Charta der Grundrechte

Charta der Grundrechte

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ist eine noch nicht rechtlich bindende Kodifizierung der Grundrechte auf Ebene der Europäischen Union. Mit der Charta sind die Grundrechte erstmals umfassend schriftlich und in einer verständlichen Form niedergelegt. Sie orientiert sich an der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Charta wurde ursprünglich vom ersten europäischen Konvent unter dem Vorsitz von Roman Herzog erarbeitet. Sie wurde anschließend von einer Reihe von Organen, unter anderem dem Europaparlament und dem Rat der Europäischen Union gebilligt und zur Eröffnung der Regierungskonferenz von Nizza am 7. Dezember 2000 von den Staats- und Regierungschefs feierlich proklamiert – sie bleibt jedoch zunächst unverbindlich.

Die Charta bildet Teil II des Europäischen Verfassungsvertrages, wie er am 29. Oktober 2004 unterzeichnet wurde und 2007 in Kraft treten sollte. Nachdem die Ratifizierung der Verfassung gescheitert ist, soll nun bis 2009 ein neuer EU-Grundlagenvertrag die europäische Einigung voranbringen. Die Grundrechtecharta ist nicht mehr Teil des Vertrags. Durch einen Verweis soll sie jedoch 2009 für alle Staaten, ausgenommen Großbritannien und Polen, für bindend erklärt werden [1]. Die Proklamation der Grundrechtecharta erfolgte am 12. Dezember 2007. [2]

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgeschichte

Nach den auf Initiative der deutschen Bundesregierung gefassten Beschlüssen des Europäischen Rats in Köln (3./4. Juni 1999) und Tampere (15./16. Oktober 1999) erarbeitete ein Konvent aus 15 Beauftragten der Staats- und Regierungschefs und einem Vertreter der Europäischen Kommission, 16 Mitgliedern des Europäischen Parlaments und 30 nationalen Parlamentariern (zwei aus jedem Mitgliedstaat) den „Entwurf einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union“. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog wurde auf der konstituierenden Sitzung des Konvents am 17. Dezember 1999 zum Vorsitzenden des Konvents gewählt. Deutschland war durch den Abgeordneten Jürgen Meyer (SPD) bzw. dessen Stellvertreter im Konvent, Peter Altmaier (CDU) und durch den Minister für Europaangelegenheiten des Landes Thüringen, Jürgen Gnauck, bzw. dessen Vertreter, den früheren Landesminister für Europaangelegenheiten Niedersachsens, Wolf Weber, vertreten.

Nach neun Monaten intensiver Debatten im Konvent und breitgefächerter Anhörungen gesellschaftlicher Gruppen, der Beitrittsländer und maßgeblicher Institutionen billigte der Konvent in seiner feierlichen Abschlusssitzung am 2. Oktober 2000 den Entwurf der Charta. Die Öffentlichkeit war über Veranstaltungen, Medien und Internet und zahlreiche schriftliche Eingaben beteiligt. Auch die Vertreter des Europäischen Gerichtshofs, des Europarats und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begrüßten den Entwurf als mitberatende Beobachter ausdrücklich.

Der Europäische Rat (Biarritz 13./14. Oktober 2000) und das Europäische Parlament (14. November 2000) erklärten ihre Zustimmung. Der Deutsche Bundestag (28. November 2000) und der Bundesrat (1. Dezember 2000) verabschiedeten jeweils Anträge, die die Charta begrüßen und ihre Aufnahme in die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union empfehlen. Dies sollte nun durch die Europäische Verfassung erreicht werden.

Im Europäischen Konvent befasste sich die Arbeitsgruppe II „Charta“ mit der Frage, in welcher Form diese rechtsverbindlicher Teil der Verfassung werden sollte [3]. Die Charta der Grundrechte wurde nun als Teil II in den Vertrag über eine Verfassung für Europa integriert. Hierbei wurde die Charta nahezu unverändert übernommen. Die Nummerierung der Artikel wurde angepasst.

Ziele, Inhalt und Bindungswirkung der Charta

Die Charta enthält die auf Ebene der Union geltenden Grundrechte, die bisher nur als allgemeiner Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention und auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Vertrag genannt werden (Artikel 6 Absatz 2 des EU-Vertrags). Damit werden die Grundrechte für den Einzelnen transparenter. Zugleich sollen Identität und Legitimität der Europäischen Union gestärkt werden.

