Kinderrechte

Kinderrechte

Als Kinderrechte werden die Rechte von Kindern und Jugendlichen bezeichnet. Weltweit festgeschrieben sind sie in der UN-Kinderrechtskonvention (im Folgenden UN-KRK), die am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und heute von den meisten Staaten der Erde ratifiziert worden ist, woraus sich eine universelle Verbindlichkeit der Kinderrechte ableiten lässt. Dieser Beschluss war das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses nach dem Zweiten Weltkrieg, an dessen Anfang die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 stand.

Inhaltsverzeichnis

Grundlegende Kinderrechte

In der UN-KRK werden alle Personen unter 18 Jahren als Kinder definiert und es wird bekräftigt, dass allen Kindern alle Menschenrechte zustehen. Insgesamt beinhaltet die Konvention 54 Kinderrechtsartikel sowie zwei Zusatzprotokolle zur Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und gegen den Verkauf und die sexuelle Ausbeutung von Kindern. In vielen Punkten ähneln diese Artikel den Grundrechtskatalogen westlicher Prägung. So werden darin etwa Meinungs-, Religions- und Informationsfreiheit thematisiert.

Den Kinderrechten in der UN-KRK liegen vier zentrale Grundprinzipien zugrunde, die der „UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes“ in Genf als „Allgemeine Prinzipien“ (general principles) definiert hat. Diese allgemeinen Prinzipien finden sich in den Artikeln 2, 3, 6 und 12.[1]

  • Nichtdiskriminierung (Artikel 2): Alle Rechte gelten ausnahmslos für alle Kinder. Der Staat ist verpflichtet Kinder und Jugendliche vor jeder Form der Diskriminierung zu schützen. Die Aufhebung von Antidiskriminierung steht besonders im Vordergrund, da bereits in der Präambel explizit die Gleichbehandlung aller Menschen von Geburt an hervorgehoben wird.
  • Vorrang des Kindeswohls (Artikel 3): Das Generalprinzip der Orientierung am Kindeswohl verlangt, dass bei allen Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen das Wohlergehen des Kindes vordringlich zu berücksichtigen ist.
  • Entwicklung (Artikel 6): Das Grundprinzip sichert das Recht jedes Kindes auf Leben, Überleben und Entwicklung.
  • Berücksichtigung der Meinung des Kindes (Artikel 12): Kinder haben das Recht, in allen Angelegenheiten, die sie betreffen, unmittelbar oder durch einen Vertreter gehört zu werden. Die Meinung des Kindes muss angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife berücksichtigt werden.[1]

Darüber hinaus finden sich in dem „Gebäude der Kinderrechte“ zahlreiche weitere Rechte von Kindern, die sich in Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte unterscheiden lassen.

  • Schutzrechte (Protection): Rechte auf Schutz der Identität, der Privatsphäre, Schutz vor Trennung von den Eltern gegen den Willen des Kindes (insofern dies nicht dem Schutz des kindlichen Wohlbefindens entgegensteht), Schutz vor Schädigung durch Medien, vor Gewaltanwendung, Misshandlung oder Vernachlässigung, vor wirtschaftlicher Ausbeutung, vor Suchtstoffen, vor sexuellem Missbrauch, vor Entführung, Schutz von Kinderflüchtigen und Minderheiten, Schutz bei bewaffneten Konflikten, Schutz in Strafverfahren und Verbot von Todesstrafe und lebenslanger Freiheitsstrafe
  • Förderrechte (Provision): Recht auf Leben und Entwicklung, auf Familienzusammenführung, auf Versammlungsfreiheit, Recht auf beide Eltern, auf Förderung bei Behinderung, auf Gesundheitsvorsorge, auf angemessenen Lebensstandard, auf Bildung, auf kulturelle Entfaltung, auf Ruhe, Freizeit, Spiel und Entfaltung, auf Integration geschädigter Kinder, Zugang zu Medien
  • Beteiligungsrechte (Participation): Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Informationsbeschaffung und –weitergabe sowie Recht auf Nutzung kindgerechter Medien

