Nationalpark Nordschwarzwald

Nationalpark Nordschwarzwald

Das Projekt Nationalpark Nordschwarzwald ist eine umstrittene Initiative zur Ausweisung des ersten Nationalparks in Baden-Württemberg. Der genaue Standort im Nordschwarzwald ist noch unklar.

Das Projekt wurde 1990/1991 von Volker Späth im Auftrag des NABU Baden-Württemberg in die Diskussion gebracht. 1992 entschied sich der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel in der von 1992 bis 1996 dauernden Großen Koalition gegen SPD und Teile der CDU und damit gegen einen Nationalpark. 2010/2011 begann die CDU-FDP-Regierung mit der erneuten Prüfung des Projektes. Die im März 2011 gewählte Grün-Rote Landesregierung von Baden-Württemberg befürwortet einen Nationalpark, wenn er von der Bevölkerung mitgetragen wird. Ein Gutachten soll nun die Vor- und Nachteile untersuchen bzw. aufzeigen. Die Ergebnisse des Gutachtens werden aufgrund der bis zu einer Nationalpark-Konferenz am 24. September 2011 eingegangenen über 2000 Fragen und Anregungen wohl erst im Herbst 2012 vorliegen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Standort

Hochebene der Hornisgrinde im Jahr 2004, im Vordergrund Bereiche des Hochmoors, im Hintergrund der Sendemast und die in den letzten Jahren installierten Windkrafträder

Kriterien

Um in Deutschland einen neuen Nationalpark auszuweisen zu können, muss das Gebiet definierten Kriterien entsprechen („Qualitätskriterien und -standards für deutsche Nationalparke“). Diese wurden 2006/2007 unter der Federführung von Europarc Deutschland auf der Grundlage der weltweiten Kriterien der IUCN-WCPA (World Commission on Protected Areas) erarbeitet. Interpretierbar ist die Festlegung auf eine „großräumige Naturlandschaft von nationaler Bedeutung“. Festgelegt ist dagegen die Mindestgröße von 10.000 Hektar. Die Nationalparks müssen eine Gliederung in Kern- und Pflegezone aufweisen. Die Kernzone (mindestens 75 Prozent) wird nicht genutzt – in Baden-Württemberg sind dies auf kleineren Flächen Bannwälder, die im Nordschwarzwald bereits 1722 ha ausmachen. Um den Prozess hin zu hoher Naturnähe zu beschleunigen, sind Eingriffe auch in der (künftigen) Kernzone bis maximal 30 Jahre nach der Ausweisung zulässig („Entwicklungsnationalpark“ – 1997 für Europa von der IUCN-WCPA definiert). In der Pflege- oder Pufferzone (maximal 25 Prozent) kann eine extensive Bewirtschaftung erfolgen, zum Beispiel Grinden, Bergmähwiesen, Wacholderheiden.

Bei dem Nationalparkgedanken steht die Natur im Mittelpunkt („Natur Natur sein lassen“). Es geht nicht um den Schutz bestimmter Arten oder bestimmter Lebensräume, sondern um den Schutz von möglichst natürlichen, vom Menschen nicht beeinflussten Prozessen. Naturerlebnis, Erholung, Tourismus und Forschung sind ausdrücklich erwünscht, solange der Schutzzweck nicht beeinträchtigt wird. Diese Kriterien gehen weit über den bestehenden Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord hinaus, der de facto keinen bindenden Naturschutzstatus hat.

Vorschläge

Der NABU Landesverband Baden-Württemberg prüfte anhand dieser Kriterien mehrere Standorte in Baden-Württemberg und kam zu dem Schluss, dass im Nordschwarzwald diese Kriterien erfüllt werden können. Wo genau der Nationalpark im Nordschwarzwald entstehen soll, ist nach wie vor unklar. In einem ersten Schritt hat die NABU-Studie lediglich einen möglichen „Suchraum“ von rund 40.000 Hektar identifiziert, innerhalb dessen der Nationalpark mit der Mindestgröße von 10.000 Hektar entstehen kann.[2]

Der NABU nennt drei besonders geeignete Gebiete; sie liegen alle im Grindenschwarzwald:

Die Enzhöhen bilden das Kernstück des Nordschwarzwaldes und sind geologisch durch die Stufe des Oberen und Mittleren Buntsandsteins bestimmt. Das Gebiet ist die waldreichste und am geringsten besiedelte Landschaft im Schwarzwald. Durch die hohen Niederschlagsmengen (bis über 2000 mm/Jahr) kommt es zur Hochmoorbildung auf den Höhen (z. B. das Wildseemoor) sowie eine Dominanz von Fichten in den Wäldern. Die menschliche Besiedelung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Täler.

