Chiemgau-Komet

Chiemgau-Komet

Der Chiemgau-Impakt ist der hypothetische Einschlag eines Kometen, der nach dem Eindringen in die Erdatmosphäre in der Luft explodiert sein soll und dessen Trümmer angeblich im Chiemgau niedergingen. Der Einschlag könnte sich um das Jahr 200 v. Chr., nach anderen Quellen um 500 v. Chr. ereignet haben, als der Chiemgau von Kelten besiedelt war. Die im Jahre 2000 erstmals von Hobby-Geologen geäußerte Vermutung der Existenz des Chiemgau-Impakts wird von der Fachwelt überwiegend abgelehnt.

Inhaltsverzeichnis

Mutmaßliches Streufeld

Im Jahr 2000 stießen Schatzsucher im Chiemgau mit Metalldetektoren an einem kraterähnlichen Loch in nur wenigen Zentimetern Tiefe auf große Mengen von fremdartigem metallischen und seltsam gebildeten Gestein. Daraufhin bildete sich unter der Bezeichnung Chiemgau Impact Research Team (CIRT) ein Forschungsteam aus den Hobby-Archäologen, dem aber auch der Geologe und Geophysiker Kord Ernstson und der Mineraloge Ulrich Schüssler (beide von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg) angehören. Weitere Mitglieder des CIRT sind der Archäoastronom Michael Rappenglück, die Historikerin Barbara Rappenglück, der experimentelle Archäologe Till Ernstson, und Ralph Sporn, einer der Finder der Neuschwanstein-Meteoriten.

Tüttensee (Deutschland)
DMS
Tüttensee
Tüttensee
Lage des Tüttensees in Deutschland

Das CIRT dokumentierte nach eigenen Aussagen über 100 vermutete Einschlagskrater in einem elliptischen Streufeld mit einer Länge von 58 km und einer Breite von bis zu 27 km, das sich von einer Anhäufung kleinerer Krater nordwestlich von Burghausen bis zum Chiemsee erstreckt. Nach Ansicht der CIRT zeigt ein Vergleich mit anderen irdischen Streufeldern Ähnlichkeiten in Anordnung und Verteilung der Objekte.[1] Als größter Krater im Streufeld wird der annähernd kreisförmige Tüttensee bei Grabenstätt mit einem Durchmesser von 370 m angesehen.

Aus der Größe und Verteilung der postulierten Krater wurde vom CIRT auf den möglichen Ablauf des Impakts zurück geschlossen. Demnach trat ein etwa ein Kilometer großer Komet, vom Nordosten kommend, mit einer Geschwindigkeit von 12 km/s unter dem Winkel von 7° in die Erdatmosphäre ein. In etwa 70 Kilometern Höhe sei dieser explodiert, und die Bruchstücke schlugen mit der Zerstörungskraft von 8000 Hiroshimabomben ein. Der Einschlag soll sich im Zeitraum 1000 v. Chr. bis 200 v. Chr. ereignet haben, vermutlich um das Jahr 500 v. Chr.[2].

Untersuchungen

In den Kratern und in deren Umgebung lagern Brekzien oder zerbrochene Gesteine. Darüber hinaus wurden verglaste Gesteine gefunden, deren Entstehung auf die Hitzeeinwirkung beim vermuteten Einschlag zurückgeführt wird. Metallische Partikel, die in Teilen Ostbayerns gefunden und als Eisensilizid (FeSi), Gupeiit (Fe3Si) und Xifengit (Fe5Si3) identifiziert wurden, werden als präsolare Einschlüsse des Chiemgau-Kometen gedeutet, deren Alter das des Sonnensystems übertreffen soll.

Es könne allerdings auch noch nicht ausgeschlossen werden, dass die Partikel einen Rückstand aus der Metallverarbeitung durch Menschen darstellen[3].

Von einer Arbeitsgruppe der Universität München liegt eine Untersuchung des Kraterfelds bei Burghausen vor. Die Größe des Streufeldes wird hier mit 11 x 7 km deutlich kleiner angegeben als vom CIRT. Eine Untersuchung der Eisensilizide hat gezeigt, dass es sich um irdisches Material industrieller Abkunft handeln könnte. Die Untersuchungen kommt zu dem Schluss, dass es derzeit keine klaren Hinweise für eine anthropogene Herkunft der Krater gibt. Um eine Entstehung durch einen Impakt beweisen oder auch verwerfen zu können, wären jedenfalls weitere geologische und archäologische Untersuchungen notwendig[4].

