- Maigret bei den Flamen
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Maigret bei den Flamen (französisch: Chez les Flamands) ist ein Kriminalroman des belgischen Schriftstellers Georges Simenon. Er entstand im Januar 1932 in Cap d’Antibes und gehört zur ersten Staffel von 19 Romanen der insgesamt 75 Romane und 28 Erzählungen umfassenden Serie um den Kriminalkommissar Maigret. Der Roman wurde im Jahr 1932 vom Verlag Fayard veröffentlicht. Die erste deutsche Übersetzung von Hansjürgen Wille und Barbara Klau erschien 1964 bei Kiepenheuer & Witsch. 1980 veröffentlichte der Diogenes Verlag eine Neuübersetzung von Claus Sprick.[1]
Kommissar Maigret wird in diesem Roman in eine Kleinstadt nahe der belgischen Grenze gerufen, wo eine Familie flämischer Kaufleute im Verdacht steht, eine junge Französin umgebracht zu haben. In einem Klima von Fremdenfeindlichkeit und trübem Januarwetter ermittelt Maigret privat, um die Unschuld der Flamen zu beweisen.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Ein Vetter seiner Frau bittet Maigret um eine private Ermittlung in Givet, einer Kleinstadt in den Ardennen nahe der Grenze zu Belgien. Dort lebt unter dem Argwohn der französischen Bevölkerung die flämische Familie Peeters und betreibt ein Lokal mit Alkoholausschank. Den Mittelpunkt der Familie bildet Anna Peeters, eine stämmige, resolute junge Frau, die Maigret am Bahnhof abholt. Sie hat noch zwei Geschwister: Maria, Lehrerin bei den Ursulinen im belgischen Namur, und Joseph, der in Nancy Jura studiert. Obwohl Joseph von Jugend an mit seiner Cousine Marguerite Van de Weert verlobt ist und sie nach dem Willen des gesamten Familienclans heiraten soll, hat er ein uneheliches Kind mit Germaine Piedbœuf. Als diese nach einem Besuch bei den Peeters wegen ihrer Alimente verschwindet, verdächtigt die ganze Stadt die flämische Familie.
Auch Maigret, dem „Kommissar aus Paris“, schlägt die Feindseligkeit der Einheimischen entgegen. Besonders Germaines Bruder Gérard Piedbœuf hetzt die Dorfbewohner gegen den „Flamenfreund“ und vermeintlich willfährigen Helfer der Reichen auf. Dabei stellt Maigret überrascht fest, dass Anna eine unglückliche Liebesaffäre mit Gérard Piedbœuf hatte. Die Harmonie im Clan der Peeters scheint trotz aller Anschuldigungen ungetrübt. Schwestern und Cousine verehren Joseph und spielen für ihn am Klavier immer wieder Solveigs Lied. Nur Joseph zeigt sich in den Gesprächen mit Maigret unsicher und unentschlossen, ob seine Gefühle Marguerite oder Germaine gelten. Als die tote Germaine gefunden wird, gerät Gustave Cassin ins Visier der Ermittlung, der mit seinem Schlepper in der Maas vor Anker liegt. Er ist Alkoholiker und mehrfach vorbestrafter Sittlichkeitsverbrecher. Dazu legt er wiederholt falsche Spuren, und an Bord seines Schiffes wird ein Mantel des Opfers und die Mordwaffe, ein Hammer, gefunden.
Als sich der Verdächtige nun absetzt, ist für Inspektor Machère, den lokalen Ermittler, der Fall gelöst. Nur Maigret zieht es immer wieder ins Haus der Flamen, wo er die Familie Peeters so lange bedrängt, bis ihm Anna gesteht, was er längst weiß: Sie hat Germaine bei deren Besuch mit dem Hammer erschlagen. Die Tat war von langer Hand vorbereitet, um ihren Bruder vom Umgang des Mädchens zu befreien, doch zum Auslöser wurde eine abschätzige Bemerkung Germaines über Annas Beziehung zu Gérard. Ihre Geschwister und Cousine halfen Anna beim Wegschaffen der Leiche. Schließlich boten sie Cassin Geld, damit dieser untertaucht und den Verdacht auf sich lenkt. Doch während Maria im Kloster Ängste aussteht und Joseph resigniert in die ihm vorbestimmte Zukunft blickt, behält Anna auch beim Geständnis weiter ihre Fassung. Für Maigret ist die ganze Geschichte gleichzeitig billig, gemein und alltäglich. Er überlässt die Flamen ihrem Schicksal und begründet seine Abreise damit, dass er außer Dienst in Givet weile.
