Liebigstraße 14 (Berlin)

Liebigstraße 14 (Berlin)
Fassade der Liebigstraße 14 am Tag nach der Räumung

Im Haus an der Liebigstraße 14 im sogenannten Nordkiez des Berliner Ortsteils Friedrichshain befand sich ein aus einer Hausbesetzung entstandenes Wohnprojekt, dessen Räumung im Februar 2011 von Ausschreitungen und öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet wurde.[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Fassade der Liebigstraße 14 mit Transparenten, 2009

Anfang 1990 wurde das damals leerstehende Gebäude in der Liebigstraße 14 wie auch viele andere Häuser in der Umgebung besetzt. Nach der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 begannen die Besetzer Verhandlungen mit dem Eigentümer des Hauses, der kommunalen Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain (WBF) und der Stadt Berlin, über eine Legalisierung der Wohnsituation. Dadurch wurden 1992 reguläre Mietverträge über neun Wohneinheiten des Hauses abgeschlossen und mit der Sanierung des Hauses begonnen. 1994 wurden die Bewohner während den laufenden Bauarbeiten erstmals zur Zahlung von Miete aufgefordert. Im Januar 1996 begann die Mietzahlungspflicht.

1999 wurde das Haus, zusammen mit anderen Projekten (Rigaer Straße 94, 95 und 96) in Friedrichshain, von zwei Gesellschaftern der Lila GbR erworben und die Errichtung eines Öko-Wohnblocks angekündigt.

Einer der beiden Gesellschafter, Suitbert Beulker, geriet in der Folge in die Kritik der Presse. Unter anderem soll er Mitarbeitern ihr Gehalt vorenthalten[2], notwendige Reparaturen nicht durchgeführt und sich unter Missachtung des Besitzrechts der Bewohner gewaltsam Eintritt in das Haus verschafft haben.[3][4]

Die Verhandlungen um Gesamtmietverträge zwischen Anwohnern und Eigentümern scheiterten in der Folge, die Modernisierung konnte nicht durchgeführt werden. Im Winter 2004/2005 wurde ein temporäres Blockheizkraftwerk im Hof der Wohnanlagen errichtet. Am 15. März 2007 erfolgte die fristlose Kündigung der bestehenden Mietverträge, am 19. Dezember 2007 wurde eine erneute Kündigung mit einer Räumungsfrist von drei Tagen ausgesprochen.

Es kam anschließend zu Klagen vor dem Berliner Landgericht, am 13. November 2009 wurde die Kündigung aufgrund von unzulässigen Mietminderungen und unerlaubten baulichen Veränderungen für rechtens erklärt.[5]

Ebenfalls im November 2009 geriet das Projekt in die Schlagzeilen, als ein Bewohner wegen des Verdachts verhaftet wurde, für zwei Brandstiftungen auf Autos in Friedrichshain verantwortlich zu sein und die Liebigstraße 14 daraufhin von 140 Polizisten durchsucht wurde. Als Folge kam es zu Protesten und mehrfach zu Sachbeschädigungen an Berliner SPD-Zentralen.[6][7]

Ein Widerspruch gegen die Zwangsräumung des Hauses wurde zuletzt vom Amtsgericht Kreuzberg-Tempelhof abgewiesen.[8] Am 2. Februar 2011 um 8 Uhr begann die Räumung. Dabei waren im Umfeld bis zu 2500 Polizeibeamte im Einsatz.[9]

Reaktionen auf die Räumung

Kerzen, Blumen, Kreuze erinnern an das Hausprojekt und seine Räumung

Bereits kurz nach der Verkündung des endgültigen Termins der Räumung – dem 2. Februar 2011 – kam es zu einer Vielzahl von Demonstrationen, Solidaritätsbekundungen und anderen Protestaktionen. So war es beispielsweise am 29. Januar in Berlin bei Protesten gegen die Räumung zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen, bei denen 40 Polizeibeamte verletzt wurden.[10] Am Tag der Räumung war das Gebiet um das Wohnprojekt weiträumig abgeriegelt. Kleinere Demonstrationen fanden im gesamten Ortsteil Friedrichshain statt, viele von ihnen spontan. Am Abend zogen etwa 1500 bis 2000 Personen vom Boxhagener Platz durch den Friedrichshainer Südkiez, bei Ausschreitungen gingen zahlreiche Fensterscheiben, Werbetafeln und Ampeln zu Bruch. Insgesamt wurden während der Räumung 61 Polizeibeamte verletzt und 82 Demonstranten vorläufig festgenommen.[11] Die Kosten des Polizeieinsatzes wurden auf über eine Million Euro beziffert.[12]

Weitere Demonstrationen fanden am 2. Februar in Kopenhagen, Osnabrück, Hamburg, Gießen, Saarbrücken, Bremen, Jena, Bielefeld, Rostock, Düsseldorf und Dresden statt.

