Politische Entwicklung der Ukraine seit 1991

Politische Entwicklung der Ukraine seit 1991

Seit dem Referendum über die Unabhängigkeit der Ukraine vom 1. Dezember 1991, mit dem sie sich von der Sowjetunion loslöste, unterliegt die Ukraine einem wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozess von einer Sowjetrepublik hin zu einem unabhängigen und demokratischen Staat.

Inhaltsverzeichnis

1991, nach dem Referendum über die Unabhängigkeit

In Folge des Referendums blieben zunächst viele aus der Sowjetunion gewohnte Strukturen und Gesetze erhalten. Die Wahlprogramme vieler Parteien, bis weit in den nationaldemokratischen Block hinein, enthielten etwa Vorschläge zu sich teilweise widersprechenden Eigentumsformen (sozialistische und kapitalistische).

Eine Abkehr von der Sowjetunion im öffentlichen Raum geschah in der Westukraine, die teilweise erst seit dem Zweiten Weltkrieg zur ukrainischen Sowjetrepublik gehört hatte, schneller als im Zentrum oder im Osten. Schnell wurden hier Straßen umbenannt, Denkmäler demontiert und andere Symbole aus dem Straßenbild entfernt. In anderen Teilen der Ukraine waren Symbole wie „Sowjetsterne“ oder „Hammer und Sichel“ noch bis zum Ende des 20. Jahrhunderts an vielen Stellen zu sehen.

Auch im Bereich der Wahlen zeigte sich dies. So tauchte bei den Wahlen im Frühjahr 1994 noch einzelne Wahlkreis mit Namen wie „Moskauer Wahlkreis“, „Lenin-Wahlkreis“ oder „Spartak-Wahlkreis“ in den amtlichen Wahlunterlagen auf, was auf den Einfluss sozialistischer Kräfte auf der Ebene der örtlichen Kommissionen zurückzuführen war. Noch unter Präsident Leonid Kutschma, der sich für eine neue Verfassung einsetzte, zeigte sich ein Nebeneinander von sowjetischen Namen und Symbolen und solchen, die eine die ukrainische Tradition wieder aufleben und ein Bekenntnis zum neuen Staat sichtbar werden lassen sollte.

Zwei weitere Beispiel zeigen, wie langwierig sich der Transformationsprozess gestaltete:

  • Bereits kurz nach der Unabhängigkeit der Ukraine erhielt das „Lenin-Museum“ einen neuen Namen und wurde zum „Ukrainischen Haus“ umbenannt. Erst im Jahr 2000, 9 Jahre später, erhielt der Platz vor dem Ukrainischen Haus, der bis dahin nach der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol benannt war, seinen neuen Namen: Europa-Platz
  • Auch verschwanden erst im Frühjahr 2000 Hammer und Sichel vom Parlamentsgebäude und das Parlament beschloss die Auflösung von Bezirken, die noch sowjetische Namen trugen.

Für alle und täglich gut sichtbar war hingegen die Symbolik auf den Münzen und Scheinen der neuen Währung, der Hrywnja. Bei deren Gestaltung besann man sich auf vorrevolutionäre Größen zurück. So kam es 1996 zur Abbildung bedeutender Persönlichkeiten der Ukrainischen Geschichte, wie der Großfürsten des Kiewer Reiches, sowie Hetman Iwan Masepa und den Wegbereiter des ukrainischen Nationalstaates Mychajlo Hruschewskyj.

1993/1994

Um eine Parlamentswahl, die für den März 1994 vorgesehen war, nach demokratischen Maßstäben zu ermöglichen, war eine Neuordnung des Wahlverfahrens und des Parteiensystems notwendig geworden. So kam es, dass die Kommunistische Partei, ebenso wie die Sozialisten, im Herbst 1993 wieder offiziell zugelassen wurden. Die Auseinandersetzungen um das neue Wahlsystem und seine Einzelbestimmungen zeigte die immer noch starke Rolle von Kräften des sowjetischen Systems. Ihnen gelang es, die Rolle der Parteien zu schmälern und die Wahlkandidaten durch Arbeitskollektive, wie in sowjetischen Zeiten, aufstellen zu lassen.

Neben leichten Unregelmäßigkeiten und dem Verschwinden eines Wahlkampfleiters konstatierte aber die Wahlbeobachter der OSZE eine im großen und ganzen ordnungsgemäß verlaufende Parlamentswahl.

Seit seinem Amtsantritt im Juni 1994 appellierte der Präsident Leonid Kutschma wiederholt für die neue Verfassung und die Währungsreform (s.u.).

1996

Im Juni 1996 verabschiedete die „Werchowna Rada“, das ukrainische Parlament, die neue Verfassung. Erste Schritte auf dem Weg der Demokratisierung konnten gegangen werden. Dennoch zeigten sich in den neuen Bestimmungen des ersten Wahlgesetzes (nach der Unabhängigkeit 1991) einige Tücken. So verlangte dies eine Beteiligung der absoluten Mehrheit der Wahlberechtigten in den Wahlkreisen und führten zu einer Serie von Nachwahlen und zu einer andauernden Unterbesetzung des Obersten Rates.