Eine Arbeitsgruppe der Eberhard-Karls-Universität Tübingen berichtet von der Untersuchung einer „kraterähnlichen Struktur“ mit einem Durchmesser von etwa 11 m, deren Gesteine auf die Einwirkung von Temperaturen von bis zu 1500 °C schließen lassen: Die Entstehung dieser Struktur durch einen Impakt sollte in Betracht gezogen werden, könne derzeit aber noch nicht bewiesen werden[5].

Rund um den Tüttensee

Der Tüttensee ist nach geologischer Lehrmeinung ein eiszeitlicher Toteiskessel, der beim Rückzug der Gletscher am Ende der letzten Eiszeit entstand, wie sie als solche im Alpenvorland häufiger anzutreffen sind. Geologen des Bayerischen Geologischen Landesamts favorisieren auch nach einer Begehung sowie einer Laserbefliegung diese Theorie gegenüber der Impakt-Hypothese. Das Vorkommen von Brekzien und splittrig zerbrochenen Gesteinen aus den tektonisch stark beanspruchten Alpen sei im Alpenvorland nicht ungewöhnlich. Die glasigen Oberflächen mancher Fundstücke sind ihrer Ansicht nach bei der vorindustriellen Rohstoffgewinnung, etwa in kleinen Eisenhütten oder Kalkbrennöfen entstanden[6].

Die Gläser und Metallpartikel wurden auch von Wissenschaftern an verschiedenen europäischen Universitäten und Forschungsinstituten auf Hinweise auf einen Impakt hin untersucht. Eindeutige Hinweise auf einen Kometeneinschlag haben sich dabei bislang nicht ergeben.

Das Artefakt aus der Brekzienschicht

Die Erforschung des Chiemgau-Impaktes ist um einen nach Meinung der CIRT bemerkenswerten Fund reicher[7]. Er wurde im Rahmen einer neuen Grabungskampagne gemacht, die der weiteren wissenschaftlichen Aufnahme der geologischen Verhältnisse durch Kord Ernstson rund um den Tüttensee dient. In Schurf Nummer 35 wurde durch Till Ernstson ein Quarzitgeröll geborgen und als Artefakt – vom Menschen bearbeitet – erkannt.

Besondere Kennzeichen sind ein tiefreichender gepickter Trichter, der in eine Bohrung übergeht. Die im Gestein endende Bohrung zeigt durch eine leichte Erhebung am Boden, dass mit einem Hohlbohrer aus vermutlich Hirschgeweih, Holunderholz oder Röhrenknochen gearbeitet wurde. Sehr ungewöhnlich ist die Härte des verwendeten Quarzitmaterials, und ein Vergleichsobjekt ist aus Deutschland offenbar nicht bekannt. Selbst aus der norddeutschen Megalithkultur sind keine durchbohrten Äxte aus Silex überliefert, der dieselbe Härte wie der Quarzit besitzt. Nach der Form des verwendeten Gerölls und des exzentrischen Ansatzpunktes der Bohrung vermutet die CIRT, dass aus dem Rohling ein Prunkbeil werden sollte. Eine Datierung des Rohlings ist für das Mittel- bis Endneolithikum (ca. 3000 bis 2000 v. Chr.), möglicherweise aber auch in die Bronzezeit anzusetzen[7] – entscheidend für die Datierung war die Art und Ausführung der Bohrung.

Nach Meinung der CIRT ist es im Zusammenhang mit dem Chiemgau-Impakt bemerkenswert, dass der vermutliche Beilrohling nicht in einem archäologisch ansprechbaren Horizont angetroffen wurde, sondern in 1 m Tiefe aus der polymikten Trümmerbrekzie geborgen wurde, die rund um den Tüttensee in mehr als 30 Schürfen zutage trat und die wegen dieser Konstellation als Auswurfmassen des Tüttensee-Impaktes gedeutet wird.

Medienresonanz

Trotz der unsicheren Sachlage wurde die Hypothese vom Chiemgau-Impakt mehrfach von den Massenmedien aufgegriffen. Unter anderem wurde darüber im Alpen-Donau-Adria-Magazin des Bayerischen Fernsehens, in der Süddeutschen Zeitung, in der Zeitschrift Der Spiegel und auf verschiedenen Internet-Seiten berichtet.