  • Bühler Höhen
Gipfelplateau der Hornisgrinde

Der Grindenschwarzwald – Bühler Höhen umfasst rund 160 km² und liegt nördlich von Baiersbronn. Der Großteil des Gebietes liegt im ländlichen Raum und die Fragmentierung ist relativ stabil. Mit einer Höhendifferenz von knapp 600 m ist er relativ stark reliefiert: es wechseln sich Kuppen und Täler ab. Der höchste Punkt des Gebietes ist im Nordwesten der Hornisgrinde (1163 m). Die Täler von Raumünzach und Schönmünzach durchqueren von Ost nach West das Gebiet. Von Süden schneidet das Tal des Tonbach in nördliche Richtung ein. Markant ist die große Dominanz des Nadelwaldes: Bei einem Waldanteil von insgesamt 90 Prozent nimmt er 72 Prozent ein. Auf 18 Prozent Mischwald vorhanden und reinen Laubwald findet man kaum mit nur 3 Prozent. Auf 5 bis 6 Prozent der Fläche wird extensive Grünlandnutzung betrieben.

Die hier vorkommenden typischen Grinden des mittleren Murgtales weisen die größte Taldichte und die größte Reliefenergie des gesamten Schwarzwaldes auf.[3]

  • Gebiet zwischen Murg und Enz

Der Grindenschwarzwald zwischen Murg und Enz ist ein ca. 109 km² großes Gebiet. Er erstreckt sich von Weisenbach im Norden bis Schönegründ im Süden, wobei die West-Ost-Ausdehnung sehr gering ist. Am Westrand liegt die Gemeinde Forbach, Enzklösterle und Seewald liegen im Osten. Die Westgrenze bildet die B 462. Vorteil hier ist, dass es innerhalb des Gebietes keine Stichstraßen mit hohem Verkehrsaufkommen, auch keine weiteren Kreis- oder Gemeindestraßen gibt. Der Raum ist gekennzeichnet durch eine hohe Reliefenergie im Westen und eine ausgedehnte Hochfläche im Osten auf ca. 900 m Höhe. Der höchsten Punkt ist der Hohloh mit 984 m ü. NN im Norden. Die Hochfläche ist waldbedeckt, wobei Nadelwald auf 62 Prozent der Fläche dominiert, Mischwald befindet sich auf 20 Prozent. An den Hängen im Westen dominiert Laubwald mit insgesamt 8,6 Prozent.

Rundblick vom Aussichtsturm auf dem Hohloh
Rundblick vom Aussichtsturm auf dem Hohloh

Polititische und wirtschaftliche Ausgangslage

Die bisher bestehenden Nationalparks in Deutschland

Der erste Nationalpark in Deutschland entstand 1970 im Bayerischen Wald. Heute gibt es 14 Nationalparke in Deutschland. Von den Flächenländern besitzen derzeit nur Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg keinen Nationalpark. Die Idee eines Nationalparks im Nordschwarzwald war bereits Anfang der 1990er Jahre durch das NABU-Institut in Bühl (Dr. Volker Späth) in die Diskussion gebracht worden. Die Minister Gerhard Weiser (CDU-Agrar) und Erwin Vetter (CDU-Umwelt) votierten für ein Gutachten. 1992 kam es zur Großen Koalition von CDU und SPD. Weiser blieb Agrarminister, Vetter wurde Staatsminister. Förster, Touristiker und Kommunalpolitiker sahen die Idee überwiegend als kritisch an, zumal es damals noch keine Möglichkeit für einen „Entwicklungsnationalpark“ gab, der erst seit 2002 durch eine Änderung im Bundesnaturschutzgesetz möglich wurde. Ministerpräsident Erwin Teufel entschied sich dann 1992 gegen den ursprünglich Rat seiner zwei Fachminister dagegen, ein Gutachten zu Möglichkeiten, Chancen und Risiken des Nationalparks in Auftrag zu geben. Seither wurde lange Jahre eher auf Bundesebene über einen eventuellen Nationalpark in Baden-Württemberg diskutiert - so vom NABU-Bundesverband, der 2007 ein Positionspapier mit Forderungen nach neuen Nationalparken veröffentlichte.