Geschichte der Kinderrechte

Bis in die Neuzeit hinein wurden Kinder jahrtausendelang von Geburt an zu den Besitztümern der Eltern gezählt. Insofern hatten die Kinder keine spezifischen Freiräume, in denen sie sich zu eigenständigen Individuen entwickeln konnten. Sie waren in ihrem Lebensweg (Schule, Ausbildung, Beruf) ausschließlich von den Wünschen ihrer Eltern abhängig und mussten sich dem Familienoberhaupt bedingungslos unterordnen. Beispielsweise hatte der Vater im alten Rom, entsprechend der patriarchalisch geprägten römischen Gesellschaftsordnung, das uneingeschränkte Recht, über Leben oder Tod seines neugeborenen Kindes zu entscheiden (ius vitae et necis).[2][1]

Frühmoderne

Erst mit der Aufklärung hat sich das Bild der Kindheit als eigenständiger Lebensabschnitt, wie wir sie heute sehen, gebildet. Die Erklärung der Menschenrechte der französischen Revolution (Déclaration des droits de l'homme, 1789) besagt in Artikel 1: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ Dabei folgen aus der expliziten Nennung der ganzen Lebensspanne als Grundlage der Rechte noch keine besonderen Überlegungen in Bezug auf Kinder. In der Folge gab es jedoch erste Verbesserungen, insbesondere hinsichtlich des Arbeitsschutzes von und der Gewaltanwendung gegenüber Kindern: So wurden in Großbritannien 1833 die Fabrikarbeit für Kinder unter neun Jahren verboten. 1896 setzte das Bürgerliche Gesetz in Deutschland „grobe“ Misshandlung und „unangemessene“ Züchtigung durch Eltern, aber auch durch andere Bezugspersonen, wie bspw. Lehrer und Heimerzieher unter Strafe. 1899 wurden in den Vereinigten Staaten erstmals eigene Gerichte für Jugendliche institutionalisiert. Zuvor waren Kinder vor Gericht wie Erwachsene behandelt worden. Die Kindheit als schützenswerter Lebensabschnitt und mit besonderen Bedürfnissen war geboren.

Diese Entwicklungen führten zu immer expliziteren Formulierungen von kindlichen Bedürfnissen und Forderungen nach einer stärkeren rechtlichen Trennung zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht. In der gleichen Zeit brachte aber besonders die Entfremdung der Arbeit und die Entwicklung der modernen Kleinfamilie eine Vielzahl von Problemen für die Kinder und ihre Versorgung mit sich (wie beispielsweise die Vernachlässigung von Kleinkindern in der Arbeitszeit). Die ersten Formen der Fürsorgeerziehung und des Jugendschutzes sind vor allem als Repressionsmaßnahmen zu verstehen. Aus heutiger Sicht sind viele bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gängige Erziehungspraxen als Kindesmisshandlungen zu bewerten.

Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Die Genfer Erklärung

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts und der damit verbundenen Industrialisierung sowie der Einführung der Schulpflicht gewann die Kinderrechtsbewegung zunehmend an Gewicht. So rief die schwedische Reformpädagogin und Frauenrechtlerin Ellen Key das 20. Jahrhundert zum Jahrhundert des Kindes aus. Aufgerüttelt durch das massenhafte Elend der Flüchtlingskinder nach dem Ersten Weltkrieg gründete die englische Grundschullehrerin Eglantyne Jebb das britische Komitee „Save the Children International Union”. Überzeugt von der Notwendigkeit für die Interessen des Kindes einzutreten, entwarf sie ein Fünf-Punkte-Programm. Diese Children’s Charter ließ sie dem Völkerbund in Genf 1923 mit folgenden Worten zukommen: „Ich bin davon überzeugt, dass wir auf bestimmte Rechte der Kinder Anspruch erheben und für die allumfassende Anerkennung dieser Rechte arbeiten sollten.“ Die Charta wurde am 24. September 1924 von der Generalversammlung des Völkerbundes verabschiedet. Besser bekannt als Genfer Erklärung, sollte sie vor allem die Versorgung und den Schutz von Kindern in der Zwischenkriegszeit gewährleisten. Darüber hinaus enthielt sie grundlegende Rechte der Kinder in Bezug auf ihr Wohlergehen. Allerdings besaß sie keinen rechtsverbindlichen Charakter. Mit der Auflösung des Völkerbundes 1946 verlor sie zudem ihre Grundlage.