Ein Jahr später wird noch immer nach dem untergetauchten Cassin gefahndet, und Maigret trifft Anna wieder. Sie ist merklich gealtert, lebt in einem Heim für alleinstehende Frauen in Paris und arbeitet als Sekretärin. Maria ist vor dem Eintritt ins Kloster gestorben, Joseph hat Marguerite geheiratet, doch seine Ehe ist unglücklich, er trinkt und hat seine Anwaltspraxis aufgegeben. Anna weint und macht Maigret zornig für das Schicksal ihrer Familie verantwortlich. Doch dann unterdrückt sie ihren Gefühlsausbruch wieder und kommt ihren beruflichen Pflichten nach.
Hintergrund
Im Jahr 1929 kaufte Georges Simenon einen Fischkutter namens Ostrogoth, mit dem er im folgenden Jahr die Küsten Belgiens und der Niederlande befuhr. Auf dieser Reise entwarf Simenon erstmals die Figur des Maigret. Sie führte ihn im Frühjahr 1929 auch in die zwei Städte, die die Kulisse für den Roman Maigret bei den Flamen bilden: Givet und Namur. Simenon verarbeitete im Roman zahlreiche Details der beiden Städte, veränderte jedoch die Namen.[2] Während der Untersuchung erinnert sich Maigret an einen Fall, der ihn in die Niederlande führte, wo dieselbe ruhige, aber drückende Atmosphäre herrschte. Simenon spielt damit auf den Roman Un crime en Hollande (deutsch: Maigret und das Verbrechen in Holland) an, der ein Jahr zuvor erschienen war.[3]
Als zweite Inspirationsquelle diente Simenon die eigene Familie. Eine Schwester seiner Mutter betrieb in Lüttich einen Laden für Geschäfte mit den Flussschiffern der Maas. In seinem autobiografischen Roman Stammbaum beschrieb Simenon diesen Laden: „Schließlich der einzigartige, der wundersame Geruch dieses Hauses, in dem es nichts Uninteressantes gibt, wo alles außergewöhnlich, alles unüblich ist, so als hätte man viele Jahre gebraucht, um es zu gestalten. Dominiert der Geruch von Genever? Ist es der fadere Geruch der Lebensmittel? Hier wird nämlich alles verkauft, es gibt alles in dem Laden […]“[4] Wie die Familie Peeters hatte auch die echte Familie Croissant drei Kinder: Joséphine, Maria und Joseph. Maria arbeitete als Lehrerin und Joseph hatte ein Kind mit einer Einheimischen gezeugt. Der Non-Maigret-Roman Chez Krull (deutsch: Der fremde Vetter) von 1939 griff das Vorbild der Familie Croissant noch einmal auf.[3]
Der Konflikt zwischen den französischen Einheimischen und der flämischen Familie Peeters erinnert an den flämisch-wallonischen Konflikt in Simenons Heimatland Belgien.[5] Auch seine eigene Familie spiegelte dieses Spannungsfeld wider: Die Simenons der väterlichen Linie waren ursprünglich Flamen, hatten sich aber bereits seit Generationen als Wallonen assimiliert und behaupteten eine direkte Abstammung von französischen Bretonen. Simenons Mutter hingegen stammte aus einer niederländisch-deutschen Verbindung und fühlte sich ihr Leben lang in Lüttich als Ausländerin, die nicht fließend Französisch sprach.[6]
Als Leitmotiv in Maigret bei den Flamen dient Solveigs Lied aus der Peer-Gynt-Suite, das die Frauen der Peeters-Familie immer wieder für den Bruder Joseph spielen: „Mein holder Verlobter, gewiss, du wirst mein.“ Edvard Grieg komponierte das Lied für Henrik Ibsens Drama Peer Gynt. Auch inhaltlich zieht Simenons Roman eine Parallele zum Dramenstoff: Wie Peer Gynt durch die Liebe seiner Mutter und seiner Geliebten gerettet wird, die ihn als Helden bewundern, heroisieren die weiblichen Mitglieder der Familie Peeters den in Wahrheit so gar nicht heldenhaften Joseph.[3] Joachim Campe sieht in den Beziehungen innerhalb der Familie Peeters gar „veritable Verstrickungen inzestuöser Natur“.[7]
Rezeption
Für Jean Améry reihte sich Chez Les Flamands unter „einige der Meisterwerke“ in Simenons Werk ein.[8] Die Frauenzeitschrift Annabelle fasste zusammen: „In gewohnter Manier nistet sich der brummige Denker Maigret in die Lebenswelt der Betroffenen ein, holt sich dabei einen Schnupfen und drückt am Ende beide Augen zu.“[9] Und Tilman Spreckelsen beschrieb: „Das Brodeln hinter der Fassade ist eine Obsession des Kommissars […]. In diesem Buch darf dann mal Grieg der Katalysator für die Eruption sein.“[10]
Chez Les Flamands wurde drei mal verfilmt: in den TV-Serien mit Rupert Davies (1963), Jean Richard (1976) und Bruno Cremer (1992).[11] 1994 erschien eine Comic-Adaption von Odile Reynaud und Frank Brichau, die der Ehapa Verlag ins Deutsche übertrug. 1998 las Edgar M. Böhlke den Roman für Steinbach sprechende Bücher als Hörbuch ein.
