Pflichtteil (Deutschland)

Pflichtteil (Deutschland)

Das Pflichtteilsrecht sichert nahen Angehörigen eine gesetzliche Mindestbeteiligung am Nachlass und setzt so der Testierfreiheit eine gesetzliche Grenze. Abkömmlinge (§ 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB), Eltern (§ 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB), Ehegatten und Lebenspartner (§ 10 Abs. 6 LPartG) eines Erblassers erhalten daher auch dann eine wirtschaftliche Teilhabe am Nachlass, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind. Zu diesem Zweck steht ihnen gegen den bzw. die vom Erblasser eingesetzten Erben ein Pflichtteilsanspruch zu. Dieser Pflichtteilsanspruch besteht dabei im Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist auf Zahlung eines entsprechenden Geldbetrages gerichtet. Die Erben können diesen Anspruch weder mit Sachwerten aus dem Nachlass erfüllen, noch kann der Pflichtteilsberechtigte die Herausgabe oder Übereignung von Sachen aus der Erbschaft verlangen.

Inhaltsverzeichnis

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Verfassungsrechtlich wird weniger die Frage thematisiert, ob der gesetzliche Pflichtteil die Eigentumsgarantie des Erblassers beeinträchtigt, sondern allgemein angenommen, dass die Zuerkennung eines Pflichtteils als Teil der Garantie des Erbrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ihrerseits durch die Verfassung geschützt ist. Das Bundesverfassungsgericht sieht das Pflichtteilsrecht als Ausprägung des Verwandtenerbrechts an, das durch Art. 14 GG gewährleistet wird. Zugleich ist es auch Ausfluss von Ehe und Familie, die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt werden.[1]

Pflichtteilsberechtigter Personenkreis

Kinder im Sinne des Abstammungsrechts des BGB, adoptierte Kinder, Ehegatten und eingetragene Lebenspartner des Erblassers sind stets pflichtteilsberechtigt. Entferntere Abkömmlinge (Enkel, Urenkel usw.) und die Eltern des Erblassers sind nach § 2309 BGB nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn kein Abkömmling, der sie im Fall der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann.

Pflichtteilsentziehung

Der Erblasser kann aus bestimmten Gründen dem an sich Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil entziehen. Die Pflichtteilsentziehung muss nach § 2336 BGB durch Verfügung von Todes wegen, also durch Testament oder Erbvertrag erfolgen. Der Grund der Entziehung muss bei Errichtung bestehen und in der letztwilligen Verfügung angegeben werden, und zwar zumindest der Kernsachverhalt,[2] über den ein Gericht erforderlichenfalls Beweis erheben kann. Die Beweislast trägt derjenige, der sich auf die Entziehung beruft, also regelmäßig der vom Pflichtteilsberechtigten in Anspruch genommene Erbe.

Der Erblasser kann gemäß § 2333 BGB einem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil entziehen, wenn dieser

  1. dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet,
  2. sich einer vorsätzlichen körperlichen Misshandlung des Erblasser oder des Ehegatten, von dem er selbst abstammt, schuldig gemacht hat,
  3. sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,
  4. die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht verletzt oder
  5. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.

Verzeihung

Hat der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten vor der Errichtung der Verfügung verziehen, so erlischt das Recht zur Entziehung. Verzeiht er ihm nach der Errichtung der Verfügung von Todes wegen, so wird die den Pflichtteil entziehende Verfügung unwirksam. Verzeihung ist jedes Verhalten, durch das der Erblasser zum Ausdruck bringt, dass er die ihm zugefügte Kränkung nicht mehr als solche empfindet. Die ältere Rechtsprechung unterscheidet hier genau zwischen Versöhnung und Verzeihung und hält Verzeihung ohne Versöhnung, aber auch Versöhnung ohne Verzeihung für möglich, was den Vorstellungen der meisten nicht mehr entsprechen dürfte. Eine Form ist für die Verzeihung nicht vorgeschrieben.