Magna Charta Libertatum

Anfang der 1920er Jahre schrieb der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak in seiner „Magna Charta Libertatum“ das Recht der Kinder auf eine uneingeschränkte Achtung ihrer Persönlichkeit als Grundlage sämtlicher Kinderechte. Er war mit seiner Anschauung, dass Kinder den Erwachsenen gleichwertig und mit Respekt zu behandelnde Menschen sind, seiner Zeit weit voraus und forderte umfassende Beteiligungsrechte für Kinder.

Nachkriegszeit

Die Erklärung der Rechte des Kindes

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg führten die Vereinten Nationen als Nachfolger des Völkerbundes die Gespräche fort. In der Folge bildeten sich zahlreiche Nebenorgane und Sonderorganisationen der UN heraus, die sich den weltweit stellenden Herausforderungen annehmen sollten. So wurde 1945 die UNESCO gegründet, die unter anderem für die Sicherung eines Grundrechts auf Bildung eintritt. 1946 wurde UNICEF, das Kinderhilfswerk der UN zur Unterstützung der vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Kinder gegründet. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung von 1948 wird das Recht der Familie auf Unterstützung (Artikel 25) sowie das Recht auf Bildung (Artikel 26) zugesichert.

Seit 1953 ist UNICEF fester Bestandteil der UN und konzentriert sich auf die Hilfe für auf der Welt in Not lebende Kinder. Hierbei gilt das Prinzip, dass die Bedürfnisse der Kinder wichtiger sind, als jeglicher internationaler Konflikt. Mit der Gründung der UN wurde aber gleichzeitig die Erklärung der Kinderrechte von 1924 (Genfer Erklärung) aufgehoben. Aus der Absicht, die Genfer Erklärung mit wenigen Anpassungen von der UN anerkennen zu lassen, wurde nach mehrjährigen Vorarbeiten am 20. November 1959 die Erklärung der Rechte des Kindes von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Erstmals in der Geschichte der Kinderrechte wurde hier das Kind als eigenständiger Rechtsträger bezeichnet sowie der Begriff des Kindeswohls eingeführt. Trotz allem aber blieb auch die Erklärung der Rechte des Kindes ohne rechtliche Bindung, obwohl diese einstimmig verabschiedet wurde. Ebenfalls im Jahr 1959 wurde in der Schweiz „terre des hommes“ zur Hilfe für in Not lebender Kinder gegründet – eine deutsche Sektion gründete sich 1967. Für Unicef steht seit den 1960er Jahren nicht mehr der Kinderschutz im Fokus der Arbeit, sondern vielmehr das kindliche Wohlergehen sowie die Bekämpfung von Kinderarmut.