Der grüne Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, äußerte sein Bedauern über das Ende des Wohnprojekts als alternative Wohnform und befürchtete einen Dominoeffekt, der weitere ähnliche Projekte gefährden könne.[13] Die CDU forderte daraufhin Schulz' Rücktritt.[14] Halina Wawzyniak, Vorsitzende der Linken im Bezirk äußerte Trauer und Enttäuschung über die Räumung und das Scheitern einer Verhandlungslösung.[15]

Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus Renate Künast verteidigte die Räumung.[16] Nach Ansicht von Bewohnern sowie ihres Anwalts, Max Althoff, war die polizeiliche Räumung des Gebäudes hingegen rechtswidrig. So habe die Polizei nicht festgestellt, ob die im Gebäude anwesenden Personen tatsächlich in den Räumungstiteln genannt wären. Des Weiteren habe man Althoff ein Gespräch mit dem Gerichtsvollzieher verweigert. Ähnliche Vorwürfe gegen Berliner Behörden gab es bereits bei früheren Räumungen.[17] Auf Antrag der CDU-Fraktion diskutierte am 9. Februar 2011 der Bundestag in einer Aktuellen Stunde über die Räumung und die Krawalle zwischen Polizei und Demonstranten.[18][19]

In der Nacht auf den 21. Februar 2011 wurde von Unbekannten ein Brandanschlag auf das geräumte Haus verübt.[20] Im Mai 2011 deckten Unbekannte nachts das Dach des Nachbarhauses, das ebenfalls im Besitz der Lila GbR ist, auf 15 m² ab und sägten Dachbalken an. Dabei entstand ein Schaden an einer Heizungsleitung, der zu Wasserschäden in dem Haus führte.[21]

Weblinks

 Commons: Liebigstraße 14 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Randale nach Räumung in Berlin - Schlimmer als am 1. Mai. taz, 3. Februar 2011
  2. Weiße Weste weg, die tageszeitung vom 23. Dezember 2003.
  3. Besetzer und Besitzer, Berliner Zeitung, Leitartikel vom 3. Februar 1011.
  4. Sammlung kritischer Presseberichte über Suitbert Bleuker auf der Seite des ehemaligen Wohnprojekts.
  5. Wohnprojekt unterliegt vor Gericht. Tagesspiegel, 14. November 2009
  6. Haftbefehl gegen Autobrandstifter erlassen. Berliner Morgenpost, 17. November 2009
  7. Steine fliegen auf Berliner SPD-Zentrale . Berliner Morgenpost, 29. März 2010
  8. Widerspruch abgewiesen – Räumung beginnt um 8. Die Welt, 1. Februar 2011
  9. Polizei beginnt mit Räumung von Liebigstraße 14. Focus online, 2. Februar 2011
  10. Demo für Projekt Liebigstraße 14. 40 Polizisten bei Krawallen verletzt. Tagesspiegel, 29. Januar 2011
  11. 61 Polizisten bei Liebig-14-Krawallen verletzt. Die Welt, 3. Februar 2011
  12. Was die Räumung von Liebig 14 kostet. Berliner Morgenpost, 3. Februar 2011
  13. Das Ende der Besetzung taz - die tageszeitung, 2. Februar 2011
  14. CDU fordert Rücktritt von Bezirksbürgermeister. Berliner Morgenpost, 3. Februar 2011
  15. Trauer und Enttäuschung über das Scheitern einer politischen Lösung, Die Linke.Berlin, Pressemitteilung vom 3. Februar 2011
  16. Körting attackiert Grüne und Linke Tagesspiegel, 2. Februar 2011
  17. Immer Ärger mit der Räumung. taz - die tageszeitung, 3. Februar 2011
  18. Liebig14 erreicht den Bundestag. Tagesspiegel, 9. Februar 2011
  19. Gewalttaten und anhaltende Ausschreitungen in Berlin und anderen Städten im Zuge der Räumung eines besetzten Hauses („Liebig 14“). Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages Nr. 17/89, S. 10008-10022
  20. Kampf um Liebigstraße schwelt weiter. Tagesspiegel, 21. Februar 2011
  21. Politisch motivierter Dachschaden. Tagesspiegel, 15. Mai 2011
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