Kutschma konnte in seiner ersten Amtszeit auch eine Währungsreform verbuchen. Im September 1996 wurde die neue Währung Hrywnja eingeführt, deren Wert damals in der Größenordnung etwa einer DM entsprach. Durch das Handeln einer selbstständigen Nationalbank konnte die Inflation stark vermindert und der Wert des neuen Geldes relativ stabil gehalten werden. Selbst als der Kurs des russischen Rubels im Sommer 1998 dramatisch abstürzte, waren die ukrainischen Währungshüter in der Lage, die Hrywnja kontrolliert abzuwerten. Trotz der Rubelkrise 1998, lag die Inflation bei nur 20 %, im Gegensatz zu 1994, wo sie bei 900 % lag. Parallel dazu konnte die Regierung den Export erfolgreich steigern, was die Inflation ebenfalls bremste. Begleitend dazu ging eine starke Verminderung des schwarzen Tauschhandels von Devisen einher, was dem Staat zusätzliche Einnahmen brachte.

1998

Die Erfahrung über die Abstimmung zur Verfassung und der Wahlen von 1994 machten weitere Änderungen am Wahlsystem notwendig. Bei der zweiten Parlamentswahl im Frühjahr 1998 verringerte sich die Zahl der notwendigen Wahlgänge und die Zahl der Parteien. Zuvor wurde eine Vier-Prozent-Hürde eingeführt, so dass die Zahl der Parteien sich auf acht reduzierte.

In der im März 1998 gewählten „Werchowna Rada“ kam es zu einem starken Bündnis der linken Parteien — Kommunisten, Sozialisten, Progressive Sozialisten und Bauernpartei — die im laufenden und dem folgenden Jahr zwar keine parlamentarische Mehrheit bilden konnten, eine für die Umsetzung von Reformen notwendige Mehrheit jedoch verhindern konnten. Der Reformprozess verlangsamte sich.

1999/2000

Um die Jahreswende 1999/2000 änderte sich das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Reformer und Regierungskräfte. Liberale, Zentristen, nationaldemokratische und rechte Parteien schlossen nach Verhandlungen durch Leonid Krawtschuk (1. Präsident der Ukraine) ein festes überfraktionelles Bündnis und wählten den von den Sozialisten gestellten Parlamentspräsidenten Olexandr Tkatschenko ab. Dies ermöglichte Leonid Kutschma der sich nun auf feste Mehrheiten stützen konnte, geplante Reformen in Angriff zu nehmen.

In einem verfassungsrechtlich höchst umstrittenen Referendum im April 2000, das Leonid Kutschma initiiert hatte, stimmten fast 89 % der Wähler für die Beschränkung der Abgeordnetenimmunität. Bereits vor der Abstimmung drohte der Europarat die Mitgliedschaft der Ukraine ruhen zu lassen, er ließ sich aber dann durch eine ukrainische Delegation die feste Zusicherung geben, dass die Umsetzung dieser Immunitätsbeschränkung streng im Rahmen der Verfassung umgesetzt werde. Das Verfassungsgericht wurde seinen Pflichten gerecht und erlaubte die Umsetzung nur unter ganz bestimmten Auflagen und unter Mitwirkung des Parlamentes.

Im Dezember 1999 wurde der bisherige Chef der Nationalbank Wiktor Juschtschenko zum Ministerpräsidenten ernannt. Er sicherte sich eine stabile parlamentarische Mehrheit der Liberalen, Zentristen und Rechtsparteien. In dieser Zeit stieg die Produktion im Jahr 2000 um über 5 %, was sich 2001 fortsetzte. Juschtschenko legte einen ausgeglichenen Haushaltsplan vor, griff die notwendige Landreform an und führte sie zum Abschluss. Bis zum April 2000 wurden die Kolchosen aufgelöst; die Bauern erhielten ihren Landanteil übertragen. In diesem Wirtschaftsbereich stieg daraufhin die Produktion kräftig an. Zum ersten Mal erzielte die Ukraine eine positive Handelsbilanz.

Die Pensionsschulden des Staates konnten erstmals seit der Unabhängigkeit völlig beglichen werden, obwohl sich die Zahl der Pensionsempfänger seit 1993 verdoppelt hatte.

2001

Zu Beginn des Jahres 2001 verabschiedete die Werchowna Rada ein Gesetz, das Leiter von Betrieben aller Eigentumsformen bei Nichtauszahlung von Löhnen mit Gefängnis oder Geldstrafe bedrohte.

Auch auf dem Gebiet des Energiemarktes fanden Veränderungen statt. Der Anteil der sofort bezahlten Stromlieferungen konnte deutlich erhöht werden, dabei ging auch der Staat mit gutem Beispiel voran, indem er Stromrechnungen für staatliche Einrichtungen beglich.