Die Konvention über die Rechte des Kindes

Im Rahmen des internationalen Jahres des Kindes, 1979 zum 20. Jahrestag der „Erklärung der Rechte des Kindes“ durch die Vereinten Nationen ausgerufen, unterbreitete Polen den Vorschlag, die Erklärung von 1959 in einen völkerrechtlich bindenden Vertrag umzuwandeln. Am 20. November 1989, 30 Jahre nach der Erklärung der Rechte, verabschiedete die UN die internationale Kinderrechtskonvention, die erstmals einen rechtsverbindlichen Charakter hatte. Sie trat am 20. November 1990 in Kraft. Der 20. November ist seitdem der Internationale Tag der Kinderrechte. „Das Übereinkommen ist insofern einmalig, als es die bisher größte Bandbreite fundamentaler Menschenrechte – ökonomische, soziale, kulturelle, zivile und politische - in einem einzigen Vertragswerk zusammenbindet“.[1]

Als charakteristisches Merkmal dieser Zeit ist ein Perspektivenwechsel vom Schutzgedanken hin zum kindlichen Wohlbefinden (und die Bekämpfung von Kinderarmut) zu konstatieren - gemäß der UN-KRK vom November 1989. Das Konzept des Kindeswohls unterscheidet sich in seinem Wirkungsgrad entscheidend von seinen Vorgängerideen, wie dem des Kinderschutzes oder dem der Kinderwohlfahrt, da dem Kind darin erstmals eigene Rechte zugestanden werden, die mit den Rechten erwachsener Personen vergleichbar sind. Es muss aber auch erwähnt werden, dass ‚Kindeswohl’ ein bewusst breit angelegter Begriff ist, der je nach Fachdisziplin anders definiert wird und dass die Messung kindlichen Wohlbefindens variiert.

Gegenwart

Weltkindergipfel

Zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Kinderrechtskonvention fand 1990 in New York der erste Weltkindergipfel statt. Dort wurde ein Programm für das Überleben, den Schutz und die Entwicklung von Kindern, insbesondere in Entwicklungsländern, verabschiedet. Der zweite Weltkindergipfel fand 2002 statt. Auf dieser zweiten Konferenz wurde unter dem Titel „A World fit for Children“ ein Abschlussdokument verabschiedet, dass weltweit die Lebenssituation der Kinder verbessern soll. Neben Vertretern von mehr als 180 Staaten, wurden zum aller ersten Mal auch Kinder und Jugendliche in der Vollversammlung der UN angehört.

Zusatzprotokolle

In der Folge ist die Kinderrechtskonvention noch durch zwei Zusatzprotokolle, die beide 2002 in Kraft traten, konkretisiert und ausgeweitet worden. Das erste Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention betreffend die Verwicklung von Kindern in bewaffneten Konflikten besagt, dass Minderjährige nicht zwangsweise zum Militärdienst eingezogen werden dürfen. Ein zweites Zusatzprotokoll betrifft das Verbot von Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie. Es fordert die Staaten ausdrücklich dazu auf, diese Formen der Ausbeutung als Verbrechen zu verfolgen und unter Strafe zu stellen.

Umsetzung und Einhaltung der Rechte

Die Kinderrechtskonvention ist von allen Staaten der Welt - mit Ausnahme der USA und Somalia- ratifiziert worden. Somit gilt sie für knapp zwei Milliarden Kinder und kann durchaus als eines der erfolgreichsten Menschenrechtsdokumente bezeichnet werden. Allerdings gibt es in den Ländern, trotz der rechtlichen Festschreibung, bis heute sehr unterschiedliche Fortschritte in der Umsetzung und Kontrolle. Zu kritisieren ist, dass die aufgedeckten Mängel bisher weitestgehend ohne rechtliche Folgen bleiben. Verschiedene Organisationen bemängeln, dass fast 20 Jahre nach der Ratifizierung der Grad der Kinderbeteiligung faktisch äußerst niedrig ist, wenn es um die Erfüllung der ihnen zugesprochenen Rechte geht – obwohl sie laut UN-KRK „in alle sie betreffenden Angelegenheiten“ einbezogen werden sollen.[3][4]

Es existieren de facto keine juristischen Instanzen, die Sanktionen aussprechen oder die Wahrung der Kinderrechte verbindlich einfordern. Die Einführung eines Individualbeschwerderechtes für Kinder vor dem internationalen Gerichtshof wäre beispielsweise eine Möglichkeit, um Verstöße gegen die UN-KRK effektiver zu ahnden.

