Maigret lässt sich Zeit

Maigret lässt sich Zeit

Maigret lässt sich Zeit (französisch: La Patience de Maigret) ist ein Kriminalroman des belgischen Schriftstellers Georges Simenon. Er ist der 64. Roman einer Serie von insgesamt 75 Romanen um den Kriminalkommissar Maigret und entstand vom 25. Februar bis 9. März 1965. Der Roman wurde im Jahr 1965 vom Verlag Presses de la Cité veröffentlicht und vom 29. November bis 24. Dezember 1965 in der Zeitung Le Figaro vorabgedruckt. Die erste deutsche Übersetzung von Hansjürgen Wille und Barbara Klau erschien 1967 unter dem Titel Maigret hat Geduld bei Kiepenheuer & Witsch. 1982 veröffentlichte der Diogenes Verlag eine Neuübersetzung von Sibylle Powell unter dem Titel Maigret läßt sich Zeit.

Im Roman erhält Maigrets längste Ermittlung zu einer bereits zwanzig Jahre währenden Serie von Überfällen auf Juweliere eine neue Richtung, als der lange vermutete Kopf hinter den Verbrechen ermordet wird. Die Ermittlungen führen Maigret ins persönliche Umfeld des Toten. Die Handlung schließt – ungewöhnlich für Simenon – an den vorigen Roman Maigret verteidigt sich an.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Es ist ein sonniger Juli in Paris. Kommissar Maigret ist 53 Jahre alt, nur noch zwei Jahre trennen ihn von seiner Pensionierung bei der Pariser Kriminalpolizei. Seit zwanzig Jahren werden in unregelmäßigen Abständen Raubüberfälle auf Pariser Juweliergeschäfte verübt. Schon lange vermutet Maigret Manuel Palmari als Kopf hinter den Taten, ohne diesem in seinen langwierigsten Ermittlungen bislang etwas nachweisen zu können. Maigret hegt freundschaftlichen Respekt für den inzwischen auf die Sechzig zugehenden Palmari, der in seiner Nachtbar Clou Doré einst auch für den Kommissar Informationen aus der Pariser Unterwelt gesammelt hat. Seit einem Attentat vor zwei Jahren ist Palmari an den Rollstuhl gefesselt. Der einzige Kontakt zur Außenwelt ist seine fünfundzwanzigjährige Freundin Aline Bauche, die sich ihre stolze Abneigung gegen die Polizei aus ihrer Zeit als Straßenmädchen bewahrt hat.

Nun ist Palmari in seiner Wohnung erschossen worden. Aline war zur Tatzeit einkaufen, niemand sonst scheint das von der Polizei observierte Haus betreten zu haben. Maigret verhört die Hausbewohner. Doch erst im Clou Doré führt ihn ein Stammgast auf eine Fährte, als er einen der Bewohner anruft, um von Maigrets Untersuchungen zu berichten. Der Angerufene ist Fernand Barillard, ein Vertreter von Geschenkverpackungen, der in dieser Funktion auch bei den Pariser Juwelieren aus und ein geht. Maigret lässt ihm und Aline gegenüber seinen Verdacht durchblicken und beide beschatten. Er spielt auf Zeit und auf die Angst der voneinander isolierten Verdächtigen, denn ihm fehlt noch ein Glied in der Kette: ein Diamantenschleifer, der in der Lage wäre, die Diebesware zur Unkenntlichkeit umzuarbeiten.

Als daraufhin in Palmaris Haus ein weiterer Mord stattfindet, fühlt sich Maigret für die Tat mitschuldig. Das Opfer ist der alte taubstumme Jef Claes alias Victor Krulak aus der Mansarde. Maigret erfährt von Mina Barillard die Lebensgeschichte der Beiden: Sie waren im Zweiten Weltkrieg in Flüchtlingszügen aus Belgien nach Frankreich gekommen. In Douai kam es zu einem Massaker, als die Flüchtlinge auf dem Bahnhof bombardiert wurden. Die kleine Mina Claes, die ihre Angehörigen verloren hatte, hängte sich an den unbekannten Mann. Krulak, der schwer im Gesicht verletzt worden war und taubstumm blieb, gewann durch das kleine Mädchen wieder Lebensmut. Er nahm ihren Nachnamen an und adoptierte sie nach dem Krieg. Krulak entpuppt sich als der fehlende Diamantenschleifer, den Barillard aus Furcht vor seiner Aussage ermordete.

Für Maigret finden nun alle Puzzleteile zusammen: Seitdem Palmari an den Rollstuhl gefesselt war, hatte Aline seine Diamantengeschäfte für ihn weitergeführt. Barillards Aufgabe blieb weiterhin das Ausspähen der Juweliere nach lohnender Beute. Aline und Barillard begannen eine Affäre und beschlossen, Palmari aus dem Weg zu schaffen. Nachdem Aline ihrem Geliebten Palmaris Pistole zusteckte, verübte dieser den Mord in ihrer Abwesenheit. Die Entscheidung, wer von beiden die treibende Kraft hinter dem Plan war, überlässt Maigret dem neuen Untersuchungsrichter Ancelin. Er übergibt ihm das Paar nach einer Gegenüberstellung, in der beide voller Hass aufeinander losgehen, und widmet sich wieder dem Pariser Sommer.