Auch in der Reihe „Terra X“ des ZDF am 8. Januar 2006 wurde die Diskussion um den sogenannten Chiemgau-Kometen vorgestellt. Die in dieser Sendung dargestellten, weitreichenden kulturhistorischen Auswirkungen sind allerdings spekulativer Natur und werden auch vom CIRT nicht gestützt[8], und auch die Darstellung des Kometen-Einschlags selbst wurde heftig kritisiert.[9]

Auch die RTL2-Serie "Welt der Wunder" verschloss sich nicht vor der unsicheren aber medienwirksamen Theorie und strahlte einen ausführlichen Bericht mit computergenerierten Spezialeffekten und einer erfundenen Rahmengeschichte aus. Jegliche Kritik an der Realität dieses Vorgangs blieb jedoch unerwähnt.

Nach Medienberichten im Herbst 2006 gab eine Gruppe von über 20 Wissenschaftlern zu der Theorie eine Erklärung ab, in der kritisiert wurde, dass "trotz Mangels an Beweisen und fehlender Dokumentation in wissenschaftlichen Fachzeitschriften [...] die „Chiemgau Impakt-Theorie“ in den Medien sehr einseitig publik gemacht worden" sei, und "die Herkunft der Krater durch den Einschlag eines Kometen eindeutig zurückgewiesen" wird[10]. In einer Erwiderung[11] wies das CIRT darauf hin, dass es in dieser Presseaussendung keine ihrer Forschungsergebnisse widerlegt sah und es sich durch die sehr umfangreiche Forschungsarbeit 2006 in ihren Erkenntnissen bestätigt sieht. Weitere Stellungsnahmen folgten[12] [13].

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Streuellispe
  2. U. Schüssler, M. Rappenglück, K. Ernstson, W. Mayer, B. Rappenglück: „Das Impakt-Kraterstreufeld im Chiemgau“, in European Journal of Mineralogy, Vol. 17, Suppl. 1 (2005), S. 124 [1]
  3. M. Rappenglück., U. Schüssler, W. Mayer, K. Ernstson: „Sind die Eisensilizide aus dem Impakt-Kraterstreufeld im Chiemgau kosmisch?“, in European Journal of Mineralogy, Vol. 17, Suppl. 1 (2005), S. 108 [2]
  4. K. T. Fehr, J. Pohl, W. Mayer, R. Hochleitner, J. Fassbinder, E. Geiss, H. Kerscher: „A meteorite impact crater field in eastern Bavaria? A preliminary report.“, in Meteoritics & Planetary Science, Vol. 40, No. 2 (2005), S. 187-194 [3]
  5. V. Hoffmann, W. Rösler, A. Patzelt, B. Raeymaekers, P. van Espen: „Characterization of a small crater-like structure in southeast Bavaria, Germany“, in Meteoritics and Planetary Science, Vol. 40 (2005), S. A69 [4]
  6. G. Doppler, E. Giess: Der Tüttensee im Chiemgau – Toteiskessel statt Impaktkrater, Bayerisches Geologisches Landesamt (2005) [5]
  7. a b T. Ernstson: Ein außergewöhnliches prähistorisches Artefakt aus den Auswurfmassen des Meteoritenkraters Tüttensee (Chiemgau) [6]
  8. CIRT: Die Terra X-Sendung in der Diskussion [7]
  9. „Märchenstunde im ZDF“, in Sterne und Weltraum, März 2006 [8]
  10. U. Reimold et al.: Vermeintlicher Einschlag eines Kometen im Chiemgau entbehrt wissenschaftlicher Grundlage, Presseaussendung des Museums für Naturkunde, Berlin, 21.11.2006
  11. CIRT: Erwiderung zur Presseerklärung des Naturkunde-Museums Berlin vom 21. November 2006 (Dr. Gesine Steiner, U. Reimold) [9]
  12. CIRT: Kritischer Kommentar von Ferran Claudin, Spanien, zur Presseerklärung des Naturkunde Museums Berlin (spanischer Originaltext, deutsche Übersetzung)
  13. CIRT: Chiemgau-Impact-Research-Team mahnt die Beantwortung der 10 Fragen aus der Erwiderung zur Presseerklärung des Berliner Naturkundemuseums an [10]

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