Im Prinzip soll die Einhaltung der Kinderrechte bisher durch ein spezielles „Monitoring“ gewährleistet werden, dass die Abweichungen zwischen Recht haben, seine Rechte kennen und Recht bekommen für die Kinder aufdecken und auf Basis der Selbstverpflichtung der Staaten abgebaut werden sollen. Als Grundlage für das „Monitoring“ dienen die obligatorischen (1) Berichte der beteiligten Staaten und (2) mehrere Stellen der Zusammenarbeit unter den Organisationen.

(1) Alle fünf Jahre müssen die Unterzeichnerstaaten dem „UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes“ (Kinderrechtsausschuss) einen Staatenbericht über ihre Bemühungen zur Umsetzung der Konvention vorlegen. Der erste Rechenschaftsbericht wurde zwei Jahre nach Inkrafttreten der UN-KRK fällig. Mit jedem Bericht geben die Vertragsstaaten Auskunft darüber, inwieweit die Kinderrechte bei ihnen garantiert sind und welche Fortschritte es gibt. (2) Neben den jeweiligen Regierungen der Länder werden vom UN-Ausschuss auch zivilgesellschaftliche Institutionen gehört. In vielen Ländern wacht zu diesem Zweck eine „National Coalition“, also ein Bündnis aus mehreren Kinderrechtsorganisationen, über die Einhaltung der staatlichen Verpflichtungen.

Welche Erfolge und Mängel stehen aber als Ergebnisse bei der Umsetzung der verbrieften Kinderrechte? Nach Angaben von terre des hommes wurden seit der Verabschiedung 1989 durchaus einige Fortschritte erzielt: Nationale Aktionspläne zur Umsetzung der Konvention entstanden; die Kindersterblichkeit ist weltweit gesunken. Die Einschulungsrate von Jungen und Mädchen hat sich auf 85 Prozent erhöht (2006). Die weibliche Genitalverstümmelung ist fast überall gesetzlich verboten. Rund 100.000 ehemalige Kindersoldaten wurden zwischen 2001 und 2006 demobilisiert. Inzwischen sind in über 100 Staaten körperliche Züchtigungen in Schulen verboten. Andererseits verweist terre des hommes auf noch immer große Missstände: Trotz Verbot der Genitalverstümmelung werden in 26 Ländern Afrikas und im Jemen täglich 8.000 Mädchen beschnitten. Trotz Demobilisierung ist der Einsatz von 250.000 Kindersoldaten in 19 Konfliktgebieten dokumentiert. Täglich sterben 25.000 Kinder unter fünf Jahren, die meisten an Krankheiten wie Durchfall, Masern oder Lungenentzündung. Hunderttausende Kinder infizieren sich jährlich mit dem HI-Virus. In den Entwicklungsländern ist jedes vierte Kind unter fünf Jahren untergewichtig und bleibt deshalb in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung zurück. Das Recht auf Bildung ist vielen Kindern verwehrt. Etwa 75 Millionen Kinder besuchen keine Schule, mehr als die Hälfte davon sind Mädchen. Sechs Millionen Kinder leiden unter Zwangsarbeit oder Schuldknechtschaft und jährlich werden über eine Million von Menschenhändlern verkauft. Vermutlich mehr als 1,8 Millionen Minderjährige werden sexuell ausgebeutet für Prostitution und Pornografie. Weltweit sitzen eine Million Menschen unter 18 Jahren in Haftanstalten ein.[3]

