-1849 Mit Johann Georg Ludwig Klingelhöffer (1772–1854) hat Kirchberg seinen bedeutendsten Pfarrer im 19. Jh. (Siehe Abschnitt „Die Pfarrer des Kirchberg“).
  • 1815 Deutschland wird auf dem „Wiener Kongreß“ neu geordnet. Kirchberg verbleibt bei dem 1806 gegründeten Großherzogtum Hessen, der vormaligen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.
  • 1846 Der Bau der Main-Weser-Bahn beginnt. Für den Bahnbau wird die Lahn bei Ruttershausen - Kirchberg begradigt und fließt seitdem nicht mehr direkt am Kirchberg, sondern geradlinig näher am Dorf vorbei. 1850 fährt der erste Zug in Lollar ein.
  • 1901 Eine 1853 erbaute Holzbrücke über die Lahn wird abgerissen und durch die heute noch bestehende Steinbrücke ersetzt.
  • 1914–1918 Im 1. Weltkrieg fallen insgesamt 30 junge Männer aus Rutterhausen und Kirchberg an den Fronten. Mit der Abschaffung der Monarchie und Abdankung des Großherzogs gehört Kirchberg nun zu dem aus dem Großherzogtum hervorgegangenen Volksstaat Hessen.
  • 1946 Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges änderte sich die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung, die Neuaufgenommenen waren fast durchweg katholisch. Die evangelischen Gemeinden stellten ihre Kirchen den katholischen Glaubensbrüdern für Gottesdienste und Taufen zur Verfügung.
  • 1946 Die ersten Heimatvertriebenen und Flüchtlinge treffen ein. Sie werden zunächst in Ruttershausen sowie in speziell dafür errichteten Behelfsheimen in Kirchberg einquartiert. Kirchberg gehört nun zum von der amerikanischen Militärregierung neu gebildeten Land Hessen.
  • 1949 Die Pfarrassistentenstelle „Kirchberg II mit Sitz Lollar“ wird zur Pfarrei aufgewertet, da Lollar inzwischen 4.000 Einwohner hatte. Ein eigener Kirchenvorstand beschloss als erstes den Bau eines Pfarrhauses in der Daubringer Straße.
  • 1950 Bei der Umorganisation der Evangelischen Landeskirche von Hessen und Nassau schuf man 1950 als Teil des Visitationsbezirks Oberhessen ein neues Dekanat Kirchberg, das mit dem alten Kirchspiel nur den Namen gemeinsam hat, denn es umfasst nicht nur das untere, sondern auch das mittlere Lumdatal sowie die Wiesecker Talschaft.
  • 1968 Die spätbarocke Orgel aus dem Jahr 1777 wird restauriert und die Tonlage der Orgel um einen Halbton verändert.
  • 1976 Am 31. August 1976 wird eine selbstständige Kirchengemeinde Kirchberg-Rutterhausen eingerichtet.
  • 1988 In Ruttershausen wird das Gemeindezentrum der Evangelischen Kirchengemeinde in der Hellenbergstraße eingeweiht.
  • 1991 Die „Querspange“, eine neue Verbindung zwischen Ruttershausen und der Kernstadt Lollar, wird fertiggestellt. Sie überbrückt die Bahntrasse und die Lahn. Der alte Bahnübergang zwischen Ruttershausen und Kirchberg wird geschlossen, die Kirchberger Lahnbrücke verliert weitgehend ihre Bedeutung.
  • 2003 Die Renovierungsarbeiten im Innenbereich der Kirchberger Kirche werden vorangetrieben. Bei dieser Maßnahme wurden die Innenwände gereinigt. Die aus dem Jahr 1777 stammende Orgel wird 2004 unter der Federführung der Licher Orgelbaufirma Förster & Nicolaus erfolgreich renoviert und restauriert.

