Notker Hammerstein

Notker Hammerstein

Notker Hammerstein (* 3. Oktober 1930 in Offenbach am Main) ist ein deutscher Historiker. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem auf dem Gebiet der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte sowie der Geschichte des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn eines Lehrerehepaares legte 1949 sein Abitur am Staatlichen Gymnasium, dem heutigen Heinrich-von-Gagern-Gymnasium in Frankfurt am Main ab. Anschließend studierte er zunächst Nationalökonomie und Philosophie, später Geschichte, Philosophie und Anglistik in Frankfurt und München. 1956 wurde er in Frankfurt bei Otto Vossler promoviert und war danach wissenschaftliche Hilfskraft und ab 1960 Assistent am Historischen Seminar. 1968 habilitierte er sich und erlangte die venia legendi für Mittlere und Neuere Geschichte. 1971 wurde Hammerstein im Zuge des neuen Hessischen Hochschulgesetzes zum Professor ernannt und 1973 auf ein neu eingerichtetes Extraordinariat für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Frankfurter Universität berufen. 1999 wurde er entpflichtet.

Kritik am DFG-Buch

Der Journalist und Schriftsteller Ernst Klee bezeichnete Hammersteins Buch „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich“ als „Auftragsarbeit“ und „Versuch der Reinwäsche“: Darin werde die

„Arbeit des Psychiaters Robert Ritter, der Sinti und Roma nach Auschwitz definierte und selektierte, als "allgemeinmedizinische Forschung" hochstilisiert. Über die NS-Rassenhygiene heißt es, viele Forscher seien den "üblichen Auffassungen von moderner Hygiene, von Fürsorge und Vorsorgepflicht der öffentlichen Hand für Geschädigte, sogenannte Asoziale oder Behinderte" gefolgt. So werden noch 1999 Vordenker und Handlanger von Auschwitz und Hadamar in den Dunstkreis von Für- und Vorsorge gerückt.“[1]

Ein Jahr später akzentuierte Klee seine Kritik in der Wochenschrift Die Zeit[2]:

„Eine DFG-Auftragsarbeit. Der Autor behauptet, die DFG vor 1945 sei zu einer Verrechnungsstelle des Reichswissenschaftsministeriums verkommen und habe mit der DFG nach 1945 nichts zu tun. Menschenversuche seien aus den Förderakten nicht ersichtlich. Beides ist falsch. ... Hammerstein meint zu den Anfängen der DFG-finanzierten Untersuchungen des "nachmals berüchtigten" Tübinger Nervenarztes und Zigeunerforschers Robert Ritter: "Sie gehörten in das ... Umfeld sozialer, hygienischer und allgemeinmedizinischer Forschung." Dabei hatte Ritter schon 1935 von Tübingen aus gegenüber der DFG die Sterilisierung von "Zigeunermischlingen" gefordert: "Besonders gemeinwidrig veranlagte Bastarden (sic!) sollten so weitgehend wie möglich von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden." Nach Ritter waren die in Deutschland lebenden "Zigeuner" Mischlinge mit dem kriminellen, asozialen Subproletariat, "dessen Minderwertigkeit", wie Ritter an die DFG schreibt, "in keiner Weise dem Erbstrom der Geisteskranken und Schwachsinnigen nachsteht".“

Der neue DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker versprach anschließend weitergehende Forschungen: „Ob die DFG vor dem Hintergrund der nunmehr eingeleiteten Maßnahmen wirklich eine Vertuschungsgemeinschaft ist, wie Ernst Klee schreibt, oder nicht, darüber bitte ich die Leserinnen und Leser dieser Zeilen, sich selbst ein Urteil zu bilden.“ [3]

Die Beteiligung der Berliner Wissenschaftsinstitute an Kranken- und Behindertenmorden sowie an Menschenversuchen, deren Opfer meistens anschließend ebenfalls ermordet wurden, auch außerhalb der DFG, wurden seit 2000 beim Max-Planck-Institut von Teams um Carola Sachse erforscht. Unter diesen Opfern gab es sehr viele Sinti und Roma.

Mitgliedschaften

  • 1986 Wahl in den Wissenschaftlichen Beirat der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, 1991-1996 Beiratsvorsitzender.
  • 1994 Wahl in den Wissenschaftlichen Beirat des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung an der Universität Halle.
  • Vier Jahre stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts.
  • 1988 bis 2006 deutscher Vertreter und stellvertretender Vorsitzender der International Commission of the History of Universities im Internationalen Historikerverband.

Schriften (Auswahl)

  • Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18 Jahrhundert. Göttingen 1972.
  • Aufklärung und katholisches Reich. Untersuchungen zur Universitätsreform und Politik katholischer Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im 18. Jahrhundert. Berlin 1977.
  • Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Band 1. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule 1914–1950. Neuwied 1989.
  • Antisemitismus und deutsche Universitäten 1871–1933. Frankfurt 1995.
  • (Hrsg. zus. mit August Buck) Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. 1: Das 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München 1996.
  • Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur. Beck, München 1999. (Inhaltsverzeichnis)
  • Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs- und Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. hrsg. von Ulrich Muhlack und Gerrit Walther. Berlin 2000.
  • (Hrsg. zus. mit Ulrich Herrmann) Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. 2: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, München 2005.

Weblinks

Notizen

  1. Klee: NS-Behindertenmord: Verhöhnung der Opfer und Ehrung der Täter. in Zs. Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft. Hg. Verein "Initiativ für behinderte Kinder und Jugendliche", Graz. Nr. 6, 1999. ISSN 1561-2791 Thema: Sich erinnern. online. Die Formulierung "Nach Auschwitz definieren und selektieren" gibt am meisten Sinn, wenn sie (als Fehler eines Setzers, oder als Versprecher beim Vortrag) verstanden wird als "nach dem Auschwitz-Erlass....", im Sinne von "entsprechend dem Auschwitz-Erlass", siehe Link. Er bildete die "verwaltungsrechtliche" Grundlage der Vernichtung, für die Ritter tätig war. Das Lemma "Robert Ritter" und die dort angeg. Lit. schildern anschaulich, wie er und seine Mittäter(innen) arbeiteten. Denn insbesondere im Westen Deutschlands hatten Roma und Sinti sich selbstverständlich mit anderen Deutschen gemischt und waren eher eine soziale, von außen gesehen randständige Gruppe. Der Maler Otto Pankok hat in seinen Werken, die neben vielen Bildern auch Texte zu den Zigeunern aus den 30/40er Jahren umfassen, diese Lebensverhältnisse und die NS-Zwangsdefinition sehr anschaulich dargestellt, gut zu sehen und zu lesen in der Ausstellung "Ach, Freunde, wohin seid ihr verweht" und dem zugehörigen Katalog der Johanneskirche Düsseldorf
  2. Nr. 42, 2000: Deutsches Blut und leere Aktendeckel. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft feiert 80. Geburtstag und schönt ihre Geschichte. Sparte Zeitgeschehen. [1]
  3. in Die Zeit, Nr. 44, 26. Oktober 2000 [2] und natürlich ebenfalls auf dem ZEIT-Server. Unter diesem Link weitere interessante Art. zur Geschichte der DFG und ihrer Erforschung, insbes. zum Generalplan Ost, was bei Hammerstein deutlich zu kurz kommt.

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