In der Bundesrepublik Deutschland hat der Bundesrat erst im Frühjahr 2010 für eine Kehrtwende hinsichtlich der Kinderrechte gesorgt, indem er für die Rücknahme der 1992 ratifizierten Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention votierte. Bis zu dieser Entscheidung stand also nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch im Fall von Deutschland die konsequente Umsetzung der UN-Konvention aus. Flüchtlingskinder verloren beispielsweise zuvor mit Vollendung des 16. Lebensjahres ihr Recht als Kinder im Sinne der Gesetzgebung zu gelten. In der Praxis bedeutete diese Einschränkung, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Alter zwischen 16 und 18 Jahren in Deutschland asylverfahrensrechtlich wie Erwachsene behandelt wurden und deswegen in Abschiebehaft genommen werden konnten. Damit hat die bundesdeutsche Gesetzgebung Jahre lang gegen das Gebot der Nichtdiskriminierung verstoßen, nachdem alle Kinder die gleichen Rechte zugestanden werden müssen. Doch nicht nur bei der konsequenten Umsetzung der verbrieften Kinderrechte weist die Bundesrepublik Deutschland noch Mängel auf. So kritisierte etwa das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil vom 9. Februar 2010, dass bei der bisherigen Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze kein kindspezifischer Bedarf ermittelt wird. Derzeit leiten sich die Bedarfssätze für Kinder von den Regelsätzen der Erwachsenen ab. Das Gericht stellte jedoch klar, dass „Kinder keine kleinen Erwachsenen sind“. Die Bundesregierung ist demnach aufgefordert, die Hartz-IV-Regelsätze neu zu berechen – sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.

Zur Wahrung der Kinderrechte in Deutschland haben sich bundesweit rund 100 national tätige Organisationen und Initiativen mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Konvention bekannt zu machen sowie ihre Umsetzung zu kontrollieren und voranzubringen. Zu diesem Zweck ist regelmäßig ein Alternativ- oder Schattenbericht zu verfassen, in dem die offiziellen Informationen der Regierung kritisch kommentiert und ergänzt werden. Als die zentralen Organe sind hierzulande die nachfolgenden Institutionen, Ausschüsse und Kommissionen auf der Bundesebene beispielhaft zu nennen. Für die völkerrechtliche Verantwortung und das strategische Management sind die Bundesregierung (Vertretung der Bundesrepublik Deutschland) und die National Coalition (prozessbegleitende Nichtregierungsorganisation) zuständig. Die Datenerhebung und Berichterstattung übernehmen das Deutsche Jugendinstitut und das Deutsche Institut für Menschenrechte sowie das Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familien und Jugend (BMFSFJ). Verantwortlich für das Beschwerdemanagement sind der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sowie die Kinderkommission des Deutschen Bundestages als Beschwerdeanlaufstelle. Die Bewertung und Einschätzung von Zukunftsperspektiven nehmen auf nationaler Ebene die Kinderkommission wie der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung und die Nationale Konferenz für die Rechte des Kindes (Gremium ausgewählter Persönlichkeiten) vor.

Kinderrechte in Deutschland

Insgesamt ist für Deutschland zu bilanzieren, dass sich in der Vergangenheit ein gravierender Wandel vollzogen hat: Kinder werden heute rechtlich nicht mehr als Objekte, sondern als Subjekte, d.h. Träger eigener Rechte anerkannt.

Während im Nationalsozialismus noch eine auf Härte abzielende Erziehung staatlich gewünscht wurde, Rassismus Erziehungsinhalt an den Schulen war und Nationalsozialisten vielfach Kinder ermordeten; wurden mit Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland 1949 erste auf Kinder bezogene Rechte verbindlich: unter anderem der Schutz der Familie (Art. 6 GG) und das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG); dabei blieben Kinder als eigenständige Rechtssubjekt jedoch unerwähnt.

Vor allem die Kinderladenbewegung brachte in den 1970er Jahren in Deutschland die Diskussion um die antiautoritäre Erziehung und damit auch die Kinderrechte auf die Tagesordnung. In Folge wurde im Jahr 1973 die körperliche Züchtigung an bundesdeutschen Schulen verboten - wobei nach einem OLG-Urteil in Bayern von 1979 auch weiterhin ein gewohnheitsrechtliches Züchtigungsrecht bestand. In der DDR war diese bereits seit 1949 untersagt.