Die Pfarrer des Kirchspiels und der Pfarrei Kirchberg

Vor der Reformation, soweit belegt

  • 1227 Reinherus, Pleban
  • 1347 Johann von Bernhartisburg
  • 1483 Nikolaus Arnold
  • 1487 Johann Heylige, Altarist
  • 1515 Heyderich Grebe, unter ihm wird die Reformation eingeführt

Nach der Reformation

  • 1515–1536 Heyderich Grebe
  • 1536–1564 Johannes Girwig
  • 1564–1611 Georg Halbwinner aus Fredeberg in Westfalen, Grabstein in der Sakristei erhalten
  • 1611–1612 Kaspar Halbwinner, Sohn des Georg Halbwinner
  • 1612–1636 Gerhard zur Avest aus Riga, Studium in Rostock und Gießen, Pfarrer in Lützellinden und Büdesheim (Wetterau)
  • 1636–1677 Johann Daniel Trygophorus (deutsch „Hefenträger“ ) aus Wildungen, Schiegersohn seines Vorgängers Gerhard zu Avest, vorher Pfarrer in Wildungen und Hofprediger in Gießen
  • 1678–1715 Johann Christoph Trygophorus, Sohn seines Vorgängers, Vikariat bei seinem Vater
  • 1715–1742 Johann Lorenz Dieffenbach, aus Bechtolsheim in Rheinhessen, Feldprediger, Vater von 10 Kindern
  • 1743–1761 Johann Dietrich Römheld, aus einer Marburger Kaufmannsfamilie
  • 1761–1778 Johann Georg Selzam, aus Altenbuseck, bei seinem Vater dort Diakon, Schwager seines Vorgängers und Schwiegersohn seines Vorvorgängers. 1778-79 verwaltet sein Sohn die Pfarrstelle.
  • 1779–1804 Heinrich Dieter Gebhard aus Butzbach, Adjunkt (Hilfspfarrer) in Alsfeld, Pfarrer in Nieder-Rosbach. 1794–1804 ist sein Sohn Georg Ludwig Gebhard sein Adjunkt
  • 1805–1849 Johann Georg Ludwig Klingelhöffer, einer der bedeutendsten Pfarrer des Kirchspiels. 1772 geboren in Biedenkopf als Sohn eines Amtmanns und Regierungsrates, Studium in Gießen, 1794–1804 Bergprediger in Thalitter. Seine Vikare in Kirchberg waren Friedrich Heinrich Welcker, Wilhelm Nebel (Verfasser einer Kirchberger Chronik) und Ludwig Bang. Klingelhöffer hatte sechs Kinder, zwei seiner Söhne zogen nach Amerika. Er impfte über 600 Kinder gegen die Blattern und veröffentlichte darüber mehrere Aufsätze im Reichsanzeiger. 1844 wurde er Kirchenrat, er starb 1854 in Gießen.
  • 1855-1871 Wilhelm Klöpper aus Sprendlingen, Vikar in Offenbach, Pfarrer in Wenings
  • 1872–1884 Friedrich Heinrich Welcker, vormalig Vikar in Kirchberg, dann Pfarrer in Watzenborn und Allendorf/Lumda
  • 1885–1896 Heinrich Heintze aus Hartmannshain, Vikar in Queckborn, Verwalter in Herbstein, Gelnhaar und Usenborn, Pfarrer in Lißberg und Gettenau bei Büdingen
  • 1896–1936 Ludwig Gußmann aus Hirzenhain, Sohn des Bürgermeisters Johann Gußmann, Pfarrverwalter in Gettenau, Dekan des Dekanats Gießen. Sein Grab hinter der Kirchberger Kirche ist erhalten.
  • 1936–1947 Friedrich Metzler aus Gau-Odenheim, Pfarrassistent in Alzey, ging 1947 nach Wiesbaden, verfasste die Festschrift „Unser Kirchspiel“ zur 700jährigen urkundlichen Ersterwähnung 1927.
  • 1947–1957 Wilhelm Krämer, vorher Pfarrer in Ober-Breidenbach
  • 1957–1975 Heinz Simon, geb. 1911 in Ober-Mossau (Odenwald), Pfarrassistent in Mümling-Crumbach, Pfarrer in Güttersbach; gest. 1976
  • 1977–1980 Rolf Boge, ging 1980 nach Frankfurt/M.
  • 1980–1994 Dr. Martin Breidert, geb. 1946 in Erzhausen bei Darmstadt. Studium in Tübingen, Mainz und Marburg, Pfarrvertreter in Groß-Eichen und Freienseen, 1978-80 im Dienst der Presbyterianischen Kirche Ghanas in Westafrika tätig. Seine Ehefrau Ellen Hojgaard Breidert, geb. Jensen, ist Pfarrerin der Kirchengemeinde Kirchberg-Ruttershausen.
  • 1995–1999 Uwe Martini, er teilt sich mit seiner Frau Jutta Martini die Aufgaben von Kirchberg-Ruttershausen und der Kirchengemeinde Kirchberg I, Staufenberg.
  • 1995–2007 Jutta Martini ist die Pfarrerin von Kirchberg für die Kirchengemeinde Staufenberg (Kirchberg I)
  • 1999–2004 die als halbe Pfarrstelle ausgewiesene Pfarrstelle Kirchberg-Ruttershausen ist vakant. Carl Heinz Alsmeier übernimmt die Vertretung der Pfarrstelle von Kirchberg-Ruttershausen.
  • seit 2008 Andreas Lenz ist Pfarrer von Kirchberg für die Kirchengemeinde Kirchberg-Ruttershausen. Frau Pfarrerin Jutta Martini ist für die Kirchengemeinde Kirchberg 1, Staufenberg zuständig.