2005 kam es mit dem Wechsel von Erwin Teufel zu Günther Oettinger zum Ministerpräsident auch zu einem Wechsel in der Naturschutzpolitik. Das von Teufel ebenfalls abgelehnte Biosphärenreservat Schwäbische Alb benannte Oettinger gleich in der ersten Regierungserklärung als „Leuchtturmprojekt“ der neuen Landesregierung. Auch ein Nationalpark wurde nicht mehr strikt abgelehnt. 2009 und 2010 zeigte sich die CDU im Landtag offen für einen Nationalpark, sofern die Bevölkerung vor Ort dies wolle und schrieb dies auch in die kurz vor der Wahl beschlossene Naturschutzstrategie.

Die 2011 gewählte grün-rote Landesregierung Baden Württembergs schrieb die Einrichtung eines Nationalparks - unter Berücksichtigung der Anregungen aus der Region - in den Koalitionsvertrag. Begründet wird der Nationalpark mit der grundgesetzlichen Verantwortung des Landes für Naturschutz und damit auch für diejenige biologische Vielfalt, die dauerhaft ungestörte Entwicklung benötigt. Für zahlreiche Tier-, Pflanzen- und Pilzarten und damit ein wichtiger Teil des Naturerbes seien Nationalparke das richtige und einzige Instrumentarium.

Die FDP im Landtag lehnt einen Nationalpark im Nordschwarzwald ab. Sie argumentiert, es gebe dort keine ausreichend große zusammenhängende Fläche. Die nötigen 75 Quadratkilometer der Kernzone störe die bestehende Balance zwischen Mensch, Umwelt und Wirtschaft in der Region. SPD und Grüne argumentieren für den Nationalpark. Zu den Auswirkungen sagen sie, es sei lediglich eine Umwidmung von 10.000 bis 15.000 Hektar ausschließlich auf Flächen des Landes geplant (Staatswald). Große Teile ständen bereits unter Schutz. Die umliegenden Kommunen würden wirtschaftlich profitieren, insbesondere Tourismus und Handwerk. Sie verweisen zudem auf einen weitgehenden parteiübergreifenden Konsens: Im Landtagswahlkampf hatten nicht nur Grüne und SPD, sondern auch die CDU einen Nationalpark gefordert.[4]

Tourismus

Die Schwarzwald Tourismus GmbH findet einerseits, dass ein Nationalpark ein zusätzlicher Anreiz für Touristen sein könne. Andererseits sieht er die Notwendigkeit eines Nationalparks nicht, da schon "Wildnisgebiete" existierten. Der Geschäftsführer der Tourismus Marketing Baden-Württemberg, Andreas Braun, setzt sich offensiv für einen Nationalpark ein, da er sich positive Effekte für den Tourismus erhofft. Die im DEHOGA organisierten Hotels und Gaststätten stehen einem Nationalpark mehrheitlich zumindest aufgeschlossen gegenüber.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Baden-Württemberg weist auf den touristischen Gewinn hin. Ein Nationalpark sei ein großer Publikumsmagnet. Der BUND-Landesgeschäftsführer Berthold Frieß sagte dazu gegenüber den Stuttgarter Nachrichten: „Er bietet in seinen Kernzonen das, was sich viele Menschen wünschen: unberührte Natur.“[5]

Forstwirtschaft

Typischer Fichtenwald im Schwarzwald als Kulturlandschaftsmerkmal

Vor allem die holzverarbeitende Industrie und kleine Sägereien äußern wirtschaftliche Vorbehalte: Aus ihrer Sicht gibt es keine Rechtfertigung für die Ausweisung eines Totalreservates mit Totholzflächen. Sie argumentieren, dass in ganz Europa die Nachfrage nach Holz steige, aber das Angebot sinke. Daher sei es nicht vernünftig, die Wälder sich selbst zu überlassen und nicht zu bewirtschaften. Die auszweisenden 10.000 Hektar Wald entsprächen etwa 100.000 Festmeter Holz, die dem Markt dann entzogen würden. Dadurch könnten Arbeitsplätze in der Forstwirtschaft wegfallen.