Im Zuge der umfassenden Sorgerechtsreform im Jahre 1980 wurde die elterliche „Gewalt“ von der elterlichen „Sorge“ abgelöst. Zudem wurde der § 1626 Abs. 2 in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügt, der erstmals ein Mitspracherecht von Kindern und Jugendlichen bei allen Dingen, die sie betreffen, verbindlich machte.

Im nach der deutschen Wiedervereinigung verabschiedeten (und in modifizierter Form bis heute gültigem) Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) werden Kinder explizit als Träger eigener Recht verstanden. Deutlich wird dies beispielsweise in dem von den Eltern unabhängigem Beratungs- und Betreuungsanspruch der Kinder durch das Jugendamt oder in dem 1996 ergänzten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für jedes dreijährige Kind (statt für die Eltern). Mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 wurden zum einen eheliche und nichteheliche Kinder weitestgehend gleichgestellt, zum anderen bekamen Kinder das Recht auf Umgang mit beiden Eltern (§ 1684 Abs. 1 BGB), sowie die Möglichkeit, Kindern in Verfahren, welche die elterliche Sorge betreffen, einen Verfahrenspfleger (seit 1. September 2009: Verfahrensbeistand) als „Anwalt des Kindes“ zur Seite zu stellen.[1]

Das 2000 in Kraft getretene Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB) sichert Kindern in Deutschland auch in der Familie das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung zu. Damit gibt es in Deutschland kein Züchtigungsrecht der Eltern mehr.

Trotz mehreren deutschen Initiativen sowie der zweimaligen Aufforderung (1994 und 2004) durch den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes steht die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland noch immer aus. Zwar werden Kinder in Art. 6 Abs. 2 GG erwähnt, allerdings nur als Objekte: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Damit besitzen Kinder keine eigene verfassungsrechtliche Stellung und können nur von den Eltern abgeleitete Rechte einklagen. Die Bundesrepublik Deutschland kommt bis heute der in Art. 4 der UN-KRK enthaltenen Verpflichtung, alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen „zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen, nicht im vollen Umfang nach. Mit der Aufnahme der Kinderrechte als Grundrecht würde Deutschland jedoch nicht nur der neuen Sicht auf Kinder als eigenständige Rechtssubjekte Rechnung tragen, sondern zugleich die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 24) in nationales Recht umsetzen.

Insgesamt würde die Aufnahme von Kinderrechten eine Stärkung des allgemeinen Bewusstseins für die Rechte von Kindern bewirken sowie eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls durch Staat und Eltern. Vor allem aber wäre der Schritt der Aufnahme Ausdruck dafür, dass Kinder in unserer Gesellschaft endlich als gleichberechtigte Mitglieder anerkannt werden.[5][6]

Nationaler Aktionsplan „Für ein kindgerechtes Deutschland 2005-2010“

Bei dem nationalen Aktionsplan „Für ein kindgerechtes Deutschland“ handelt es sich um ein vielfältiges Maßnahmebündel, das Deutschland infolge der Vereinbarungen des zweiten Weltkindergipfels auf dem Weg gebracht hat. Dieses Papier formuliert Strategien und Zielvorgaben, um dem international erklärten Hauptziel näher zu kommen, d.h. „eine kindergerechte Welt zu schaffen, in der die Grundsätze der Demokratie, der Gleichberechtigung, der Nichtdiskriminierung, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit sowie die Allgemeingültigkeit, Unteilbarkeit und wechselseitige Abhängigkeit und Verknüpfung aller Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Entwicklung, die Grundlage für eine nachhaltige menschliche Entwicklung bilden, die das Wohl des Kindes berücksichtigt“.[7]

Dabei stehen folgende sechs Ziele im Mittelpunkt:

