Chaldäer

Chaldäer

Die Chaldäer sind ein aramäischer Stamm des Altertums aus Südmesopotamien. Unabhängig davon existierte ein gleichnamiges Volk an den Ufern des Vansees in Ostanatolien. Diese Chaldaoi und die Chaldäer wurden in den antiken Quellen immer wieder verwechselt, da das Volk von Urartu den Gott Chaldi verehrte[1]. Die Geschichte beider Völker verlief aber völlig unabhängig voneinander.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft/Bezeichnung

Die babylonischen Chaldäer (akkadisch kurKašdu, hebräisch kasdîm, aramäisch kasdajja) waren Semiten und drangen von der Küste des Persischen Golfes her gegen Babylonien vor. Sie hatten möglicherweise weitreichende Verbindungen über den Oman bis nach Jemen, weshalb drei Theorien derzeit diskutiert werden:

  • Verwandtschaft mit den Aramäern, da aramäische Namen bei ihnen verbreitet waren oder
  • mit den Babyloniern, wegen neuakkadischer Namen oder
  • mit ostarabischen Bevölkerungsgruppen.

Im 8. Jahrhundert v. Chr. passten sich lokale chaldäische Bevölkerungsgruppen den Riten und der Lebensweise in ländlich aramäischen Gebieten an. Ebenso übernahmen sie deren Sprache. Zu Beginn der neubabylonischen Dynastie, um 625 v. Chr., war der allgemeine Assimilierungsprozess so weit fortgeschritten, teils aramäisiert und teils babylonisiert, dass eine Identifizierung der ursprünglichen Chaldäer nicht mehr einfach möglich war.

Geschichtlicher Überblick

Die babylonischen Chaldäer unterteilten sich in fünf „Häuser“ (Bit), wobei Bit Dakuri und Bit Amukkani die größeren „Häuser/Stämme“ und Bit Sha'alli, Bit Schilani, Bit Jakin die kleineren „Häuser“ repräsentierten. Erstmals werden die babylonischen Chaldäer unter Assurnasirpal II. um 883 v. Chr. erwähnt.

Unter Tiglat-Pileser III. taucht der chaldäische „König des Meerlandes“, Merodach-Baladan (biblische Bezeichnung), aus Bit-Yakin noch als Tributzahler auf. König Nabu-mukin-zeri eroberte das Land Babylonien, wurde aber von Tiglat-Pileser III. entthront und gefangen gesetzt.

Sargon II. konnte nicht verhindern, dass Merodach-Baladan von 721 v. Chr. bis 710 v. Chr. den Thron von Babylonien einnahm und sich zunächst erfolgreich gegen Sargon II. behaupten konnte. Geschickt konnte er mit einem Bündnis Babylonier/Aramäer /babylonische Chaldäer/Elamiter eine starke antiassyrische Koalition bilden. In einer Schlacht bei Dér unterlag Sargon II. noch dem Elamer König Ummanigas (Chuman-nikasch), ehe er 710 v. Chr. Merodach-Baladan ins Exil nach Elam vertreiben konnte. Im Jahr 702 v. Chr. behauptete sich Merodach-Baladan nochmals mehr als neun Monate gegen Sanherib, ehe er von diesem unweit von Kisch besiegt wurde.

Erst unter ihrem König Nabopolassar gelangten die Chaldäer zur vollen Herrschaft über Babylonien, dessen Thron Nabopolassar 625 v. Chr. bestieg. Dies markiert den Beginn des so genannten Neubabylonischen Reiches.

In späterer Zeit wird die Bezeichnung „Chaldäer“ gleichbedeutend mit Sterndeuter oder Wahrsager, vermutlich wegen der Gelehrtenschulen in Orchoe, Borsippa und Sippara.

Die heutigen Chaldäer sind Angehörige der mit Rom unierten chaldäischen Kirche. Sie leben zu größten Teil im Irak, wo die meisten chaldäisch-aramäischen Christen der chaldäischen Kirche angehören. Nach den Arabern und Kurden bildeten sie die drittgrößte Volksgruppe im Land.

Antike Religion

Die Chaldäer besaßen eine polytheistische Weltanschauung, über die nicht viel bekannt ist. Sicher ist, dass das Volk ausgeprägt an Dämonen glaubte:

„Gegen den Kopf des Menschen richtet seine Macht der verfluchte Asak, gegen das Leben der Menschen der grausame Nemtor, gegen den Hals des Menschen der schändliche Utuk, gegen die Brust des Menschen der verderbenbringende Alu, gegen die Eingeweide des Menschen der böse Ekim, gegen die Hand des Menschen der schreckliche Gallin."[2]

„Chaldäer“ als Synonym für Sterndeuter

Als „Chaldäer“ werden im Sprachgebrauch der ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderte auch die sternkundigen Berater und Wissenschaftler in Mesopotamien bezeichnet, über die man in Israel seit dem babylonischen Exil genaueres wusste (siehe auch Buch Daniel). Sie waren häufig von persischer oder medischer Herkunft, hatten aber ihr Wirkungsfeld von Mesopotamien und Arabien bis Anatolien und die Mittelmeerküsten.

Die Chaldäer verstanden sich u.a. auf Kalenderrechnung und pflegten eine astronomische Symbolsprache zur Darstellung komplexer Zusammenhänge. Im Einflussbereich Babylons hatten sie auch eine religiöse Funktion – vor allem weil man die Planetenbahnen mit ihren unerklärlichen Schleifenbewegungen als Willensäußerung von Gottheiten deutete, die es zu ergründen galt.