Pflichtteilsbeschränkung (in guter Absicht)

Hat sich ein Abkömmling des Erblassers in einem solchem Maß der Verschwendung ergeben oder ist er in solchem Maß überschuldet, dass sein späterer Erwerb erheblich gefährdet wird, so kann der Erblasser gem. § 2338 BGB den Pflichtteil des Abkömmlings dahin umgestalten, dass nicht er, sondern erst dessen gesetzliche Erben nach dem Tod des Abkömmlings den Pflichtteil erhalten sollen. Dem Abkömmling steht dann nur der jährliche Reinertrag seines Pflichtteils zu. Eine Verschwendung im Sinne des Gesetzes setzt nach herrschender Meinung einen Hang zu zweck- und sinnlosen Ausgaben voraus[3]. Darüber hinaus muss man jedoch aufgrund verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift eine krankhafte Störung verlangen, welche die Anordnung einer Betreuung rechtfertigen würde. Eine Überschuldung liegt vor, wenn die Passiva des Abkömmlings seine Aktiva übersteigen. In jedem Fall muss die Verschwendung oder Überschuldung ein Maß erreichen, dass der spätere Erwerb des Abkömmlings, insbesondere der zu erwartende Pflichtteilserwerb,[4] erheblich gefährdet wird. Es muss daher die Gefahr bestehen, dass der Pflichtteil ganz oder größtenteils [5] von den Schulden aufgezehrt würde oder durch die Verschwendung verloren ginge.

Auch die Pflichtteilsbeschränkung wird unwirksam, wenn sich der Abkömmling beim Erbfall dauernd von dem verschwenderischen Leben abgewandt hat oder die den Grund der Beschränkung bildende Überschuldung nicht mehr besteht. Dabei genügt es, wenn der Grund insoweit entfällt, dass keine erhebliche Gefährdung mehr besteht.

Inhalt und Höhe des Pflichtteils

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteiles gemäß §§ 1922-1934 BGB. Entscheidend ist das Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalles, wobei der Netto-Nachlass (Reinnachlass) maßgeblich ist, d. h. ggf. vorhanden gewesene Verbindlichkeiten sind abzuziehen.

Der pauschale Zugewinnausgleich gemäß § 1371 BGB gilt nicht als gesetzlicher Erbteil und geht daher nicht in die Berechnung des Pflichtteils ein, wenn der überlebende Ehegatte nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer wird. Anders als der Erbe wird der durch Verfügung von Todes wegen ausgeschlossene Pflichtteilsberechtigte nicht Rechtsnachfolger des Erblassers und nicht Mitglied der Erbengemeinschaft. Am Vermögen des Erblassers partizipiert er dennoch, und zwar gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB durch einen gegen den oder die Erben gerichteten Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages in Höhe seines Pflichtteils, mithin in Höhe der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils.

Sollte in einer vierköpfigen Familie beispielsweise der Familienvater sterben, ohne ein Testament hinterlassen zu haben, beträgt der gesetzliche Erbteil für die im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratete Ehefrau die Hälfte des Vermögens und für die beiden Kinder je ein Viertel. Enterbt der Familienvater ein Kind, hat es weiterhin Zahlungsanspruch auf den Pflichtteil in Höhe eines Achtels des Nachlasswertes.

Wenn der Pflichtteilsberechtigte selbst stirbt, noch bevor er seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hat, dann geht dieser Anspruch auf seine Erben über.

Die konkrete Höhe der Pflichtteile ändert sich je nach individueller Familiensituation. Eine Berechnung der prozentualen Pflichtteile kann man vornehmen auf: Sofort-Check Pflichtteile.

Zusatzpflichtteil

Wenn der Pflichtteilsberechtigte zwar als Erbe zum Zuge gekommen ist, sein Erbteil aber weniger wert ist als ihm an Pflichtteil zustünde, so kann er gemäß § 2305 BGB von seinen Miterben den Wert des an der Hälfte des gesetzlichen Erbteils fehlenden Teils als Geldanspruch verlangen.

Berechnung des Pflichtteils

Der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs wird der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes zu Grunde gelegt. Auf eine Wertangabe des Erblassers kommt es nicht an (§ 2311 BGB). Der oder die Erben haben dem Pflichtteilsberechtigten nach § 2314 BGB auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses (einschließlich Verbindlichkeiten und Schenkungen) Auskunft zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines geordneten und übersichtlichen Verzeichnisses. Der Pflichtteilsberechtigte kann auch verlangen, dass dieses Verzeichnis durch einen Notar errichtet wird, der den Nachlassbestand dann selbst zu ermitteln hat (etwa durch Einholung von Grundbuch- und Handelsregisterauszügen, Bankauskünften und Ortsbesichtigung). Der Pflichtteilsberechtigte ist auf sein Verlangen hin zur Verzeichniserstellung zuzuziehen.

Anrechnung von Zuwendungen, lebzeitige beeinträchtigende Schenkungen

Auf seinen Pflichtteil muss sich der Berechtigte anrechnen lassen, was ihm unter Lebenden vom Erblasser mit der ausdrücklichen Bestimmung zugewandt worden ist, dass es auf den Pflichtteil angerechnet werden soll (§ 2315 BGB). Die Bestimmung durch den Erblasser muss durch Willenserklärung erfolgen und diese muss dem Berechtigten vor oder spätestens bei Vollzug der freigiebigen Zuwendung zugehen.