Kutschmas Ruf war durch ein mitgeschnittes Gespräch zwischen ihm, seinem Innenminister und dem Leiter der Präsidialverwaltung, geschädigt. Durch das Tonband geriet Kutschma in den direkten Verdacht einer Beteiligung an der Ermordung des kritischen Journalisten Heorhij Gongadse. Die genauen Umständes des Todes Gongadses im September 2000 sind bis heute ungeklärt. Am 1. Februar 2001 gehen einige Tausend Anhänger der Bewegung „Ukraine ohne Kutschma“ auf die Straße und fordern den Rücktritt des Präsidenten. Am gleichen Tag gründen fünfzehn namhafte ukrainische Politiker das „Forum zur nationalen Rettung“. Ziel dieser Politiker ist die Umwandlung der Ukraine von der präsidialen zur parlamentarischen Republik, d.h. die Vollmachten des Staatspräsidenten sollen auf repräsentative Aufgaben reduziert werden.

Vor Kutschmas Absetzung, vereinbarte er am 12. Februar 2001 mit seinem russischen Amtskollege Wladimir Putin bei einem Treffen Industriestadt Dnjepropetrowsk eine engere Zusammenarbeit in der Rüstungs- und Weltraumindustrie. Zum Märzbeginn 2001 kommt es in Kiew zu einer großen Demonstration gegen den Präsidenten. In einer Straßenschlacht mit den Sicherheitskräften kommt es zu 200 Verhaftungen, man geht von insgesamt fast 20.000 Teilnehmern aus, darunter auch der Führer der Partei Una-Unso („Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung“), zahlreiche weiter Demonstranten werden verletzt.

Ende April bringen die Kommunisten im Parlament einen Misstrauensantrag ein, das ukrainische Parlament (Werchowna Rada) spricht der Regierung von Ministerpräsident Viktor Juschtschenko das Misstrauen aus. Für die Abwahl stimmen neben den Kommunisten, die im Parlament die stärkste Fraktion stellen, die Sozialdemokraten, die Arbeitspartei und verschiedene kleinere Parteien. Ende Mai wählt das ukrainische Parlament den von Staatspräsident Leonid Kutschma vorgeschlagenen Kandidaten Anatolij Kinach mit 239 von 400 anwesenden Abgeordneten (insgesamt zählt das Parlament 450 Abgeordnete) zum neuen Ministerpräsidenten.

Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2000 geriet Juschtschenko politisch unter Beschuss und Präsident Kutschma rückte mehr und mehr von ihm ab. Durch ein Misstrauensvotum des Parlaments, bei dem kommunistische und kutschmatreue Politiker eine Mehrheit bildeten, wurde der Ministerpräsident 2001 abgewählt. Damit war auch die antikommunistische Mehrheitskoalition im Parlament zerbrochen. Juschtschenkos Nachfolger als Ministerpräsident war übergangsweise Anatolij Kinach, gefolgt von Wiktor Janukowytsch.

2004

siehe hierzu auch: Nebenartikel:Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 2004

2005/2006

Der russisch-ukrainische Gasstreit begann im März 2005, als Russland die Bedingungen für Transittransporte von Erdgas über ukrainisches Territorium nach Westeuropa sowie den Preis, den die Ukraine für Erdgasimporte zahlen sollte, zugunsten marktorientierter Preispolitik neu festlegte.

Weil die Ukraine sich weigerte, den neuen Bedingungen zuzustimmen und ein Vertrag für 2006 bis zuletzt ausblieb, stellte Russland am 1. Januar 2006 die Gasexporte in die Ukraine ein. Dies führte kurzzeitig zu Lieferengpässen in verschiedenen europäischen Staaten.

Zahlreiche politische Beobachter gehen davon aus, dass Russland diese Schritte eingeleitet habe, um die Ukraine für die Annäherung an den Westen zu bestrafen. Als weiterer Grund wird angegeben, die Popularität des Präsidenten und seiner Partei solle beim ukrainischen Volk vor den Wahlen im Frühling 2006 beeinträchtigt werden. Auch versuche Russland, sich der Kontrolle der ukrainischen Pipelines zu bemächtigen. Russland stellt fest, die Erhöhung der Gaspreise erfolge aus rein wirtschaftlichen und nicht aus politischen Gründen.

Im Falle von Weißrussland, das russisches Erdgas zu einem Preis von nur 48 US-$ bezieht, verweist Russland auf eine vollkommen andere Situation bei den Eigentumsverhältnissen am weißrussischen Leitungssystem und den dazugehörigen Grundstücken. Um einen extrem reduzierten Preis beizubehalten, übergab Weißrussland sein Leitungssystem unter die Kontrolle eines russisch-geführten Konsortiums. Ein ähnliches Geschäft wurde von Gasprom auch der Ukraine angeboten, die Ukraine lehnte es aber ab.

Anfang 2006 kann das ukrainische Unternehmen Naftogas neue Bedingungen mit dem russischen Lieferanten vereinbaren.

Die Regierung unter Präsident Juschtschenko hat inzwischen das Ziel einer Westbindung der Ukraine als neue Maxime der Außenpolitik verkündet. So wird ein EU-Beitritt des Landes angestrebt. siehe dazu auch: Ukrainischer EU-Beitritt

2006

siehe hierzu auch: Nebenartikel:Ukrainische Parlamentswahlen 2006


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