Hintergrund

Simenon schrieb den Roman zwischen dem 25. Februar und 9. März 1965. Dabei wurde seine Arbeit eine Woche lang von einer Grippe unterbrochen. Der Roman gehört zu den selten Fällen, in denen Simenon, der seine Arbeitsphasen stets detailliert voraus plante, ein Werk nach einer solchen Unterbrechung zu Ende geführt hat.[1] Der Druck des Buches bei Presses de la Cité wurde am 15. November 1965 beendet. Der Roman wurde in Le Figaro in 23 Folgen vom 29. November bis 24. Dezember 1965 vorabgedruckt.[2]

Zum ersten Mal in der Maigret-Reihe schließt die Handlung von Maigret lässt sich Zeit direkt an den Vorgängerroman Maigret verteidigt sich an, seit dessen Geschehnissen in der Handlungszeit lediglich eine Woche vergangen ist. Bereits dort traten Manuel Palmari und Aline Bauche auf, und das Ende des Romans lautete: „Man sollte Maigret noch oft in der Rue des Acacias sehen.“ Trotz des Rückblicks auf die Geschehnisse des Vorgängers folgt die Handlung beider Romane einem unabhängigen Spannungsbogen und lässt sich auch einzeln lesen.[3]

Rezeption

Der Spiegel fand 1967 in dem Sammelband von Kiepenheuer & Witsch, der zusätzlich die Romane Maigret und das Dienstmädchen und Maigret verliert eine Verehrerin enthielt, schlicht „besten Krimistoff, einen Hauch von Sex, vor allem aber ein Sortiment von Conciergen und Kleinbürgern, von Kaffee- und Rumgerüchen impressionistischer Sommertage, wie es echter kaum ein zeitgenössisches Werk der ‚Hochliteratur‘ aufbringt.“[4]

Enttäuscht zeigte sich Tilmann Spreckelsen 42 Jahre später im Rahmen seines Maigret-Marathons von der Demontage der von ihm geschätzten Figur der Aline, die er als „plump“ empfand und in der Simenon „ein trauriges Bild“ abgäbe. Zudem bemängelte er kalendarische Unstimmigkeiten zum Vorgängerroman.[3] Auch Ulrich Schulz-Buschhaus zählte den Roman zu jenen Werken Simenons, die „so schludrig geschrieben“ seien, dass sie „selbst elementaren Forderungen handwerklich solider Schreibweise nicht zu genügen vermögen“. Dafür widme sich Simenon – ungewohnt für die Tradition des Kriminalromans – einer „ausführlichen Beschreibung eines Bistrot-Menüs“.[5]

Ganz anders urteilte Stanley. G. Eskin, der La Patience de Maigret unter „eine Handvoll erstklassiger Romane“ aus der dritten Periode der Maigret-Serie einordnete. Die tieferliegende Struktur des Romans lag für ihn im Zusammenspiel von „Finsternis“ und „Heiterkeit“. Nach sommerlichem Beginn im Landhaus in Meung-sur-Loire kehre Maigret am Ende einer „Geschichte um Mord, Grausamkeit und Betrug“ wieder in eine „‚sonnige‘ Welt zurück“ und betrachte einen Angler am Ufer der Seine.[6]

La Patience de Maigret wurde insgesamt fünf mal verfilmt: in den Fernsehserien mit Jan Teulings (1967), Gino Cervi (1968), Jean Richard (1984), Michael Gambon (1992) und Bruno Cremer (1993).[7] Im Jahr 1988 produzierte der WDR ein Hörspiel unter der Regie von Dieter Carls. Den Maigret sprach Charles Brauer.[8]

Ausgaben

  • Georges Simenon: La Patience de Maigret. Presses de la Cité, Paris 1965 (Erstausgabe).
  • Georges Simenon: Maigret hat Geduld. Maigret und das Dienstmädchen. Maigret verliert eine Verehrerin. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1967. Übersetzung: Hansjürgen Wille, Barbara Klau.
  • Georges Simenon: Maigret hat Geduld. Heyne, München 1967. Übersetzung: Hansjürgen Wille, Barbara Klau.
  • Georges Simenon: Maigret läßt sich Zeit. Diogenes, Zürich 1982. Übersetzung: Sibylle Powell.
  • Georges Simenon: Maigret lässt sich Zeit. Sämtliche Maigret-Romane in 75 Bänden, Band 64. Diogenes, Zürich 2009, ISBN 978-3-257-23864-8 Übersetzung: Sibylle Powell.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Biographie de Georges Simenon 1946 à 1967 auf Toutesimenon.com, der Internetseite des Omnibus Verlags.
  2. La Patience de Maigret auf der Seite von Michel Martina.
  3. a b Tilman Spreckelsen: Maigret-Marathon 64: Maigret lässt sich Zeit. Auf FAZ.net vom 17. Juli 2009.
  4. Kritik. In: Der Spiegel. Nr. 19, 1967, S. 167 (online).
  5. Ulrich Schulz-Buschhaus: Formen und Ideologien des Kriminalromans. Ein gattungsgeschichtlicher Essay. Athenaion, Frankfurt am Main 1975, ISBN 3-7997-0603-8, S. 157, 166.
  6. Stanley G. Eskin: Simenon. Eine Biographie. Diogenes, Zürich 1989, ISBN 3-257-01830-4, S. 404, 414.
  7. Maigret Films & TV auf der Maigret-Seite von Steve Trussel.
  8. Maigret läßt sich Zeit in der Hörspieldatenbank HörDat.

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