Niederwaldkonferenz

Niederwaldkonferenz

Die Niederwaldkonferenz war eine Konferenz der elf westdeutschen Ministerpräsidenten, die 1948 mit insgesamt drei Sitzungsperioden im Jagdschloss Niederwald bei Rüdesheim am Rhein stattfand. Thema der Konferenz waren die drei Frankfurter Dokumente, die am 1. Juli 1948 von den Westmächten an die Westdeutschen überreicht wurden, die auf der Rittersturz-Konferenz bei Koblenz erarbeiteten Koblenzer Beschlüsse und der Beschluss zur Vorbereitung einer "provisorischen Verfassung".

Die erste Konferenz fand am 15. und 16. Juli statt, beraten wurde die Reaktion der Militärgouverneure auf die Koblenzer Beschlüsse.

Auf der zweiten Konferenz am 21 und 22. Juli wurden die Koblenzer Beschlüsse überarbeitet.

Die Abschlusskonferenz fand am 31. Juli statt.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beschloss der Parlamentarische Rat am 8. Mai 1949 in Bonn das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Auf dem Weg zum Grundgesetz spielte auch das Jagdschloss Niederwald als Tagungsstätte der Ministerpräsidenten 1948 eine entscheidende Rolle und wurde so zu einem historischen Ort bundesdeutscher Verfassungsgeschichte.

Die Möglichkeit zur Erarbeitung einer Verfassung für die drei westlichen Besatzungszonen eröffneten die Besatzungsmächte aufgrund der Spannungen des aufkommenden Kalten Krieges recht bald, da sie eine möglichst schnelle westdeutsche Staatsgründung anstrebten, um so ein „Bollwerk“ gegen die Sowjetunion zu errichten und Stabilität in den westlichen Besatzungszonen herzustellen. Auch wirtschaftliche Gründe dürften die Entscheidung beeinflusst haben. Bereits 1948 trafen sich die westlichen Siegermächte und die Beneluxstaaten zur Sechs-Mächte-Konferenz in London. Dort entstanden die sogenannten Londoner Empfehlungen, welche die Errichtung eines demokratischen und föderalen Weststaates vorsahen.

In den drei Frankfurter Dokumenten übergaben die Militärgouverneure von Frankreich, Großbritannien und den USA diesen Auftrag zur Erarbeitung einer Verfassung für die drei westlichen Besatzungszonen an die Länderchefs. Doch diese sahen in der Gründung eines Weststaates die Gefahr einer endgültigen Teilung Deutschlands und brachten ihre Befürchtung auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Koblenz, der sogenannten „Rittersturzkonferenz“ zum Ausdruck. Die Ministerpräsidenten nahmen demnach die Frankfurter Dokumente zurückhaltend an, lehnten die Gründung eines westdeutschen Staates aber ab.

Es gab bedingt durch diese Differenzen diverse Verstimmungen auf beiden Seiten. So sprach der amerikanische Militärgouverneur Clay von „unverantwortlichen“ Koblenzer Schritten seitens der Ministerpräsidenten, die „eine katastrophale Missachtung des Ernstes der gesamteuropäischen Lage“ dargestellt hätten.

Beschlüsse

Nach Beratungen mit den Militärgouverneuren in Frankfurt trafen sich die Länderchefs im Juli 1948 auf dem Jagdschloss Niederwald zu einer ersten Konferenz, um sich gegenseitig über die Gespräche zu unterrichten. In dem Schloss im Rheingau tagten die Ministerpräsidenten im Zuge der Beratungen um die Ausarbeitung einer Verfassung dreimal. Die wichtigste Konferenz fand am 21./22.Juli 1948 im sogenannten „Grünen Salon“ des Jagdschlosses statt.

Die Ablehnung sowohl der Gründung eines Weststaates als auch der Ausarbeitung einer Verfassung durch die Länderchefs wich einer Kompromissbereitschaft zu Gunsten der Vorstellung der Militärgouverneure. Die Ministerpräsidenten beschlossen inhaltlich den Richtlinien der Frankfurter Dokumente zu folgen, aber terminologisch auf der Rittersturzlinie zu bleiben um den Charakter eines Provisoriums aufrechtzuerhalten. Das hieß: Grundgesetz statt Verfassung und Parlamentarischer Rat anstatt Verfassungsgebende Versammlung.

Weitere Beschlüsse der Konferenz waren die Entscheidung die Abgeordneten für den Parlamentarischen Rat durch die Landtage wählen zu lassen, das Grundgesetz durch die Landtage und nicht durch ein Volksreferendum zu ratifizieren und das Zurückstellen der Ländergrenzreform. Diese Kompromisse, die den Weg zur Ausarbeitung des Grundgesetzes ebneten, wurden maßgeblich durch den Berliner Bürgermeister Ernst Reuter (SPD) beeinflusst, der für eine westdeutsche Lösung eintrat. Reuter sprach von der Kernstaatsidee, nach der die Sowjetische Besatzungszone durch die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse des Westteils zum „gemeinsamen Mutterland“ zurückkehren werde: „Wir sind der Meinung, dass die politische und ökonomische Konsoli-dierung des Westens eine elementare Voraussetzung für die Gesundung auch unserer Verhältnisse und für die Rückkehr des Ostens zum gemeinsamen Mutterland ist.“ Damit begannen die Koblenzer Beschlüssen zu bröckeln, die Ministerpräsidenten entschieden sich einen Westdeutschen Staats als Provisorium zu schaffen. Lediglich Carlo Schmid (SPD) vertrat die Koblenzer Linie und nannte die entstehende Verfassung eine „Verfassung in der Unfreiheit“. In ihrem Aide-mémoire fassten die Länderchefs ihre Beschlüsse für die Militärgouverneure noch einmal zusammen und stellten mit aller Klarheit die Gemeinsamkeiten der Ziele mit den Frankfurter Dokumenten dar. Grundgesetz übersetzen sie mit „basic constitutional law“, um es den Alliierten schmackhaft zu machen; es sollte fortan für eine Verfassung stehen, die zugleich ein Provisorium war. Mit der zweiten Ministerpräsidentenkonferenz in Niederwald wurde so der Weg zum Grundgesetz und zur Gründung eines Weststaates durch ebendiese terminologischen Kompromisse geebnet.

Literatur

  • Michael F. Feldkamp: Der parlamentarische Rat 1948-1949. Göttingen 2008. ISBN 978-3-525-36755-1 [1]
  • Wolfgang Benz: Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946-1949. Frankfurt am Main 1984
  • Wolfgang Benz (Hrsg.): Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen.

Weblinks


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