Die spätgotische Hallenkirche

Von 1495 bis 1508 wurden die heutige spätgotische Hallenkirche in Kirchberg erbaut. Dabei wurden Teile des romanischen Vorgängerbaues verwendet, insbesondere der Turm und Teile des Langhauses. Die Glocken, die aus den Jahren 1310, 1380 und 1432 stammen, werden bis heute weiter benutzt. Die zweischiffige Halle und der polygonale Chor wurden im spätgotischen Stil neu errichtet. Bauherren bzw. Stifter waren Burgmannen der Burg Staufenberg, die Herren von Rau und von Schabe, hinzu kamen die Herren von Rolshausen, von Trohe und die Grafen von Ziegenhain, deren sechsstrahliger Stern zweimal am Bau erhalten geblieben ist.

Entgegen dem damals üblichen Vorgehen baute man die neue Kirche von Westen nach Osten, was die Jahreszahlen am Bau beweisen (Bauinschrift am Westportal von 1495). Die Ursache dafür ist die zur Bauzeit noch bestehende Vorgängerkirche, von der zuerst das Schiff abgebrochen wurde, um das neue zweischiffige Langhaus zu bauen. Anschließend brach man den alten Chor ab und baute den jetzigen gotischen Chor. Beweis dafür ist eine am Ostende des Schiffdaches befindliche Fachwerkwand, die den Dachraum während des Chorbaues verschließen musste.

Die gliedernden Teile am Schiff sind aus rotem, die am Chor aus grauem Sandstein, an Turm und Sakristei wurden beide Steinarten verwendet. Schiff und Chor haben einen Sockel, der ältere Turm nicht. Das Kirchendach ist über steinernen Gesimsen errichtet, der Turm hat ein Holzgesims.

Nach Fertigstellung der Kirche - aber noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts - entstand der Sakristeianbau. Gleichzeitig baute man die drei mauerbündigen Fenster im Schiff ein, die gegenüber den originalen auffallen, die mit innerer und äußerer Laibung versehenen sind. Dass der Turm älter als die restliche Kirche ist, beweist auch ein kleines rundbogiges romanisches Fenster in seiner Ostseite. Ein romanischer Kämpfer befindet sich noch am Übergang von Schiff und Chor.

Die auffällige seitliche Stellung des Turms rührt schon von der romanischen Vorgängerkirche her, sonst ist sie im Kreis Gießen nur noch von Treis an der Lumda bekannt. Der Turm zeigt vier dicke Pfeiler mit gleich weiten Öffnungen im Erdgeschoss, die allerdings später durch schwächere Füllmauern geschlossen wurden. Möglicherweise wurden in vorreformatorischer Zeit die Taufhandlungen in der Turmhalle vorgenommen. Die heutige Turmspitze ist nur vier Meter höher als das Schiffdach, der alte Turm war wahrscheinlich höher. Der Turmhelm sitzt als achtseitige Pyramide auf vier Dreiecksgiebeln. Durch den niedrigen Turm an der Südseite des Langhauses wirkt die Kirche insgesamt gedrungen.