Um eine Aushöhlung des Pflichtteils durch Schenkungen an Dritte schon zu Lebzeiten zu unterbinden, bestimmt § 2325 BGB, dass der Pflichtteilsberechtigte in solchen Fällen von dem oder den Erben eine Ergänzung seines Pflichtteilsanspruchs verlangen kann (Pflichtteilsergänzungsanspruch). Dadurch wird er so gestellt, als ob das verschenkte Vermögen noch im Nachlass vorhanden wäre. Eine Schenkung findet dabei immer weniger Berücksichtigung, je mehr Zeit seit der Schenkung vergangen ist, vgl. § 2325 Abs. III BGB. Soweit der Erbe zur Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruches nicht verpflichtet ist, weil etwa der tatsächliche Nachlass nicht zur vollständigen Erfüllung des Pflichtteilsergänzungsanspruches genügt, kann sich der Pflichtteilsberechtigte nach § 2329 an den Empfänger des Geschenkes halten.

Nach § 2327 BGB sind Geschenke, die der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser erhalten hat, ohne zeitliche Beschränkung auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch anzurechnen. Beim eigentlichen (sog. ordentlichen) Pflichtteilsanspruch (bezogen auf den tatsächlich beim Erbfall vorhandenen Nachlass) sind erhaltene Schenkungen hingegen nur anzurechnen, wenn das bei der Zuwendung des Geschenks so angeordnet war.

Verjährung

Für den Pflichtteilsanspruch gilt gemäß § 195 BGB eine Verjährungsfrist von drei Jahren, die nach dem Erbfall mit Schluss des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte von dem ihn von der Erbfolge ausschließenden Testament Kenntnis erlangt, zu laufen beginnt. Regelmäßig erlangt der Pflichtteilsberechtigte diese Kenntnis (erst) dadurch, dass er vom Nachlassgericht das Protokoll über die Testamentseröffnung nebst Testamentsabschrift erhält. Ohne Erlangung der Kenntnis verjährt der Anspruch spätestens 30 Jahre nach dem Erbfall, § 199 Abs. 3a BGB. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gilt grundsätzlich dasselbe, wobei hier für den Verjährungsbeginn noch die Kenntnis von der beeinträchtigenden Schenkung hinzutreten muss. Haftet für die Pflichtteilsergänzung aber ausnahmsweise nicht der Erbe, sondern der Beschenkte (insbesondere, wenn der sonstige Nachlass dürftig ist), so gilt für die Haftung des Beschenkten eine dreijährige Verjährungsfrist taggenau beginnend mit dem Erbfall. Für Erbfälle vor dem 1. Januar 2010 sind für die Berechnung der Verjährungsfristen Besonderheiten aufgrund von Übergangsvorschriften zur Erbrechtsreform zu beachten.

Reform des erbrechtlichen Pflichtteils

Seit dem 1. Januar 2010 gelten die Änderungen des Verjährungsrechts, der Pflichtteilsergänzungsansprüche und der Pflichtteilsentziehungsgründe nach dem Erbrechtsreformgesetz I.[6] Für Erbfälle vor dem 1. Januar 2010 ist allerdings weitgehend das frühere Recht anwendbar.

Für erbrechtliche Ansprüche, die bis zum 1. Januar 2010 noch nicht verjährt waren, gelten im Rahmen von Art. 229 § 23 EGBGB die neuen Verjährungsregeln, es sei denn die Verjährungsfrist liefe auf Grundlage der Berechnung des früheren Rechts früher ab.

Literatur

  • Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz: Handbuch Pflichtteilsrecht. 2. Aufl. 2010, ISBN 978-3-935079-52-5
  • Gerhard Schlitt und Gabriele Müller: Handbuch Pflichtteilsrecht, Beck-Verlag, München 2010, ISBN 978-3-406-58694-1

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Urteil des BVerfG zum Pflichtteil
  2. BGHZ 94, 36; BGH FamRZ 1964, 86.
  3. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2. März 2011 - I 3 Wx 214/08, BeckRS 2011, 08118 = ZEV 2011, 310.
  4. Prot., 2. Komm., S. 7583.
  5. § 773 öster. ABGB; OLG Düsseldorf a.a.O.; Kuhn ZEV 2011, 288.
  6. Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts
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