In sechs Kapiteln (Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte) fasst die Charta die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte in einem Dokument zusammen. Ein weiteres Kapitel regelt die so genannten horizontalen Fragen; es enthält die Regeln, die querschnittsartig für alle Grundrechte gelten (Adressaten der Grundrechte, Grundrechtsschranken, Verhältnis zu anderen Grundrechtsgewährleistungen, insbesondere zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Missbrauchsverbot). Einige Abschnitte der Charta wurden relativ unklar gehalten, so ist z. B. in Artikel 6 das Recht jeder Person „auf Freiheit und Sicherheit“ festgeschrieben, wobei unbestimmt bleibt, wie etwa individuelle Freiheit gegenüber kollektiver Sicherheit zu gewichten ist.

In 54 Artikeln werden den europäischen Bürgern umfassende Rechte zugesichert. Artikel II-61 VVE sieht man deutlich die Handschrift des deutschen Verfassungsrechtlers und damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog an: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (entspricht Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes). Doch ist die Charta im Schutzbereich weiter als die Rechte im deutschen Grundgesetz; sie sichert neben den klassischen Bürgerrechten wie Rede-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit auch den Verbraucherschutz, den Datenschutz, ein „Recht auf eine gute Verwaltung“ und weitgehende Rechte von Kindern, Behinderten und Alten. Auch soziale Rechte wurden in die Charta aufgenommen. So sind unter anderem „würdige Arbeitsbedingungen“ und eine kostenlose Arbeitsvermittlung garantiert.

Die Reichweite der Grundrechte wird aus der Charta selbst heraus nicht ersichtlich. Die Grenzen der einzelnen Grundrechte ergeben sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, auf die verwiesen wird. Der Artikel II-112 VVE ist insofern von weitreichender Bedeutung.

Die Grundrechtecharta bindet zum einen die Gemeinschaftsorgane. Zum anderen bindet sie die Organe der Mitgliedstaaten, aber nur insoweit diese Gemeinschaftsrecht ausführen. Der Europäische Gerichtshof hat dagegen mitunter die Tendenz, Gemeinschaftsgrundrechte großzügig anzuwenden. [4]

Antidiskriminierung

Im Artikel II-81 sind mehr Gruppen aufgelistet, deren Diskriminierung verboten sind, als im Vertrag der EG, Artikel 13, welcher bisher Grundlage der nationalen Antidiskriminierungsgesetze ist. Wörtlich heißt es:

"Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten."

Literatur

  • Hans D. Jarass: EU-Grundrechte. Verlag C. H. Beck, 1. Auflage, München 2005, ISBN 3-406-53215-2.
  • Jürgen Meyer (Hrsg.): Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Kommentar. Nomos, 2. Auflage, Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1583-4.
  • Hans-Jörg Derra (Hrsg.): Freiheit, Sicherheit und Recht. Festschrift für Jürgen Meyer zum 70. Geburtstag. Nomos, 1. Aufl., Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1848-5.
  • Norbert Bernsdorff / Martin Borowsky: Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Handreichungen und Sitzungsprotokolle. Nomos, 1. Aufl., Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-8177-9.
  • Hans-Werner Rengeling [1] / Peter Szczekalla [2]: Grundrechte in der Europäischen Union. Charta der Grundrechte und Allgemeine Rechtsgrundsätze. Carl Heymanns Verlag, Köln u. a. 2004, ISBN 3-452-25567-0.
  • Peter J. Tettinger, Klaus Stern: Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen Grundrechte-Charta. Verlag C.H.Beck, 1. Auflage, München 2006.
  • Georg J. Schmittmann: Rechte und Grundsätze in der Grundrechtecharta. Carl-Heymanns-Verlag, 1. Auflage 2007, Herausgegeben von Ulrich Pieper, Volker Epping, ISBN 3-452-266-168.
  • Heike Baddenhausen, Michal Deja: Schutz der Grundrechte in der EU nach dem Vertrag von Lissabon. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Analysen 8/08 vom 20. Februar 2008.
  • Martin Kober: Der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union - Bestandsaufnahme, Konkretisierung und Ansätze zur Weiterentwicklung der europäischen Grundrechtsdogmatik anhand der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Herbert Utz Verlag, 1. Auflage, München 2009, ISBN 978-3-8316-0821-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die Bundesregierung Deutschland: Ergebnisse des Europäischen Rates vom 23. Juni 2007 Presseerklärung vom 23. Juni 2007.
  2. http://www.tagesschau.de/ausland/grundrechtecharta2.html Tagesschau:Ein EU-Abkommen für Jedermann
  3. http://register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00354d2.pdf vgl. Abschlussbericht
  4. FAZ:Eine Frage der Legitimation und Akzeptanz
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