Der Bundesverband Holzpackmittel, Exportverpackung (HPE) weist daraufhin, dass ihre Holzversorgung durch Einkauf in anderen Regionen Deutschlands oder durch Importware aus Osteuropa mit möglicherweise abgeschwächten Nachhaltigkeitskriterien vornehmen müssten. Das führe zu höherem CO2-Ausstoß und höheren Kosten durch lange Transportwege. Das Ministerium Ländlicher Raum spricht von ca. 50.000 Festmeter Holz, das langfristig weniger eingeschlagen werden könne. Die Landtagsfraktion der Grünen verweist darauf, dass in einem Entwicklungsnationalpark die ersten 20 bis maximal dreißig Jahre aufgrund der teils starken „Verfichtung“ mit einem höheren Fichten-Einschlag als derzeit zu rechnen sei.

Die Forstkammer Baden-Württemberg, als Vertreterin der Holzbewirtschafter, sieht die Ausweisung mit einer großflächige „Waldstilllegung“ als Prestigeprojekt und lehnt sie ab.

Bewohner

Die Gemeinde Forbach fürchtet laut Stuttgarter Zeitung um ihr Holz und die Freiheiten der Bürger. Bürgermeister Kuno Kußmann (CDU) gab an, dass Beeren sammeln, Jagen und Holzmachen dann nicht mehr gingen und Schädlinge, die sich im Nationalpark ungehindert entwickeln dürften, die angrenzenden Nutzwäldern der Gemeinde schädigen könnten. Die Landräte der Region stehen einem Nationalpark abwartend bis aufgeschlossen gegenüber und begrüßen das von Fachminister Alexander Bonde angekündigte Gutachten, in dessen „Lastenheft“ Anregungen aller Beteiligten, auch der Kritiker aufgenommen werden sollen. [6]

Staatlicher Naturschutz

Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) Prof. Beate Jessel begrüßte aus Anlass der internationalen Schutzgebietskonferenz von EUROPARC die Diskussion um einen Nationalpark in Baden-Württemberg. Nach Ansicht der BfN-Präsidentin beraf es in Deutschland der Neuausweisung von weiteren Nationalparken, um das Fünf-Prozent-Ziel einer natürlichen Waldentwicklung der Nationalen Biodiversitätsstrategie zu erreichen, und um zu gewährleisten, dass alle Großlandschaften exemplarisch durch Nationalparke erfasst sind. „Daher begrüße ich die Nationalparkinitiative des Landes Baden-Württemberg“[7], sagte Jessel.

Natur

Mit dem Nationalpark Nordschwarzwald soll ein großflächiges Wald-Biom geschaffen werden. Da die Kernzonen von Nationalparks spätestens 30 Jahre nach Einrichtung nutzungsfrei sein müssen, würden wieder "europäische Urwälder" bzw. zumindest sehr naturnahe Waldbestände entstehen, in denen eine weitgehend unbeeinflusste Sukzession zu derjenigen biologischen Vielfalt führt, die von ungestörten Prozessen abhängt. Die derzeit vergleichsweise hohe Rotwild-Population würde voraussichtlich abnehmen. Der gesamte Schwarzwald ist - zumal bei einem gelungenen Verbund zu den Vogesen und dem Pfälzer Wald sowie zur Schwäbischen Alb - groß genug, um dem Luchs eine Nahrungs- und Lebensgrundlage in einer überlebensfähigen Population zu bieten.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/nationalpark-im-schwarzwald-rueckt-naeher--47461729.html
  2. http://www.nationalparknordschwarzwald.de/wb/pages/warum-im-schwarzwald.php?lang=EN
  3. http://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/15788/
  4. http://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.nordschwarzwald-fdp-will-keinen-nationalpark-im-suedwesten.931990d4-f7fd-410b-b0b3-e49468eb6582.html
  5. http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.nationalpark-nordschwarzwald-als-streitfall.9cf3185c-2aae-4c8c-9412-f6e74e7826a2.html
  6. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nordschwarzwald-geplanter-nationalpark-erhitzt-die-gemueter.99fb1190-195a-4dad-a122-3a55e89d2107.html
  7. BfN Pressemitteilung: BfN-Praesidentin begruesst die Nationalparkinitiative in Baden-Wuerttemberg 21. September 2011

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