  • Chancengerechtigkeit durch Bildung
  • Aufwachsen ohne Gewalt
  • Förderung eines gesunden Lebens und gesunder Umweltbedingungen
  • Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
  • Entwicklung eines angemessenen Lebensstandards für alle Kinder
  • Internationale Verpflichtungen

Zwischen 2005 bis 2010 standen in diesen Bereichen ca. 170 verschiedene Maßnahmen auf der Agenda. Nun gilt es zu Überprüfen, wie diese Maßnahmen umgesetzt wurden und was sie bisher bewirkt haben, um die rechtliche Position der Kinder und Jugendlichen zu stärken und somit nachhaltig ihre Lebensbedingungen zu verbessern.

Eventuelle Probleme, Schwachstellen und Defizite müssen schnellst möglich identifiziert und ausgebessert werden. Daneben besteht der wichtigste Handlungsbedarf auch in Zukunft darin, allen Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen. Das bedeutet einerseits die Kinder weiter zu informieren und über ihre Rechte aufzuklären, und andererseits ihnen bei dem Gebrauch ihrer Rechte unterstützend zur Seite zu stehen. Diese Kernziele gelten im Übrigen auch über Deutschlands Grenzen hinaus.

Organisationen

Literatur

Die Rechte (und Pflichten, im Sinn von sanktionierten Spielregeln im Rechtsalltag) von Kindern und Jugendlichen sowie Heranwachsenden, also von 0 bis 21-Jährigen, werden verglichen mit der großen Anzahl an Texten, die engagierte Erwachsene zu „Kinderrechten“ im Sinn von „Befreiung“ formulieren, bislang nur in wenigen einschlägigen Publikationen dargelegt.

  • Manfred Günther: Fast alles, was Jugendlichen Recht ist. HVD, Berlin 2003, ISBN 3-924041-23-7.
  • Ulrike Hinrichs: Zu Recht finden. Verlag an der Ruhr, Mülheim 2010, ISBN 978-3-8346-0572-6.
  • Siegrun von Hasseln: Jugendrechtsberater. dtv, München 2002, ISBN 3-423-58029-1.
  • Manfred Liebel: Kinderrechte aus Kindersicht: Wie Kinder weltweit zu ihrem Recht kommen. Lit. Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8258-1855-5.
  • Katharina Parr: Das Kindeswohl in 100 Jahren BGB. Dissertation, Universität Würzburg 2005.
  • Stadtjugendring Mainz (Hrsg.): Recht so. Ein Leitfaden für rechtliche Fragen in der Kinder- und Jugendarbeit. Mainz 2008.
  • Werner Terpitz, Jochen Terpitz: Rechte der Jugendlichen von A - Z. beck/dtv, München 2000.
  • Übereinkommen über die Rechte des Kindes – UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989. BMFSFJ, Bonn 1995.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Jörg Maywald: UN-Kinderrechtskonvention: Bilanz und Ausblick. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 38/2010, S. 9-13.
  2. Kinderrechte Spezial: Die Geschichte der UN-Kinderrechtskonvention. Deutsches Kinderhilfswerk; abgerufen am 3. Februar 2011.
  3. a b Albert Recknagel: 20 Jahre UN-Kinderrechtsreform – ein Grund zum Feiern. Terre des hommes Deutschland; abgerufen am 3. Februar 2011.
  4. Manfred Liebel: Kinderrechte aus Kindersicht: Wie Kinder weltweit zu ihrem Recht kommen. Lit. Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-8258-1855-5.
  5. Lore Maria Peschel-Gutzeit: Kinderrechte Spezial: Kinderrechte ins Grundgesetz. Deutsches Kinderhilfswerk; abgerufen am 3. Februar 2011.
  6. Kinderrechte Spezial: Kampagne Kinderrechte ins Grundgesetz. Deutsches Kinderhilfswerk; abgerufen am 3. Februar 2011.
  7. Eine kindergerechte Welt. Vereinte Nationen: Abschlussdokument der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zu Kindern, New York 2002, S. 2
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