Der Kirchenraum ist eine Besonderheit, da er als zweischiffige Halle erbaut wurde. Acht unterschiedlich große Kreuzrippengewölbe sitzen auf drei in einer Reihe außermittig stehenden Rundsäulen. Die Gewölbe haben fünf schmucklose Schlusssteine und einen mit dem Ziegenhainer Stern. Dem etwas breiteren Südschiff ist der geräumige Chor ostwärts vorgesetzt. Er hat einen annähernd quadratischen Grundriss mit anschließendem 3/8-Chorschluss. Den Chor überspannt ein Netzgewölbe, dessen Rippen auf 3/4-Diensten stehen. Bis 1637 stand die Kanzel an der Säule vor dem Chor. Wegen des Emporeneinbaus im Schiff bekam sie dann ihren Platz am Chorbogen. Aus dieser Zeit stammen auch die kleinen Fenster unter der Empore. 1746 wurde im Chor eine Orgelempore errichtet, die bis 1926 bestand. Seitdem steht die Rokoko-Orgel von 1777 auf der Nordempore, sie wurde wahrscheinlich von Johann Andreas Heinemann errichtet.

Zu den wertvollen Ausstattungsstücken gehören das spätgotische große Kruzifix auf dem Altar, der spätmittelalterliche Taufstein, das Rokokogehäuse der Orgel und drei farbig gefasste Renaissancegrabmähler (Epitaphe) mit figürlichen Darstellungen, Ornamenten und Wappen.

Die Epitaphe waren ursprünglich im Boden eingelassen, sie wurden bei einer Restaurierung im Jahre 1840 - der Kirchenboden hatte sich über den Gräbern gesenkt - in der Kirche verteilt an den Wänden angebracht. Es handelt sich um folgende Tafeln:

  • Denkmal des hessischen Hofmarschalls Friedrich von Rolshausen († 1564) und seiner Gemahlin Anna von Ehringshausen († 1582), an der Nordwand
  • Denkmal des Eberhart Magnus von Rodenhausen († 1587) und seiner Gemahlin Margarete, geb. Reußer († 1586), an der Südwand
  • Denkmal des Philipp von Rodenhausen († 1605) und seiner Gemahlin Elisabeth von Schwalbach († 1613), ebenfalls an der Nordwand
  • eine Marmortafel von Anna Augusta Wittib von Selle uff Friedelhausen, geb. Wolffen von Gutenberg († 1699), an der Nordostwand
  • Epitaph des Benedictus von Düring, fürstlicher hessischer Oberstlieutenant, vermählt mit Johann Luise von Selle uff Friedelhausen († 1732), an der Südostwand

Im Norden wird die Kirche vom 1718 erbauten Pfarrhof (Fachwerkbau), an der Südseite durch einen baumbestandenen Kirchhof gerahmt.

Literatur

Geschichte
  • Ernst Schneider: Das Kirchspiel Kirchberg. Selbstverlag, Lollar 1964.
  • Jutta Martini: Die ev. Kirche zu Kirchberg im Wandel der Zeiten. Ev. Pfarramt Kirchberg I, Staufenberg 2002.
  • Reinhold Huttarsch, Michael Müller: Lollar beiderseits der Lahn. Stadt Lollar, Lollar 1984.
  • Magistrat der Stadt Lollar: 750 Jahre Lollar. 1242–1992. Stadt Lollar, Lollar 1992.
Exkursions- und Reiseführer
  • Willi Schulze, Harald Uhlig: Gießener Geographischer Exkursionsführer. Band II. Brühlscher Verlag, Gießen 1982.
  • G. Ulrich Großmann: Dumont Kunstreiseführer Mittel- und Südhessen. Dumont Buchverlag, Köln 1995.
  • P. Weyrauch: Die Kirche auf dem Kirchberg. In: Die Kirchen des Altkreises Gießen. Gießen 1979.

Weblinks

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