Ausgaben
- Georges Simenon: Chez Les Flamands. Fayard, Paris 1932 (Erstausgabe).
- Georges Simenon: Maigret bei den Flamen. Übersetzung: Hansjürgen Wille, Barbara Klau. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1964.
- Georges Simenon: Maigret bei den Flamen. Übersetzung: Hansjürgen Wille, Barbara Klau. Heyne, München 1971.
- Georges Simenon: Maigret bei den Flamen. Übersetzung: Claus Sprick. Diogenes, Zürich 1980, ISBN 3-257-20718-2.
- Georges Simenon: Maigret bei den Flamen. Sämtliche Maigret-Romane in 75 Bänden, Band 14. Übersetzung: Claus Sprick. Diogenes, Zürich 2008, ISBN 978-3-257-23814-3.
Literatur
- Michel Lemoine, Michel Carly: Les Chemins Belges de Simenon. Editions du Céfal, Lüttich 2003, ISBN 2-87130-127-1, S. 61–72.
Weblinks
- Maigret bei den Flamen auf maigret.de.
- Tilman Spreckelsen: Maigret-Marathon 14: Bei den Flamen. Auf FAZ.net vom 11. Juli 2008.
- Maigret of the Month: Chez les Flamands (The Flemish Shop) auf der Maigret-Seite von Steve Trussel. (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Oliver Hahn: Bibliografie deutschsprachiger Ausgaben. Georges-Simenon-Gesellschaft (Hrsg.): Simenon-Jahrbuch 2003. Wehrhahn, Laatzen 2004, ISBN 3-86525-101-3, S. 52.
- ↑ Vgl. das Kapitel Chez les Flamands, de Givet à Namur. In: Michel Lemoine, Michel Carly: Les Chemins Belges de Simenon, S. 61–72.
- ↑ a b c Maigret of the Month: Chez les Flamands (The Flemish Shop) auf der Maigret-Seite von Steve Trussel. (englisch)
- ↑ Georges Simenon: Stammbaum. Pedigree. Diogenes, Zürich 1984, ISBN 3-257-21217-8, S. 100.
- ↑ Anschluss an Frankreich? auf maigret.de.
- ↑ Fenton Bresler: Georges Simenon. Auf der Suche nach dem „nackten“ Menschen. Ernst Kabel, Hamburg 1985, ISBN 3-921909-93-7, S. 26–28.
- ↑ Joachim Campe: Der stabilisierte Konflikt. Ästhetische Technik und ihr Adressat in einem Roman Simenons. In: Anton Kaes, Bernhard Zimmermann (Hrsg.): Literatur für viele. Studien zur Trivialliteratur und Massenkommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1975, ISBN 3-525-21002-7, S. 162.
- ↑ Jean Améry: Das fleißige Leben des Georges Simenon. In: Claudia Schmölders, Christian Strich (Hrsg.): Über Simenon. Diogenes, Zürich 1988, ISBN 3-257-20499-X, S. 108.
- ↑ Zitiert nach: Maigret bei den Flamen beim Diogenes Verlag.
- ↑ Tilman Spreckelsen: Maigret-Marathon 14: Bei den Flamen. Auf FAZ.net vom 11. Juli 2008.
- ↑ Maigret bei den Flamen auf maigret.de.
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