Die biblischen Heiligen Drei Könige werden als die „Weisen aus dem Morgenland“ und als Sterndeuter beschrieben, die evtl. aus Babylon kamen, welches ein Zentrum der Sternenkunde war. Die griechische Fassung des Neuen Testaments berichtet von „Magiern, die aus dem ‚Osten‘ kommen und einen aufgehenden Stern sahen“. Deshalb wird teilweise angenommen, dass es sich um Chaldäer gehandelt hat. Alternative Deutungen interpretieren die Gruppe eher als Vertreter des persisch-medischen Raumes, evtl. Vertreter der Priesterkaste der Mager oder (basierend auf Vergleichen von alten überlieferten bildlichen Kleidungs-Darstellungen) als Syrer.

Die Chaldäische Kirche

Die Chaldäische Kirche (genauer Chaldäisch-Katholische Kirche) entstand in der Neuzeit durch Vereinigung von Teilen der alten heiligen apostolischen Kirche des Ostens mit dem Papst in Rom. Die Liturgie- und Theologiesprache der Chaldäischen Kirche ist eine Spätform des Aramäischen, (Alt-) Syrisch genannt. Da jedoch ein Großteil der Gläubigen heute Arabisch spricht, wird das Arabische zunehmend zum Vortrag von Gebeten, Schriftlesungen und manchen liturgischen Formeln benutzt sowie die Heilige Messe oft zweisprachig gestaltet. Im Irak gibt es zwei chaldäische Schwesterngemeinschaften: die Schwestern vom Heiligen Herzen und die Töchter von der Makellosen Maria. In der Chaldäischen Kirche gibt es zudem Mönche, die missionarisch tätig sind: die chaldäischen Mönche gründeten ursprünglich ihre Klöster in der Bergregion im Norden des Irak, wo sie die kurdischen Dörfer besuchten und dies auch heute noch tun, in Schulen als Lehrer unterrichten und Religionsunterricht geben. Aus den Bergen kamen sie nach Mosul und schließlich nach Bagdad, wo sich heute der Sitz des Generaloberen befindet. Die chaldäischen Mönche haben heute 8 Klöster im Irak und eines in Rom sowie eine Mission in Amerika. Heute leben in Irak über 600.000 chaldäische Christen. Etwa ebenso viele leben in chaldäischen Diasporagemeinden auf der ganzen Welt.

Der gegenwärtig amtierende Patriarch von Babylon und Oberhaupt der chaldäischen Kirche ist Kardinal Mar Emmanuel Karim Delly.

Forschungsgeschichte

Wilhelm Gesenius[3] versuchte die Chaldäer (Chardim) mit den Kurden (Kard) in Verbindung zu bringen. Nach William Kennett Loftus rühmte sich der kurdische Stamm der Kaldani, von den Chaldäern abzustammen[4].

Spekulationen über einen arischen Ursprung vorderasiatischer Völker wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend populär, weil sie das Alter "indoeuropäischer" oder "arischer" Zivilisationen erhöhten. In einem Klima zunehmenden Antisemitismus' wollte man die ältesten Zivilisationen der Menschheit nicht den Semiten zuschreiben. "Wenn nun die ursprüngliche babylonische Hochkultur nun doch arisch sein sollte?" ("What if the primitive Babylonian civilization should turn out to be of Aryan origin after all?") fragte so Daniel Brinton 1895 hoffnungsvoll[5].

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Moderne Autoren lehnen diese Ableitung weitgehend ab, sie wurde aber von C. Tuplin (On the track of the Ten Thousand, Revue des Études Anciennes 101, 3–4 1999, 360f) wieder aufgegriffen
  2. Alfred Lehmann: Aberglaube und Zauberei von den ältesten Zeiten bis in die Gegenwart, 1898, 1925, 1969
  3. Wilhelm Gesenius: Thesaurus philologicus criticus linguae hebraeae et chaldaeae Veteris Testamenti. Leipzig 1835–1858, Neudr. Osnabrück 1977
  4. William Kennett Loftus: Travels in Chaldea and Susiana, with an account of excavations at Warka, the "Erech" of Nimrod, and Shúsh, "Shushan the palace" of Esther, in 1849–52. New York 1857, 99
  5. Daniel G. Brinton: The Protohistoric Ethnography of Western Asia. Proceedings of the American Philosophical Society 34/147, 1895, 92

Literatur

  • Daniel G. Brinton: The Protohistoric Ethnography of Western Asia. Proceedings of the American Philosophical Society 34/147, 1895, S. 71–102.
  • Kurt Henning: Jerusalemer Bibellexikon, Neuhausen-Stuttgart, 3. Auflage 1995
  • Joan Oates: Babylon. Stadt und Reich im Brennpunkt des Alten Orient, Bindlach-Verlag 1990, ISBN 3-8112-0727-X
  • Henry W. F. Saggs: Everyday life in Babylonia and Assyria, New York, 1987
  • Henry W. F. Saggs: Babylonians, London 1995
  • Harald Haarmann: Lexikon der untergegangenen Völker, C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52817-1
  • Dietz Otto Edzard: Geschichte Mesopotamiens von den Sumerern bis zu Alexander dem Großen, C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51664-5

Weblinks


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